barricada
zeitung für autonome politik und kultur
Navigation
Barricada
JANUAR 2004


sprechender fisch in new york geschlachtet

oder... warum die bürgerliche presse so doof ist




„Ami du Peuple“ und „Bild“

Die Rede ist hier nicht von Marats revolutionärem Blatt „Ami du Peuple“, sondern von einem experimentellen Zeitungsprojekt, gestartet 1928 in Paris, für das der populäre und links klingende Name aus der Zeit der großen Revolution entwendet wurde. Eine Besonderheit des Blattes: Es kostete nur 10 Centimes und war erklärtermaßen nicht auf Profit ausgelegt, sondern getragen von einer selbstlosen Herausgeberschaft, der es um Presse- und Meinungsfreiheit, Unparteilichkeit und ein erschwingliches Massenblatt ging.

Die damalige französische Presselandschaft zeichnete sich durch eine enorme Vielfalt aus - die meisten Zeitungen waren allerdings durchaus parteilich, den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie, dem katholischen Klerus, den Royalisten, Kommunisten, Anarchisten usw. recht eindeutig zuzuordnen. Nicht so der „Ami du Peuple“: Neben den üblichen crime & sports-Sparten brachte er einen populistisch und patriotisch ausgerichteten Politikteil, Leitartikel gegen das Großkapital, gegen die schlimmsten Auswüchse von kapitalistischer Wirtschaft und Politik. Welche politische Richtung stand wohl hinter dem Blatt? Sein Eigentümer war der Besitzer von unter anderem „Le Figaro“, kein kleiner Fisch im Pressegeschäft und Herausgeber von Zeitungen, gegen die der „Ami du Peuple“ anzutreten vorgab.

Dieses Vorgehen kommt jedem bekannt vor, der Springers Bildzeitung kennt. Massenauflage und erschwinglicher Preis, Nationalismus in geordneten Bahnen, Forderungen nach weniger Steuern, ehrlicheren Politikern, fairem Kapitalismus, voyeuristische Berichte über das Privatleben „derer da oben“, die auch ihre Probleme haben, Sentimentalität und Menschelei sowie obskure Lügengeschichten machen dieses Druckerzeugnis aus. Fast identische Blätter gibt es überall in der kapitalistischen Welt.

Ihr Ziel ist es, zu integrieren, wo es unsere Absicht ist, zu polarisieren. Wo unsere Parteinahme erklärt ist, versteckt sich ihre Parteinahme für das System hinter bürgerlicher „Unparteilichkeit“. Ihr Ziel ist es, im Interesse des kapitalistischen Systems zu erziehen und zu lenken. Das kann bedeuten, dass Sündenböcke aufgebaut werden, kann aber auch heißen, dass Kampagnen gegen Nazis geführt werden, wenn deren Aktionen den Ruf Deutschlands gefährden. Eine Kampagne, die von der Springerpresse seit Jahrzehnten geführt wird, ist beispielsweise die gegen offenen Antisemitismus - motiviert freilich nicht durch Antifaschismus, sondern durch das Ziel der festen Westbindung Deutschlands. Ein Ziel, das der größere Teil des deutschen Kapitals in den Jahrzehnten nach dem Krieg geteilt hat.

Doch auch die mächtigsten Blätter sind keine ideologiespuckenden Maschinen. Sie werden von IdeologieträgerInnen gemacht (HerausgeberInnen, Redaktion) und müssen, bewußt und unbewußt, Rücksicht nehmen auf die Ressentiments und Bedürfnisse nicht nur der AnzeigenkundInnen, sondern auch der LeserInnen.

Allerdings sind Letztere in diesem Spiel (solange sie es mitspielen) der schwächere Part.

Linke Presse

Was wäre zu halten von einer alternativen, einer linken Bildzeitung? Ein solches Projekt hat es bereits gegeben, es nannte sich „taz“. Auf die ekelhafte Geschichte dieser Zeitung werden wir hier nicht eingehen. Es genügt festzustellen, dass sie mit ein paar linken Positionen gestartet ist, diese nach und nach über Bord geworfen hat und seit 1998 als inoffizielles Regierungsblatt bezeichnet werden kann.

Warum kann der Anspruch, eine linke „Bild“ herauszugeben, nicht erfüllt werden? Nicht die vielen technischen und wirtschaftlichen Gründe interessieren uns hier, auch nicht die politischen Einwände gegen ein solches Projekt, sondern dieser eine Umstand: Die großen bürgerlichen Blätter sind konsensstiftend und konsenserhaltend. Sie verdecken die gesellschaftlichen Widersprüche oder behandeln ihre Oberfläche. Aufgabe der linken Medien ist es, diesen Konsens in Frage zu stellen und polarisierend zu wirken. Zu polarisieren, um falsche Gegensätze zu erzeugen ist der Job der rechten Presse. Im Gegensatz dazu polarisieren wir, um die tatsächlich vorhandenen Interessensgegensätze (um es kurz zu sagen: zwischen Unterdrückten und UnterdrückerInnen) aufzuzeigen und um die Unterdrückten zu bewegen, für sich und ihresgleichen Partei zu ergreifen.

Alle Versuche, die bürgerlichen Medien zu unterwandern und für revolutionäre Politik nutzbar zu machen sind so gründlich gescheitert, dass wir diesen Ansatz hier nicht diskutieren müssen. Die Widersprüche zwischen den bürgerlichen Sendern und Zeitungen müssen wir zwar nutzen, der Versuch, so dauerhaft Erfolge zu erzielen, ist aber ebenso hoffnungslos - denn diese Widersprüche schrumpfen mit der zunehmenden Monopolisierung der Medien. In Nürnberg beispielsweise haben wir ein Blatt für die CSU - AnhängerInnenschaft, die „Nürnberger Zeitung“ und eine Zeitung, die strikt auf SPD-Linie liegt, die „Nürnberger Nachrichten“. Beide stammen aus dem selben Haus: ein Beispiel aus dem Kleinen.

Den Widerspruch zwischen selbstgestellten Ansprüchen der bürgerlichen Presse (Objektivität, Unparteilichkeit, usw.) und ihrer Praxis freilich müssen wir immer wieder bloßlegen; er rührt an grundlegende Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft. Selbstverständlich brauchen wir aber nicht ernsthaft empört zu sein, wenn die Zeitung mal wieder lügt, wenn größere Demos mit Meldungen über Verkehrsstauungen und Umsatzeinbußen des Einzelhandels medial erledigt werden, wenn die Fernsehsender unverblümt Propaganda fürs Kapital machen - die bürgerlichen Medien werden damit nur ihrer Aufgabe gerecht. Bloß hinnehmen braucht die Linke solche Machenschaften freilich nicht. Ein jüngeres Beispiel der Gegenwehr ist das Verteilen von 40.000 Flugblättern durch die organisierte autonomie im Dezember 03. Diese Reaktion auf den Versuch der bürgerlichen Parteien und der gesamten lokalen Presse, den Naziaufmarsch durch Nürnberg am 6. Dezember und die beachtlichen Gegenaktivitäten von AntifaschistInnen totzuschweigen, ist ein erfreulicher Anfang. Etwas weiter geht es im Baskenland: Dort beklagen sich einige der schmierigsten Journalisten, deren Arbeit in der linken Öffentlichkeit thematisiert wurde, dass sie kaum noch das Haus verlassen können ohne beschimpft und bespuckt zu werden.

Bewußter und geplanter Umgang mit der Presse der Herrschenden ist eine feine Sache, verzetteln brauchen wir uns hier aber nicht, denn die Lösung liegt woanders. Sie liegt im Ausbau unserer Gegenöffentlichkeit.

Zeitungen, Flugblätter, Websites sind eine Seite der Herstellung von Öffentlichkeit von unten. Die andere, bisher vernachlässigte Seite: Den Menschen um uns herum, im Stadtteil, im Betrieb usw. die Möglichkeit geben, sich zu äußern und miteinander ins Gespräch zu kommen. Vom offenen Mikrophon über community-websites bis hin zum barrio-TV: Es ist auch unsere Aufgabe, die weitgehend zerschlagenen Stätten öffentlichen Meinungsaustauschs zu ersetzen.

Ein Nebeneffekt der Stärkung unserer eigenen (medialen) Strukturen: es wird den bürgerlichen Medien immer schwerer fallen z.B. unliebsame Aktionen zu ignorieren.

2004 hat gerade erst begonnen. Wir denken, dieses Jahr bringt uns jede Menge solche Aktionen und eine hoffentlich erfolgreiche Vermittlung.

Zurück zur Red Side