Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr.5


Im übrigen meine ich

Über die Fragwürdigkeit der Bedeutung des Alters

In der Blütezeit der griechischen Antike wurden die Geschicke des Staates von den Geronten, d.h. einem Rat der Weisen geleitet. Voraussetzung zur Berufung dieser 28 Männer (schon der erste Einwand: keine Frauen) waren ein unbescholtener Lebenslaufund das Erreichen des 60. Lebensjahres, was man auch so auslegen kann, dass ein tugendhafter Lebenswandel eine gute Voraussetzung für die Gewinnung eines solchen Alters war. Diese Annahme findet eine relative Bestätigung, wenn man bedenkt, dass z.B. Platon 74, Sophokles 90 und Sokrates 71 wurden.

Vor ca. 30 Jahren war der Slogan "trau keinem über 30" im Schwange. Eine Losung, die. für eine junge Generation in ihrem emanzipatorischen Kampf gegen die Nazi-Väter bestimmend war. Sie fand darüber hinaus auch Zustimmung bei den antifaschistischen Alten, die sich endlich von dem Albtraum der unerträglichen Restauration der Adenauer-Zeit befreit wähnten. Dies ist nachzulesen in einem 1979 erschienenen Buch "Die zornigen alten Männer", in dem Leute wie Wolfgang Abendroth Jean Amery, Heinrich Böll, Bernt Engelmann, Ossip Flechtheim, Eugen Kogon u.a. sich von ihrem angestauten Frust befreiten und zugleich im Gefolge der 68er Bewegung etwas Hoffnung auf eine Wendung zu einer in ihrem Sinne demokratischen und (meist) sozialistischen Zukunft schöpfen konnten. Diese beiden Beispiele zeigen, welchen Wandlungen (und das gilt natürlich nicht nur für diese Frage) Einstellungen zu Gesellschaftsordnungen unterworfen sind.

Das klingt so banal und selbstverständlich, dass ich mich fast für den letzten Satz (eben im Hinblick auf seine Selbstverständlichkeit) entschuldigen möchte. Aber diese ewigen Wahrheiten, die beispielsweise Platon in kaum mehr erreichter Klarheit schon vor über 2000 Jahren verkündet hat, verhindern nicht, dass sie von der Engstimigkeit einer zeitbezogenen Mode (das gilt besonders für die Politik) nicht erkannt und damit natürlich auch nicht befolgt werden. Eine solche Erscheinung ist (für mich) die gegenwärtige Apotheose der Jugend. Jungsein wird als eine Qualität für sich, für ein "Ziel" angesehen, das erreicht und dann bis zum bitteren Ende "ausgekostet" werden muss. In dieser verrückten sogenannten ersten (wenn sie doch nur einmal die "letzte" werden würde) Welt werden Milliarden für kosmetische und allerlei andere Versuche ausgegeben, um die innere Leere zu übertünchen.

Auf diese Gedanken, die mich allerdings schon lange beschäftigen und bestimmen (als Kind geliebter alter Eltern (43 bzw. 60 Jahre), bin ich jüngst wieder gestossen, als ich das Affentheater um die Trennung der CDU von ihrem alten Kohl erlebte. Dem Zeitgeist (man denke nur an die Werbung) gehorchend, sahen die Macher in dieser Partei die Chance, den ganzen alten Dreck in den Orkus des Vergessens wischen zu können, wenn sie auf die "Erneuerung" (eben die biologische) setzen. Und dann kommt heraus, dass so ein junges Früchtchen wie der um eine "brutalstmögliche Aufklärung" angeblich bemühte hessische Ministerpräsident Koch mit aller Deutlichkeit erkennen lassen muss, dass er genau dieselbe Potenz zur Korruptheit, generell zu einer miesen Politik in sich trägt.

Wie kann es auch anders sein wenn man erlebt, welche Verehrung und welche Bedeutung all diesen blutjungen Yuppies entgegengebracht wird. Wie oft wurde nicht dieser und jener in den Medien präsentiert der mit 20 oder 25 Jahren zum mehrfachen Millionär geworden ist.

Und jetzt muss ich den Versuch, nur deskriptiv zu schildern, was ich zu erkennen glaube, verlassen und Position beziehen. Diese schreckliche Krankheit der Globalisierung, des Hedonismus, d.h. des brutalen Gebrauchs der Ellenbogen, des rücksichtslosen Einsatzes der jugendlichen Kräfte, ist das Signum dieser jungen Kräfte. Es spricht vieles dafür, dass sie sich (und uns) das Grab schaufeln, wenn sich nicht bald die Vernunft Bahn bricht. Damit ich nicht falsch verstanden werde: ich, der ich zu den Uralten gehöre, erwarte nun wahrhaftig nicht, dass das Heil von dieser Nazi-Generation (dass es auch ein paar Andere gibt, besser: gab, dafür sprechen die erwähnten "zornigen alten Männer", zu denen ich mich zähle) ausgeht.

Selbstverständlich wird und muss die heutige, junge Generation die Zukunft bestimmen. Wird sie es im Sinne von Nietzsche: "Was fallen will, soll man auch noch stossen" tun, ist der Sieg des Faschismus und des Imperialismus und damit der Untergang der Menschheit programmiert. Oder wird sie, um Hermann Hesse zu zitieren, "die blöde Anbetung der Jugend ... wie sie etwa in Amerika blüht" überwinden und endlich nicht mehr den eigenen "Bauch" als den "Nabel der Welt" ansehen, sondern den "Kopf als den Sitz der Vernunft bestimmen lassen.

P.S. Vielleicht ist es aufgefallen dass ich die jungen Neonazis nicht in meine Betrachtung einbezogen habe. Sie sind für mich viel eher Ausdruck einer Entwicklungsphase, die zumindest Teile der Heranwachsenden immer schon dazu gebracht hat, durch zeitgemäße (das ist wichtig und weiterer Erörterung nötig) Torheiten und Wichtigtuerei aufzufallen. Die grössere Gefahr geht von jenen aus, die den Zeitgeist der Globalisierung etc. in sich aufgenommen haben und ihn ganz selbstverständlich umsetzen. Hierin muss man ja aber auch die anvisierten Leitfiguren aus Politik (z.B. Schröder, Scharping und Fischer), aus der "Kultur" (z.B. Warhol, Penck und Koons), aus dem Showbusiness (Feldbusch, den Kohl-Geldspender Lauterbach und viele andere Verdummungskünstler) einbeziehen.

Michael Venedey


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linksrheincm20.11.2000