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Mehr Markt. Mehr Repression.

Thesen zum (ideologischen) Umbau des Sozialstaats
am Beispiel der Hamburger Sozialpolitik

Aus den Streikbewegungen in Frankreich und Italien kann man den Schluß ziehen, daß sich widerständige Subjektivität und Praxis gegen Deregulierung und Sozialabbau dort entwickelt, wo die Streichung sozialer Einkommen mit Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen kollidieren, die sich an der Sozialstaatsidee des keynesianischen Wohlfahrtsstaates orientieren. Wie wir in unserem Text zu Globalisierung und Sozialstaat (ak Nr. 393) geschrieben haben, gehen wir davon aus, daß es bei der augenblicklichen Sozialstaatsdiskussion in der BRD nicht nur um einen Angriff auf die Sozialeinkommen geht, sondern daß es sich darüber hinaus um einen ideologischen Klassenkampf von oben handelt, dem es genau um die Aushöhlung und Umbewertung der keyenesianischen Sozialstaatsidee geht. Am Beispiel der Sozialpolitik in Hamburg wollen wir diesen Prozeß genauer beschreiben. Die Thesen sind dabei nicht nur eine Ergänzung zu unserem Beitrag im letzten ak, sondern passen auch zu den sozialpolitischen Ausgrenzungsstrategien, die Detlev Hartmann aus Köln beschreibt (ebenfalls ak Nr. 393).

1. Es gibt keinen ideologisch hergeleiteten Umbauplan für den Sozialstaat oder die Sozialpolitik in Hamburg. Zentrales Motiv für staatliches Handeln als Verwaltungshandeln ist die Kostenreduktion. Die sich daraus ergebenden Maßnahmen werden unterschiedlich begründet und ideologisch begleitet, und es gibt in der Sozialverwaltung auch sicherlich Personen, die jenseits der Sparvorgaben ideologische Ziele verfolgen. Aber alles in allem läßt sich die Politik der BAGS (Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales) als zögerliche und aufgezwungene Aufgabe keynesianischer Sozialstaatselemente unter dem Diktat der Sparerfordernisse beschreiben.

2. Hauptsächliches Vehikel der Sparpolitik in Hamburg ist die Implementierung von Waren- und Marktbeziehungen in der sozialpolitischen Trägerlandschaft bzw. im Verhältnis der Behörde zu den Zuwendungsempfängern. Die ideologische Folie ist dabei die Debatte im die Verwaltungsreform, schlanken Staat, Tilburger Modell, Qualitätsmanagement, outputorientierte Abrechnungssysteme etc. Der gesamte Zuwendungsbereich von der Drogenhilfe, über die MigrantInnenpolitik, die Kinder- und Jugendhilfepolitik bis zu den Beschäftigungsträgern soll auf Leistungsvereinbarungen und pflegesatzähnliche Abrechnungsverfahren etc. umgestellt werden.

3. Einige der Konsequenzen dieser "Neuen Steuerungsmodelle" zeichnen sich relativ klar ab und dürften auch so beabsichtigt sein: Der Einspar- und Kostendruck wird an die sozialpolitischen Träger weitergegeben. Die Träger werden zu mehr oder weniger kleinen betriebswirtschaftlich orientierten Klitschen umgewandelt, die sich untereinander in einem Konkurrenzverhältnis befinden. Die Weitergabe des Kostendrucks in Verbindung mit abrechenbaren und quantifizierbaren Leistungskriterien erhöht die Arbeitsintensität und die Arbeitshetze der Beschäftigten, während gleichzeitig ihre Löhne angegriffen werden: Statt BAT werden Haustarife gezahlt. Beschäftigte werden entlassen. Es ist ein Prozeß der Taylorisierung von Sozialarbeit zu erwarten, in dem Arbeitsgänge segmentiert, gemessen und - teilweise bei unterschiedlichen Kostenträgern - abgerechnet werden. Zu jedem (Abrechnungs-)Segment kann dann die kostengünstigste Arbeitskraft über Honorar- und Werkverträge unterhalb von BAT und sozialpädagogischer Qualifizierung eingekauft werden. Engagierte Sozialarbeit quasi als "Bewegungsersatz" wird angegriffen. Dabei sind die SozialarbeiterInnen nicht nur mit der inhaltlichen Entwertung ihrer Arbeit und ihres "Berufsstandes" konfrontiert sondern müssen sich verstärkt als abhängig Beschäftigte verstehen: Sorgen um den Arbeitsplatz, Arbeitshetze, niedrige Löhne, Konflikte mit den Geschäftsführungen. Hier tauchen ganz neue Konflikte innerhalb der sozialpolitischen Trägerlandschaft auf.

4. In der ideologischen Begleitmusik greift eine neue "Kundenorientierung" um sich, die gegen tatsächliche oder vorgebliche bürokratische Verkrustungen, Bevormundungen, Ineffizienzen und tradierte "Besitzstände" instrumentalisiert wird. PatientInnen, KlientInnen, Pflegebedürftige, SozialhilfeempfängerInnen werden zu "souveränen KonsumentInnen" erklärt, die sich auf dem freien Markt der sozialen Dienstleistungen das für sie günstigste und sinnvollste "Angebot" aussuchen können. Dieses "Kunden- und KlientInneninteresse" wird aber nicht nur gegen die frei-gemeinnützige Trägerlandschaft gewendet sondern vor allem gegen die ProduzentInnen der sozialen Dienstleistungen: Die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen der Beschäftigten werden im Konkurrenzkampf zur disponiblen Manövriermasse. Unter dem Hinweis auf die "Kostensituation des Unternehmens" und auf die Bedürfnisse von KlientInnen und PatientInnen wird ihnen mehr und flexiblere Arbeit für weniger Geld abverlangt (Beispielweise werden von den sog. niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrichtungen bei unveränderter Beschäftigtenzahl längere Öffnungszeiten verlangt).

5. Im Gegensatz zu Teilen der CDU, der FDP und Teilen der Grünen ist der marktwirtschaftliche Jargon für die BAGS und die mit ihr verbundenen Teile der Sozialdemokratie aber durchaus (noch) eine Fremdsprache: Dominanter Antrieb für "Effizienzsicherung" und "Qualitätsmanagement" ist ein reines Sparinteresse und nicht marktwirtschaftliche Ideologie. Die "Neuen Steuerungsmodelle" sind weniger Ausdruck eines neoliberalen Plans (obwohl es einige Verwaltungsbeamte gibt, die auf die "Effizienz des Marktes" durchaus abfahren.) sondern ein Notnagel, der zur Tugend gemacht wird. Das schlägt sich u.a. auch darin nieder, daß in der Art und Weise, wie diese "Neuen Steuerungsmodelle" in Hamburg eingeführt werden sollen, ein ungeheures Kontrollbedürfnis der Behörde über die einzelnen Träger und ihre internen Kalkulationen deutlich wird. In den Niederlanden z.B., wo diese Elemente bereits eine längere Tradition haben, kauft der Staats klar definierte Produkte ein. Die Umstände ihrer Erstellung interessieren ihn nicht. In Hamburg wird die Effizienzsteigerung eher als Mittel verkauft, mit dem trotz Sparmaßnahmen soziale Einschnitte vermieden werden können. Dabei werden in sehr aggressiver Weise "renitente und faule" Sozialarbeiter oder bornierte Trägerinteressen als Quelle der Ineffizienzen ausgemacht. Diese Position bedient sich weit verbreiteter Bilder von "unprofessionellen Einrichtungen", in denen nur Teamsitzungen stattfinden, aber nicht gearbeitet wird, die das Klientel für ihre Einrichtungsinteressen mißbrauchen etc. Bei einigen hohen Bürokraten gibt es tatsächlich so etwas wie einen richtiggehenden Haß auf bestimmte Einrichtungen und SozialarbeiterInnen.

6. Neben doch etwas hilflos und hektisch wirkenden Versuchen der Effizienzsteigerung durch "Neue Steuerungsmodelle" und einer Absenkung der Versorgungsstandards versucht die Armuts- und Sozialverwaltung in Hamburg die Kosten auch durch eine direkte Reduktion der Fallzahlen zu senken. Dies wird auf verschiedenen Ebenen versucht und begründet:

Verweis auf vorrangige Leistungsträger (Kranken- und Pflegekassen, Rentenversicherung)

Arbeit statt Sozialhilfe mit den Strängen "Einsatz der eigenen Arbeit" und Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung

Zuzugsrestriktionen: Obdachlose werden an tatsächliche oder vermutete Herkunftsgemeinden verwiesen, bevor sie in Hamburg öffentlich untergebracht werden (dienstliche Anordnung der BAGS vom September 1994). Auf Initiative Hamburgs werden minderjährige unbegleitete Flüchtlinge ebenfalls im Bundesgebiet umverteilt. Die neue fachliche Weisung der Baubehörde zur Vergabe von Dringlichkeitsscheinen vom 22.9.1995 macht eine dreijährige Meldung in Hamburg zur Voraussetzung. Der rücksichtsloser Gebrauch von Abschiebungen bei ungesicherten Aufenthaltstiteln wird immer öfter auch mit Kostenüberlegungen begründet (Beispielweise sollen im Jahre 1997 3.000 bosnische Kriegsflüchtlinge abgeschoben werden, damit die Sozialbehörde ihre Einsparverpflichtungen gegenüber der Finanzbehörde erfüllen kann.).

7. Die BAGS hat nach außen die verschiedenen Maßnahmen bisher nur sehr selten mit offen repressiven Ausgrenzungsideologien verknüpft. So haben sich z.B. BehördenvertreterInnen bisher nicht öffentlich an der Mißbrauchsdebatte um die Sozialhilfe beteiligt, im Gegenteil. Die Behörde beschränkt sich bisher eigentlich eher auf wüste Beschimpfungen der sozialpolitischen Träger und der SozialarbeiterInnen und auf eher suggestive Hinweise darauf, daß Mittel "nicht zielgenau" ausgegeben werden bzw. zu breit in Anspruch genommen werden, daß Maßnahmen und Mittel den "wirklich Betroffenen" zugute kommen müssen, daß "Hilfe zur Arbeit" oberstes Beratungsziel sein müsse, daß es bei der Sozialhilfe in erster Linie darum gehe, Hilfeempfängerinnen "von Sozialhilfe unabhängig" zu machen. Die BAGS als Behörde unterscheidet sich dabei durchaus von Sichtweisen und Debattenbeiträgen in der Bürgerschaft oder von Äußerungen Henning Voscheraus.

8. Für Hamburg läßt sich am ehesten dort - in der Bürgerschaft, in den Verlautbarungen der Parteien und bei Henning Voscherau - der Versuch nachweisen, einen gesellschaftlichen Konsens gegen diejenigen zu konstruieren, die "der Gemeinschaft" auf der Tasche liegen. Hier wird in der Tat die Politik der Kostenreduzierung mit einer repressiven Ausgrenzungsideologie begleitet:

Voscherau propagiert mittlerweile offen die Arbeitspflicht (Rede in Tutzing im Oktober 1993, Interview im Hamburger Abendblatt vom 23.2.1996). In dem Abendblatt-Interview stellt er die "fleißigen Arbeitnehmer", die auch nicht streiken würden, denjenigen gegenüber, die staatliche Sozialleitungen empfangen und dabei "die Wahl hätten, arbeiten zu gehen oder Sozialhilfe zu beziehen." Neben permanenten parlamentarischen Initiativen der CDU gegen angeblichen "Sozialhilfemißbrauch" und für gemeinnüzige Arbeit für SozialhilfeempfängerInnen, hat sich der Mißbrauchdiskurs und die Zwangsarbeitsforderung mittlerweile auch auf dem letzten SPD-Landesparteitag durchgesetzt (vg. Kasten).

In einem Interview zunächst mit der Bild-Zeitung, dann im NDR kurz vor Weihnachten 1993 spricht Voscherau offen von "durch Problemgruppen belasteten" Stadtteilen, von einer "gesunden Bevölkerungsmischung" und tritt für die Einschränkung bürgerlicher Freizügigkeitsrechte für "Problemgruppen" ein. "Gefährdete Stadtteile (müssen) vor ungesteuertem Zuzug geschützt werden", im Zweifel müsse eine Grundgesetzänderung in Kauf genommen werden. Konkret fließt diese Argumentation in die Diskussion um die Fehlbelegungsabgabe ein, durch die "sozial stabilisierende" Familien aus den Armutsvierteln herausgehalten werden und einer Verslumung Vorschub geleistet werde. Vor allem in Wilhelmsburg steht die Fehlbelegungsabgabe vor ihrer Abschaffung.

1995 hat die Polizei - nach wochenlangem ideologischem Trommelfeuer in allen Hamburger Zeitungen - begonnen, auf zweifelhafter Rechtsgrundlage St.Georg und den Hauptbahnhof von Junkies und vermuteten oder tatsächlichen Kleindealern zu säubern. Platzverweise, Gebietsverbote und Abschiebungen waren die Instrumente dieser Vertreibungspolitik. In der Bürgerschaft ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die Einschränkungen der Freizügigkeit, der freien Wahl des Aufenthalts, der freien Arztwahl etc. für Junkies mittels Platzverweisen und Gebietsverboten von VertreterInnen der STATT-Partei mit Hinweis auf das Bundesseuchengesetz gerechtfertigt worden worden. Drogenpolitisches Hauptziel vieler Abgeordneter ist mittlerweile ein "sauberes St.Georg" und ein "sauberer Hauptbahnhof". Seit Winter 1995/96 liegt eine geplante Verschärfung des SOG auf dem Tisch, die die rechtlichen Grundlagen für Vertreibung sichern soll.

Seit Juli 1996 kursiert ein Papier der Hamburger Innenbehörde, in dem Maßnahmen angedacht werden, möglichst alle Formen szialer Auffälligkeit, Unangepaßtheit, Armut und Verelendung aus dem sichtbaren Stadtbild zu eliminieren. Insbesondere die "Visitenkarten" der Stadt sollen polizeilich gesäubert werden. Das Voscherau-Interview vom Dezember 1993 wird damit auf den Punkt gebracht: Die Senatsdruckd´sache aus der Innenbehörde denkt über eine armenpolizeilich durchgesetzte Zonierung der Stadt mit deutlich sozialhygienischer Orientierung nach (vgl. Kasten).

9. Diese repressiven Ausgrenzungsideologien beschwören den leistungsfähigen und produktiven gesellschaftlichen Kern. Am Beispiel Voscheraus und der Hamburger SPD lassen sich durchaus leise Spuren in Richtung Volksgemeinschaftsvorstellungen finden: Voscherau beschwört eine Gemeinschaft der Leistungsbereitschaft und des Arbeitsplatzpatriotismus der sowohl Unternehmen, Handwerker wie auch ganz bewußt "die kleinen Leute" einbezieht. Er spricht in diesem Zusammenhang gern von den Grundwerten und Zielen der Arbeiterbewegung, zu denen die SPD zurückkehren müsse. Dies ist immer eine deutliche Kampfansage gegen Randgruppen, Leistungsunfähige und Marginalisierte gewesen. Die Feinde dieser "Volksgemeinschaft" sind in erster Linie alle die, die nicht fleißig arbeiten und die Kosten verursachen, aber Voscherau attackiert durchaus auch unpatriotische Millionäre, die die Steuer hinterziehen und der Gemeinschaft nicht verpflichtet sind. Die Analogie zur nazistischen Volksgemeinschaft hört an einem entscheidenden Punkt auf: Es gibt u.E. weder in Hamburg noch sonstwo in der BRD im politischen Raum nennenswerte Elemente einer sozialrassistischen Ideologie. Die Hierarchisierung und Wertigkeitsskala der Nazis, verbunden mit Vorstellungen der "bewußten Gestaltung des Volkskörpers" wird nicht reproduziert. Eher gibt es Ansätze eines neoliberalen Utilitarismus: Wollen wir uns die Kosten der Armut leisten? Verarmte Menschen werden zu Feinden erklärt, weil ihre Armut Kosten verursacht, nicht weil sie im Sinne rassenhygienischer Ideologien Volksschädlinge sind. D.h. natürlich nicht, daß sozihygienische und sozialrassistische Ideologien nicht wieder an Einfluß gewinnen könnten.

Drei Fallbeispiele

a. Die staatliche Arbeitsmarktpolitik steht u.E. mittlerweile ausschließlich unter dem Aspekt der Fallzahlenreduzierung. D.h. ihr geht es ganz offensiv darum, Erwerbslose aus den Einrichtungen und aus der Sozialhilfe rauszubekommen. Sie ist lange Zeit ein sog. "Schonbereich" gewesen, d.h. von Einsparungen im Etat der BAGS lange Zeit nicht oder nur sehr begrenzt betroffen gewesen. Seit dem Haushalt 1996 ändert sich das. Noch 1993 hat die BAGS - gestützt auf ein Gutachten des Wissenschaftszentrums Berlin - ein Festhalten an dem ABM-gestützten Programm "Arbeit und Qualifizierung" propagiert. Binnen zwei Jahren wird jetzt dieses einstige Prunkstück der "Hamburger Neuen Arbeitsmarktpolitik" radikal in Frage gestellt. Ein 1995 beim Bremer PIW-Institut bestelltes Gutachten bescheinigt der Hamburger ABM-Politik auf allen Ebenen "Ineffizienzen", "ungenauen Mitteleinsatz", "unprofessionelles Trägerverhalten", "fehlende Integrationserfolge". Die BAGS zieht folgende Konsequenzen (die in einem gleichlautenden Papier vom Vorsitzenden des Hamburger DGB, Erhard Pumm, der SPD und den Geschäftsführern der staatlichen Beschäftigungsgesellschaften HAB/HWB, der Lawaetz-Stiftung sowie den staatlichen Qualifizierungsträgern ZEBRA und Stiftung Berufliche Bildung bereits 1994 angerissen worden sind):

vollständige Einbeziehung der Beschäftigungsträger in die Neuen Steuerungsmodelle und ihrer Einrichtungs- und Sozialarbeiterkritik

absolute Priorität der "Vermittlung in den 1. Arbeitsmarkt": Konzentration der ABM- und LKZ-Mittel auf die leistungsfähigsten Erwerbslosen, Beseitigung von ABM-Nischen, Verzicht auf jede Form der Niedrigschwelligkeit im ABM-Bereich

konsequente Ausnutzung des § 19 BSHG und der Sozialhilfe zur Entwicklung differenzierter (= selektierender) Programme für Langzeiterwerbslose (Lohnkostenförderung, sozialpolitische Erwerbsbetriebe und staatlich organisierte Leiharbeit - "Zeitwerk" - für die Creme, Tagelöhnermodelle, HAB und HWB für den Rest).

intensive "Beratung" auf den Sozialämtern in Richtung "Hilfe zur Arbeit" inklusive Erstellung von Mehr-Jahres-Plänen für Erwerbslose; Verzahnung von Sozial- und Arbeitsämtern, spezielle private Vermittlungstätigkeit für Sozialhilfeempfänger (Maatwerk)

Ziel ist dabei, SozialhilfeempfängerInnen um jeden Preis aus dem Hilfebezug herauszubekommen. Die Art der Arbeit (auf dem ersten Arbeitsmarkt) ist dabei völlig egal. Sowohl in der Propaganda als auch in den Köpfen der Behördenmenschen selbst geht die Idee, daß man/frau an Arbeit bestimmte Ansprüche stellen kann, völlig verloren. Die Ideologie von der Arbeit als Sinnstifter wird selbst geglaubt und sei es in Form von Beschäftigungstherapie ("Auch wenn die Arbeit schlecht ist und mies bezahlt wird: Immerhin haben sie jetzt was zu tun"). Die Zielsetzung des BSHG wird ganz bewußt auf "Hilfe, von der Sozialhilfe unabhängig zu werden" verkürzt. Im Gegensatz zur CDU weist die BAGS eine offensiv vertretene Verschärfung des § 25 BSHG oder der gemeinnützigen Arbeit zurück.

b. Unter den Stichwort "Programm Soziale Brennpunkte" und "Armutsbekämpfungsprogramm" reagiert die SPD seit 1992 auf die räumliche Segmentierung und Spaltung der Stadt. Sie reagiert dabei in erster Linie auf Wahlabstinenz in ehemaligen Hochburgen (Wilhelmsburg, Jenfeld, Dulsberg). In der Propaganda zu dem "Programm Soziale Brennpunkte" von 1992 stand die Überwindung von Spaltung und die Warnung vor amerikanischen Zuständen im Vordergrund. Seit 1993 wird ideologisch eher die Angst und die Wut der "Alteingesessenen" und "kleinen Leute" vor den "Problemgruppen" beschworen und vor drohender "Ausländerfeindlichkeit" und "Rechtsextremismus" gewarnt. Faktisch dienen die Armutsbekämpfungsprogramme in erster Linie dazu, von tatsächlichen Verarmungsprozessen abzulenken der eigenen sozialen Basis und Klientel Aktivitäten vorzutäuschen. Die Programme sind materiell lächerlich gering ausgestattet und verlieren sich in den widerstreitenden Interessen von Behörden, Bezirken und lokalen Initiativen. Sowohl BAGS als auch Stadtentwicklungsbehörde haben im Grunde überhaupt keine Vorstellungen, wie den Spaltungstendenzen begegnet werden könnte. Mirow (Chef der Stadtentwicklungsbehörde) soll gegenüber Projektentwicklern gesagt haben: "Ich weiß selbst, daß mit dem 'Armutsbekämpfungsprogramm' Armut nicht bekämpft wird. Wir machen Trial and Error, und vielleicht werden Prozesse angestoßen, aus denen irgendwas Positives entsteht".

c. In der Drogenpolitik kommen zwei aktuelle Tendenzen am deutlichsten zum tragen. Zum einen werden hier Sozialarbeiterinnen und parteiisch-engagierte Einrichtungen als letzte Reste von Protest und Widerstand massiv über die "Neuen Steuerungsmodelle" angegriffen. Die "Kunden" und das "eigentliche Kundeninteresse" wird dabei immer wieder gegen die Einrichtungen ins Feld geführt. Hier betätigt sich die BAGS als Vorreiter und Fischer-Menzel (Sozialsenatorin) gefällt sich durchaus in der Rolle des Napoleon. Zum anderen sind die Junkies selbst verstärkt Ziel polizeilicher Strategien. Diesen Konflikt zwischen Sozialpolitik/BAGS und Ordnungspolitik/Innenbehörde hat es schon immer gegeben. Aber bei den Platzverweisen in St.Georg hat sich 1995 die Innenbehörde das erste Mal unangefochten durchgesetzt. Weder vom Drogenbeauftragten/der BAGS noch vom Ausländerbeauftragten gab es gegen die repressiven Polizeimaßnahmen, die offen individuelle Bürgerrechte mit Füßen getreten haben, Protest. Im Gegenteil: Hier ist eher Verständnis für die polizeilichen Maßnahmen geäußert worden. In bürgerschaftlichen Ausschüssen machen Abgeordnete von SPD und CDU kein Hehl daraus, daß sie am liebsten alle Junkies abschieben würden und nicht nur diejenigen ohne deutschen Paß. Die polizeilichen Maßnahmen und die Überlegungen zur Verschärfung des SOG gehen in diese Richtung.

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