Genua, 20. Juli 2001: Carlo Giuliani von den Bullen ermordet!

lotta continua - der Kampf geht weiter!
Antikapitalistischen Widerstand globalisieren!

Kundgebun, Dia-show, Platzumbenennung, anschließend party!

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-Samstag.
-20. Juli 2002.
-22 Uhr.
-(noch) Bahnhofsvorplatz.


Presseerklärungen 1 I 2 I 3 I 4

Aufruf zur Kundgebung zum 1. Todestag von Carlo Giuliani

Am 20. Juli jährt sich der Todestag unseres Genossen Carlo Giuliani, der während der Aktionen gegen den g8-Gipfel vom 19.-21.7.01 in Genua von Carabinieri erschossen wurde. Seit den blutigen Angriffen der italienischen Polizei im summer of resistance 2001 ist es in Europa und speziell in Deutschland ruhiger um die junge "Antiglobalisierungs"-Bewegung geworden. Nach Göteborg und Genua muss sich auch die Linke mit einer veränderten Situation auseinandersetzen: einer neuen Weltkriegsordnung im Zuge der Anschläge auf das WTC und den sich anschließenden Repressionsmaßnahmen und jüngst auch die Verlagerung der Gipfeltreffen in abgelegenste Bergdörfer. Dazu kommen die Probleme, mit denen die Bewegung schon vor diesen Ereignissen konfrontiert war und die hauptsächlich ihrer Heterogenität geschuldet sind. Gleichzeitig spitzen sich in anderen Teilen der Welt - aktuell z.B. in Argentinien und Kolumbien - die Konflikte zwischen Staatsgewalten und GegnerInnen der neoliberalen Aufräumaktion immer mehr zu, ohne dass darauf in Europa Bezug genommen wird. Mit einer Kundgebung zu Carlo Giulianis Todestag wollen wir den Blick auf die aktuelle Situation der "Antiglobalisierungs"-Bewegung lenken, die in Göteborg und Genua antrat, einen langfristigeren Kampf gegen den weltweiten Kapitalismus einzuleiten.

summer of resistance - summer of defiance?

Für die europäische "Antiglobalisierungs"-Bewegung waren die Aktionen in Göteborg und Genua mediale Höhepunkte einer jungen Geschichte, deren Anfänge bereits mit den Protesten in Seattle und - unmittelbarer - Prag gemacht waren. Im Sommer 2001 gelang eine grenzübergreifende Massenmobilisierung, die unterschiedlichste Leute und Spektren mit teilweise gegensätzlichen Konzepten zusammenbrachte: NGOs neben den Tute Bianche, Sozialdemokraten neben KommunistInnen, Antifas neben Ökos. Die Heterogenität innerhalb der Bewegung machte zu diesem Zeitpunkt einen entscheidenden Teil ihrer Stärke aus. Das Zusammenwirken von medienerprobten und konsensfähigen Gruppen, telegenen Aktionen wie die der Tute Bianche und militanten Aktionen eines "black bloc" entwickelte eine große Zugkraft innerhalb der Linken und erreichte eine ungekannte mediale Aufmerksamkeit. Trotz der Differenzen war eine Dynamik zu beobachten, die von den Staatsgewalten nicht einfach in den Griff zu bekommen war. Nach einer längeren Zeit der Schwäche gewann die Linke durch eindruckvolle Events für kurze Zeit ein neues Selbstbewusstsein. Lang anhalten sollte es jedoch nicht - ein Phänomen, das noch von anderen Protestbewegungen wie z.B. der Anti-AKW-Bewegung her in Erinnerung ist.
Göteborg und Genua sollten vorerst Höhepunkte des Widerstands bleiben. Schon unmittelbar im Anschluss an Genua zeigte sich, dass die Stärke der Bewegung gleichzeitig auch ihre größte Schwäche ist. Die inhaltlichen und strukturellen Differenzen verhinderten eine wirkungsvolle Auseinandersetzung mit der Repression, die in den Schüssen von Göteborg und der Ermordung Carlo Giulianis gipfelte. Der willkürlichen Verfolgung und Einknastung aufgrund schwarzer Kleidung hatte die Linke ebenso wenig entgegenzusetzen wie den juristischen Konstruktionen in Schweden, die teilweise zu hohen Haftstrafen führten. An einem solchen Punkt sind starke linke Strukturen notwendig, um der Repression zu begegnen und Solidarität zu schaffen; fatal ist es dagegen, wenn sozialdemokratischen Gruppen der öffentliche Raum Überlassen und sich noch dazu innerhalb der Linken an ihnen abgearbeitet wird.
Die Situation nach dem 11. September bedeutete eine zusätzliche Belastung für die Bewegung. Mit der schnell vollzogenen gesellschaftlichen Mobilisierung gegen den weltweiten "Terror" und der anschließenden Repressionsmaßnahmen breitete sich in weiten Teilen der Linken Orientierungslosigkeit aus. Die linke Stimmlosigkeit angesichts der antiterroristischen Mobilmachung, sei es in Form von Krieg in Afghanistan oder innerstaatlichen Gesetzesverschärfungen wie Schilys "Sicherheits"paketen, ist offensichtlicher Ausdruck einer fehlenden Diskussion um ihre eigenen Inhalte und Strategien. Wer den Kapitalismus und damit auch seine Kriege nicht grundsätzlich ablehnt, wird sich in der Tat schwer damit tun, andere als rein friedensbewegte Argumente gegen die Angriffe auf Afghanistan zu finden. Schon im November 2001 zeigte sich beim NATO-Treffen in München, dass die Mobilisierungskraft unter den "Globalisierungs"-GegnerInnen nicht einfach auf eine Aktion gegen den kapitalistischen Krieg und seine BefehlshaberInnen zu Übertragen ist. In einer Situation imperialistischer Mobilmachung im Inneren und Äußeren wird die Bewegung von ihrer eigenen Inhaltslosigkeit unter Druck gesetzt. Jüngere Großaktionen wie in Sevilla oder beim Bush-Besuch in Berlin machen deutlich, dass es zwar nach wie vor ein großes Mobilisierungspotential gibt, die radikale Linke es jedoch bislang verpasst hat, an diesen Stellen zu intervenieren und die Proteste zu kanalisieren.

Eure Gewalt hat System - Euer System ist Gewalt!

Einen ähnlichen Schwachpunkt im "antiglobalen" Lager berührt die ewig wiederkehrende "Gewaltdiskussion". Von den Medien mit Handkuss aufgenommen, belastet die Frage nach Militanz und speziell dem "black bloc" die Bewegung sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in den eigenen Reihen. Die Spaltung in friedliche Proteste und "Hooliganismus", in konstruktive Kritik und "Spaß an der Randale" wird nicht allein in von außen betrieben, sondern findet sich als Position allzu oft in der Linken selbst wieder. Nicht unwesentlich ist diese Auseinandersetzung dabei der inhaltlichen Polarisierung zu schulden. Wer es als seine Hauptaufgabe betrachtet, die Tobin Tax durchzusetzen oder Finanzmärkte stärker kontrolliert sehen möchte, braucht in der Tat nicht mit einem Stein in der Hand auf die Straße zu gehen. Derartige Forderungen nach Reformation und Bändigung des "Raubtierkapitalismus" (Spiegel) stoßen mittlerweile selbst in der sozialdemokratischen Prominenz auf Applaus und befinden sich im Zentrum "kritischer" öffentlicher Diskussion. Die radikale Ablehnung des kapitalistischen Systems und jeglicher Partizipation an seinen jeweiligen Ausprägungen schließt dagegen ein militantes Vorgehen gegen seine VerwalterInnen mit ein. Militanz als nicht zu vereinnehmender Ausdruck des antikapitalistischen Widerstands ist ein notwendiger Teil des Kampfes ums Ganze. Die Gipfeltreffen nach dem 11. September haben gezeigt, dass das Fehlen eines radikalen Ausdrucks zugleich eine Entradikalisierung und Vereinnahmung des Widerstands bedeutet: die Proteste in Brüssel erinnerten eher an eine vergrößerte Gewerkschaftsveranstaltung denn an eine linke Protestveranstaltung, die sie dann auch nur in Teilen war. Die inhaltliche Bewegung aus der Bewegung heraus erschöpft sich momentan in der Teilnahme an Interviews mit Blättern wie dem Spiegel, die sich nahtlos in die staatkonforme Debatte um den "bösen" und den "guten" Kapitalismus einfügen.

Again: Fight the power!

Ein Jahr nach dem spektakulär verlaufenen summer of resistance stellt sich die Frage, ob die europäische "Antiglobalisierungs"-Bewegung in der Lage ist, mit einer veränderten Weltsituation auf der einen und ihren eigenen Schwächen auf der anderen Seite fertig zu werden. Eine Linke, die sich den Kampf gegen den "globalisierten" Kapitalismus auf die Fahnen geschrieben hat, kann es sich nicht leisten, angesichts einer auffahrenden Weltkriegspolitik den Kopf in den Sand zu stecken oder sich auf das moralische Geplänkel der Humanität einzulassen. Der antiterroristischen Mobilmachung weltweit und in den eigenen Gesellschaften kann nur mit einer Kritik des Ganzen begegnet werden, inhaltlich wie in äußeren Aktionen. Innerhalb der linken Diskussion müssen Mittel und Wege gefunden werden, der innerstaatlichen und europaweiten Aufrüstung gegen linke Vereinigungsversuche zu begegnen, die im Windschatten der "Terroristenjagd" erfolgt. Obwohl eine sich als internationalistisch begreifende Linke unmittelbar betroffen ist, sind Repressionsmaßnahmen wie die Einführung des ¤ 129b bislang unbeachtet am Widerstand vorbeigegangen. Der Kampf gegen die Staatsgewalt und die Vermittlung linker Positionen darf sich nicht auf wenige Großevents beschränken und dazwischen jeweils Großpausen einlegen. Die Zeit muss genutzt werden, inhaltliche Auseinandersetzung voranzutreiben und so der Gefahr einer langsamen Spaltung und Versandung der Proteste zu begegnen. Ganz unmittelbar gilt es, auf Veränderungen wie zum Beispiel die Verlagerung der Gipfeltreffen in unerreichbare Orte oder die Einschränkung der Reisefreiheit bzw. Meldeauflagen für Linke zu reagieren. Neue Konzepte für Protestformen müssen entwickelt werden, um der jeweiligen Situation etwas entgegensetzen zu können. Gleichzeitig stehen die nächsten Gipfel innerhalb Europas auf dem Plan, zum Beispiel der EU-Gipfel in Kopenhagen und der NATO-Gipfel in Prag. Kommende Aktionen müssen genutzt werden, um die Bewegung im Inneren weiterzuentwickeln und sie zu stärken.
In Erinnerung an die Erfolge wie auch die Verluste des vergangenen Jahres wird es Zeit, die nächste Runde im antikapitalistischen Widerstand einzuläuten: Der Kampf geht weiter!

Autonome Antifa [M] á Juli 2002

Piazza Carlo Giuliani

Mit der Umbenennung des Göttinger Bahnhofsvorplatzes in Piazza Carlo Giuliani greifen wird die lokale Diskussion um dessen Namensgebung erneut auf. Am 20. Juli 2002 jährt sich der Todestag Carlo Giulianis, von Carabinieri in Genua ermordet. Piazza Carlo Giuliani soll die Erinnerung an die Umstände der Ermordung unseres Genossen in die Öffentlichkeit tragen, zugleich reiht sich die Kundgebung in die europaweiten Aktionen zum ersten Jahrestag des summer of resistance ein.
Das Darstellungsmuster der bürgerlichen Gesellschaft bezüglich der Exzesse staatlichen Terrors ist einfach und wohlbekannt: Verschweigen und verdrehen, bestenfalls finden sich "tragische aber glücklicherweise einmalige Unfälle" in den Geschichtsbüchern. Es liegt also an uns allein die Geschichte unseres Widerstandes zu schreiben und das Vergessen an die Opfer des Kapitalismus zu verhindern. Hier geht es nicht darum Heldenerzählungen zu dichten oder die Motivation mit der Carlo und viele andere gekämpft haben für den eigenen politischen Kampf zu vereinnahmen. Wir kannten Carlo nicht. Wir wissen nur, dass er mit vielen von uns in Genua auf der Straße war und für seinen militanten Widerstand von den Bullen erschossen wurde - ein politischer Mord! Diese Bereitschaft des bürgerlichen Staates gegenüber seinen unliebsamen KritikerInnen in offenen Terror umzuschlagen, gilt es ins Bewusstsein zu rücken.
Knast, schwere Verletzungen, Folter und der Tod von Carlo sind ein hoher Preis den die europäische Linke in Göteborg und Genua gezahlt hat. Wenn die vielen AktivistInnen nicht bloß persönliches Pech gehabt haben und verheizt bleiben sollen, muss die Linke die Auseinandersetzung um diesen Teil der eigenen Geschichte suchen.
Nichts ist vergessen und niemand!
Der Göttinger Bahnhofsvorplatz heißt jetzt Piazza Carlo Giuliani!