Die Zukunft Kurdistans steht in roten oder US-Sternen

Diplomatie als Chance?

Imrali. Am 2. August 1999 rief der wenige Wochen zuvor zum Tode verurteilte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan die PKK dazu auf, „vom 1. September an den bewaffneten Kampf zu beenden und alle bewaffneten Kräfte auf Territorien außerhalb der türkischen Staatsgrenzen zurückzuziehen." Die PKK erklärte wenige Tage später, daß sie diesem Aufruf vollständig zustimme. Gleichzeitig kündigte sie die Umgestaltung der Partei in eine demokratische Kraft auf legalen Grundlagen an.

Dieser Schritt ist der vorläufig letzte Punkt einer Entwicklung, die sich seit längerer Zeit abzeichnete, und in der die PKK versucht hat, als politischer Verhandlungspartner anerkannt zu werden. Über mehrere einseitige Waffenstillstände seit 1993, die Forderung nach einem Autonomiestatus anstatt der nach einem eigenen Staat (1995), die Bemühungen Öcalans in Rom, die EU für eine politische Lösung in Kurdistan zu gewinnen, bis hin zu Öcalans Prozeßerklärung zeigt sich die konsequente Verfolgung eines auf Diplomatie abzielenden Kurses. Dies wird in der europäischen Medienöffentlichkeit jedoch ignoriert und Öcalans Verhalten und das der PKK als plötzliche Kapitulation erklärt. Eine sachliche Bewertung, ob der Kurs der PKK erfolgreich sein kann oder in die Ausweglosigkeit führt, ist auf diese Weise jedoch nicht möglich.

Entgegen vieler Erwartungen nutzte Öcalan seine Prozeßerklärung nicht zu einer Anklage des türkischen Regimes, sondern ging noch hinter die Autonomieforderungen von 1995 zurück, indem er eine Lösung im Rahmen einer nur vage definierten „demokratischen Republik" unterbreitete. Nur wenig später folgte dann der Aufruf zum Rückzug der Guerilla. Das schnelle Einverständnis der PKK mit „Personenkult" erklären zu wollen, wäre zu einfach. Vielmehr handelt es sich um ein schon vor der Entführung festgelegtes Vorgehen. Die Türkische Republik (TR) wird sich nicht mit der PKK an den Verhandlungstisch setzen. Vorbedingungen hätten zur Folge, daß die TR Zugeständnisse nicht als eigene Initiative ausgeben könnte. Daher das Zurückweichen der PKK in militärischer und politischer Hinsicht. Gleichzeitig steht die Drohung im Raum, sollte die TR weiterhin nicht zu Zugeständnissen bereit sein, den bewaffneten Kampf auf andere Weise, d.h., durch Angriffe auf wirtschaftliche und militärische Ziele in der Westtürkei fortzusetzen.

Die Interpretationen der jüngsten Entwicklungen gehen auseinander: Sowohl die Frage, ob es sich um taktische Schritte im Rahmen einer Strategie, die eine bürgerliche Demokratisierung als Vorbedingung für eine sozialistische Revolution ansieht, oder aber um einen Strategiewechsel handelt, ist ungeklärt, ebenso die Frage, ob ein solches Vorgehen überhaupt positive Resultate hervorbringen kann. Teils wird erwartet, daß die Türkei nicht darauf reagieren und dadurch einen enormen moralischen Schaden erleiden wird, andere sehen die Gefahr, daß die kurdische Bewegung durch kleinere kulturelle Zugeständnisse ins System integriert werden könnte, ohne eine wirkliche Verbesserung der Situation in der Türkei und Kurdistan herbeizuführen.

Nicht zuletzt muß bei der Betrachtung der Lage das Faktum des Imperialismus berücksichtigt werden, denn die Politik der TR ist von der NATO abhängig. Der Versuch der PKK, die Interessenkonflikte zwischen USA und EU auszunutzen, ist gescheitert. Die Bemühungen Öcalans in der Phase von Rom, die EU als Fürsprecher zu gewinnen, endete mit seiner faktischen Auslieferung an das türkische Regime.

Die neuen Schritte der PKK haben vorläufig einen Keil zwischen USA und TR getrieben, denn für die US-Befriedungsstrategien im Nahen Osten stellt das Angebot der PKK eine Hoffnung dar, während die türkische Regierung Verhandlungen bislang weiter ablehnt und eine militärische Vernichtung der PKK anstrebt. Jedoch ist abzusehen, daß die TR sich früher oder später den Vorgaben aus Washington beugen muß. Dann wird sich die Frage stellen, ob die PKK in ihrer Handlungsfähigkeit weiter ausreichend souverän bleibt, um das Ziel einer Revolution im Nahen Osten weiterzuverfolgen, oder ob sie sich in die US-Strategie hineinziehen und zu einer Kraft umformen läßt, die die Ausweitung des imperialistischen Einflußgebiets in Richtung Kaukasus und Iran/Irak unterstützt. Teile der als neues Manifest der PKK anerkannten Prozeßerklärung lassen letzteres befürchten.

Klar ist jedoch auch, daß das politische Bewußtsein, das die PKK in ihrem fünfzehnjährigen Kampf geschaffen hat, nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden wird. Die von der PKK beeinflußten KurdInnen stellen daher weiterhin sowohl in der Türkei und Kurdistan als auch in Europa eine wichtige fortschrittliche, linke Kraft dar. Nachrufe auf die kurdische Befreiungsbewegung wären wohl verfrüht.

[-] [!] [+]