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NOVEMBER 2003

Politische Gefangene in Frankreich

Freiheit für die Gefangenen der Action Directe!

Nathalie Menigon ist eine von insgesamt fünf ehemaligen Mitgliedern von Action Directe, die noch immer in Frankreich im Knast sitzen. Zur Erinnerung: Action Directe verstand sich in den 80er Jahren als kommunistische und antiimperialistische Guerillagruppe. Joelle Aubron, George Cipriani, Jean Marc Rouillan und Nathalie Menigon wurden zwischen 1987 und 1994 zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt u.a. wegen der Hinrichtung des Generaldirektors von Renault, George Besse, sowie des Generals Audran. George Besse war als „Abwicklungsspezialist“ zu Renault geholt worden. Nach einem Jahr seiner Tätigkeit waren 25.000 Beschäftigte entlassen. Im Rahmen seiner früheren Tätigkeit, bei Pechiney, waren es sogar 34.000 Beschäftigte gewesen. Er hatte im Bereich der zivilen sowie militärischen Nukleartechnik Karriere gemacht. Die damalige Kommandoaktion war nach Pierre Overney benannt, einem Aktivisten der Gauche Proletarienne, der von einem Wachmann von Renault erschossen wurde, während er Flugblätter vor den Werkstoren verteilte. General Rene Audran war Direktor für internationale Fragen im Verteidigungsministerium. Er war verantwortlich für alle Fragen des Waffenverkaufs sowie der Repräsentant Frankreichs in der einzigen Natostruktur, in der Frankreich offiziell vertreten war: die IEPG (Unabhängige Gruppe für Europäische Programme). Die Aktion wurde vom Kommando „Elisabeth Von Dyck“ ausgeführt (einer Aktivistin der Roten Armee Fraktion, die während ihrer Verhaftung - in Nürnberg - von der Polizei ermordet wurde). Vier der Gefangenen, J.Aubron, C.Cipriani, N.Menigon und J.M. Rouillan, werden ihre Strafen im Frühjahr 2005 abgesessen haben. R. Schleicher wird im März 2004 20 Haftjahre hinter sich gebracht haben. Er sitzt gegenwärtig im Hochsicherheitstrakt von Fleury-Merogis.


Freiheit für Nathalie Menigon!


Die 44-jährige Nathalie Menigon ist, wie ihre Freundin Joelle Aubron, inzwischen seit 16 Jahren in Haft, darunter lange Zeit in Isolationshaft. Sie erlitt im Gefängnis mehrere Gefäßunfälle im Gehirn und ist infolgedessen teilweise gelähmt. Sie ist permanent in medikamentöser Behandlung und leidet unter Gleichgewichts- und Bewegungsstörungen sowie Gedächtnisverlust. Am 17. März 2003 fand eine Anhörung über Haftverschonung aus medizinischen Gründen für Nathalie Menigon statt. Über einen Monat nach der Anhörung entschieden die zuständigen Richter lediglich, dass die bisher existierenden medizinischen Gutachten ungenügend seien und zwei neue Experten ihr Urteil abgeben sollten. Ursprünglich sollten die neuen Gutachten bis zum 15. August vorliegen, damit das Gericht am 15. September entscheiden könnte. Nathalie hat lediglich am 12. August einen der neuen Gutachter sehen können. Anlässlich des vorgesehenen Gerichtstermins am 15. September wurde festgestellt, man habe offenbar vergessen, einen der beiden Experten zu bestellen. Bisher wird also für Nathalie Menigon ein Gesetz nicht angewendet, das im März 2002 in Frankreich neu geschaffen wurde. Es sieht Haftverschonung für alle Gefangenen vor, deren Gesundheitszustand mit einem Gefängnisaufenthalt nicht vereinbar ist. Papon, ehemaliger Polizeipräfekt und Nazi-Kollaborateur, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, wurde dagegen aufgrund dieses Gesetzes bereits aus der Haft entlassen. Bereits am 30. Juni 2003 unternahm Nathalie eine Aktion, um sich gegen die Verschärfung ihrer Haftbedingungen zu wehren. Um symbolisch gegen die Einstellung ihrer physiotherapeutischen Behandlung sowie generell gegen die gesundheitsschädlichen Haftbedingungen zu protestieren, kletterte sie ein 2,70 m hohes Gitter hinauf. Dabei stürzte sie ab und brach sich den linken Unterarm und die rechte Hand.


Freiheit für alle kämpfenden Gefangenen!


Die Gefangenen der Action Directe haben während ihrer Haftzeit mehrere Hungerstreiks gegen ihre Sonderhaftbedingungen unternommen. Sie beteiligten sich an zahlreichen Anti-Knast-Mobilisierungen - als Ausdruck der Solidarität mit den Gefangenen anderer Länder (Spanien, Deutschland, USA, Türkei, Israel etc.). Vom 8. bis 15. Oktober 2003 unternahmen die beiden befreundeten Frauen, Nathalie Menigon und Joelle Aubron, die beide in der Haftanstalt in Bapaume sitzen, eine Aktionswoche der Essensverweigerung - als Zeichen der Solidarität mit dem linken Widerstand im Baskenland und mit den 24 palästinensischen Frauen und Jugendlichen, die im Neve Tirza Gefängnis in Israel unter unmenschlichen Haftbedingungen leiden. Dort war im Juli 2003 ein Schlägerkommando nachts in die Zellen der palästinensischen Frauen eingedrungen, das durch physische Gewalt und den Einsatz von Tränengas versuchte, den kollektiven Hungerstreik der Gefangenen zu brechen. Nathalie und Joelle schlossen sich mit ihrer Solidaritätswoche ähnlichen Aktionen an, die zuvor bereits in anderen Gefängnissen stattgefunden hatten: Vom 27. bis zum 29. August verweigerten 115 Gefangene im Gefängnis in Moulin das Essen; vom 2. bis zum 4. September befand sich Pierre Carette im Hungerstreik, ein Gefangener der belgischen CCC (Cellules Communistes Combattantes), der seit 17 Jahren in Haft ist. Anfang September fand eine Solidaritätsaktion vor dem Gefängnis von Bapaume statt, um die Befreiung von Nathalie Menigon sowie aller Gefangenen der Action Directe zu fordern. Die beiden Frauen schwenkten dabei rote Fahnen aus den Gitterfenstern und viele Gefangene der Haftanstalt riefen gemeinsam mit den DemonstrantInnen die Parolen: „Pierre par pierre, mur par mur, nous détruirons les prisons! Stein für Stein, Mauer für Mauer, wir werden alle Gefängnisse zerstören!“


Freiheit für die politischen Gefangenen aus der Bretagne!


In den Pariser Gefängnissen sitzen nach wie vor sechs Bretonen als politische Gefangene: Gael Roblin, Jerome Bouthier, Kristian Georgeault, Paskal Laize, Stefan Philippe und Alain Sole. Für Alain Sole begann vor kurzem das fünfte Jahr Untersuchungshaft - das heisst er sitzt unter Sonderhaftbedingungen im Gefängnis ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren in Aussicht. Vier weitere Gefangene befinden sich seit dreieinhalb Jahren in Haft, bei dem „jüngsten“ Gefangenen sind es inzwischen zwei Jahre. Den Gefangenen werden die Mitgliedschaft in der ARB (Armee Revolutionnaire Bretonne), Beteiligung am Diebstahl von Sprengstoff sowie Mittäterschaft an 39 Attentaten seit 1993 vorgeworfen. Keiner der sechs bretonischen politischen Gefangenen ist bisher vor ein ordentliches Gericht gestellt worden - und trotz wiederholter einschlägiger Ankündigungen ist bisher kein Prozesstermin festgelegt. Frankreich kümmerte sich wenig um die Aufforderungen des europäischen Parlaments, des flämischen Parlaments, der Liga der Menschenrechte sowie von Amnesty International, die forderten, die Bretonen freizulassen. Unter dem Vorwand des „Kampfes gegen den Terrorismus“ plant der französische Staat vielmehr die Einrichtung eines Sondergerichtes für die Gefangenen, ohne öffentliche Jury, mit speziellen Richtern.


Freiheit für Alain Sole!


Insbesondere die Haftsituation von Alain Sole wurde vor kurzem von Amnesty International in ihrem alljährlichen Bericht angeprangert: Alain wurde am 4. Oktober 1999 verhaftet. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Er ist Diabetiker und erhielt in den ersten Monaten nach seiner Verhaftung nicht die notwendige Behandlung. Infolgedessen wurde er insulinabhängig. Nachdem er sich zusätzlich noch mit einem Virus infizierte, versuchte er sich am 24. März 2001 in der Haftanstalt Villepinte umzubringen. Es scheint, dass er als Notfallpatient vom Hospital in Nanterre nach Fresnes verlegt wurde, mit Durchblutungsstörungen im Bein. Amnesty International betonte, dass gemäß dem Artikel 5 (3) der europäischen Konvention der Menschenrechte jedeR Gefangene das Recht auf einen Prozess innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens hat. Die internationale Rechtsprechung sieht vor, dass die beschuldigten Personen freigelassen werden, wenn die Vorschrift einer angemessenen „Wartezeit“ (i.d.R. wird von zwei Jahren ausgegangen) nicht berücksichtigt werden kann.

Am 11. Oktober fand in Guingamp, im Herzen der Bretagne, eine Demonstration zur Unterstützung der Gefangenen statt. Aus dem Flugblatt der VeranstalterInnen: „Für uns, die wir „draußen“ sind, ist es nicht wichtig, ob die Gefangenen schuldig sind oder nicht. Wir stellen fest, dass Frankreich sechs Bretonen in seinen Pariser Knästen festhält und alles tut, um einen peinlichen Prozess hinauszuschieben. Selbst wenn einige der Taten zugegeben werden sollten, so muss doch geklärt werden, was Menschen dazu bringt, ihre Freiheit zu riskieren, um bewaffneten Widerstand zu leisten. (...) Es ist die Ungleichheit für die bretonische Bevölkerung, ihre Angelegenheiten selbst in die Hände zu nehmen, die politischen, sozioökonomischen, kulturellen Fragen selbst zu entscheiden. Der französische Staat, der sich demokratisch nennt, ist schneller, wenn es darum geht, einen ehemaligen Polizeipräfekten aus dem Gefängnis zu entlassen, der für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich ist (...) - als ein paar Bretonen freizulassen, oder auch nur abzuurteilen, von denen man einigen nicht viel mehr vorwirft, als Aktivisten für die Unabhängigkeit und den Sozialismus zu sein. (...) Wie kann sich Frankreich erlauben, anderen Ländern Ratschläge in Sachen Toleranz und Demokratie zu geben - während es sich selbst wie ein totalitäres Regime verhält und die Existenz politischer Gefangener leugnet? Warum braucht es eine spezielle Rechtsprechung für die Bretonen, die Korsen, die Basken, die Kurden, die revolutionären Kommunisten - wenn nicht aus politischen Gründen? Es ist mehr als dringend, nach vier Jahren der Ungesetzlichkeit, für die sofortige Freilassung der sechs bretonischen Geiseln zu kämpfen!“


Kontaktadressen:

Nathalie Menigon, 2173 N

CD de Bapaume

Chemin des Anzacs

62451 Bapaume Cedex


Alain Sole, 21135

133, avenue de la Commune de Paris

92014 Nanterre Cedex


apa.online.free.fr | www.prizonidi.org

www.hns-info.net | www.cbil.lautre.net

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