Sozialabbau als Aufhänger faschistischer Propaganda

Keine Antworten auf soziale Fragen

Leipzig. 1. Mai 1998: Für den traditionellen Kampftag der Linken planen die NPD und ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) den nächsten Versuch mit einer Großdemonstration diesen Tag auch für sich zu besetzen. Wie 1997 auch wollen sie gegen eine „rapide soziale Verelendung unseres Volkes demonstrieren". Das kreative Motto diesmal: „Wir schaffen Arbeit - Bonn schafft nichts". In der Hoffnung die Demonstration als Teil des Wahlkampfes vor einem Verbot zu retten, kündigen die Faschisten großspurig mehr als 10000 TeilnehmerInnen an. Auf gute Erfahrungen mit dem 1. Mai können die Nazis allerdings nicht zurückgreifen, auch diesmal wird bundesweit zur antifaschistischen Gegendemonstration mobilisiert.

1997 hatte die antifaschistische Gegenmobilisierung ein Verbot zur Folge. Der Ausweichversuch nach Hann. Münden endete für nicht wenige der 300 Nazis im Krankenhaus. 1993 und 1996 gelangen ihnen zwar kleine Aufmärsche in Berlin, 1992 und 1994 allerdings blieb ihnen dort nur die Flucht in die U-Bahn und Polizeiwannen.

Stehen auf einer Seite mit dem 'nationalen Kapital' -

Die Thematisierung der „sozialen Frage" nimmt in der Praxis der Faschisten einen immer größteren Raum ein. Vor allem die JN lassen kaum eine Möglichkeit aus zu versuchen, das Thema von rechts zu besetzen. Dies wurde auch auf einem Bundeskongreß der JN vergangenen Jahres in Leipzig beschlossen.

- Faschisten auf der Suche nach Erklärungsmustern für Sozialraub

Es liegt auf der Hand, welche Zielsetzung die Nazis mit dieser Neuausrichtung ihrer Politik verfolgen. Nach der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl und der fortschreitenden Verschärfung der AusländerInnengesetze wurden die Faschisten auf ihrem erfolgversprechendsten Terrain, der Hetze gegen Flüchtlinge, von den etablierten Parteien rechts überholt. Es ist dabei jedoch so, daß MigrantInnen wesentlich schärfer von den etablierten Parteien und ihrer Politik getroffen werden als von Nazis. Dies ganz einfach deswegen, weil es in der Macht der staatstragenenden Parteien liegt, abzuschieben, einzusperren und die institutionalisierte Unterdrückung auf verschiedenen Ebenen greifen zu lassen. Nun befindet sich die faschistische Bewegung auf der Suche nach einem erweiterten Aktionsfeld, daß ihnen mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und in den Medien verschaffen soll. Das Thema „Sozialabbau" scheint dafür besonders geeignet, denn auf kaum einem anderen Gebiet ist die Bevölkerung derart sensibilisiert. Das Thema von rechts zu besetzen, ist für die faschistische Bewegung offensichtlich erfolgversprechend. Damit ist nicht gemeint, daß es ihnen so gelingt, die Massen zu ihren Aufmärschen oder zur allgemeineren Vergrößerung der Nazi-Szene zu mobilisierten. Politisch jedoch erzielen sie zum einen mit ihren Forderungen und auch ihren Aktivitäten eine immer größer werdenende gesellschaftliche Verankerung und zum anderen wurden und werden wesentliche Aspekte faschistischer Ideologie von den Behörden umgesetzt. Die Jungen Nationaldemokraten propagierten mit dieser Thematik einen vermeintlichen „Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus als Gegenpol zur „liberalkapitalistischen Wirtschaftsordnung". Was sich auf den ersten Blick neu anhört, ist im Grund nichts neues. Denn schon die NSDAP trat in den dreißiger Jahren mit einem wirtschaftpolitischen Programm zu den Wahlen an, dem das der JN teilweise bis ins Detail gleicht.

1. Mai 92 Berlin: Die ersten Versuche, die 'soziale' Frage von rechts zu besetzen verliefen wenig erfolgreich

Und auch die vermeintlich antikapitalistische Ausrichtung entlarvt sich bei genauerem Hinsehen als Neuauflage altrechter Agitation. Privateingentum und unternehmerische Freiheit sollen nicht angetastet werden. Aus Sicht der Faschisten sind die sozialen Unterschiede, geschweige denn Klassen, gar nicht existent, sondern Trugbilder einer fehlenden Identität. Nach dem Motto „es gibt keine Klassen mehr, nur noch Deutsche" sollen sich Wirtschaft und Lohnabhängige zum Wohle der Nation an einen Tisch setzen. Im Kern geht es dabei wieder um nichts anderes, als die Unterordnunng aller Lebensbereiche unter die Prinzipien des deutschen Marktes und der Verwertbarkeit. So wird die Konkurrenz, das Klima der Angst und die Ellenbogengesellschaft weiter gefördert und gewollt – eben genau solche Komponenten des Kapitalismus, welche die Faschisten vorgeben abzulehnen. Als einzige „Lösung" der wirtschaftlichen Krise wird ein aggressiver Protektionismus, also eine Abschottung der nationalen Binnenmärkte propagiert. Kurzfristig soll auf Importe aus dem Ausland verzichtet werden, mittelfristig wird eine vollkommene ökonomische Unabhängigkeit angestrebt. Kernstück der Theorie vom Protekionsstaat ist jedoch die Forderung nach einem Beschäftigungsstop von „FremdarbeiterInnen" zum Vorteil der deutschen Bevölkerung. Sie findet in der hauptsächlich von der JN verbreiteten Parole „Deutsche Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" ihre Entsprechung, welche mittlerweile im gesamten rechten Spektrum Verwendung findet. Damit bewegen sich die Nazis wieder auf gewohntem Terrain, nämlich der Hetze gegen MigrantInnen.

Die Faschisten schweben mit ihren Forderungen keineswegs im luftleeren Raum. Rassistische und nationalistische Argumentationsmuster haben längst Einzug in die bürgerliche Politik gehalten. Der rechte Mainstream läßt kaum noch Unterscheidungen zwischen den etablierten Parteien zu. Ob Schröder oder Kohl, ob Glogowski, Beckstein oder Kanther, die Faschisten müssen sich ernsthaft Sorgen machen, daß ihnen ihre politische Programmatik nicht einfach geklaut wird. In Hamburg sahen sich die Republikaner schon genötigt unter dem Motto „Wir sind das Original" in den Wahlkampf zu ziehen. In Niedersachsen stahl Schröder den Reps immerhin fast ein Drittel ihrer Stimmen. Auch die Gewerkschaften lassen sich als Reaktion auf die wirtschaftliche Globalisierung, die eigentlich auch Internationalisierung der Arbeitskämpfe zur Folge haben müßte, auf die nationalistische Standortlogik ein und setzen auf die rassistische Karte. So verkündete IG-Metall-Chef Zwickel im Januar ’97 in einem Interview in der Zeitschrift Focus, eine Begrenzung der Zuwanderung sei nötig, „um den deutschen Arbeitsmarkt zu entlasten und den sozialen Sprengsatz zu entschärfen". Während sich gegen Zwickels Äußerungen noch Widerstand unter vielen linken GewerkschafterInnen regte, blieben die rassistischen Ausschreitungen während einer Demo der IG Bau weitgehend ohne Kritik. Die Baugewerkschaft hatte im März ’97 ihre deutschen Mitglieder zu eine Protestwoche mobilisiert, mit der gegen die Streichung des Schlechtwettergeldes, vor allem aber gegen Schwarzarbeit und Billiglöhne demonstriert werden sollte. Die Kundgebung richtete sich somit direkt gegen ArbeiterInnen aus sogenannten ... zumindest für die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst wurde etwas getan. Billiglohnländern wie Portugal und Rußland, die wirtschaftliche Armut in ihren Herkunftsländern, die häufig verursacht ist durch die imperialistischen Bestrebungen einiger Westmächte und auch das offensive Anwerben durch deutsche Firmen bringen viele Menchen aus anderen Ländern dazu, in Deutschland Arbeit zu suchen. Durch die Globalisierung der Arbeitsmärkte ist es zudem für die Unternehmer wesentlich einfacher geworden, erkämpfte soziale Rechte mit diesen Mitteln aus dem Weg zu räumen. Die Schuldigen werden wie so oft nicht oben gesucht, denn das müßte Arbeitskämpfe zur Folge haben, sondern wieder einmal wird ein Feindbild konstruiert, das von den wahren Ursachen der Mißstände ablenkt. Bei der Demonstration im März ’97 wollten es viele der „deutschen Kollegen" nicht beim verbalen Rassismus belassen und gingen am Potsdamer Platz mit Steinen auf FremdarbeiterInnen und deren Wohnunterkünfte los. Die Gewerkschaftsfunktionäre hatten Mühe, ihr Fußvolk zu einer Fortsetzung der Demo auf der geplanten Route zu bewegen.

Die aktuelle Politik der Gewerkschaften, die Auswege aus der wirtschaftlichen Krise im Protektionismus sucht, öffnet Tür und Tor für rassistisches und faschistisches Gedankengut. Schon heute existieren inhaltliche Berührungspunkte zur Sozialdemagogie der militanten Faschisten.

Aufgabe der antifaschistischen Linken muß es darum sein, bei der Auseinandersetzung mit der „sozialen Frage" eine antirassistische und internationalistische Perspektive zu entwickeln. Den Faschisten müssen ihre bisherigen Erfolge wieder aberkämpft werden was in Anbetracht der Strategie der Faschisten, den 1. Mai für sich zu vereinnahmen, besonders wichtig erscheint. Es kann dabei aber nicht nur um die Verhinderung geplanter Aufmärsche gehen, vielmehr gilt es, diesen Tag als Kampftag der revolutionären Linken aufrechtzuerhalten. Deshalb: Raus auf die Straße!

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