GegenDruck Nr. 23 - Mai 1998
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Die PDS gegen das “raffende“ und für das “schaffende Kapital“

“Investieren - nicht spekulieren!“

Stolz wird auf den Internetseiten der PDS (http://www.pds-online.de) und im PDS-Pressedienst Nr. 8/98 über die jüngste spektakuläre Aktion führender PDS-PolitikerInnen berichtet. Unter dem Slogan "Investieren - nicht spekulieren!“ blockierten sie am 13.2.98 den Eingang der Börse in Frankfurt/Main. Die zu diesem Anlaß veröffentlichten Texte haben es in sich.
Demnach fand die Aktion vor der Börse statt, weil sie "eines der Zentren großer Spekulationsgewinne und wirtschaftlicher sowie sozialer Gefahren in Deutschland“ sei, sie sei "Ausgangspunkt und Symbol größter sozialer Zerstörungen und wirtschaftlicher Bedrohungen“ und der Finanzkrach in Asien sei "in Frankfurt/Main, New York und Tokio verursacht worden“. Ursache sei die Gewinnsucht "jener, die gar nicht mehr wissen, wohin sie mit ihrem Reichtum - außer an die Börsen sollen“ und die Raffgier der Großbanken und die Politik einer "willfährigen“ Bundesregierung, die zusammen mit der Börse, die "Verselbständigung der Finanzmärkte betreiben“ würde.
Die Leidtragenden der auf den internationalen Märkten getätigten Spekulationen seien mittelständische Unternehmen, Handwerker und die "Schwachen und Schwächsten“. Die politisch organisierte "Deregulierung der Finanzströme“ sei eine "ungeheure Gefahr [...]: für Arbeitsplätze und Investitionen hierzulande, Weltwirtschaft und ökologischen Umbau international sowie für die Entwicklungschancen der Länder des Südens und Ostens“. Die Verluste aus den "Spekulationen in Asien“ hätten die deutschen "Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“ zu begleichen. Bedroht seien "die Grundlagen der Bundesrepublik als ’demokratischer und sozialer Bundesstaat’“. Gefordert wird von der PDS, die "Privilegierung des Finanzkapitals auf die Privilegierung des Produktiv- und damit des Produktionskapitals“ umzustellen [1].
So sieht also das Weltbild führender PDS-PolitikerInnen aus, deren Konzepte das öffentliche Agieren der PDS weitgehend bestimmen. Auf der einen Seite wird das Finanzkapital ausgemacht und das Bild der vaterlandslosen Verschwörung aus Börsenspekulanten, Großbanken und Bundesregierung gezeichnet. Diese seien die Ursache der Krisen und Übel in der Welt. Auf der anderen Seite gäbe es die Opfer: die nationalen, steuerzahlenden BürgerInnen und die tüchtigen und produktiven Unternehmen, die investieren und Arbeitsplätze schaffen würden. Zwischen den einen und den anderen bestünde ein Raubverhältnis.
Die PDS-Argumentation reproduziert hier eine zentrale Denkfigur antisemitischer Ideologie, die über das "raffende“ und das "schaffende Kapital“. Diese Denkweise beinhaltet eine Identifizierung verschwörerischer Mächte, die global agieren würden, wurzellos seien und mittels ihrer Geldmacht im Hintergrund die Fäden ziehen würden, mit dem "raffenden Kapital“. Das Opfer dieser Umtriebe sei das "schaffende Kapital“: die nationale, bodenständige, mit ihrer Heimat verwurzelte, produzierende Gemeinschaft aus Unternehmern und Arbeitern. Im Unterschied zum voll entwickelten Antisemitismus wird in der PDS-Argumentation aber keine Personifizierung der abstrakten, verschwörerischen Mächte, des "raffenden Kapitals“ im "Juden“ vorgenommen. Und es wäre sicherlich auch falsch anzunehmen, es steckte so eine Intention dahinter. Nicht nur wegen der Biographien einiger PDS-Promis. Doch wie groß ist der Schritt im Denken, um vom "Spekulanten an der Wall Street“ zum "jüdischen Spekulanten an der Wall Street“ zu gelangen?
Nach Moishe Postone [2] sind die antisemitischer Ideologie zugrunde liegenden Denkfiguren objektive Gedankenformen, d.h. Formen notwendig falschen Bewußtseins, die durch die Verschleierung des Wesens des Kapitals hinter seinen Erscheinungsformen erzeugt werden. Solch eine im Denken vor sich gehende Mystifikation der Verhältnisse bezeichnete Marx als Fetisch [3]. Waren, Arbeit und Kapital zeigen einen Doppelcharakter, sie erscheinen als in eine konkrete und eine abstrakte Seite, die in einem Gegensatz zueinander stehen, gespalten. Die konkrete Seite ist der stoffliche, industrielle Produktionsprozeß, die abstrakte Seite sind die über Markt und Geld vermittelten auf die Privatarbeiten wirkenden Zwänge. Die Denkformen der Menschen werden durch diese Erscheinungsformen bestimmt. Die Gesetze der Wertverwertung, über die sich die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen als objektive Zwangsverhältnisse, als "zweite Natur“, die den Menschen gegenübertritt, hinter den Rücken der Menschen durchsetzen, bleiben unverstanden. Die konkrete und abstrakte Seite der kapitalistischen Produktionsweise werden personifiziert und die Ursachen der Erscheinungen werden auf das willentliche Handeln der Gruppen, in denen die Personifizierung vorgenommen wird, zurückgeführt. Nicht durchschaut wird, daß "Unternehmer“ und "Arbeiter“, "Banker“ und "Spekulanten“ nur Charaktermasken (Marx) sind, d.h. die Personifizierungen stehen nur für objektiv notwendige Funktionen im Reproduktionsprozeß des Kapitals.
Antisemitisch strukturiertes Denken ist ein ideologischer Reflex auf den Doppelcharakter der Erscheinungsformen des Kapitals. Die konkrete Seite, das industrielle Kapital wird als nichtkapitalistisch, ewig und natürlich verklärt und mit Attributen wie national, verwurzelt, produktiv, schaffend verknüpft. Als fremd, wurzellos, international, unproduktiv, raffend, als kapitalistisch wird das Geldkapital aufgefaßt. Die fortschreitende Entwicklung des Kapitalverhältnisses ist mit einer zunehmenden Verselbständigung des prozessierenden, sich selbst verwertenden Wertes verbunden. Alle Schranken werden durch das Kapital niedergerissen, nationale und traditionelle Zusammenhänge aufgelöst und persönliche, unmittelbare Herrschaftsverhältnisse zerstört. Das befördert, die abstrakte Seite des Kapitals zunehmend in verschwörerischen, immer weniger fassbaren Mächten wahnhaft zu personifizieren. (…)
Es gibt aber keinen logisch zwingenden Grund, daß sich antisemitisch strukturiertes Denken ausschließlich gegen Juden richten könne. Die Personifizierung kann durchaus auch in anderen Gruppen vorgenommen werden, wenn ihnen Abstraktheit, Unfaßbarkeit, Internationalität, Geldmacht wahnhaft zugeschrieben werden kann. Vielleicht liegt hier auch eine Erklärung, warum in Deutschland "organisierte Kriminalität“, "Ausländerkriminalität“ oder "Scientology“ so wahnhaft wahrgenommen werden und heutzutage so ein beliebtes Thema sind. Die öffentliche Artikulation eines gegen Juden gerichteten Antisemitismus ist wegen Auschwitz (noch) weitgehend tabuisiert, doch das antisemitisch strukturierte Denken bedarf der Objekte, in denen es die Ursache der ausgemachten Übel personifizieren kann.
Dafür, daß jetzt die PDS bei antisemitisch strukturierten Argumentationen landet, lassen sich Gründe im Charakter ihrer bisherigen inhaltlichen Positionen finden. Der "Antikapitalismus“ der PDS ist einer, bei dem die kapitalistische Vergesellschaftung nicht wirklich in Frage gestellt werden soll. Deren soziale Folgen werden von der PDS angeprangert und es werden Forderungen nach "sozialer Gerechtigkeit“, "Umverteilung von oben nach unten“ und "Arbeit für Alle“ erhoben. Diese Ziele sollen durch nationales "Politik machen“ erreicht werden. Wer aber durch nationales "Politik machen“ - ob der Schwerpunkt dabei nun auf parlamentarische oder außerparlamentarische Praxis gesetzt wird, ist sekundär - im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise die Folgen des Kapitalismus abschaffen will, kann das Wirken objektiver Zwangsverhältnisse, die durch die Wertvergesellschaftung konstituiert werden, nicht anerkennen. Deren Anerkennung würde das "Politik machen“ ad absurdum führen. Denn wie sollten dann durch den Austausch des Regierungspersonal und eine "andere Politik“ die ungeliebten Folgen wirklich beseitigt werden können? Die Existenzberechtigung der PDS würde in Frage gestellt, wenn die Zwecke, für die sich die PDS-Mitglieder zur Partei zusammengeschlossen haben, in Frage gestellt würden. Also muß für die sozialen Folgen das subjektive Handeln von gesellschaftlichen Gruppen verantwortlich gemacht werden, indem diesen wahlweise böswillige Absichten oder Unfähigkeit unterstellt werden. Diese Gruppen werden in den Börsenspekulanten und in den Großbanken als augenfälligste Symbole für das Gewinnstreben im Kapitalismus gefunden. Und die machthabenden politischen Kräfte seien diejenigen, die aus eigenem Interesse oder Unfähigkeit die Raubzüge unterstützen würden. In dieser Weise macht der verkürzte Antikapitalismus für die oben beschriebene antisemitische Denkform anfällig.
Wer sich bisher damit tröstete, daß die PDS die kapitalistischen Verhältnisse zwar nicht wirklich in Frage stelle, sie doch aber immerhin ein sozialdemokratisches Reformprogramm vertrete und sie ein relatives Gegengewicht gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck bildete und sie deshalb immer noch das kleinere Übel im Vergleich zu den anderen sei, sollte sich fragen, ob diese Einschätzung tatsächlich zutrifft oder ob sie nicht eher auf Selbsttäuschung beruhte. Schon in den vergangenen Jahren offenbarte die PDS sehr unangenehme Seiten. Da wären die Bekenntnisse zur Nation aus den Reihen dieser Partei und die nicht vom Denken gewöhnlicher Deutscher unterscheidbaren nationalistischen und rassistischen Anschauungen beträchtlicher Teile ihrer Basis im Osten oder auch die antizionistischen Ausfälle in PDS-Presseerklärungen [5]. So ist es dann auch kein Wunder, daß sich auch die völkisch-nationalistische Zeitung Junge Freiheit gerne mal positiv auf PDS-Argumentationen bezieht [6]. Durch solche populistischen Aktionen wie die vor der Börse und den mitgelieferten Begründungen, wird nun die im Alltagsbewußtsein der Menschen verbreitet vorhandene antisemitische Denkform bedient. Auf diese Weise wird aus der PDS heraus dazu beigetragen, die gesellschaftlichen Bedingungen hin zu einer weiteren Gesellschaftsfähigkeit auch des offenen, gegen Juden gerichteten Antisemitismus zu verändern. Von einer Partei, die solche Entwicklungen befördert, ist keine wirksamer Beitrag gegen die deutschen Zumutungen zu erwarten. Das können sowohl der Aktivismus einiger linker Unentwegter mit gutem Willen in der PDS, die aber den Charakter dieser Partei auch nicht so richtig wahrhaben wollen, als auch die engagierte Arbeit von Ulla Jelpke im Bundestag nicht kompensieren.

Jan Perlwitz (gekürzt)

[1] Die Zitate in den beiden vorhergehenden Absätzen stammen aus einem Text, der unter der Internetaddresse "http://www1.pds-online.de/aktuelles/text04.htm“ zu finden ist.
[2] Moishe Postone, "Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch“, Merkur, H.1/1982, S.13-25
[3] Karl Marx, "Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“, Bd.3, Dietz Verlag Berlin, 1989, S.404ff.
[5] So in einer Erklärung des Bundesvorstandes der PDS vom 15.4.1996, PID 16/96
[6] Z.B. Junge Freiheit, 25.4.97

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