Schuss in den Ofen

Distanzwaffenforschung ein Fiasko

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Ein bayerischer Innenminister war mal wieder vorneweg: Wenige Tage nach Pfingsten lancierte Karl Hillermeier seinen Wunsch nach einem "Wirkwurfkörper" der Waffen- und Flugzeugkonstrukteure MBB.


Seit fast zwei Jahren sitzen MBB-Ingenieure an einem Auftrag der Innenministerkonferenz vom Juni 1984. Diese beschloss damals, neue Distanzwaffen "unterhalb der Schwelle des Schusswaffengebrauchs unter besonderer Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit" entwickeln zu lassen. Die physikalischen Grundlagen hatte zuvor das Frankfurter Batelle Institut geliefert, eine massgeblich mit Geldern des Verteidigungsministeriums finanzierte Forschungseinrichtung. Ein Problem machte den Wissenschaftlern zu schaffen; Die Gesetze der Mechanik lassen es nicht zu, dass' ein Geschoss über die geforderte Distanz von 60 Metern gleichbleibend "umwerfende" Wirkung zeigt, ohne dass ernsthafte Verletzungen auftreten. Denn die Geschwindigkeit und damit auch die Wucht beim Auftreffen, nimmt mit der Entfernung ab. Die MBB-Forscher kamen deshalb zu dem Ergebnis, das Geschoss mit einem raketenähnlichen Eigenantrieb zu versehen. Doch diese Lösung geriet zum Flop: Wenn in zehn Meter Entfernung jemand getroffen wird, brennt die für 60 Meter berechnete Treibladung weiter und setzt den Getroffenen in Brand. (1)

Vier verschiedene "Wirkkörper" sollte MBB der Innenministerkonferenz vorlegen. Einzig das 70 mm kalibrige Abschussgerät, von zynischen Polizeikritikern auch "Zimmermannorgel" genannt, ein panzerfaustähnliches Metallrohr, konnte im Test überzeugen. Die Geschosse hingegen gerieten zum Misserfolg- "Ein Fortschritt im Hinblick auf die polizeitypische Waffe … ist nicht zu erkennen", lautet der ernüchternde Schluss der Technischen Kommission der Innenministerkonferenz. (2) "Die physikalischen Gesetze lassen sich nun mal nicht per Innenministerbeschluss überlisten", spottete Wolfgang Dicke, Vorstandssekretär der Gewerkschaft der Polizei und Waffenexperte seiner Organisation. (3)

"Hohes Verletzungsrisiko"

Ein internes Papier der Polizeiführungsakademie (PFA) nennt die Gründe: - Der "Wurfwirkkörper (WK 1)" erreicht mit Eigenantrieb eine Einsatzreichweite von 60 Meter. Allerdings gibt der Diplom-Physiker Prof. Dr. med. K. Sellier vom Institut für Rechtsmedizin in Bonn in einem begleitenden Gutachten für die PFA über die biomechanische Wirkung des WK 1 ein "hohes Verletzungsrisiko" an. Selbst bei einer reduzierten Mündungsgeschwindigkeit von 50 m/s seien noch "Schädelbrüche, Bewusstlosigkeit, Lungenblutungen und Rippenbrüche zu erwarten". So kommt das Polizeipapier zu dem Ergebnis, "die ursprüngliche Idee eines umwerfenden Wuchtkörpers mit nur geringer Schmerzwirkung - wie beim Boxhieb kann allerdings nicht verwirklicht werden." Deshalb, und wegen unsicherer ballistischer und Treffeigenschaften, seien "noch weitere Überlegungen erforderlich".

Die Alternative: Blei?

Der 2,2 Millionen D-Mark teure Entwicklungsauftrag - lediglich das sozialdemokratische Hamburg hat sich an den Kosten nicht beteiligt - verspricht zum Fiasko zu werden. Bereits im Februar dieses Jahres haben sich die SPD-Innenminister entschlossen, für den Abbruch des Projektes zu stimmen. Nur der Bremer Senatsdirektor Hans-Jürgen Kahrs, Vorsitzender der Fachkommission "Besondere Waffen" möchte noch eine weitere technische Variante zwischen Wucht- und Schrotgeschossen testen. (2) GdP-Waffenexperte Wolfgang Dicke bezeichnet jedenfalls die bisherigen Ergebnisse als "Schuss in den Ofen" und rechnet mit der Möglichkeit, dass die nächste Innenministerkonferenz im Herbst das gesamte Projekt mit "einem Begräbnis erster Klasse" zu Grabe trägt. Dann, so der Gewerkschafter, müssten seine Kollegen eben mit dem vorhandenen Arsenal auch weiterhin auskommen.

Schlimm genug.

Quellen:

  1. taz, 24.5.86
  2. Stern, 7.5.86
  3. wie 1