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"Wohlfühl-Nationalismus" im "hippen" Gewand

Linke Bands entdecken ihre Liebe zu Deutschland

Nationalismus ist in. Eine "linke" Kreuzberger Band verhunzt das Liebesgedicht "Was es ist" des jüdischen Emigranten Erich Fried zur Eloge auf das "neue deutsche Land", eine Modedesignerin entwirft die dazu passende Schwarz-Rot-Gold-Kollektion (und erhält kurz darauf den Auftrag, die bundesdeutsche Polizei einzukleiden), Zeitgeist-Magazine nennen sich "Deutsch" und Musiker befürchten den Verlust ihrer "kulturellen Identität". Verliert die Popkultur ihr kritisches Potenzial?

Seit 1996, als Heinz Rudolf Kunze und Dieter Thomas Heck eine Radioquote für deutsche Musik nach französischem Vorbild forderten, wird der Vorschlag jedes Jahr auf der Musikmesse Popkomm wiederbelebt. Inzwischen ist die Debatte auch im deutschen Bundestag angekommen. Ende September 2004 riefen die Parlamentarier nach einer Anhörung die Rundfunksender dazu auf, sich freiwillig zu einer Quote von 35 Prozent in Deutschland produzierter Musik zu verpflichten. Künstler-Initiativen wie "Musiker in eigener Sache" und "Angefangen" wollen "die skandalöse Unterrepräsentation der Musik von deutschsprachigen Künstlern in deutschen Rundfunk- und Fernsehprogrammen" beheben. Inga Humpe, Sängerin der Band "2raumwohnung", glaubt an einen "Verlust der deutschen kulturellen Identität", da angeblich nur ein Prozent der im Radio gespielten Musik deutsch sei. Jim Rakete, Initiator von "Musiker in eigener Sache" und Ex-"Nena"-Manager, schlägt in dieselbe Bresche: "Hunderte Musikschaffende in diesem Land sehen in einem festgeschriebenen Anteil hiesiger Musik die einzig mögliche Sicherung ihrer kulturellen Identität." Tatsächlich betrug der Anteil deutscher Musikproduktionen in den deutschen Charts in den Jahren 2002/03 42,72 beziehungsweise 54,7 Prozent.

Der Musikjournalist Martin Büsser, einer der prominentesten linken Musikkritiker, schrieb bereits 2001 über "rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik" und meinte damals neben der Quotenforderung vor allem Rammstein, Witt und Co. Anlässlich eines vom Freien Radio Konstanz (Radio Wellenbrecher) im November veranstalteten Vortrags aktualisierte er die in diesem Buch beschriebenen Entwicklungen.

Seit dem 11. September 2001, so Büsser, komme zur Debatte um die nationale Quote noch eine andere Tendenz: der Nationalismus sei in der Mainstream-Popkultur angekommen. Im Zuge der "Friedensbewegung" gegen den Irakkrieg entdeckten deutsche Jugendliche ihre Liebe zu einem "friedlichen" Deutschland im Gegensatz zum "imperialistischen" Amerika. Folgerichtig sang die aus der linken Kreuzberger Szene stammende Band "Mia": "Fragt man mich jetzt, woher ich komme/tu ich mir nicht mehr selber leid" und trat in schwarz-rot-goldenen Designerklamotten auf. Mia besingen das "gute Deutschland" und grenzen sich durchaus vom "bösen Deutschland" marodierender Neonazis ab. Ehemalige Kritiker der deutschen Verhältnisse wie der HipHopper Jan Delay ("www.hitler.de") oder die afrodeutsche Formation "Brothers Keepers", die an den von Neonazis ermordeten gebürtigen Mosambikaner Alberto Adriano erinnerten, engagieren sich plötzlich auch für die Radioquote oder besingen ein "neues" Deutschland: "Schwarze, Weiße und Kanaken sind die neue Deutsche Einheit!".

Das "unverkrampfte" Verhältnis zur Nation, so Büsser, ignoriere die tatsächlichen deutschen Verhältnisse: "Würden sich Leute wie Xavier Naidoo nur mal fünf Minuten Gedanken machen über Abschiebetaktiken, müssten sie eigentlich sagen: dieses Land ist aus einer migrantischen Sicht immer noch kritisierbar." Das "neue deutsche Land" von Mia passt zudem gut zu einer Sicht der Vergangenheit, die vom Holocaust nicht mehr sprechen will und Deutsche als Opfer im Bombenkrieg, das "Wir sind wieder wer" – Gefühl nach dem "Wunder von Bern" und die "Friedensmacht" Deutschland zu einem Wohlfühl-Nationalismus vermengt, der sich "nicht mehr schämen" will, deutsch zu sein. "Wir sind wir" von Peter Heppner und Paul van Dyk beschwört die deutsche Nation wesentlich direkter als Mia oder die Brothers Keepers; der Reichstag, das "Wunder von Bern" Trümmerfrauen, ein verwundeter Wehrmachtssoldat, Volkswagen und Aufbau Ost werden im Video zusammengemengt; die Shoah kommt nicht vor. "Wir sind Wir/Aufgeteilt, besiegt und doch/schließlich gibt es uns ja noch" besingen sie im seichten Pop-gewand die deutsche Schicksalsgemeinschaft und geraten dabei in völkisches Fahrwasser. Heppner hatte bereits mit Joachim Witt "Die Flut" produziert; im zugehörigen Video schreitet der Weiße Witt über eine schlammbedeckte amorphe Masse von Untermenschen und singt von der Flut, "die mich fortnimmt/in ein anderes großes Leben".

Diese Ästhetik, die, wie Büsser in seinem Buch "Wie klingt die Neue Mitte?" schreibt, "an offenkundiger Nazi-Propaganda nur um Haaresbreite vorbeigeschlittert ist", und die auch von der Band Rammstein gerne gepflegt wird, belebt die Ästhetik des Faschismus im Kontext der Popmusik wieder. Sie muss daher vom "Wohlfühlnationalismus" von sich selbst als links verstehenden – und aus einer linken Subkultur kommenden – Bands wie "Mia" und "2raumwohnung" getrennt werden. Wo Witt und Rammstein allerdings schnell an einen braunen Rand gedrängt werden, weil sie allzu deutlich mit Versatzstücken der faschistischen Bilderwelt spielen, wird der "gute" Nationalismus von "Mia" gerne aufgenommen, um "endlich wieder wer" zu sein. Auch das extrem rechte Blatt "Junge Freiheit" und die NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" klatschen dazu Beifall.

Doch es melden sich auch kritische Stimmen zu Wort. Tocotronic, Blumfeld und andere Bands werden nicht müde, ihre Gegnerschaft zu solchen nationalistischen Projekten zu betonen. Die von linken Projekten und Bands getragene Initiative "I can´t relax in Deutschland" antwortete mit einem Buch und einer CD auf den "hippen" und "unverkrampften" Nationalismus.

Grundsätzlich, so Büsser, gelte es, in einer Zeit, in der auf Nazidemonstrationen Lieder von "Mia" oder auch von "Ton Steine Scherben" gespielt werden, nach dem emanzipatorischen Potenzial der Popmusik zu fragen. Dieses Potenzial habe sie nicht aus sich selbst heraus, sondern es müsse immer wieder in sie hineingetragen werden.

Robert Heinze

Büsser, Martin: "Wie klingt die Neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik", Ventil Verlag 2001, 11,90

  1. A.: "I Can't Relax in Deutschland", Unterm Durchschnitt 2005, 16,99


(Dieser Artikel wurde am 27.12.2005 unter dem Titel "Wir sind wieder wer. Wie viel Nationalismus darf sein? Linke Pop-Bands entdecken ihre Liebe zu Deutschland" mit kleinen Änderungen im Südkurier veröffentlicht.)



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