Aussageverweigerung
Aussageverweigerung und Verhörmethoden (Teil II)

eine Dokumentation der Roten Hilfe e.V. Erstausgabe 1991

Inhaltsverzeichnis

I. Rechtliches

1. Die Aussageverweigerung als BeschuldigteR
Im Gegensatz zur Zeugln hat eine Beschuldigte das Recht auf eine generelle Aussageverweigerung. sowohl bei der Polizei. wie beim Staatsanwalt, als auch vor Gericht. Erscheinungspflicht besteht für eine BeschuldigtE nur bei Gericht (Zum Umgang mit Ladungen s. bei Zeugln)

Bullen
Für den/die BeschuldigteN ist als Problem der Druck, der durch eine Verhörsituation und durch die Bedrohung mit Knast entsteht, das zentrale Problem Die Verhörsituation kann nie vollständig vorher berechnet und geplant werden, eine Selbstbestimmung, die Meinung, mensch könne irgendwie aus dem Objektstatus, der ihm/ihr zugewiesen wird, ausbrechen, ist Illusion. Uns erscheint wichtig genau um die eigenen Rechte, sowie um mögliche Tricks der Repression zu wissen, und dadurch - einen eventuellen Überraschungseffekt kleinzuhalten. Es ist auch so, daß etwa bei einem Bullenverhör. der Objektstatus von den Bullen aus aufgebrochen wird. Mensch kann nicht einfach dasitzen und sein Maul halten, mensch will seine Angehörigen sprechen, seineN AnwältIn sprechen. "braucht vielleicht einen Arzt/ Ärztin ... Und die Bullen sind die letzten, die sich darum einen Kopf machen. Die Wahrnehmung seiner Rechte fällt auf einen selbst zurück. ständig muß mensch sich verhalten, aktiv werden ... es ist dies eine Falle, unter vielen, die uns die Repression stellt. Dagegen hilft nur das Wissen. wo die Grenze zu ziehen ist, wann mensch das Maul halten muß - also auch hier ist eine vorherige Auseinandersetzung um diese "Aspekte der Aussageverweigerung dringend geboten.
Es darf nur die generelle Aussageverweigerung nicht zum Nachteil des Beschuldigten gewertet werden! Das bedeutet: macht eine BeschuldigteR auch nur eine einzige Aussage (egal. wo), und sei sie noch so unbedeutend, so öffnet er/sie Richtern und Staatsanwälten Tür und Tor, die ansonsten beibehaltene Aussageverweigerung gegen sie/ihn zu verwenden. Für den Richter heißt dies "freie richterliche Beweiswürdigung" , der jede Aussage unterliegt. D.h.. er kann also bei wenigen Aussagen spekulieren, warum der/die Beschuldigte auf die anderen Fragen nun gerade nichts sagen wollte! Was also bedeutet, daß es Teilaussagen in diesem Sinne gar nicht gibt! Welche auf bestimmte Fragen antworten, sich bei anderen aber auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen, liefern damit immer ein vollständiges Bild von sich selbst. Ob sie ansonsten Schweigen: welche einmal geredet haben, liefern Zusammenhänge, einen Kontext, den sich kein Staatsanwalt entgehen lassen wird!
Nach einer Festnahme und vor Gericht. sind Beschuldigte zu folgenden Angaben zu ihrer Person verpflichtet: Name, Adresse, Geburtsdatum, Geburtsort und allgemeine Berufsangabe! (z.B. SchuelerIn, AngestellteR, StudentIn. Also nicht der Arbeitgeber. Jugendliche müssen auch nicht die Adresse der Eltern angeben, wenn sie nicht mehr bei ihnen wohnen). Welche das nicht tun, haben vor Gericht meist mit einem Ordnungsgeld (50 DM etwa) zu rechnen. Weitere Sanktionen (Ordnungshaft) können folgen. Welche bei den Bullen diese Angaben verweigern, begehen das Delikt der Personalienverweigerung. welches wiederum verfolgt werden kann. (Auf jeden Fall kann mensch durch Beharrlichkeit und dem Verlangen nach dem Einsatzleiter bei einer bloßen Personalienfeststellung (nicht nach einer Festnahme!) manchmal erreichen, daß diese nicht durchgeführt wird.

Haftrichter
Es gibt einen Ort, wo eine Aussage angebracht scheint, nämlich vor dem Haftrichter. Hier ist zunächst zu betonen: Eine Aussage zur Sache wendet keine U-Haft ab! Der Haftrichter erläßt den Haftbefehl wegen "dringenden Tatverdachts" . Egal, was Du zu den Tatvorwürfen zu sagen hast, und wenn es ein Alibi ist. auf keinen Fall kommst Du raus! Zu den Tatvorwürfen, die auf den Ermittlungen der Polizei beruhen, und die zum Haftbefehl führen, kommen noch sogenannte "Haftgründe" hinzu. Der "Haftbefehl" kann, wenn die "Haftgründe" nicht zutreffen, außer Vollzug gesetzt werden. D.h. aber nicht, daß damit auch die Tatvorwürfe aus der Welt wären! Was also die völlige Unsinnigkeit von Aussagen zur Sache vor dem Haftrichter zeigt.
Haftgründe gibt es vier: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr, Wiederholungsgefahr und besonders schwere Tatvorwürfe. Bei Vorwürfen, wie Mord, Totschlag und §129a wird grundsätzlich Haftbefehl erlassen. Zu den anderen Haftgründen kann einE BeschuldigteR Stellung nehmen. Dies sollte mensch nur zum Punkt Fluchtgefahr tun!!
Sagt mensch etwas zu den Punkten Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr, ist unweigerlich eine Diskussion über den Tatvorwurf die Folge.
Sagen sollte mensch nur etwas zum Punkt Fluchtgefahr: Hier sollte mensch verweisen auf einen festen Wohnsitz, eine Arbeit und andere Bindungen wie z.B. Kinder, langjährige Freundlnnen. Die Gefahr hierbei liegt auf der Hand: Daß mensch nämlich Namen nennt. Es ist also zumindest aufzupassen, wen mensch nennt. Ganz vermeiden lassen wird sich die Namesnennung sicher nie - es scheint angebracht, sich hierüber schon vorher klar zu werden und mit den u.U. Betroffenen darüber zu reden. - Desweiteren halten wir es gerade auch wegen dieser Gefahren für nötig, schon vorher eine Anwältin einzuschalten, der/die in der konkreten Situation beraten kann.
Klar sein muß mensch sich aber unbedingt darüber, daß mit einer Aussage zur Sache keine U-Haft abgewendet werden kann. Der Haftrichter ist nun wirklich der letzte Ort, wo eine Aussage "nützt" .

2. Die Aussageverweigerung als ZeugIn

Polizei:
Einer Ladung zur Polizei (auch beim LKA) brauchen weder Beschuldigte. noch ZeugInnen Folge zu leisten. Es entstehen dadurch keinerlei Nachteile. (Auch wenn es einem der schwer verständliche Juristentext der Vorladung suggerieren will) Auf eine Ladung sollte mensch in keiner Weise reagieren, also auch nie telefonisch absagen, auch wenn darum in der Ladung gebeten wird. Bei dieser Gelegenheit wird mensch nämlich nochmal vollgesülzt. Sofort müssen allerdings FreundInnen, Mitbetroffene, Anwältlnnen ... informiert werden !

Staatsanwalt:
Zeuglnnen müssen vor dem Staatsanwalt erscheinen und die Angaben zur Person machen. (s.o.) Erscheinen ZeugInnen nicht, kann ein Vorführung erlassen werden.

Sodann hat mensch das Recht, folgendes zu erfahren:
Um welches Verfahren es sich handelt (hier ist auf eine genaue Bezeichnung der einzelnen Tatvorwürfe zu bestehen.) muß der/die BeschuldigteN genannt werden. Denn mensch muß ja die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob mensch ein Aussageverweigerungsrecht hat.

Es gibt gute Gründe, warum ZeugInnen vor dem Staatsanwalt nicht aussagen wollen. Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht ermessen, wozu ihre Aussagen verwendet werden. Sie wissen nicht sicher, in welche Richtung der Staatsanwalt ermittelt, der Staatsanwalt darf ZeugInnen darüber auch weitgehend in Unkenntnis halten - und auch darüber, ab wann in seinen Augen eine Aussage die Zeugln selbst belasten könnte! Ein Überblick über die Zusammenhänge, in der die Aussagen stehen, dürfte für die ZeugIn unmöglich sein. Jede Aussage beim Staatsanwalt liefert ein Steinchen in dem Mosaik, daß er sich zusammenbastelt, jede Aussage kann ihm dabei weitere Anhaltspunkte liefern.
Das Aussageverweigerungsrecht für Zeuglnnen wird durch die § 52 bis 56 der Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Der § 52 StPO sieht ein Aussageverweigerungsrecht für Verwandte des Beschuldigten vor, daß können sein, Eltern, Geschwister, Kinder, aber auch Verlobte ... Verlobungen sind bekanntlich ebenso schnell zu lösen, wie sie geschlossen werden, und können im Einzelfall, wenn es möglich ist, eine sehr elegante Lösung sein.
Der §55 sieht ein Aussageverweigerungsrecht vor für Leute, die in derselben Sache angeklagt sind, und für Leute, die sich durch die Aussage selbst belasten könnten. Es ist sowohl taktisch wie politisch falsch, diese Form der Aussageverweigerung zu benutzen. Die Aussageverweigerung nach §55 besteht nur für spezielle Fragen. Die Inanspruchnahme dieses Rechtes muß jeweils ausdrücklich, unter Berufung auf die Gefahr der Selbstbelastung verlangt werden.
Die Gefahren dabei liegen auf der Hand: Zum einen wird die Staatsanwaltschaft verlangen, daß begründet werden muß, wieso mensch sich selbst belasten könnte ... dabei entsteht zwangsläufig die Situation, daß mensch über die Anklagepunkte reden muß, oder über Leute, mit denen mensch irgendwie zu tun hat. Überlegungen. welche Aussagen dem Staatsschutz nützlich sein können, und welche nicht, führen zu einer Situation, die für die Betroffenen nicht mehr überschaubar ist. Sie können immer wieder vorgeladen werden - die Bedrohung, vom Zeugen zum Beschuldigten zu werden, immer im Hinterkopf, was immer wieder eine Entscheidung fordert, wie sie schon bei der ersten Vorladung zu treffen war.
Taktisch ist die Berufung auf den §55 unklug, da mensch durch diese Begründung quasi der Justiz die Möglichkeit in die Hand gibt, einen zum Beschuldigten zu machen. also ebenfalls ein Ermittlungsverfahren einzuleiten denn es ist ja davon auszugehen, daß ein Straftatbestand/Ordnungswidrigkeit vorliegt.
Wird mensch als Zeugln vorgeladen und es ist zu erwarten. daß er/sie selbst noch ein Verfahren kriegt oder er/sie weiß es schon, hat mensch das Recht, auch die Aussage als Zeugln zu verweigern. Dies gilt für das gesamte Verhör.

Erwähnt sei noch, daß Ärzte, Rechtsanwältinnen, Pfaffen und Journalisten ebenfalls ein begrenztes Aussageverweigerungsrecht haben, welches sich natürlich nur auf ihren Berufsbereich bezieht (§53 und 54 StPO). So müssen z.B. JournalistInnen die Namen von InformantInnen und Interviewpartnerlnnen nicht preisgeben. Geplant ist solch ein Recht in absehbarer Zeit auch für DrogenberaterInnen.

Was geschieht mit Menschen. die die Aussage verweigern wollen, obwohl sie keinen der genannten Paragraphen können bzw. wollen?
Oder mit ZeugInnen, die einer staatsanwaltschaftlichen Ladung nicht folgen wollen?

Dafür werden erstmal die entstandenen Kosten aufgedrückt. Dazu kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld erlassen, wenn dieses nicht gezahlt wird, gibt es Ordnungshaft, rnaximal 42 Tage und nur durch richterlichen Beschluß. Es kann die zwangsweise Vorführung vor einem Vernehmungsrichter (Ermittlungsrichter) angeordnet werden. Die beiden Ordnungsmittel können bei erneutem Ausbleiben wiederholt werden.

Zeuginnen, die hingehen, aber nix sagen
Zunächst läuft alles so wie unter 1. ab. Wichtiger Unterschied aber ist, daß damit die Ordnungsmittel verbraucht, also nicht wiederholbar sind! Möglicherweise beantragt der Staatsanwalt nun die Erzwingungshaft (Beugehaft). Wird diese durchgesetzt, ist danach auch dieses Erzwingungsmittel verbraucht. Die Beugehaft kann maximal sechs Monate verhängt werden.

Klar ist demnach: so schnell ist mensch als aussageverweigernder Zeuge nicht im Knast!

Das geht erstmal alles seinen langen rechtlichen Gang. Zuallererst müssen zunächst einmal die Ordnungsrnittel angewandt werden. Staatsanwälte, die behaupten, der Zeuge könne jetzt gleich in Beugehaft gesteckt werden, vermischen bewußt Ordnungs- mit Erzwingungsmitteln um den Zeugen zu verunsichern.

Aussageverweigerung als Zeugln beim Richter
Alles wie bei 2. Hinzu kommt, daß die Eidesverweigerung ebenso behandelt wird wie eine Aussageverweigerung. (s. auch Abschnitt Falschaussagen unter II. Einzelfragen)
Zeuglnnen können zu allen Vernehmungen Anwältlnnen rnitnehmen. Sie können eine wichtige, auch psychologische Funktion haben, doch sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Sie haben lediglich die Funktion eines Rechtsbeistandes, d.h. sie können nicht in die Vernehmung eingreifen, sie dürfen nur bei formalen Fehlern des Vernehmenden eingreifen. Wenn z.B. eine Frage juristisch nicht so gestellt werden darf, wie sie gestellt wurde, oder wenn der Staatsanwalt keine Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Aber mensch hat das Recht, sich mit der AnwältIn über die gerade gestellte Frage im Nebenzimmer zu beraten. Dadurch kann mensch sich erstmal Luft verschaffen und sich dem psychischen Druck entziehen. Welche sich stark genug fühlen, können hiermit das Verhör etwas strecken ...

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