Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr.5


Hearing zur Obdachlosigkeit

"Der Winter steht vor der Tür und nichts hat sich getan"

Wie Wohnungslosen mit Hilfe geltender Gesetze zu ihrem Recht verholfen werden kann, war am Mittwoch in Konstanz das Thema einer Veranstaltung mit dem Darmstädter Juristen Professor Albrecht Brühl. Die Landesarbeitsgemeinschaft von Betroffeneninitiativen wohnungsloser Menschen hatte zusammen mit engagierten Konstanzer Bürgern, der PDS/LL und der Freien Grünen Liste den Sozialhilferechtsexperten eingeladen.

In Konstanz sind seit Anfang der 90er Jahre für Obdachlose Wohncontainer aufgestellt die auch als Langzeitunterkünfte genutzt werden. Die Betroffeneninitiative konnte trotz aller Bemühungen bisher keine Änderung der Situation erreichen. PDS-Stadtrat Dr. Michael Venedey, der als Moderator der Veranstaltung auch Stadträtinnen von SPD und Grünen begrüsste, betonte, jeder der für Gerechtigkeit eintrete, müsse zu diesem Thema eine besondere Beziehung haben.

Betroffene berichteten auf der Veranstaltung über ihre bitteren Erfahrungen mit den Konstanzer Behörden. Insbesondere wurden die Versuche der Stadt zurückgewiesen, Betroffene zum Jakobushof in Radolfzell abzuschieben, dort finde ein grosser Kreis der Obdachlosen keine Bleibe, schon weil die vorhandenen 36 Plätze nicht ausreichten. Körperlich behinderten Menschen sei ein Aufenthalt im Heim wegen der weiten Wege zur Stadt nicht möglich. Besitzer von Hunden könnten ihre Tiere nicht mitbringen. Andere Wohnungslose müßten an den strikten Regeln des Heimes scheitern. Obdachlosen mit Hunden gelingt es auch in Konstanz nicht, eine Wohnung zu erhalten.

Engagiert setzten sich die Rechtsanwälte Haenel und Frank für die juristische und politisch-menschliche Unterstützung der Obdachlosen ein. Er müsse feststellen, dass die Stadt generell nicht rechtmäßig handle, wenn sie Menschen, die eine Unterkunft suchten, in den Jakobushof abzuschieben versuche. Es sei rechtswidrig, dass jemand, der in Konstanz leben wolle, nach Radolfzell geschickt werde. "Man muss darauf aufmerksam machen, dass sich die Stadt an gewisse juristische Vorgaben nicht hält", sagte Haenel. Man wisse dort, dass es für die Betroffenen schwer sei, den Klageweg zu beschreiten, und hoffe offenbar, das Problem löse sich von selbst.

Rechtsanwalt Frank meinte, die Stadtverwaltung habe kein Interesse daran, dass sich in der Touristenstadt Konstanz Obdachlose aufhielten. Darum gebe es hier kein Obdachlosenheim. Es wäre angebracht, wenn Betroffene sich in Konstanz zusammentun und versuchen würden, Wohnungen anzumieten, sie als Notunterkünfte bereitstellten, dem Sozialamt meldeten und Leute hineinsetzten.

Tom Louis, der seit Jahren Betroffene betreut, mahnte: "Der Winter steht vor der Tür und nichts hat sich getan. Auch in diesem Jahr müssen Menschen wieder bis zu sechs Monaten in den Containern hausen." Alle hilfsbereiten und unterstützungswilligen Konstanzer Bürger wurden im weiteren Diskussionsverlauf zur aktiven Hilfe für die Obdachlosen aufgefordert. Man müsse die Not dieser Menschen öffentlich machen und sich zu Aktionen zusammenschliessen, um so auch den politischen Druck auf die Verantwortlichen zu verstärken.

Professor Brühl unterstrich in seinem Vortrag: " Jeder Wohnungslose hat gegenüber der Stadt Konstanz einen Anspruch auf vorübergehende Notunterkunft und gegen den Landkreis auf Übernahme der Kosten für eine angemessene Wohnung." Obdachlosen müsse eine" vorläufige Unterkunft einfacher Art" zur Verfügung gestellt werden, die laut einer Entscheidung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs "Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse" lässt, "zumutbar" und quot;menschenwürdig" sei. Eine solche Unterbringung gelte auch dem Schutz der Betroffenen für Leib und Leben. Die Gemeinde könne ihre Verpflichtungen dabei durch eigene Unterkünfte, gegebenenfalls auch durch Container erfüllen, wenn diese den notwendigen Anforderungen gerecht würden, oder aber durch Anmietung von Unterkünften bei Privatpersonen. Ob das im Fall der Stadt Konstanz auch in Radolfzell möglich sei, könne letztlich nur auf dem Rechtsweg geklärt werden. Bei Anmietung von Dauerwohnungen hätten Gesetzgeber und Bundesverwaltungsgericht die Sozialhilfeträger verpflichtet, eine von Obdachlosen gesuchte "angemessene" Wohnung zu finanzieren. Die Aufwendungen, sofern sie den angemessenen Umfang nicht überschritten, seien vom Sozialhilfeträger voll zu übernehmen. Eine Prüfung zu hoch erscheinender Kosten dürfe sich dabei nicht nur auf den Mietspiegel, sondern auch auf die Frage erstrecken, ob eine andere angemessene Wohnung konkret verfügbar sei. Falls nicht, seien die Aufwendungen für die Wohnung angemessen zu übernehmen. "Ein reines Obdachlosenquartier oder eine Notunterkunft" seien aber in keinem Fall eine Alternative

eb


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linksrheincm20.11.2000