III. Das Jahr 2000-1 beginnt

Kriegsdrohungen gegen Syrien / Öcalan in Rom
Die Europäisierung der Kurdenfrage
Die Reise von Rom ins "Ungewisse"
Öcalans Auslieferung an die Türkei
Einige Reaktionen aus Deutschland und Europa
Schily zu den Aktionen aus Anlass der Verschleppung Öcalans
Kay Nehm: "PKK keine Terrororganisation"
Der Vorfall in Berlin - die Tatsachen widerlegen Schily
Der Europäische Rat der EU zu den Demonstrationen und zum Öcalan-Prozess"
ERNK: "Aktivitäten im Rahmen der demokratischen Regeln und mit Vernunft entfalten"
Erklärung der deutschen Friedensbewegung
Wie sah es in Kurdistan aus?
Öcalan auf Imrali
Ein weiteres Beispiel der Zusammenarbeit: Schließung von MED-TV
Nach den Parlaments- und Kommunalwahlen: Trotz Repressalien viele Kommunen in den Händen der HADEP
Tribunal gegen Öcalan

Geteiltes Echo
Internationale Reaktionen auf das Urteil
Reaktionen der türkischen und kurdischen Seite
"Diplomatie und Piraterie"


Wie sah es in Kurdistan aus?

In der Zwischenzeit hat man festgestellt, dass durch die Festnahme Öcalans weder das Kurdenproblem, das immerzu auf den Terror reduziert worden war, gelöst, noch die PKK zerschlagen worden war. Ganz im Gegenteil, es waren gewisse Entwicklungen, eine Sammlungsbewegung, eine Solidarität unter den Kurden zu beobachten. Und dies haben nicht nur Kurden festgestellt. Dies ist eine Bewertung, wie sie von allen Kreisen gemeinsam getroffen wurde, die sich in dieser oder jener Weise mit der Sache beschäftigen.
Gerd Schumann, der in der ersten Märzhälfte 1999 in Diyarbakir war, berichtete hierzu in der Frankfurter Rundschau: "Seit Öcalans Verhaftung ist die Bevölkerung eng zusammengerückt. Bis dahin vorhandene Meinungsverschiedenheiten waren plötzlich nebensächlich. Der zunächst lähmende Schock wurde mit den Tagen und Wochen nach und nach überwunden. Als Ministerpräsident Bülent Ecevit seinen Wahlkampfauftakt ausgerechnet im Herzen Kurdistans begehen wollte, befolgten bereits um 95 Prozent der Bevölkerung die Orientierung der PKK: Die Rolläden der Geschäfte blieben erstmals wieder seit den 'Serhildan'-Volksaufständen Anfang der neunziger Jahre heruntergelassen, auf den Straßen bewegte sich kaum jemand außer jenen aus der Umgebung bestellten Jublern, Dorfschützern, Staatsbediensteten." Weiterhin geht er darauf ein, dass "selbst günstig positionierte Fernsehkameras" die Leere nicht aufzufüllen vermochten und dadurch "Ecevits Ausflug in den Südosten (...) zum Fiasko (geriet)." Dies waren seine Beobachtungen kurz vor seiner Abschiebung aus Diyarbakir. (54)
Eine ähnliche Feststellung trifft auch Martin van Bruinessen und stützt diese auf die Äußerungen der Anhänger und Führungsleute der KDP Irak, die alles andere als Freunde der PKK sind, ja, die seit Jahren mit ihnen in Konflikt stehen. Er beobachtete, die KDP-Leute hätten den Tag von Öcalans Entführung als "schwarzen Tag für die Kurden"(55) bezeichnet, insbesondere wegen der Art und Weise, wie er in die Türkei gebracht wurde.
Der Staat zielte durch die Bilder Öcalans, die im Fernsehen und in der Presse immer wieder gezeigt wurden, wo er mit gefesselten Händen und Füßen, mit verbundenen Augen zwischen zwei türkischen Fahnen stand, darauf ab, in der Person Öcalans alle Kurden zu erniedrigen, sie zu verletzen.
Er hat sich aber gewaltig geirrt, wenn er glaubte, die Menschen würden sich auf diese Weise von Öcalan und der PKK distanzieren. Im Gegenteil hielten viele Kurden, sogar PKK-Gegner, in gegenseitiger Solidarität zusammen.
Die Kurden, die "Verdammten der Welt", haben zwar in dem Moment, als Öcalan dem türkischen Staat ausgeliefert wurde, eine Runde verloren, aber sie haben es gelernt, sich zusammenzuschließen.

(54)FR, 16.3.99

(55)FR, 11.6.99