TATblatt


Leserbrief

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Zusendung des Grünen Bezirksgruppenaktivisten Herbert Sburny, gerichtet als ("beschränkt") öffentlicher Brief an Adi Hasch, Grüner Bezirksrat im 2. Wiener Bezirk.

Gegenstand ist die Grüne (Bezirks-)Politik betreffend die Diskussion um die Errichtung einer jüdischen Schule im Wiener Augarten.

(Siehe dazu Artikel in TATblatt plus 78 (11/97), insbesondere das Interview mit dem Bezirksrat Adi Hasch)

Offener Brief
an Adi Hasch

Normalerweise verkehren wir ja nicht schriftlich miteinander, doch heute ist eine Ausnahme. Ich will diesen Brief beschränkt öffentlich machen; weil die Sache, um die's geht, öffentlich ist und mir sehr wichtig erscheint.

Der Widerstand den du, deine BG (Bezirksgruppe; Anm.), Friedrun (Huemer, Grüne Gemeinderätin; Anm.) und andere Grüne gegen den geplanten Bau der jüdischen Schule im Augarten so hartnäckig leisten, ist meiner Meinung nach politisch falsch. Bzw. er wurde im Laufe der Zeit (in der immer klarer wurde, daß es den anderen Standort nicht in akzeptabler Zeit geben wird) falsch.

Weil warum? Wie der bekannte Integrations-Kurt sagen würde.

Weil, auch für uns Grüne, in einer Grundsatzkollision eine coole Interessenabwägung, bzw. Gewichtung zu erfolgen hat. In vielerlei Hinsicht: Pflanzenschutz gegen soziale Bedürfnisse von Menschen. In diesem Fall sogar dreifach schützenswerte (weil dreifach schwach in unserem Land): Kinder, Ausländer und Juden. Natürlich wäre es schön den Park in seiner Gesamtheit zu erhalten und GLEICHZEITIG die Schule zu bauen. Doch alleine schon die Wahrscheinlichkeit daß sich der Bau um Jahre verzögern würde, wenn er jetzt und hier verhindert würde, müßte für Grün-Alternative ausreichen die ursprüngliche Position zu überdenken und zu ändern.

Minderheitenschutz gegen Aussicht auf starke Unterstützung in der Bevölkerung. Jetzt red' ich gar nicht von latentem Antisemitismus in der Bevölkerung, - den es natürlich gibt, und der so leicht aufbricht - vor allem dann, wenn das Hölzl von völlig Unverdächtigen kommt - sondern von der weitverbreiteten und kaum verdeckten Kinderfeindlichkeit.

Hast du, habt ihr euch nicht mal in Ruhe überlegt, wie es kommt, daß wir einerseits so oft Schwierigkeiten haben die AnrainerInnen in ernstzunehmender Zahl zu mobilisieren wenn es gilt, einen Park oder einen Grünstreifen zu verteidigen gegen einen Konzern der ein Bürohaus, ein Einkaufszentrum oder eine Garage bauen will, und wieso andererseits es so schnell geht, Tausende Unterschriften zu bekommen, wenn es gegen eine Schule, eine Einrichtung für Jugendliche, überhaupt eine soziale Einrichtung geht?

Denkt doch bitte an den STERNWARTEPARK, ein unvergessliches Meisterstück des Populismus. Damals war es der Kronenzeitung ein Leichtes für ganz kurze Zeit Zweidrittel der Einwohner Währings und 50% der WienerInnen zu glühenden Naturschützern zu machen. Es ging gegen eine Schuleinrichtung; dabei wären das "anständige und fleißige" österreichische MittelschülerInnen gewesen. Merkst du, worauf ich hinauswill?

Also ich meine: wenn die Gemeinde nicht noch im Juni einen geeigneten Baugrund - auf dem noch heuer gebaut werden kann - zur Verfügung stellt, dann solltet ihr das Wohl der Kinder über die zu rodenden Bäume und Sträucher stellen, und euren Einfluß im Grätzl geltend machen, damit der geplante Integrationsteil der Schule auch von den Menschen rund um den Augarten genützt wird.

Die Menschen der BI, die frei von Kinderfeindlichkeit und rassistischen Vorurteilen sind, werden euch verstehen und folgen.

Und die anderen haben tausend Gründe sowieso nichts mit den Grünen zu tun haben zu wollen.

Ich weiß schon - es ist schwer grüne Bezirkspolitik zu machen; und du weißt, daß ich es weiß - aber wir dürfen nicht die Geduld verlieren und sollten uns hüten, scheinbar "billigen" Erfolgen nachzulaufen und uns "verrennen".

Wer Menschen, vor allem Kinder nicht liebt, ist kein verläßlicher Partner für Naturschützer.

PS: ich schicke Kopien des Briefes an Friedrun, den Ratklub, den Landesvorstand und dem TATblatt (weil mir deren sachliche Berichterstattung sehr gut gefallen hat.)


--> zum Artikel Bäume, Bäume über alles (TATblatt Nr. plus 78)

-->für Nicht-Ortskundige: Was ist der Augarten?

--> Unrecht und die unterste Schublade (TATblatt Nr. plus 78)

--> Gespräch mit Adi Hasch, Bezirksrat der Grünen im zweiten Wiener Gemeindebezirk (TATblatt Nr. plus 78)


aus: TATblatt Nr. plus 79 (12/97) vom 25. Juni 1997
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