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Die "Lücke" ist geschlossen

Mit perfektem Polizeiarsenal sicher durch die 80er Jahre

Mit der Polizeiausrüstung ist es wie mit der Strategischen Rüstung: Wer mehr und perfektere Waffen haben will, muss Lücken entdecken. Das Aufrüstungsprogramm der Bereitschaftspolizeien der Länder und des Bundesgrenzschutzes bietet dafür ein anschauliches Beispiel: Seit Mitte der 70er Jahre wurde systematisch Lücke für Lücke ausgemacht und mit modernstem Gerät aufgefüllt. Den Rest erledigten eine perfekt inszenierte Propaganda und einschlägige Firmen. Der Anlass: Die grossen Demonstrationen der Anti-AKW-Bewegung und die strukturierte Militanz von Brokdorf und Grohnde hatten unvermutet aufgezeigt, dass Polizeieinheiten kurzfristig auf dem Schlauch standen: Da gingen in Brokdorf plötzlich die CN-Vorräte zur Neige, ganze Hundertschaften gerieten in Bedrängnis durch trainierte Anti-AKW-Bi's, und Wasserwerfer zeigten kaum noch Wirkung, da sie aufgrund geringer Tankkapazitäten ständig leer liefen. Kurz: Die Polizei sah ihren Rüstungsvorsprung gefährdet.

In den folgenden Jahren führten Techniker, Polizeitaktiker und Entwicklungsingenieure die Regie. Seitdem haben sich die bundesdeutsche Polizei und der BGS zu einer modernen Bürgerkriegsarmee gewandelt: Hochtechnisiert, schnell und von Kopf bis Fuss auf Prügel eingestellt.

Der lange Arm

Die älteste Polizeiwaffe ist der Schlagstock, der Nachfolger des preussischen Gendarmensäbels. Er verlängert sozusagen direkt den Polizistenarm. Die klassische Version ist kurz, aus Hartgummi und findet seine Grenzen, wenn in Rangeleien kein Platz zum Ausholen ist. Des Abstandes wegen wurde folglich das Modell verlängert - auf 80 bzw. 100 cm der Hartgummiknüppel, auf bis zu 1,50 m Knüppel aus Eschenholz, die zur Ausrüstung von Sondereinheiten gehören, deren Aufgaben überwiegend darin bestehen, Menschenansammlungen regelrecht auseinanderzuknüppeln.

Ein Nachfolgemodell ist bereits in der Entwicklung: Glasfaserknüppel, die nicht brechen und gleichzeitig elastisch sind. Auch bei der Polizei ist der Trend zu Erzeugnissen der chemischen Industrie nicht zu übersehen - wäre vielleicht mal ein Ansatz für eine ökologische Polizeikritik.

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Kampfstoffe gegen die Bevölkerung

In internationalen Konflikten verboten, aber weltweit bei inneren Unruhen im Einsatz: Kampfstoffe aus der Reihe der Tränengase. Hier haben Chemiker, Physiker und Techniker die möglichen Einsatzformen weitgehend ausgeschöpft: von 1 bis 120 Meter reichen die Einsatzdistanzen.

Die Debatte um CS, das in christlich regierten Ländern eingelagert ist, mutet vor diesem Hintergrund wie eine inszenierte Ablenkung an: Zugegeben, das Zeug ist stärker als CN und verliert seine Wirkung auch nicht bei niedrigen Temperaturen, aber entscheidend bleibt in erster Linie die Einsatztechnologie - im militärischen Sprachgebrauch-, die Trägerwaffen. Und gegen deren Einführung regte sich kaum Widerspruch.

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Volles Rohr

Zur wirkungsvollsten Distanzwaffe der 80er Jahre haben sich die Hochdruckwasserwerfer entwickelt. Die alten Modelle waren zwar auch nicht von Pappe, aber Druckstärken und Tankkapazitäten hatten ihre Abschreckung verloren. Von 1977 bis 1981 entstanden deshalb die Bauserien WaWe 6000 und WaWe 9000. Die Tanks wurden grösser, die Reichweite steigerte sich von 35 Meter auf 65 Meter, und der Druck verdoppelte sich auf glatte 16 bar. Zum Vergleich: Hydranten des öffentlichen Wassernetzes haben 4 bar Druck- die Feuerwehr fährt ihre Schläuche mit knapp 10 bar.

An den WaWe 6 und 9 wurde nichts vergessen, Bug- und Heckrohr in Stossstangenhöhe decken den toten Winkel nach vorn und hinten ab. Der Rundumblick wird nach hinten durch eine Kamera ermöglicht, nach vorn und seitlich geben grossflächige, bruchsichere Acrylglasscheiben einen freien Blick. (2)

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Potentiell tödliche "Hilfsmittel"

Seit bald zehn Jahren blieben Versuche erfolglos, die Polizeigesetze der Länder bundesweit zu vereinheitlichen. Das ist eine lange Geschichte, die in diesem Zusammenhang nur hinsichtlich der sog. Waffen und der Hilfsmittel des unmittelbaren Zwangs von Interesse ist. Die Einsatzmittel haben sich nämlich fortentwickelt, die Gesetze nicht. Die Folgen beschreibt der Bremer Anwalt Bernhard Docke, der einige Demonstrationsverletzte vertritt: Hochdruckwasserwerfer, deren Auswirkungen "vergleichbar einer Geschosswaffe mit Breitflächenwirkung" sind, werden in den Gesetzen weiterhin als Hilfsmittel geführt. Das gilt ebenfalls für Knüppel und die geschossähnlichen Kampfstoffe. (3)

Für die Polizeipraxis bedeutet dies: Ein Hilfsmittel kann mehr oder weniger nach der sog. Verhältnismässigkeit der Mittel eingesetzt werden, die Entscheidung darüber liegt auf den unteren Führungsebenen. Im Gegensatz zu Schusswaffen bedarf es dann keines anschliessenden Berichtes über die Berechtigung des Einsatzes. Die Schwelle sitzt dementsprechend niedrig.

Der polizeilichen Aufrüstung wurde vor allem mit dem Argument der Weg geebnet, "militante Störer" könne die Polizei sich nur mit "Distanzmitteln" vom Leibe halten. Insbesondere die Gewerkschaft der Polizei tat sich mit anhaltendem Ruf nach einer besseren Eigensicherung für die Ordnungskräfte hervor. Doch wer verstärkte Verteidigungsfähigkeit fordert, meint in der Regel Aufrüstung zu Angriffszwecken. Auch hierin entsprechen sich Militärs und Polizeiführer. Und folgerichtig beschrieben Polizeitaktiker die Anforderungen an Distanzmittel ganz unverblümt Hochdruckwasserwerfer beispielsweise müssten "ggf. schmerzhaft sein, umwerfen und verletzen können", forderte 1980 der damalige Chef der Hamburger Wasserwerferzüge - eine "kalte Dusche reicht nicht". (4)

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Niedrige Hemmschwelle

Doch neben der vorgeblichen Eigensicherung und der taktischen Anforderung, gegen Militante auch jenseits der Steinwurfgrenze gezielt vorgehen zu wollen, bietet das Stichwort Distanzwaffe noch einen dritten, mehr psychologischen Aspekt- Aus Untersuchungen an Soldaten lässt sich ablese n, dass mit zu-, nehmender Entfernung zwischen Täter und Opfer eine Abstumpfung eintritt. Wer die Folgen seiner Handlungen nicht unmittelbar sieht, braucht sich auch nicht vor sich selbst zu verantworten, und entfernt sich, distanziert sich damit von seiner (psychologisch gesprochen) Mitleidsfähigkeit. Auch deshalb sinkt die Einsatzschwelle potentiell tödlicher, hochtechnisierter Polizeiwaffen.

Aus der offiziellen Begründung, mit Distanzmitteln einzelne "Störer" oder kleine militante Grüppchen in die Schranken verweisen zu wollen, um das Recht auf friedliche Demonstrationen zu gewährleisten, ist in der Polizeipraxis längst ein Konzept zur Bekämpfung von protestierenden Menschenmengen geworden. Die staatliche Gewaltorgie vor dem AKW Brokdorf, der grossflächige Abwurf von CS-Behältern aus Hubschraubern, die Zusammenstellung von 41 Wasserwerfern am WAA-Bauzaun zu Ostern 86, die Beschiessung von Unbeteiligten, Kindern und Sanitätskräften mit CS zeigen deutlich, dass die gesamte Anti-AKW-Bewegung befriedet werden soll. Wer CS derart hemmungslos über's Volk bringt, hat die Grenze zwischen gesetzlich festgelegtem Polizeiauftrag und Aufstandsbekämpfung längst überschritten.

Es gehört zu den absurden Begleiterscheinungen, dass die Forderung nach Distanzwaffen ursprünglich einen durchaus fortschrittlichen Ansatz hatte. Es war nämlich die Gewerkschaft der Polizei, die jahrelang die militärische Ausbildung und Ausrüstung der Bereitschaftspolizisten beharrlich ablehnte, Handgranaten und Maschinengewehre aus den Arsenalen verbannt sehen wollte und stattdessen eine polizeitypsiche Bewaffnung forderte, die den Schusswaffeneinsatz überflüssig machen sollte. Das Ergebnis ist, dass heute das ausgeklügelte Distanzwaffenarsenal und eine ganze Palette Schusswaffen zur Verfügung stehen.

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Die innenpolitische Abschreckungsdoktrin

Für jede einzelne Waffe der genannten Aufzählung sind seit ihrer jeweiligen Einführung schwerste Verletzungsfolgen dokumentiert. Und die Zahl der fast tödlichen Zwischenfälle hat in den letzten Jahren zugenommen. Es gibt Einsatzgruppen und Einsatzbefehle, deren einziges Ziel darin besteht, Menschenansammlungen ohne Pardon auseinanderzuprügeln oder mit anderem Gerät am Protest zu hindern. Und es herrscht häufiger als man glaubt, auf Polizeiseite eine Stimmung, die sich in dem Wunsch ausdrückt, dem ganzen Demonstrantenspuk am liebsten gleich den Garaus zu bereiten. Es mutet gelegentlich wie ein Wunder an, dass nicht bereits viel mehr schlimme Folgen aufgetreten sind und mehr als die Todesfälle Günter Sare und Alois Sonnleitner.

Die politischen Verhältnisse der BRD schreiben der Polizei die Aufgabe zu, Protestbewegungen auf der Strasse mit einem abgestuften Gewaltkonzept niederzuhalten, mit der jeweils geringstmöglichen Gewalt. Zu dieser innenpolitischen Abschreckungsdoktrin gehören allerdings auch die gezielte Eskalation: entweder um exemplarische Strafaktionen vorzuführen oder um Radikalisierungen einen Riegel vorzuschieben.

Die vorhandene Unterdrückungstechnologie entspricht von ihrer technischen und taktischen Konzeption her exakt diesem doppelsinnigen Polizeiauftrag. Die Polizeieinsätze von Brokdorf und Wackersdorf sind deshalb auch nicht zufällige Amokläufe einzelner Einsatzleiter, sondern Ergebnis der zielstrebigen inneren Aufrüstung. Eine "Demonstrationsdemokratie" sei nicht erwünscht, meinte unlängst ein führender CSU-Politiker. Was auf gut Deutsch heisst: Das Volk soll alle vier Jahre ein Kreuz machen und ansonsten die Schnauze halten. Sonst gibt's was drauf.

Quellen:

  1. laut Interner Bericht der Innenministerkonferenz vom Herbst 1981, und Jahrgänge 1980-86 von Die Polizei, Deutsche Polizei, Bereitschaftspolizei heute, Polizei - Technik - Verkehr
  2. siehe Quellenangaben in Artikel: Wasser marsch'
  3. Stern, 20.6.84
  4. bepo-heute, 4/80