Über die Gewalt

Der reissende Strom
wird gewalttätig genannt
aber das Flussbett
das ihn einengt
nennt keiner gewalttätig

Berthold Brecht

Bewaffneter Friede

Ganz unverhofft an einem Hügel,
Sind sich begegnet Fuchs und Igel.

Halt, rief der Fuchs, du Bösewicht.
Kennst du des Königs Ordre nicht?
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weisst du nicht, dass jeder sündigt,
Der immer noch gerüstet geht?
Im Namen seiner Majestät,
Geh her und übergib dein Fell.

Der Igel sprach: Nur nicht so schnell.
Lass dir erst deine Zähne brechen,
Dann wollen wir uns weitersprechen.

Und allsogleich macht er sich rund,
Schliesst seinen dichten Stachelbund
Und trotzt getrost der ganzen Welt,
Bewaffnet, doch als Friedensheld.

Wilhelm Busch

Zum Kotzen

was da seit Ostern in Wackersdorf über's Volk gebracht wird. Und CS ist nicht das Einzige, womit die bayerische Staatsregierung gegen die WAA-Opposition aufwartet: Einmal wieder erlebt die Anti-AKW Bewegung einen kräftigen Aufrüstungsschub der Sicherheitsorgane. Der Dialog, der die Friedensbewegung noch in geordneten Bahnen hielt, hat sich zum Monolog verkürzt- "Hier spricht die Polizei, wir setzen Reizgas, Wasserwerfer usw. ein, entfernen Sie sich!" - der Werkschutz des Atomstaates, Polizei und BGS, inszeniert seine Gewalttänze. Und die Zauberlehrlinge des nuklearen Chaos, Energiekonzerne und Regierungen, warnen vor den "Chaoten" an den Zäunen, wohlwissend, dass jeder dieser "Chaoten" seit Wyhl und Brokdorf mehr Sachverstand in der Atomenergiedebatte bewiesen hat, als die amtlichen Experten für Unbedenklichkeit. Gipfel der Unverschämtheit: Pressekonferenzen, auf denen eine Linie zwischen der "Saat von Brokdorf und Wackersdorf" und dem Attentat auf einen Siemens-Manager gezogen wird. Wer eigentlich heizt hier das Klima an, wer eigentlich versucht hier, die Angst nach Tschernobyl mit einer Gewaltdiskussion zu betäuben und für seine Zwecke zu kanalisieren?

Deutlicher als in den vergangenen Monaten in der Oberpfalz und in der Wilstermasch haben die Sicherheitsstrategen selten gezeigt, gegen wen die "Distanzwaffen" gerichtet sind: nicht gegen einzelne "Störer" und "Gewalttäter", sondern gegen protestierende Menschenmengen, die eingegast, auseinandergespritzt und unter die Knüppel genommen werden. Angst macht sich breit, und sie ist beabsichtigt - der Atomstaat zeigt seine Zähne.

Weg von den Bauzäunen!, Blockaden der Infrastruktur, militante Aktionen, "Giroblau", strikte Gewaltlosigkeit, parlamentarische Initiativen, Ausstiegsszenarien, Sabotageakte, Volksabstimmung, Grossdemonstrationen oder auch eine Denkpause über derartige Massenversammlungen - viele gute und gutgemeinte Ratschläge werden jetzt in die Debatte gebracht. Aber zum endgültigen , Abschalten führen viele Wege, und erfolgreich werden sie nur sein, wenn eine unberechenbare Vielfalt gewahrt bleibt.

Einen Unterschied zwischen Militanten und Gewaltfreien kennen CS und Wasserwerfer eh nicht und wird auch Gummischrot nicht machen. Faktisch ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausser Kraft gesetzt: Kinder, Herz-Kreislauf- und Lungenkranke, Schwangere, Menschen mit Asthma oder Allergien und Behinderte können das Risiko von Kampfstoffeinsätzen nicht mehr kalkulieren. Sie werden mit modernen Polizeitechnologien von Demonstrationen ferngehalten; und das Ohnmachtsgefühl soll alle überkommen, "Widerstand ist zwecklos!", lautet die Botschaft.

Politische Strukturen allein werden nicht ausreichen, diese innere Abschreckungsdoktrin zu unterlaufen - persönliche, an jedem einzelnen Menschen anteilnehmende Netze müssen zusätzlich geknüpft werden, um dem Schrecken seine Wirkung zu nehmen.

Ein Staat, der mit CS-Granaten, Wasserkanonen und zukünftig auch mit Gummischrot anlegen lässt, senkt Zug um Zug die Einsatzschwelle für scharfe Waffen, der diffamiert Zivilcourage als kriminelles Verhalten und Protest als Aufstand, und inszeniert den Bürgerkrieg von oben. Ein solcher Staat will politische Konflikte mit Polizeitechnologien lösen und geht letztlich in seine Festungen selbst auf Distanz.

Ja, wessen Staat eigentlich?

Die Herausgeber, Juli 1986