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Liebe Leute von FelS,

mit sehr viel Interesse haben wir, das Freiburger Bündnis gegen Arbeit, eure Diskussionsbeiträge zum Existenzgeld, zum Grundeinkommen gelesen. Das Bündnis gegen Arbeit ist ein linkskommunistischer Zusammenschluß unterschiedlicher Gruppen und Einzelpersonen.

Wertformkritiker und Antinationale, Leute aus dem WildcatUmfeld und Sozialrevolutionäre bemühen sich zusammen als Bündnis eine radikale KapitalismusKritik zu formulieren, die sich keinesfalls in einer im bloßen Nörgelton vorgetragenen kritischen Kritik erschöpfen soll, sondern einer antikapitalistischen wie staatskritischen zukünftigen Bewegung ganz praktisch Munition liefen soll. Ende April haben wir einen Kongreß mit dem Titel »Terror der Ökonomie, Elend der Politik« veranstaltet. Mit diesem Kongreß sollte mit den verschiedenen Formen des Sozialreformismus gebrochen werden, die einer erneuerten,globalen Kapitalismuskritik im Wege steht. Wir haben u.a. eine Kritik des Keynesianismus geliefert, aber auch vor den Gefahren einer verkürzten Kapitalismuskritik gewarnt, die das spekulative Kapital (Finanzkapital) ins Fadenkreuz nimmt und somit eine offene Flanke zum Antisemitismus hat. Wir haben auch die Existenzgeldforderung diskutiert und uns eindeutig gegen diese Forderung ausgesprochen. Mit dem merkwürdigen Ergebnis, daß die örtlichen ArbeitslosenaktivistInnen, die die Arbeitsgruppe zum Existenzgeld besuchte, von ihrer »Arbeit für alle«Position abgerückt sind, um nun das Existenzgeld in Höhe von 1500. Mark plus Miete für alle zu fordern...

Im folgenden möchte ich nochmals in der Auseinandersetzung mit zwei Texten, die von euch formuliert wurden, unsere Kritik der Existenzgeldforderung vortragen. Es sind die Texte aus der letzten Arranca und der Artikel »Freizeitdress« aus der 5.Hilfe. Es wäre gut, wenn ihr folgenden Diskussionsbeitrag in der nächsten Arranca veröffentliche würdet. Auch wünsche ich mir eine offene, harte, aber nicht unredliche Auseinandersetzung.

Wo sind die Brötchen in der »whole fuckin' bakery« ?

Auch wenn wir unsere Brötchen mit Geld kaufen müssen und nicht nach Belieben und Bedürfnis nehmen können, auch wenn wir dafür lohnarbeiten müssen, und auch wenn damit schon zwei Sythesisstiftende Momente des Kapitalismus benannt wurden, denen sich niemand entziehen kann, scheint im aktuellen Kapitalismus das einheitliche, allgemeine Moment, auf das eine antikapitalistische Opposition, setzten muß, so inexistent zu sein wie nie zuvor. »Das Ganze ist das falsche«, diese Einsicht, Triebfeder jeder revolutionären Bewegung, ist verschüttet. Denn in gewisser Weise leben wir in einer postmodernen Gesellschaft, die in der Wahrnehmung der Individuen in viele Gesellschaften, Erlebniswelten, individuelle Schicksalsschläge und Glücksmomente zerfällt. Dies ist Teil der Mystifizierung, die aus dem Kapitalismus und seinem kulturindustriellen »Überbau« (um es orthodox zu formulieren) erwächst. Diese Auflösung von Homogenität läßt sich auch materialistisch fassen, denn in der Tat haben wir es mit einer fragmentierten ArbeiterInnenklasse zu tun, die von Karl Heiz Roth mit seinem Begriff eines »Archipels« kleiner, segmentierter Gruppen treffend charakterisiert wird. Linke, die an einer emanzipativen sozialen Bewegung interessiert sind, müssen sich also danach umschauen, wo das Verbindende sein könnte und wo ein möglicher Ort der Entmystifizierung sein könnte. FelS versucht nun unter Ignorierung der Mystifizierung eine Fahne (die Existenzgeldforderung) aufzustellen, hinter der sich dann, und das ist genau der Blick von Sozialarbeitern, »Betroffene« einreihen sollen. Parolen und Losungen für das Banner gibt FelS aus. In dem Artikel der FelS SozialAG schreibt ihr über eure Existenzgeldforderung: »Unsere Forderungen vermitteln Ansprüche, sie sind keine Gesetzesprojekte.« Doch das Interesse, Ansprüche zu vermitteln, birg einige Probleme in sich. Raul Zelik hat dies neuerdings erkannt und schreibt: »Die entscheidende Frage bei der Existenzgeldforderung lautet also nicht, ob sie reformistisch ist oder nicht, sondern, ob sie bewußt unvermittelt vorgetragen wird. Die SansPapiers haben bei ihrer Kirchenbesetzung 1996 jede Vermittlung durch die ewigen Feuerwehrleute von SOSRassismus etc. abgelehnt. Genau dadurch und nicht durch irgendeinen revolutionären Gestus blieben sie unintegrierbar und politisch beweglich.« Das ist vollkommen richtig. Dennoch hält FelS daran fest, die Leute (wen eigentlich ? die Arbeitslosen, die ArbeiterInnen, die Linken, diejenigen, die die Schnauze voll haben ? FelS schreibt dazu nichts) mobilisieren zu wollen, daher auch die Angst vor gesellschaftlicher Kritik, die »steril« bleiben könnte und »gesellschaftlich nichts in Bewegung« setzen würde. Hier soll keine Diskussion über das Problem von Spontanität und Organisation angeleihert werden, und auch keiner vornehmen Zurückhaltung oder gar dem Rückzug in den vielzitierten »Elfenbeinturm« das Wort geredet werden. Es geht hier nur um eine Selbstkritik der Linken und um etwas, was ich das »Leninismusproblem« nennen möchte. Gerade die Sans Papier haben sich in Frankreich selbständig mobilisiert. Sie brauchten keine Vermittler, Radikalisierer, Katalysatoren wie Organisatoren ihrer Bewegung, und lehnten diese auch radikal ab. In Deutschland ist das nicht gegeben. Eine auch nur keynesianische Umverteilungsbewegung, auf die sich radikale Kapitalismuskritik beziehen könnte, existiert nicht (das hat auch historische Gründe, die nicht ignoriert werden können). Ihr meint nun, »Gesellschaftsalternativen anhand unmittelbarer, d.h. ambivalenter Forderungen entfalten« zu müssen, um eine Bewegung erstmal auf die Beine zu bringen. Die Existenzgeldforderung seht ihr als eine solche ambivalente Forderung an. Diese Forderung ist in der Tat ambivalent: Sie enthält genug Konformismus, um bei den Leuten anzukommen (z.B. die Fixierung auf den Staat, die »lamoyante Petitionspolitik« um Karl Heinz Roth zu zitieren), gleichzeitig (und das ist auch der spezifische Kniff) ist sie utopisch, ja in der aktuellen Gesellschaft schier nicht durchsetzbar. Das was ihr an Realitätstüchtigkeit mit der Existenzgeldforderung vortäuscht, ist überhaupt nicht gedeckt. Die GenossInnen von Wildcat meinten dazu: »Daß FelS diese Forderung (nach einem Existenzgeld) für im Kapitalismus nicht erfüllbar hält und was ganz anderes will, löst das Problem nicht. Das hieße nämlich: die Forderungen sind nur taktisch, es geht gar nicht um reale Verbesserungen, sondern darum, die Massen zum Nachdenken zu zwingen, damit sie eine Revolution daraus machen. Damit wird aber wie in allen leninistischen Modellen das Wesen des revolutionären Prozesses Selbstbefreiung und Selbstveränderung zugunsten einer pädagogischen Bevormundung aufgegeben.«

Vieles spricht dafür, daß FelS eine linksradikale, rätekommunistische oder anarchistische, LeninismusKritik unbekannt ist. So schreibt ihr: »Revolutionäre Diskurse, die steril bleiben, weil sie niemanden mobilisieren, sind objektiv betrachtet überhaupt nicht radikal. Dann doch lieber Lenin: Mit 'Land, Frieden, Brot' eine Gesellschaft in Bewegung bringen.« (Arranca 14, S.71) Die russische Gesellschaft war aber schon lange in Bewegung, bevor sich Lenin in den Zug setzte, um nach Rußland zu kommen. Die Bolschewiki wurden von der Massenmilitanz vollkommen überrascht. Was Lenin dann mit seinen Bolschewiki dort machte, ist auch ganz anders zu bewerten, als es von Raul Zelik in dem Artikel »Freizeitdress« gemacht wird. »Wir wissen, daß das Leninsche Revolutionskonzept, in dem politischer Umsturz und Verstaatlichung der Produktionsmittel den strategischen Kern ausmachen, nicht ausreichend war.« Nicht ausreichend... ?! Im Sinne einer nachholenden Industrialisierung wurde ein Staatskapitalismus etabliert, der terroristisch mit der sozialrevolutionären Bewegung der BäuerInnen und ArbeiterInnen abrechnete. Was war daran »nicht ausreichend«? Hier drängt sich der Verdacht auf, daß FelS sich mit dieser positiven Bezugnahme auf den leninschen Staatskapitalismus einreihen will (ganz links versteht sich) in der allgemeinen Volksfront derer, die den von jedem staatlichen Eingriff entschlackten »Neoliberalismus« als das Übel überhaupt entdeckt zu haben meinen. Le monde diplomatique, Bourdieu und FelS beteiligen sich so bei der Sozialdemokraten bis Leninisten umspannenden Phalanx derer, die den Staat gegen den entgrenzten Kapitalismus in Anschlag bringen wollen. Wie sonst wäre die FelS SozialAG auf den Satz gekommen: »Der Kampf um Befreiung ist ganz wesentlich ein Kampf um die Unterordnung der Ökonomie unter die Politik« , was ist das anderes als ein vor Reminiszenz triefender Aufruf, den Staat zu stärken, was einer Sabotage am Bezug auf den globalen Klassenkampf gleichkommt. Diese Haltung von FelS verwundert, wurde doch der italienische Operaismus von euch wiederentdeckt. Der Operaismus war die Theoretisierung des Klassenkampfs im Italien der 70er. Die Kritik der Arbeit, des Glaubens an die Neutralität der Technik und vor allem die Kritik des Planstaats leninscher und sozialdemokratischer Prägung kennzeichneten ihn aus. Der Operaismus war also radikal gegen solche Vorstellungen von Vergesellschaftung der Arbeit durch den Staat gerichtet, auch ging es den operaistischen Theoretiker, wie den damaligen Klassenkämpfen nicht um die »Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft«, wie ihr schreibt, sondern um deren Liquidierung. Genau das ist auch meines Erachtens, das Zentrale, das vom Operaismus in den 90ern bleibt, und mit diesem theoretischen wie historischen Wissen wird man sich mit den sozialdemokratischen ReRegulierern, die wahrscheinlich angesichts der Ausweglosigkeit ihres Unternehmens und des weiteren Zerfalls des bisherigen Wohlfahrtsstaates immer autoritärere Züge annehmen werden, konfrontieren müssen. Raul Zeliks Anspielungen auf den Operaismus sind jedoch rein instrumenteller Art. Eigentlich geht es ihm nur darum, etwas frischen italienischen Wind in die trüben deutschen Landschaften zu bringen. Mit der zentralen operaistischen Parole »Kampf der Arbeit« wird aufgeräumt, weil sie angeblich eine weitere Spaltung zwischen denen, die Arbeit haben und denjenigen, die arbeitslos sind, vertiefen würde. Die Parole könne zu einer »völlig unproduktiven Auseinandersetzung mit dem 'senso comune' in der Bevölkerung führen.« (S.28) Also wirklich: die Konsenssuche, die Beschwörung eines common sense mit der Bevölkerung, wird auch dadurch nicht quasi klassenkämpferisch geadelt, wenn sie auf italienisch vorgetragen wird! Dem Operaismus ging es nie um eine solche Konsenssuche. Mit »Kampf gegen die Arbeit« war auch nicht die Propagierung von »Faulheit« gemeint. »Kampf gegen die Arbeit« war für die OperaistInnen nicht die Hängematte der Arbeitslosigkeit, vielmehr wurde »Kampf gegen die Arbeit in der Arbeit« propagiert. Raul Zelik fordert stattdessen etwas, das das ganze Elend der Existenzgeldforderung auf den Punkt bringt: »Letztlich muß ein erfolgversprechender, sozialrevolutionärer Ansatz darum bemüht sein, das Recht auf Arbeit mit dem Recht auf Faulheit zu versöhnen« Zum einen kann ein sozialrevolutionärer Ansatz nicht Erfolg versprechen, auf die Revolution und praktische Versuche, sie zu machen, gibt es keine Garantie. Zum anderen, was wesentlich wichtiger ist, beinhaltet diese vorgeschlagene Versöhnung keine (Neu)definition von gesellschaftlich sinnvoller Tätigkeit nach der Abschaffung der auf abstrakter Arbeit beruhenden Warengesellschaft. Das ganze hört sich nach der Illusion von halbkapitalistischen Parallelgesellschaften wie bei André Gorz an. Die Mehrwertproduktion bleibt bestehen, soll allerdings eingegrenzt werden, und daneben soll sich eine prächtiger Gesellschaft etablieren können, in der dann jede und jeder nach ihren Bedürfnissen... Das ist ein ziemlich naiver Glaube und verkennt die Totalität, die dem Kapitalismus eigen ist. Der Kapitalismus subsumiert alle Lebensbereiche unter den Imperativ der Verwertung. Die fundamentale Kritik am Existenzgeld setzt eben auch hier an: daß man nicht mit dem Geld kalkulieren kann (den DM 1500. plus Miete), dessen Quelle, die Arbeit, man versiegen lassen will. Genau das scheint Raul Zelik (wie André Gorz) auch erkannt zu haben, und denkt so auch gar nicht an die Abschaffung der Arbeit (d.h. der Lohnarbeit). Er schiebt (dem senso comune in der Bevölkerung verpflichtet) die Tatsache vor, daß Arbeit mehrheitlich nicht als Qual, sondern als Segen angesehen wird und will wie die PDS ein Recht auf Arbeit (vom Staat natürlich, denn nur er kann Rechtsprechen) garantiert sehen. Doch wer garantiert, daß aus dem propagierten Recht auf Arbeit keine Pflicht wird...? Der zweite eher immanent kritisierende Einwand gegen die Existenzgeldforderung weist auf die gefährliche Nähe zu Grundsicherungsmodellen der FDP und anderer hin. Gerade die jüngst aufgekochte Diskussion um KombiLöhne, also der Koppelung von einer niedrigen Grundsicherung mit schlecht bezahlten Jobs, zeigt doch wohin die Reise gesamtgesellschaftlich gehen soll: Absenkung der Sozialhilfe und Etablierung niedrigster Lohngruppen. (Im übrigen ein ganz 'reformistischer' Vorschlag: hier wäre ein radikaler Kampf darum, was »zumutbare Arbeit« ist, mehr als angesagt) Die Existenzgeldforderer kommen bei dem Hinweis auf die merkwürdige Verwandtschaft der Grundsicherungsmodelle immer auf das voluntaristische Kräfteverhältnis zu sprechen, mit dem man eine akzeptable Grundsicherung durchsetzten könne. Doch auch langjährige Aktivisten beschleicht ein komisches Gefühl: »Bei allen aktuellen Entwürfen (Grundsicherung, Mindesteinkommen, negative Einkommenssteuer á la FDP) sind für die Betroffenen, die Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen, teilweise gravierende Verschlechterungen zu erwarten. Das macht noch einmal deutlich, auf welch gefährlichem Grat sich die alte Existenzgeldforderung der Erwerbsloseninitiativen bewegt hat: Grundsicherungsmodell können durchaus sozialpolitische Instrumente sein, um Erwerbslose in (schlechtbezahlte und entrechtete) Arbeit zu zwingen. Sie sind mitnichten Garant für eine 'Kultur der NichtArbeit'.« Was euer und unser Interesse ist, ist die Entstehung einer Aneignungsbewegung. Die Existenzgeldforderung, die in den 80ern hauptsächlich von Autonomen und Sozialrevolutionären propagiert wurde, hat hierzu wenig beigetragen. Mehr allerdings die konkrete Praxis: das massenhafte proletarische Eink(l)aufen, die Hausbesetzungen und eine Militanz, die sich um den common sense wenig gekümmert hat. Keine Angst: eine Neuauflage der Diskussion um das Elend der Autonomen soll keinesfalls angezettelt werden. Vergangenen Zeiten sollte man nicht nachtrauern, man sollte sie vorallem nicht verklären. Und auch die aktuellen autonomen Meinungen zum Existenzgeld, die sich lediglich hinter dem sicheren Bezugssystem namens triple oppression verschanzen, und mit der heiligen Dreieinigkeit der »ismen« um sich wedeln, sind ja durchaus bezeichnend. Dennoch zeigt sich anhand der Existenzgeldforderung, daß ihr euch nicht gleich vom autonomen Subjektivismus, der immer auch ausstrahlte und Mut machte zum kämpfen, hättet verabschieden müssen, um euch nun realitätstüchtig auf Konsenssuche zu begeben.

Walter Hanser
Bündnis gegen Arbeit, Freiburg

 
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