Zweiter Teil der Einsatz!-Serie zur Inneren Sicherheit

Zwischen Staat und Markt

In der letzten Ausgabe ist dargestellt worden, daß sich über Sicherheit überhaupt erst reden läßt, wenn es bereits ein gesellschaftliches Verhältnis gibt, das in irgendeiner Form Sicherheit auch praktisch herstellt. Weiter wurde gezeigt, daß diese gesellschaftliche Form, die Sicherheit produziert, mit der abstraktesten, einfachsten und gleichzeitig allgemeinsten gesellschaftlichen Vermittlung zusammenhängt, nämlich mit der Warenform und dem Geld, die im weitesten Sinne überhaupt erst so etwas wie Sicherheit im Sinne von Identität, Stabilität, Kontinuität, Rationalität, Kalkulierbarkeit, Kontrollierbarkeit u.ä. denkbar werden lassen. Diese grundlegenden gesellschaftlichen Verkehrsformen verdinglichen sich und werden dadurch sichtbar vor allem im bürgerlichen Staat.
Damit aber verdoppelt sich die Gesellschaft in Ware und Geld (im weitesten Sinne: Markt) einerseits und den Staat als ihre Reflexionsform andererseits.

Vertreter der inneren Sicherheit auf der rechten Seite der Medaille des Kapitals (AgitProp, Feb. 98)

Mit den historischen Anfängen des Warentauschs und des Geldes als „ideelles Gemeinwesen" (Marx) in der Antike tauchten auch die ersten Staatsformen als „reellem Gemeinwesens" (griechische Polis, das alte Rom) auf. Der Prozeß der Vergesellschaftung spaltet sich daher in die gegensätzlichen, aber aufeinander bezogenen Formen von Markt (geldvermittelter Warenverkehr) einerseits und Staat (Politik, Recht, Verwaltung, Umverteilung) andererseits. In dieser Spaltung verdoppeln Staat, Recht und Politik als Reflexionsformen des Marktes also nur die rein formalen, ökonomisch-marktförmigen Verhältnisse zwischen den Menschen, die nur als unsichtbares Ideal existieren („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit") und machen sie im Staat sichtbar, einklagbar und kontrollierbar (durch Justiz, Verwaltung, Information, Verteilung etc.). Die bürgerliche Welt zerfällt dadurch in den Dualismus von Ideal und Wirklichkeit, und es ist daher typisch bürgerliche Reaktionsform, das Ideal gegen die Wirklichkeit einzufordern. Auf der Oberfläche von Staat, Politik und Justiz erscheint jedoch lediglich das, was in den ökonomischen, gesellschaftlichen Verkehrsformen der Form nach schon bestimmt ist, um auf der Oberfläche eben als Staat, als Politik und als Justiz zu erscheinen. Und auch die bürgerlichen Ideale sind nichts anderes als diese gesellschaftlichen Verkehrsformen, die im Kapitalismus allgemein gültig geworden sind, auf ihren allgemeinen Begriff gebracht (statt gesellschaftlicher Verkehrsform und ihrer Oberfläche könnte man auch sagen Markt und Staat oder Kapitalismus und Demokratie.)

Trotz dieser Verdoppelung oder Spaltung der Gesellschaft in zwei gegensätzliche Momente ist die Gesellschaft natürlich immer nur eine Gesellschaft und die Spaltung nur eine aufgrund ihrer Einheit. Die gemeinsame Form, in der sich sowohl der Markt wie auch der Staat vermitteln muß, und durch die diese Einheit der gespaltenen Gesellschaft wieder hergestellt wird, ist das Geld. Der Staat besitzt dabei zwar die Macht zu allgemeiner Aneignung (heute vor allem in Form von direkten und indirekten Steuern), er muß sich dadurch aber immer aus der ökonomischen Reichtumsbildung der ihm entgegengesetzten, marktwirtschaftlichen „Basis" immer erst „ableiten". Bezogen auf die Sicherheit bedeutet das nun, daß auch die unterschiedlichsten Formen der Sicherheit – seien es nun repressive (Militär, Polizei, Justiz ) oder sozialstaatliche (Sozialhilfe, Bafög, Jugendpolitik etc. ) – immer in derselben Form, nämlich der Form, in der der allgemeine Reichtum erscheint, dem Geld vermittelt werden muß. Gerade weil diese Form aber allgemein und universell gültig ist, steht sie grundsätzlich beiden Momenten offen: Staat und Markt.

Lauscher im Dienst

Tatsächlich hat sich in der Frage der Sicherheit das Verhältnis von Markt und Staat in der Geschichte beständig verschoben. So waren z.B. die Gesetze ursprünglich vor allem auch Gesetze zum Schutz vor dem Staat. Unter Sicherheit wurde in viel stärkerem Maße die Sicherheit des Einzelnen vor staatlichen Übergriffen und Einmischungen verstanden. Vor allem in den wirtschaftsliberalistischen Modellen geriet der Staat sogar zum reinen „Nachtwächterstaat", der sich nur auf die allernötigsten Aufgaben beschränkten sollte. Historisch war dieses Staatsmodell jedoch kaum relevant, in aller Regel trat der Staat im Gegenteil als allgemeines Regulationsorgan und als Sicherheitsgarant gegen (vermeintliche) Bedrohungen von Innen und Außen auf. Seinen Höhepunkt erreichte der Staat in dieser Hinsicht meist in ökonomischen Krisenzeiten. Im Nationalsozialismus wurden ihm zusätzlich zu den repressiv-staatlichen Aufgaben auch die des Marktes übertragen: von der staatlichen Organisation der Beschäftigung und der Produktion bis zur Fixierung der Löhne, von der Regulierung der Finanzströme bis zur Verteilung der Güter und Festsetzung der Preise übertrugen die verschiedenen Kapitalfraktionen dem Staat nahezu uneingeschränkte Machtkompetenz (ohne daß dabei bekanntlich die Prinzipien kapitalistischer Produktionsweise aufgehoben wurden).

In der Nachkriegszeit etablierte sich in fast allen westlichen Industrienationen ein Staatsmodell das sich unter den Stichworten Keynesianismus und Sozialstaat zusammenfassen läßt: Der Staat greift lenkend und ausgleichend in das wirtschaftliche Geschehen ein, ohne dabei die Prinzipien kapitalistischer Markwirtschaft zu gefährden. Die fordistische Massenproduktion wurde an ein entsprechendes Lohniveau gekoppelt, das ein relativ stabiles Verhältnis von Masseneinkommen und Massenkonsum ermöglichte und eine breite bürgerliche Mittelschicht hervorbrachte. Durch die weltweite Krise in den 70er Jahren kehrte sich die Tendenz um, und der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten beschleunigt diese Wende noch: Durch die weltweite ökonomische Krisensituation (vorangetrieben durch das Ende der fordistischen Produktionsweise und die „Mikroelektronische Revolution", also durch Rationalisierung und Massenarbeitslosigkeit) geht den Staaten zunehmend das Geld aus: Um die Aufgaben der Sicherheit weiterhin übernehmen zu können, verzichtet er daher auf die kostenintensiven sozialstaatlichen Ausgaben für Sicherheit (Arbeitslosengeld, Sozialversicherung, Bildung, etc.) zugunsten von Sicherheit, die rein repressiv hergestellt wird (vor allem durch Polizei, Überwachung und Kontrolle). Doch die Umbildung vom Sozialstaat zum Sicherheitsstaat ist nur die eine Entwicklung. Gleichzeitig versucht der Staat nämlich, vormals klassisch-staatliche Aufgaben, und zwar sowohl die sozialen wie auch die repressiven(!), zu deregulieren und privatisieren.

So werden die beiden Seiten der Inneren Sicherheit, die sozialstaatlichen Leistungen wie auch die repressive Überwachung und Unterdrückung, nun zunehmend privat und marktwirtschaftlich vermittelt – Sicherheit wird zur Ware. Der Umbau vom Sozialstaat zum Polizeistaat ist daher nur die halbe Wahrheit, wenn der Staat sich insgesamt zum Marktobjekt entwickelt oder weite Teile seiner Aufgaben auf den freien Markt auslagert. In Zukunft sollen daher vielleicht DemonstrantInnen und Fußballvereine die durch sie verursachten Kosten übernehmen, Steuerhinterziehung soll durch private Denunziationen ermittelt werden, Geschwindigkeitsüberwachung wird an private Firmen weitergegeben usw. Schon jetzt gibt es Prügelnde Sicherheit während der LL-Demo, Berlin Jan. 98 mehr private Hilfssheriffs als staatliche Polizisten, und während mensch überlegt, was wohl schlimmer ist, bilden sich bereits private Bürgerwehren, die unentgeltlich auf „Verbrecherjagd" gehen oder an der Grenze „illegale Einwanderer" aufgreifen. Doch ob staatlich oder privat, wie immer zur Zeit Sicherheit auch hergestellt wird, es geht nicht um die Lösung der Ursachen, sondern nur noch um Verwaltung und Unterdrückung der Folgen. Hat sich dafür erst einmal ein privater Markt gebildet (wie z.B. das Gefängnissystem in den USA), so bekommt diese Entwicklung eine wirtschaftliche Eigendynamik, setzt sich dauerhaft fest und ist nur noch schwer umkehrbar.

Ging es in den 70er Jahren zumindest dem liberalen Bildungsbürgertum immerhin noch ansatzweise um die sozialen Ursachen von Kriminalität, Gewalt etc., so konkurrieren mittlerweile alle Seiten nur noch um das effektivste und kostengünstigste Sicherheitsmodell: Die Grünen wollen für die Polizei mehr „Bürgernähe", die FDP will die Sicherheit am liebsten ganz privatisieren, die SPD glaubt, Repression „geht auch menschlich", und die CDU will sowieso nur noch alles abschieben und verbieten.

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