Vollständige Bibliographie 1988-1998     mit Anmerkungen


[1988]  [1989]  [1990]  [1991]  [1992]  [1993]  [ 1994 ]  [1995]  [1996]  [1997]  [1998]  [1999] 43. Projektgruppe (Hg.):
Antifa.
Diskussionen und Tips aus der antifaschistischen Praxis,
188 Seiten (zwei Auflagen), vergriffen

44. Ingrid Strobl:
Das Feld des Vergessens.
Jüdischer Widerstand und deutsche »Vergangenheitsbewältigung«,
140 Seiten (2. Auflage), 16,- DM, 3-89408-036-1

45. Hakim Bey:
T.A.Z.
Die Temporäre Autonome Zone,
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schneider,
Mit einem Vorwort der Agentur Bilwet,
160 Seiten, 20,- DM, 3-89408-039-6

46. Rolf SchwendterUtopie.
Überlegungen zu einem zeitlosen Begriff,
120 Seiten, 14,- DM, 3-89408-034-5

47. autonome l.u.p.u.s.-Gruppe:
Lichterketten und andere Irrlichter.
Teste gegen finstere Zeiten,
160 Seiten, 10,- DM (Sonderausgabe), 3-89408-042-6

48. Wohlfahrtsausschüsse (Hg.):
Etwas Besseres als die Nation.
Materialien zur Abwehr des gegenrevolutionären Übels,
200 Seiten, Fototeil,
10,- DM (Sonderausgabe), 3-89408-038-8

49. Andreas Simmen (Hg.):
Mexico.
Aufstand in Chiapas. Ein Woz-Buch,
140 Seiten, 16,- DM, 3-89408-040-X

50. Cornelia Eichhorn/Sabine Grimm (Hg.):
Gender Killer.
Texte zu Feminismus und Politik,
192 Seiten (2. Auflage), 28,- DM, 3-89408-041-8

51. ID-Archiv im IISG (Hg.):
Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams,
320 Seiten, vergriffen

52.
Die Beute Nr. 1: Zum Start,
Frühjahr 1994,
144 Seiten, vergriffen

53.
Die Beute Nr. 2: Faschismus & Demokratie,
Sommer 1994,
144 Seiten, 14,- DM, 3-89408-802-7

54.
Die Beute Nr. 3:
Sicherheitspolitik,
Herbst 1994,
144 Seiten, 14,- DM, 3-89408-803-6

55. Die Beute Nr. 4:
Subkultur,
Winter 1994,
144 Seiten, 14,- DM, 3-89408-804-4

Wir verstärken unsere Offensive für eine »revolutionäre Kultur und Politik in den neunziger Jahren« und sind auch in praktische Aktivitäten involviert. Bereits seit Ende 1992 existieren in einigen Großstädten sogenannte Wohlfahrtsausschüsse: ein Zusammenschluß linksradikaler Polit-AktivistInnen, TheoretikerInnen, MusikerInnen und anderer Kunst-bzw. Kulturschaffender. 1993 organisieren die Wohlfahrtsausschüsse mit Etwas Besseres als die Nation eine antirassistische Konzerttour durch die Ex-DDR, einen »Kongreß zur Abwehr des gegenrevolutionären Übels« in Köln und mehrere Einzelaktionen. Die Dokumentation der Aktivitäten und Diskussionen erscheint im Sommer '94.
Durch den Verlauf der Debatten um »Kultur und Politik« innerhalb und außerhalb der Wohlfahrtsausschüsse wird deutlich, daß eine die Diskussion organisierende Zeitschrift notwendig wäre. Aus dem Umfeld der ehemaligen Frankfurter diskus-Redaktion ensteht gemeinsam mit dem Verlag die Idee einer Vierteljahreszeitschrift. Das Konzept Die Beute. Politik und Verbrechen vierteljährlich sieht ein übergreifendes, allgemein zugängliches und einigermaßen lesbares Diskussionsforum vor, das radikale Gesellschaftskritik, theoretische Reflexion und praktisches Engagement zu verbinden versteht. Die Beute soll sich von den noch existenten politischen, feuilletonistischen und theoretischen Vierteljahreszeitschriften der Linken, die diese Funktion in den achtziger Jahren verloren hatten, unterscheiden. »Sie sind meist zu faden Organen der Politikberatung oder öden Kulturblättern geworden, die sich der Staatsräson anbiedern und einer von konservativen Moralvorstellungen getragenen Bürgergesellschaft das Wort reden. Es dominieren akademische Engstirnigkeit und ein selbstbezügliches Kulturverständnis, die einstige Lust an der Revolte ist hemmungslosem Konformismus gewichen. Die Beute wendet sich an all jene, die solcher Formen der Politik und Kultur überdrüssig sind und weder weinerliche Betroffenheitsschreiberei noch vernünftelnde Rechthaberei mögen« (Einstiegsbroschüre).
Natürlich lehnen wir uns weit aus dem Fenster, aber wir wissen selbst (was uns die Konkurrenz von konkret bei einer späteren Auseinandersetzung in der ihr eigenen denunziatorischen Art vorhält), daß man heutzutage schon dick auftragen muß, um eine neue Zeitschrift in der Öffentlichkeit zu lancieren. Aber geplant ist eine Vierteljahreszeitschrift mit der Bedeutung wie sie vielleicht vor 10 Jahren noch das Kursbuch hatte und nicht ein Vereinsblättchen oder ein Sektenrundbrief in 450er Auflage. Und obwohl die politische Konjunktur alles andere als ein Hoch bietet, gelingt es uns, Die Beute innerhalb eines Jahres mit über 1 200 Fortsetzungen im Buchhandel zu etablieren und fast 1 000 Einzelpersonen für ein Direktabo zu gewinnen. Insgesamt werden von der ersten Nummer rund 5 000 Exemplare verkauft, und alle wichtigen großen und kleinen Zeitschriften beschäftigen sich - meist wohlwollend - mit ihr. Neben der Zusammenstellung der Themen wird vor allem die gründliche Bearbeitung der Texte (andere Zeitschriften wissen, daß für Qualität viel Zeit investiert werden muß) geschätzt. Die Verpackung - aus buchhandelsstrategischen Gründen entschließen wir uns zu einem Buchformat - kommt ebenfalls gut an. Es zeigt sich aber auch bereits bei den ersten Ausgaben, daß das Konzept einer großen Redaktionsgruppe mit MitarbeiterInnen aus der ganzen BRD sowie aus Zürich und Wien, mit mehreren Treffen und einer anfangs siebentägigen Endredaktion allen Beteiligten arg an die Substanz geht. Aufgrund der organisatorischen Anstrengungen gelingt es dem Redaktionsbüro und Verlag leider in der Folgezeit nur ansatzweise, langfristige Themenschwerpunkte festzulegen und dem Buchhandel anzukündigen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beute sind 1994 noch an weiteren Projekten beteiligt und prägen das Verlagsbild. Cornelia Eichhorn und Sabine Grimm geben im Herbst den viel beachteten und diskutierten Sammelband Gender Killer heraus. »Die Autorinnen kritisieren die Entpolitisierung der feministischen Diskussion: Ihre neoradikale feministische Gesellschaftskritik wirft ðeinen anderen BlickÐ auf die sexistischen Verhältnisse. Hier beziehen sich die Autorinnen nicht auf Texte von Meisterdenkern, sondern auf die Meistertexte in den juridischen, ökonomischen, politischen und ästhetischen Institutionen (...)« (Springer. Hefte für Gegenwartskunst). Der Beute-Redakteur Thomas Atzert ist während eines Praktikums wesentlich an der Realisierung der Publikationen Etwas Besseres als die Nation, Mexico. Aufstand in Chiapas und Hakim Beys T.A.Z. Die Temporäre Autonome Zone beteiligt und arbeitet seither als freier Lektor und Übersetzer an weiteren Büchern mit.
Zum Thema Antifaschismus erscheint im Frühjahr 1994 das Buch von Ingrid Strobl Das Feld des Vergessens, eine Sammlung von Texten zum Thema Jüdischer Widerstand und deutsche »Vergangenheitsbewältigung«. Gleichzeitig kommt der Band Antifa. Diskussionen aus der antifaschistischen Praxis heraus. In neun längeren Gesprächen mit Antifa-Gruppen wird über konkrete Antifa-Arbeit diskutiert. Drei Jahre nach Erstauslieferung und dem Verkauf von rund 5 000 Exemplaren drucken wir nochmal eine Sonderausgabe für einen großen Musikversand, der über Mail-Order ein junges Publikum erreicht, das wohl nicht den Weg in die Buchläden findet.
Im Herbst publizieren wir mit Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams noch ein politisch brisantes Buch. Entgegen offizieller Abschlußberichte etc. wird in der akribischen Rekonstruktion der Ereignisse auf 120 Seiten von einer Tötung Wolfgang Grams' durch BGS-Beamte ausgegangen. Diese Aussagen wurden bis heute juristisch nie in Frage gestellt. Im Gegenteil, bei Recherchen anderer JournalistInnen wird immer wieder auf die Publikation verwiesen, und auch beim Prozeß gegen Birgit Hogefeld spielt sie eine Rolle. So hat die Veröffentlichung dieses Buches eine weitaus bedeutendere Funktion, als nur das staatsfeindliche Publikum in seiner Meinung zu bestätigen. Ob jedoch in 10 Jahren die mit Selbstverständlichkeit und Penetranz vorgetragenen offiziellen Abschlußberichte zur Selbstmord-Version von einem breiteren Publikum noch in Zweifel gezogen werden?


[1988]  [1989]  [1990]  [1991]  [1992]  [1993]  [1994]  [ 1995 ]  [1996]  [1997]  [1998]  [1999] 56. Res Strehle, Ernest Mandel, Robert Kurz, Maria Mies, Karl Heinz Roth:
Krise - welche Krise?
Hg.: IG-Rote Fabrik/Zürich,
120 Seiten, 14,- DM, 3-89408-045-0

57. Klaus Bittermann:
Geisterfahrer der Einheit.
Kommentare zur Widervereinigungskrise,
168 Seiten, 20,- DM, 3-89408-047-7

58. ID-Archiv im IISG (Hg.):
»wir haben mehr fragen als antworten...«
RAF-Diskussionen 1992-1994,
401 Seiten, vergriffen

59. Jost Müller:
Mythen der Rechten.
Nation. Ethnie. Kultur,
188 Seiten, 20,- DM, 3-89408-037-X

60. Ralf Reinders/Ronald Fritzsch:
Die Bewegung 2. Juni,
Gespräche über Haschrebellen, Lorenzentführung, Knast,
182 Seiten, 20,- DM (2. Auflage), 3-89408-052-3

61. Geronimo:
Feuer und Flamme.
Zur Geschichte der Autonomen,
4. vollständig überarbeitete Neuauflage,
240 Seiten, 24,- DM, 3-89408-004-3

62. Joachim Hirsch:
Der nationale Wettbewerbsstaat.
Staat, Demokratien und Politik im globalen Kapitalismus,
214 Seiten (2. Auflage), 28,- DM, 3-89408-049-3

63. Nanni Balestrini:
I Furiosi.
Die Wütenden. Roman. Aus dem Italienischen von Dario Azzellini,
gebunden, 141 Seiten, 26,- DM, 3-89408-050-7

64. Kurdistan. Ein Fotobuch von R. Maro. Mit Texten von Roland Ofteringer. Herausgegeben von medico international,
128 Seiten, 120 Fotos, Großformat,
36,- DM, 3-89408-046-9

65. Die Beute Nr. 5: Autonomie & Bewegung,
Frühjahr 1995,
144 Seiten, 14,- DM, 3-89408-805-2

66. Die Beute Nr. 6: Fiktionen des Imperialismus,
Sommer 1995,
144 Seiten, 14,- DM, 3-89408-806-0

67. Die Beute Nr. 7:
Schwarze Löcher, Illusionen der Herrschaft - Utopien der Linken,
Herbst 1995,
152 Seiten, 14,- DM, 3-89408-807-9

68. Die Beute Nr. 8: Now! Foucault, Black Panthers, Hippies,
Winter 1995,
144 Seiten, 14,- DM, 3-89408-808-7

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des bewaffneten Kampfes bleibt auch weiterhin ein wichtiges Thema im Verlagsprogramm. Im Frühjahr erscheint der Dokumentenband »wir haben mehr fragen als antworten ...« Bekanntlich hatte die RAF im April 1992 eine grundsätzliche Neuorientiertung ihre Politik angekündigt, und in der Folgezeit kam es zu z.T. heftigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gefangenen aus der RAF. Durch den 400seitigen Band wird die interne Debatte zwar transparenter und für Außenstehende ansatzweise nachvollziehbar, allerdings sind zum Erscheinungstermin die Positionen bereits erstarrt. Die Aufforderung der Redaktionsgruppe zu einer solidarischen Diskussion und der Forderung nach der immer noch notwendigen Verbesserung der Haftbedingungen erhält keine Resonanz. Das Buch wird vielmehr zu einem »Dokument der Niederlage und Hilflosigkeit«, wie es ein ehemaliger politischer Gefangener während der Buchmesse formulierte.
Was das Publikum offensichtlich mehr interessiert, sind die Darstellungen und Erzählungen von anderen Fraktionen aus der militanten Linken. Ein Sammelband mit Gesprächen mit Ralf Reinders und Ronald Fritzsch, zwei Aktivisten aus der Bewegung 2. Juni, ist im klassischen Sinne »oral history« und stößt auf rege Nachfrage. Ebenfalls entschließen wir uns zu einer vollständigen Neuauflage von Feuer und Flamme, obwohl die Überarbeitungen genügend Material für weitere zwei Bände geliefert hätte und der große Dr. Geronimo in Verlagsmitarbeitern und Lektoren immer potentielle Gegner sieht. Aber der Sinn einer Neuauflage steht außer Frage. Auch heute, rund acht Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage, werden noch jeden Monat eine stattliche Anzahl Exemplare verkauft. Im Vergleich zu allen anderen Publikationen über die Autonomen bleibt Feuer und Flamme immer das Original.
Im Herbst können wir auch zwei »neue« Verlagsbereiche präsentieren. Wir freuen uns, das neue Buch von Joachim Hirsch Der Nationale Wettbewerbsstaat verlegen zu können, denn eine grundsätzliche Beschäftigung mit Theorie scheint uns zwingend notwendig - und allzuviele integre linke Intellektuelle aus dem Wissenschaftsapparat sind ja leider nicht mehr präsent.
Erstmals erscheint zur Buchmesse auch ein Titel in gebundener Form, noch dazu ein Roman. Es ist für uns eine Ehre, Nanni Balestrinnis I Furiosi. Die Wütenden zu publizieren. Der Roman über die Fußballfans des AC Mailand ist die bearbeitete Niederschrift von vielen Gesprächen, die Nanni Balestrini mit denen ansonsten nur als Objekte benutzten Mailänder Jugendlichen geführt hat. Für uns bedeutet I Furiosi außerakademische Sozialgeschichte im besten Sinne. Umso erstaunter sind wir über die teilweise negative Resonanz. Verlag und Autor wird eine unkritische Propagierung des Hooliganismus vorgeworfen, nur weil im Buch keine explizite Distanzierung von sinnlosen Gewalttätigkeiten erfolgt. Die KritikerInnen, auch aus dem Umfeld der Beute-Redaktion, unterstellen uns eine unpolitische Gewaltverherrlichung, doch sie bedienen sich Kriterien, nämlich die Gleichsetzung von Romaninhalt und Autoren/Verlagsposition, was ihnen bei anderen Romanen und Krimis sicher nicht in den Sinn kommen würde. Unterstützung erhalten wir dagegen von ungewohnter Seite. Daniel Cohn-Bendit lobt gemeinsam mit Claus Peymann I Furiosi in einer Literatursendung des Schweizer Fernsehens und verteidigt das Buch gegen die professionellen LiteraturkritikerInnen von der Weltwoche und dem Zürcher Tagesanzeiger.
1995 intensivieren wir die Zusammenarbeit mit politischen Initiativen und Institutionen. Von der Roten Fabrik Zürich erscheint ein Sammelband mit Beiträgen von Res Strehle, Ernest Mandel, Robert Kurz, Maria Mies und Karl Heinz Roth zu der vielbeachteten Veranstaltungsreihe Krise. Welche Krise? medico international unterstützt die Herausgabe des Kurdistan-Fotobuchs von R. Maro. Bis zum Erscheinen des Buches vergehen für Verlag, Fotograf, Hersteller und DruckerInnen allerdings einige nervenaufreibende Monate. Das bislang aufwendigste Verlagsprojekt endet dann auch noch in einem Fauxpas der Binderei, die schlicht vergißt, daß Buch mit der notwendigen Kaschierung zu bearbeiten. Nur knapp kann eine Makulatur der gesamten Auflage abgewendet werden, indem wir, nach mühsamen Verhandlungen, einen zusätzlichen Schutzumschlag durchsetzen. So hat das Projekt Fotobuch doch noch ein einigermaßen gutes Ende. Die Binderei, keine Klitsche, sondern ein Industriebetrieb, der auch für viele große Verlage arbeitet, geht glücklicherweise erst kurz danach in Konkurs.


[ -> weiter (bibliografie 1996-1997) ]