GegenDruck Nr. 23 - Mai 1998
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Presseerklärung zu mehreren Wohnhausbränden in Bielefeld

Gefällige Falschinformationen

I. Hintergrund:

Innerhalb der letzten fünf Monate hat es in Bielefeld des öfteren in ausschließlich oder mehrheitlich von Nichtdeutschen bewohnten Häusern gebrannt. Ein Mensch starb, etliche wurden verletzt, viele obdachlos und verloren den Großteil ihrer persönlichen Habe. In die Öffentlichkeit gelangten nur die Brände in der Albrechtstraße, in der Walther-Rathenau-Straße und in der Heeper Straße. Aus dem Bekanntenkreis wissen wir von noch zwei ähnlichen, aber glimpflicher verlaufenen Bränden kurz vorher, auf andere ist also zu schließen. Bis auf den Brand in der Albrechtstraße, wurde letztendlich in allen Fällen eindeutig Brandstiftung als Brandursache festgestellt.
Bei den beiden nicht in die Öffentlichkeit gelangten Brandstiftungen wurden die Ermittlungen schnell eingestellt; in zumindest einem Fall gab es aber durch frühere Sprühereien und Drohungen durch Nachbarn zumindest Anhaltspunkte für eine rassistische Täterschaft. Nicht alle Untersuchungen können zur Aufklärung des Sachverhalts führen, aber die Ermittlungen bei den folgenden, öffentlich gewordenen und folgenschwereren Bränden hätten vor diesem Hintergrund geführt werden müssen.

II. Strukturen polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen:

Es stellt sich aber recht anders dar! In allen der drei folgenden Wohnhausbränden wurde noch während der Löscharbeiten als Brandursache "technischer Defekt“, bzw. "Kabelbrand“ angegeben, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Ermittlungsergebnisse vorliegen konnten. So mußten diese Behauptungen auch später zumindest bei den Bränden in der Walther-Rathenau-Straße und in der Heeper Straße zurückgenommen und zu "eindeutig Brandstiftung“ korrigiert werden. Da es sich also eindeutig nicht um Erkenntnisse, sondern um Behauptungen ohne faktischen Hintergrund handelte, muß festgestellt werden, daß hier eine bewußte und gewollte Fehlinformationspolitik betrieben wurde!
Die Zurücknahme dieser Falschinformationen führte nun aber keineswegs zu einer sachlichen Darstellung der faktischen Hintergründe und Ermittlungsstände, sondern wurde, zumindest bei den Bränden in der Walther-Rathenau- und in der Albrechtstraße, gleich durch die nächste gezielte Fehlinformation ergänzt: Ein "ausländerfeindlicher Hintergrund“ (also ein rassistisches Tatmotiv) könne ausgeschlossen werden. Diese Behauptung ist angesichts des gleichzeitigen Eingeständnisses völliger Unwissenheit in Bezug auf Tathergang, Täter und Tatmotiv zwar eigentlich absurd, aber doch bezeichnend und, was die weiteren Ermittlungen betrifft, richtungsweisend! Weil ein Anschlag von außen willkürlich ausgeschlossen wird, bleibt nur noch der Verdacht nach innen! Und es werden schnell fast standardisierte Tatmotive genannt: Wahlweise Versicherungsbetrug oder Familienstreitigkeiten. Als Indizien reichen dann z.B. eine bestehende Brandschutzversicherung (hat ja sonst niemand), irgendein Streit in den letzten Jahren (kommt ja sonst nirgends vor), oder Hypotheken (hat ja sonst niemand Hauskaufschulden). Daß die angeblichen BrandstifterInnen selbst im Haus wohnten, selbst geschädigt und vor allem sie und die eigene Familie gefährdet wurden, tut angesichts dieser Indizien nichts mehr zur Sache! Zutrauen muß man "denen“ ja inzwischen alles, um an ein bißchen Geld zu kommen! Welche rassistischen Bilder mit dieser "Informations“-Politik bedient werden, soll hier aber nicht weiter ausgeführt werden.
Letztendlich werden die Ermittlungen aller Voraussicht nach im Sande verlaufen. Wir behaupten weder, daß die Ermittlungen in jedem Fall etwas hätten ergeben müssen, noch daß es sich eindeutig um rassistisch motivierte Anschläge gehandelt hat. Wir wehren uns nur dagegen, daß Ermittlungen gar nicht in diese Richtung geführt werden und daß durch eine gezielte Fehlinformationspolitik das Bild entsteht, als ob keine rassistischen Anschläge mehr stattfinden und damit eine für MigrantInnen und Flüchtlinge bedrohliche Realität verleugnet und verharmlost wird! In der überregionalen Presse erschien zu dem Brandanschlag in der Walther-Rathenau-Straße durch die Aussagen der Ermittlungsbehörden die Darstellung eines "Brandunglücks“, eine Richtigstellung gab es nicht. Es muß also jede Meldung von "Bränden durch technischen Defekt“ kritisch hinterfragt und trotzdem davon ausgegangen werden, daß es sich um einen Anschlag handeln könnte; wobei ein rassistischer Hintergrund nie auszuschließen ist, solange keine eindeutigen Hinweise auf andere Motive vorliegen!

III. Kleiner Rückblick

Bei all dem handelt es sich nicht um eine Bielefelder Besonderheit. Diese Art von Ermittlungen hat sich in den letzten Jahren bundesweit durchgesetzt. Die Namen der Städte Lübeck, Hattingen und Stuttgart stehen neben anderen für dieses Prinzip der Opfer-Täter-Verkehrung. In Lübeck wurde, trotz offensichtlicher Hinweise auf faschistische Täter (Präsenz am Tatort, klare Brandspuren an Körper und Kleidung, …), sofort gegen die Überlebenden des Brandes ermittelt. In der Folge fand ein Prozeß gegen einen der Bewohner des Hauses statt, der eineinhalb Jahre nach der Tat mit Freispruch endete. Gegen die wahrscheinlichsten Täter, die Nazis aus Grevesmühlen, wurde nie ernsthaft ermittelt. In Stuttgart und Hattingen hat es sich so ergeben: Ein "ausländerfeindlicher“ Hintergrund wurde ausdrücklich ausgeschlossen und die Ermittlungen trotz ausreichender Hinweise nicht in diese Richtung, sondern gegen die Brandopfer geführt Der entsprechende Prozeß endete mit "Freispruch aus Mangel an Beweisen“. Nachdem die Betroffenen damit sozial geächtet und ihrer Lebensgrundlage beraubt waren, wurden in beiden Fällen die Täter durch Zufall wegen anderer Delikte gefunden: Deutsche Männer mit eindeutig rassistischen Motiven!

IV.: Gefällige Falschinformation:

Wie kommt nun ein Herr Heidbrede, ermittelnder Staatsanwalt, oder ein Herr Schulze, Pressesprecher der Polizei Bielefeld, zu den angeführten Behauptungen? Der Reflex, rassistische Hintergründe als einzige solange ausdrücklich auszuschließen wie sie nicht eindeutig nachgewiesen sind, zeigt nur, wie wahrscheinlich auch diese Herren sie eigentlich finden; und daß sie alles rausfinden wollen, bloß das nicht! Dieses Interesse teilen sie mit der (des-) interessierten Öffentlichkeit und müssen deshalb auch nicht befürchten, hinterfragt zu werden. Dies hat mit Ermittlungen aber nicht die Bohne zu tun, sondern ist gezielte Falschinformation. Werden sie nach der Grundlage ihrer Behauptungen gefragt, wiegeln sie ab. Wir fordern hiermit die beiden genannten Herren auf, zu erklären, wie sie ohne Erkenntnisse Beurteilungen und Ausschließungen von sich geben können, und wie sie in diesem Zusammenhang dem Vorwurf der Falschinformation und der gezielten Irreführung der Öffentlichkeit begegnen. Desweiteren fordern wir sie auf, den aktuellen Stand der Ermittlungen offenzulegen
Wider den rassistischen Normalzustand in dieser Gesellschaft!

Initiative gegen Ausgrenzung (IGA),
AntiDiskriminierungsBüro Bielefeld

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