IV. Die Wende

Die Vorgeschichte des Rückzugs
Treffen des Plenums des Zentralkomitees der PKK
Rückzug der Guerilla und Beendigung des bewaffneten Kampfes
Präsidialrat der PKK zum Rückzug der Truppen
"Der Rückzug muss still und ohne Gefechte erfolgen"
"Eine unbenannte Revolution"
Stellvertretender US-Außenminister für mehr Rechte
Auch die Türkei muss ihre Aufgaben erledigen
Rückzug der Einheiten der PKK beginnt
"Reuegesetz" - Amnestie light - Förderung des Verrats
Amnestie, Teilamnestie, Generalamnestie?
Türkische Armee erschwert den Rückzug
Trotz Operationen eine mildere Atmosphäre
Der höchste General meldet sich zu Wort
"PKK wird Geschichte"
Öcalan lädt eine Gruppe seiner Partei als Friedensbotschafter ins Land ein
Einige Steine wurden doch ins Rollen gebracht

Drei Beispiele für zivilgesellschaftliche Einmischung

Erstes Beispiel: Deklaration zu Demokratie und Frieden
Zweites Beispiel: Rede des obersten Richters
Drittes Beispiel: Intellektuelle mischen sich ein
Der Ton der Stimme wird schärfer


Der höchste General meldet sich zu Wort

Am 3. September 1999 lud Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu plötzlich Vertreter der Zeitungen und der Fernsehsender in seinen Amtssitz ein, um sie über wichtige Fragen der Gegenwart und Zukunft aufzuklären und indirekt einige Botschaften an die Adresse der Politik zu senden. Die wichtigsten Signale hat er an die Islamisten gerichtet. Er sagte wörtlich: "Der 28.Februar (1997) ist noch nicht zu Ende gegangen. Wenn es notwendig sein wird, wird er noch tausend Jahre andauern." (111) Die zweite Botschaft ging an die Adresse der Politik. Bezüglich des gegen Öcalan verhängten Todesurteils sagte er: "Wir sind Partei in dieser Sache. Es könnte sein, dass wir uns emotional verhalten. Deswegen müssen sich dazu die Politiker äußern. Sie werden darüber beschließen. Bei ihrem Beschluss werden sie sich die Vor- und Nachteile für das Land vor Augen halten."
Zum Themenkomplex PKK und Rückzug gab General Kivrikoglu bekannt: "Ob die PKK tatsächlich die Waffen niederlegt, werden wir sehen. In der Vergangenheit haben sie Waffenstillstände verkündet und sich nicht daran eingehalten. Einige PKK-Kreise ziehen sich zurück."
Gerichtet an die Kurden sagte er: "Die Türkei hat sowieso viele Rechte (der Kurden) anerkannt und gewährt. Obwohl es verboten ist, finden in kurdischer Sprache Rundfunk- und Fernsehsendungen statt.(112) Die HADEP kontrolliert in 37 Provinz- und Kreisstädten die Kommunen (Rathäuser). Wenn sie korrekt arbeiten, können sie dem Land dienen".
Die letzten Botschaften waren an die zivilen gesellschaftlichen Kräfte gerichtet. "Alles wird von der Armee erwartet. Die Armee ist aber nur ein einziges Bein am Tisch. Die anderen Beine des Tisches müssen auch ihre Funktionen erfüllen. Dies sind die Universitäten, die Gewerkschaften und die zivilen Institutionen. Bei den Diskussionen um die Amnestie stand die Öffentlichkeit auf den Beinen. Bei den anderen Themen müssen die Universitäten, Gewerkschaften, die zivilen Organisationen im Rahmen der Gesetze ebenfalls ihren Protest zum Ausdruck bringen." (113)
Auf Fragen gab er ergänzende und weitergehende Antworten. "Wie der Kopf der Terroristen selber sagt, sie können mit Waffen nichts erreichen. Sie versuchen auf dem politischen Wege, eine Lösung zu erreichen. Sie möchten nicht mal Föderation. Was sie fordern, sind einige kulturelle Rechte. Einige davon werden sowieso gewährt und anerkannt. Kurdische Zeitungen und Kassetten sind erlaubt. Obwohl es verboten ist, wird im Ost- und Südostanatolien in Fernsehen und Rundfunk Kurdisch gesendet." (114)
Am nächsten Tag erschienen alle Zeitungen in der Türkei mit den Botschaften des mächtigen Generalstabschefs Kivrikoglu. Ministerpräsident Ecevit bescheinigte dem obersten General, welch weitsichtige Ansichten er doch habe. "Wir müssen, um die Politisierung des Problems zu verhindern, einige konkrete Schritte tun. Einige Schritte wurden sowieso getan. Obwohl kurdische Fernseh-sendungen verboten sind, wird Kurdisch gesendet." (115)
Der bekannte Journalist Mehmet Ali Birand kommentierte kurz und bündig: "Mit dieser Rede hat General Kivrikoglu viele Fragezeichen beseitigt. Der Abstand zwischen den verschiedenen Lösungsvorstellungen ist kürzer geworden. Ab jetzt können die Politiker nicht mehr sagen, dass "sie zwar etwas tun möchten, der Druck der Offiziere sie aber daran hindert. Das Licht am Ende des Tunnels wird noch deutlicher erkennbar." (116)
Nachdem seine Äußerungen über eine Woche lang in der Öffentlichkeit diskutiert worden waren, meldete sich General Kivrikoglu noch einmal und dementierte einige Teile seiner Rede. Er gab zu erkennen, dass "die Generäle niemals mit der PKK verhandeln werden. Er habe nur eine Bestandsaufnahme der Fakten gemacht und die Realität in der Türkei wiedergegeben. Alle Angehörigen der Terrororganisation sollen die Waffen niederlegen und sich ergeben." (117)


(111)Am 28.2.97 richtete der Nationale Sicherheitsrat ein Ultimatum an die islamisch orientierte Refah-geführte Regierung unter Necmettin Erbakan.

(112)Gemeint sind die lokalen TV- und Rundfunksender, die ab und zu einmal kurdische Lieder abspielen. Der türkische Staat und die türkische Armee haben Anfang der 90er Jahre einen Radiosende namens "Dicle" eingerichtet, in dem täglich Propaganda in kurdischer Sprache gegen die PKK betrieben wird und Aufrufe zur Kapitulation verbreitet werden.

(113)Hürriyet, 4.9.99

(114)Hürriyet, 5.9.99

(115)Hürriyet, 5.9.99

(116)Entnommen aus Hürriyets "Pressespiegel" vom 9.9.99. (Posta)

(117)Hürriyet und Milli Gazete, 11.9.99