Aussageverweigerung
Aussageverweigerung und Verhörmethoden (Teil III)

eine Dokumentation der Roten Hilfe e.V. Erstausgabe 1991

Inhaltsverzeichnis

II. Einzelfragen

Falschaussagen
Tatbestand: Falsche uneidliche Aussage, Strafrahmen: 3 Monate bis 5 Jahre. Meineid: nicht unter 1 Jahr.
EinE BeschuldigtEr darf überall lügen, eine ZeugIn hingegen ist vor Gericht zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtet. Beim Staatsanwalt gibt es zwar keinen Tatbestand der "Falschaussage" , möglich ist jedoch, daß durch eine Falschaussage der Straftatbestand der "Strafvereitelung" erfüllt wird! - Auch deshalb halten wir generell wenig von Falschaussagen. Sie sind immer ein Wagnis, und können zu Verstrickungen oder gar zu Namensnennungen führen. Die Bullen sind aber da nicht blöd, wo sie es sich nicht leisten können. Angesichts ihrer Möglichkeiten, gerade auch technischer Art. können Falschaussagen geradezu zu einer immensen Gefahr werden!

Alibiaussagen
Nun sind Bullen und Staatsanwaltschaft aber auch nicht diejenigen. vor denen wir uns "einlassen" können, Alibis hervorholen. Da gibt es die allseits bekannten "Ausnahmen", Ulla Penselin etwa. oder die Hamburger Antifas, die sich durch Alibibenennungen aus der U-Haft retten konnten. Was natürlich einerseits als Belohnung der Repression für die - objektiv betrachtet - Kooperation zu werten ist. .Andererseits sind diese Einlassungen erst nach Besprechung mit Anwältlnnen (wobei deren jeweilige Interessen und Grenzen gesehen werden müssen) gemacht worden, und u.U. auch sehr problematisch. Ein Überblick über die Lage, in der die Aussagen gemacht wurden. dürfte den Betroffenen unmöglich gewesen sein. Der Zeitpunkt der Akteneinsicht, bis zu der in keinem Fall ein Beschuldigter Aussagen machen darf, muß hier beachtet und in die Diskussion eingeführt werden. (Die Möglichkeit einer politischen Erklärung fällt schon in den Bereich Prozeßstrategie, und verlangt zunächst nach Austausch und Diskussion mit den Strukturen draußen, bevor hier entschieden werden kann.)
In der Ermittlungsakte ist der bisherige Ermittlungsstand von Bullen und Staatsanwaltschaft zusammengefaßt. Vor diesem Zeitpunkt der Akteneinsicht kann mensch nie genau wissen, in welchen Zusammenhang seine Aussage steht, wie der Staatsanwalt sie bewertet und benutzt und was noch alles daran hängt. Erst nach Einsicht dieser Akte können der/die RechtsanwältIn und Du ermessen, was bedeutsam werden kann, erst nach Einsicht ist eine möglichst objektive Bestimmung der Aussagen möglich. Wir halten dem desweiteren einen sehr eindrücklichen Fall aus eigener Anschauung entgegen, durch den klar wird, wie Bullen ein sicheres Alibi zerstören können - wenn mensch es denn vor ihnen preisgibt: Vor dem Landgericht ist ein zweiundzwanzigjähriger Maler angeklagt, im Zusammenhang mit dem 1.Mai einen Stein auf eine Bullenwanne geworfen zu haben. Er wird eine Stunde nach der angeblichen Tat von einem Bullen "wiedererkannt" ("an seinem auffälligen Hemd") und verhaftet. Eine Stunde wird er von den Bullen in der Wanne gefangenhalten und muß sich - im rechtsfreien Raum, die üblichen üblen Sprüche anhören. Sodann wird er zwei Stunden von einem der erfahrensten Staatsschutzbullen (Riewendt) verhört. Der Beschuldigte weiß, daß er zur Tatzeit noch zu Hause war, weit entfernt vorm angeblichen Tatort. Er benennt zwei Freunde als Zeugen für sein Alibi. - Der Trick der Bullen: Die beiden Freunde werden nicht sofort verhört - was auch eher sehr unangenehm hätte werden können - sondern erst zwei Wochen später vorgeladen! Und dieser Zeitraum diente denn dem Staatsanwalt Fröhlke dazu, die Aussagen der beiden vor Gericht als "abgesprochen" zu bezeichnen. Da sagt der Richter kalt lächelnd, das sei eben so, die Polizei habe ja immer so viel zu tun. - Dieses Beispiel zeigt zunächst, wie schnell mensch in so eine Situation geraten kann. Es zeigt dann, daß ein Alibi, im Bewußtsein seiner "Unschuld" geäußert, keinerlei Gewähr bietet. Ob Alibi oder nicht, die Bullen wollen nur eins: daß geredet wird! Namen, Namen! - der Rest wird sich dann schon finden. (Der Beschuldigte wurde freigesprochen - mit der famosen Begründung, daß die "kurze Beobachtungsmöglichkeit" für den Bullen aus der fahrenden Wanne heraus nicht die genügende Gewähr für ein hundertprozentiges Wiedererkennen biete!) Da zeigt sich, daß ein Rechtsverständnis bürgerlicher Kreise "aber ich bin doch unschuldig” für die Bullen völlig unerheblich, ja fast lächerlich naiv angesichts der Realiltät ist. Die Unschuld interessiert doch die Justiz immer als letztes! Diese Einsicht verringert schlagartig die Hoffnung die mensch in Aussagen, Kooperation setzt - aber sie muß ersteinmal vorhanden sein!
Welche dennoch ihr Alibi nennen wollen sollten dies also in eigenem Interesse erst vor Gericht tun, und sehr genau überlegen, was ihre Aussage u.U. für andere bedeuten kann !!!

Entlastungszeugen:
Ein Bereich, den wir als äußerst problematisch ansehen. Einerseits kann auch eine gute Verteidigung nicht auf entlastende Zeugen verzichten. Andererseits sollte mensch deren Stellenwert nicht überschätzen: ein Bullenzeuge, der seine Aussage wenigstens halbwegs auf die Reihe kriegt - und wenns nur ein "der/die wars!" ist - reicht allemal hin.
Daneben lauern auch auf Entlastungszeugen Gefahren, über die vorher Bewußtsein hergestellt werden muß: Wir haben poplige Beleidigungsprozesse erlebt, in denen es um 300 DM ging und bei dem z. B. einem Entlastungszeugen nacheinander folgende Fragen gestellt wurden: "Gehen Sie öfter auf Demonstrationen? Waren Sie auch beim IWF dabei?" ... Aussagen bei Gericht bieten die Möglichkeit der Vorbereitung. Zuschauerlnnen können sie verfolgen, Klarheit wird so gewährleistet. Eine gemeinsame Diskussion über Sinn und Zweck von Aussagen vor Gericht ist möglich und überdies unbedingt notwendig, um dem Angeklagten keinen Bärendienst zu erweisen. Gerichtsaussagen verlangen also eine gemeinsame praktische und politische Bestimmung, die von Fall zu Fall neu überdacht werden muß. Eine generelle, schlagwortartige Formulierung läßt sich hier u.E. nicht aufstellen.

RechtsanwältInnen
RechtsanwältInnen müssen vor Gericht die "Unschuld" ihrer Mandanten beweisen, oder aber zumindest Zweifel an der "Schuld" aufdecken. Dazu müssen sie zwangsläufig auch oft Aussagen verlangen. Aus eigener Anschauung wissen wir, daß generell zu schnell und zu zu vielen Aussagen geraten wird. Es gibt Fälle, in denen Rechtsanwältlnnen zu Aussagen, insbesondere Namensnennungen, geraten haben, um die eigene Version möglichst glaubwürdig zu untermauern. Über die Interessen von Anwältlnnen muß Bewußtsein hergestellt werden, auch - oder gerade - wenn mensch sich bei einem vermeintlich "linken" Anwalt befindet. Rät eine AnwältIn zu Aussagen. ist dies stets kritisch zu problematisieren. Inwieweit einE AnwältIn dies zuläßt, ist auch ein Kriterium, ob mensch eineN guten Anwältln hat. Es lohnt sich, sich die Dinge nicht vollständig aus der Hand nehmen zu lassen, auch wenn mensch sich dabei in juristische Niederungen begeben muß. Verlange Erklärungen, Begründungen für das jeweilige Verhalten der AnwältIn.
Die Versuchung, jemanden mit einer Aussage retten zu wollen, ist manchmal groß und kann zu Unbedachtheit verleiten. Die andere Schwierigkeit, keine Aussagen machen zu wollen, kann auftreten, wenn mensch sich von absurden bis lächerlichen Anschuldigungen oder massiv tendenziösen Fragestellungen herausgefordert fühlt. Doch sobald Du etwas bestätigst oder verneinst, wird es sofort als Deine Aussage ins Protokoll genommen!
Das Beispiel des 129a-Verfahrens um die "Wirtschaftswunderkinder" in Hannover - 1988 wurde eine Frau wg. des Messeanschlags zu viereinhalb Jahren Knast verurteilt - zeigt, daß es, da die Bullen durch ihre Vorladung Anzahl und Zusammensetzung der ZeugInnen bestimmen können, immer welche geben kann, die aussagen. Konkret teilten sich hier die ZeugInnen in zwei Gruppen auf: Eine zahlenmäßig kleinere Gruppe von ZeugInnen. die einen relativ willkürlichen Zusamrnenschnitt der hannoverschen Scene bildeten, und eine Gruppe von Angehörigen, Arbeitskollegen, Kommilitonen, Bekannten usw. ... Eine Einflußnahme auf diese Gruppe war nicht möglich, sie haben sämtlichst ausgesagt - und sei es nur, daß in dieser oder jener Wohnung sich oft Leute getroffen haben. ... Da ist klar, daß manche sich, wenn auch unwillkürlich, fragen, warum gerade er/sie das Maul halten soll. - Also auch dies eine Methode. um kollektives Handeln und Reagieren zu erschweren. Eine Auseinandersetzung darum, wie mit gemachten Aussagen umgegangen werden kann, ist also dringend nötig.

Aussageverweigerung und §129a - Kampagne
Eine Kampagne zur Aussageverweigerung in Verbindung nur mit dem §129a greift zu kurz, vielmehr ist die Propagierung von Aussageverweigerung auch unterhalb dieser Ebene unbedingt notwendig.
Befürworterlnnen einer Kampagne Aussageverweigerung-129a führen zurecht die große Vermittelbarkeit von Aussageverweigerung angesichts der Beliebigkeit der Errnittlungmöglichkeiten-der Repression in 129a-Verfahren an. In 129a-Verfahren wird es am offensichtlichsten, daß die ZeugInnen sich und andere in jedem Falle nur belasten können. Demgegenüber ist aber nicht einzusehen, warum in "kleineren" Prozessen tendenziell nicht genauso gefährliche Aussagen, z.b. Namensnennung, gemacht werden können. Es ist ja nicht so, daß die Bullen nur in §129a Verfahren ansetzen, um Strukturen und Zusammenhänge auszuleuchten. Zu den von kleineren Verfahren Betroffenen, bietet der §129a wenig Bezugsmöglichkeiten, was sich z.B in der bundesweit einheitlich anwachsenden Repression gegen Antifas zeigt: sie betrifft oft junge Antifas, die neu in der politischen Arbeit sind und allgemein kaum Zugang zum Thema Aussageverweigerung haben.
Die Forderung "Keine Kooperation mit der Justiz" ist - in einem engen Sinne - u.E. noch eine Fiktion. Aus schon dargestellten Gründen, aber auch, weil es doch immer Kontakt zu ihr gibt, sei es, daß der Anwalt mit dem Richter spricht, die Vorladungen befolgt werden usw. und er schließlich versucht, die "Unschuld" des Verfolgten vor Gericht zu "beweisen" - d.h., daß ein taktisches Verhältnis zur Justiz erlaubt sein muß - ausgehend von einer gemeinsamen politischen Einschätzung und von Stärken und Schwächen und ausgehend von der Forderung:

Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwaltschaft!
Nicht als BeschuldigteR, nicht als ZeugIn!

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997