Gegen die Sicherheit der Herrschenden
Göttingen. Unter dem Motto „Zusammen kämpfen gegen Polizei- und Überwachungsstaat! – Die Innere Sicherheit erschüttern!" demonstrierten am 21. Februar ’98 über 500 AntifaschistInnen in Göttingen. Kurz vor der niedersächsischen Landtagswahl sollte noch einmal deutlich gemacht werden, daß „die Innere Sicherheits-Debatte eine Scheindebatte ist, bei der es nicht darum geht, die Interessen der Schwachen dieser Gesellschaft zu schützen, sondern nur darum, die Verwertungsbedingungen der politisch und ökonomisch Herrschenden abzusichern." (Redebeitrag der Autonomen Antifa (M)). Es war seit dem 2. Oktober ’96 die Antifa-Demonstration in Göttingen mit größter Beteiligung, wodurch klar wird, daß auch ein Thema wie „Innere Sicherheit", die über den klassischen Antifa-Bereich hinausgeht, ein Anliegen der Beteiligten ist und durchaus wert ist, aus antifaschistischer Sicht beleuchtet und bekämpft zu werden.
Von der regen Beteiligung zeigte sich auch die Göttinger Polizei überrascht, sie hatte nach eigenen Angaben mit 250 TeilnehmerInnen gerechnet. Daß sie dennoch über 1000 Beamte aufgeboten hatte, zeigt, welcher Wind in Göttingen weht. Die „neue harte Linie" stellte die Staatsmacht auch gleich zu Beginn der Demonstration unter Beweis: Schon nach wenigen Metern wurde die Demonstration gestoppt, weil sich angeblich Vermummte in Zug befunden hätten und an der Seite zwei Seile mitgeführt wurden. Nach heftigen Rangeleien, Tritten, Knüppel- und Faustschlägen, wurde schließlich ein Seil, ein Seitentransparent und eine Fahne entwendet. Geschlossen aber keineswegs eingeschüchtert zog die Demonstration unter teilweise zweireihigem Polizeispalier weiter.
Begonnen hatte der Tag mit einem AgitProp-Stück des Vereins zur Förderung antifaschistischer Kultur und der Autonomen Antifa (M). Anhand einer riesigen Medaille – die symbolisch für das kapitalistische System stand – wurde der Zusammenhang zwischen Sozialraub und Polizeistaat, die zwei Kehrseiten einer Medaille, dargestellt. VertreterInnen der Inneren Sicherheit verdeutlichten, gegen wen sich diese Sicherheit richtet und für wen es hier sicherer werden soll. Aufgegriffen wurde diese Thematik auch in den zahlreichen Redebeiträgen der Demonstration und an den verschiedenen „exponierten Objekten" an der Demonstrationsroute. Diese, besonders das Sicherheitszentrum am Leinekanal und der Polizeineubau, waren dann auch martialisch abgeschirmt. Auch hier kam es wieder zu Rangeleien. Insgesamt drei Anzeigen hat die Polizei an diesem Tag erstattet, einmal wegen „Vermummung" und zweimal wegen „Beamtenbeleidigung". Alles in allem stieß das Polizeiaufgebot auf sichtbares Unverständnis auch unter PassantInnen und JournalistInnen.
Nicht so einsatzfreudig waren die Beamten allerdings, als ein Journalist von einem Rentner am Rande der Demonstration mit CS-Gas besprüht wurde. Erst nach deutlicher Aufforderung von PassantInnen nahmen sie die Personalien des Mannes auf. Nicht sonderlich zu stören schien die Polizei auch ein Angriff mit Wasserbomben und ebenfalls mit Wasser gefüllten Säcken aus einem Haus Ecke Groner Straße/Papendiek. Die Antwort der Demonstration „Wir kriegen euch alle!" wartet wohl noch auf einen praktischen Nachweis.
Einigkeit unter vorbereitenden Gruppen dürfte darüber bestehen, daß die Demonstration ein Schritt in die richtige Richtung war. So erklärte eine Sprecherin der Autonomen Antifa (M): „Über 500 Menschen sind für Göttingen ein voller Erfolg. Beim nächsten Mal werden es noch mehr sein." Die Aktion in Göttingen war der gelungene Auftakt der Kampagne der Antifaschistischen Aktion/ Bundesweite Organisation (AA/BO) und es bleibt zu hoffen, daß das Thema „Innere Sicherheit" von noch mehr Menschen in ihren politischen Initiativen aufgegriffen wird. Auch wenn Teile der Presse im Vorfeld eine Berichterstattung wieder verweigert hat (Göttinger Tageblatt). Begründung dieses Mal: Damit würde für die Demonstration mobilisiert und außerdem zu Straftaten aufgerufen werden. Selbstzensur oder politisches Vorgehen?! Ob beim nächsten Schweinshaxenessen der Mittelstandsvereinigung auch so argumentiert wird, oder dann doch wieder die so viel beschworene Chronistenpflicht der freiwilligen Selbstzensur überwiegt, ist wohl kaum eine Frage.