Antifaschismus läßt sich nicht verbieten!
Saalfeld. 11. Oktober '97: In ganz Thüringen regiert eine Armee aus Polizei und Bundesgrenzschutz. Tausende Beamte sind aufgeboten, um das Verbot einer antifaschistischen Bündnisdemonstration in Saalfeld durchzusetzen. So unverhohlen zeigt sich der Polizeistaat selten. Trotz des landesweiten Demonstrationsverbotes führen AntifaschistInnen an diesem Tag mehrere Demonstrationen in Thüringen mit insgesamt mehr als 1500 TeilnehmerInnen durch. Höhepunkt ist die erzwungene Blockade der A9 von mehr als 400 Menschen. Alle BlockiererInnen wurden später festgenommen und unter skandalösen Haftbedingungen z.T. mehrere Tage inhaftiert.
Unter dem Motto „Den rechten Konsens durchbrechen!" sollte mit der Demonstration ein Zeichen gegen die lokale Nazi-Szene und die diese strukturell fördernde „akzeptierende Jugendarbeit" gesetzt werden. Ebenfalls sollte die stillschweigende Hinnahme faschistischer Übergriffe durch viel zu große Teile der Gesellschaft thematisiert werden. Nach Ankündigung der Demonstration begann eine zielgerichtete Hetzkampagne gegen die OrganisatorInnen durch die örtliche Presse sowie von Landes- und LokalpolitikerInnen. Diese befanden sich in bester Gesellschaft von faschistischen Morddrohungen gegen den Demonstrationsanmelder und der Ankündigung eines Nazi-Aufmarsches zur gleichen Zeit. Der angekündigte Nazi-Aufmarsch mußte dann als Hauptgrund für das Verbot herhalten, da die „zu erwartenden gewaltbereiten Teilnehmer der Antifademonstration von außerhalb" die direkte Konfrontation mit den Nazis suchen könnten. Eine Argumentation, die keine ist, aber Schule macht: Mit ähnlicher Begründung erfolgte das Verbot einer antifaschistischen Kundgebung am 8. 11.'97 in München (siehe EinSatz! Nr. 26).
Nach diesem Strickmuster geplante Verbote antifaschistischer Aktionen in Freiberg, Dresden und Passau wurden erst von den zuständigen Gerichten wieder aufgehoben.
Von einem Verbot ist auch die für den 14. März '98 erneut geplante Demonstration in Saalfeld bedroht. Thüringens Innenminister Dewes (SPD) – Hauptverantwortlicher für die Polizeistaatsaktion am 11. Oktober '97 – hat zwar angekündigt, die Demonstration zu ermöglichen, betonte allerdings, daß „er dafür Sorge tragen würde, daß reisende Chaoten an diesem Tag nicht nach Saalfeld kommen würden." Auch die Nazis haben wieder eine Gegendemonstration in Saalfeld angemeldet. Kurz vor Redaktionsschluß verbot Dewes die geplante Route der antifaschistischen Demonstration durch die Saalfelder Innenstadt.
Ob Dewes mit seiner Verbotsforderung durchkommt, ist fraglich. Bereits der 11. Oktober '97 hat gezeigt, daß sich Antifaschismus nicht verbieten läßt. Dem wird auch am 14. März so sein. Bereits jetzt rufen über 150 Organisationen und Einzelpersonen zur Demonstration nach Saalfeld auf. Das Bündnis hat sich nicht spalten lassen, sondern ist gestärkt aus dem Verbot hervorgegangen. Die Notwendigkeit, ein Zeichen in Saalfeld zu setzen, ist ebenfalls gewachsen. Nicht nur gegen Versuche der Faschisten, in Saalfeld eine „national befreite Zone" zu errichten, sondern auch gegen Versuche von Staatsseite, radikalen Antifaschismus zu ver- bzw. zu behindern.
Saalfeld und die Region ist bereits seit Jahren Schauplatz auch größerer faschistischer Aktivitäten gewesen. Bundesweites Aufsehen erregte bereits 1992 der „Heß-Aufmarsch" von 2500 Faschisten im nahe gelegenen Rudolstadt. Seitdem versuchen verschiedene Nazi-Kader, so z.B. Thomas Dienel, festere Strukturen in der Region aufzubauen. Tagungen, Konzerte und immer wieder Übergriffe auf Antifas gehören in der Region zum Normalzustand.
Hinzu kommt die direkte oder indirekte Unterstützung der Faschisten durch staatliche Stellen. So setzen sie sich verstärkt in Jugendclubs fest und schaffen sich damit unter dem Deckmantel der „akzeptierenden Jugendarbeit" Strukturen. Durch die Toleranz faschistischer Ideologien werden Nazis nur vorgeblich von der Straße geholt. Tatsächlich bietet die „akzeptierende Jugendarbeit" Nazis Räumlichkeiten, Sammelpunkte und neue Rekrutierungsmöglichkeiten. Wie erfolgreich diese Form des staatlichen Umgangs ist, zeigen unzählige „national befreite Zonen", wie es im faschistischen Jargon heißt. Gerade im Osten hat sich darüber eine faschistische Jugendsubkultur entwickeln können. Faschisten prägen ganze Stadtteile oder sogar Städte, sie sind keine Randerscheinung mehr, sondern „akzeptierter" Alltag. Nicht mehr über politische Parolen wird der Großteil des Nachwuchses erreicht, sondern über faschistische Subkultur als Anziehungspunkt ohne Alternativen. Der rechte Zeitgeist tut dabei sein übriges: Auch die etablierten Parteien vermitteln ganz offen Werte, wie Ordnung, Sauberkeit, Deutschtümelei und Rassismus. Werte also, die besten Nährboden für faschistisches Gedankengut darstellen. Das ist es, was mit „rechtem Konsens" gemeint ist. Nazis werden von konservativen Teilen der Bevölkerung gedeckt und von der lokalen Presse verharmlost. Das Hetzobjekt sind Flüchtlinge, Linke und Punks.
Genau deshalb ist es notwendig, mit einem breiteren Bündnis nach Saalfeld mobilisieren. Die schon lange andauernde, aber immer noch fortschreitende Rechtsentwicklung der Gesellschaft muß von möglichst vielen gesellschaftlich relevanten Kräften bekämpft werden. Gerade jetzt, wo nur noch Reste einer einstmals linksliberalen Öffentlichkeit übriggeblieben sind, darf sich keine der Bündnis-Gruppen in die gesellschaftliche Isolation begeben, denn ein isolierter Protest würde in der Luft verpuffen. So setzt ein solches Bündnis, daß sicherlich viele Schwierigkeiten und politische Differenzen in sich birgt, die Erkenntnis über den Ernst der Lage und damit die gegenseitige Akzeptanz der einzelnen Gruppen und ihrer Widerstandsformen voraus.
Die Demonstration in Saalfeld „Gegen jeden rechten Konsens! – Stoppt faschistische und rassistische Übergrifffe!" sollte diese Erkenntnis zum Ausdruck bringen und zeigen, daß trotz staatlicher Verbotspolitik, daß trotz eines rechten Konsens und einer sich ausbreitenden faschistischen Jugendsubkultur breiter antifaschistischer Widerstand möglich und notwendig ist.