linksrhein Quelle: AZW Nummer 13, erschienen am 09.05.1995
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BAföG - Gespart wird bei den Schwächsten

1971 war der Abbau der ungleichen Chancenverteilung im Bildungswesen ein Grund, der zur Einführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) führte. Heutzutage scheint Chancengleichheit kein Antrieb für Bildungspolitik mehr zu sein. Am 13. November 1995 wird auf der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ein Thesenpapier diskutiert, das von "sozialverträglichen Studiengebühren" handelt. Es sollen verschiedene Modelle von Studiengebühren diskutiert werden, sowie die Möglichkeit ihrer Einführung. Schon der Titel des Thesenpapiers ist ein Widerspruch in sich. Es gibt keine sozialverträglichen Studiengebühren. Sie würden z.B. dazu führen, daß Studierende noch mehr als im Moment neben dem Studium einer bezahlten Tätigkeit nachgehen müßten, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Studiengebühren dürfen zudem nicht losgelöst von der Ausbildungsförderung gesehen werden. Auch beim Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) gibt es Pläne, dieses gänzlich zu demontieren. Andererseits gibt es auch fortschrittliche Ansätze, das BAföG zu reformieren, z.B. im Rahmen eines einheitlichen Familienlastenausgleichs.

Das derzeitige System des Familienlastenausgleichs - die staatlichen Transferleistungen wie Kindergeld, Ausbildungsförderung und Steuerfreibeträge für die unterhaltsberechtigten Kinder - ist durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt worden, so daß es mit einer Frist bis 1996 geändert werden muß. Ebenfalls im kommenden Jahr müssen gemäß der derzeitigen Gesetzeslage die Elternfreibeträge und Förderungshöchstsätze des BAföG erhöht werden. Doch das BAföG kann längst nicht mehr seinen Anspruch auf Chancengleichheit gerecht werden. Gerade einmal 24,2% der Studierenden in den alten Bundesländern erhalten BAföG.

Es liegt nahe, eine Reform des Familienausgleichs mit einer Novellierung des BAföG zu verbinden. Alle Auszubildende würden dann einen einheitlichen Sockelbetrag erhalten. Einige der zur Diskussion stehenden Modelle zu einer Reform der Ausbildungsförderung beinhalten diesen Gedanken bereits. Eine Realisierung würde dazu beitragen, Ausbildungsförderung gerechter und transparenter zu machen.

Eine soziale Ausbildungsförderung muß unbedingt bedarfsdeckend geleistet werden. Gemäß den Berechnungen des Deutschen Studentenwerks (DSW) liegt der Grundbedarf für Studierende derzeit bei 1250 DM monatlich. Dieser Betrag sollte jährlich gemäß der Inflationsrate angepaßt werden. Die Dauer der Förderung sollte sich an den durchschnittlichen Studienzeiten orientieren. Im Moment orientiert sich die Förderungshöchstdauer an fiktiven Regelstudienzeiten.

Die derzeit diskutierten Modelle zur Reform des BAföG können diese Forderungen nur zum Teil erfüllen. Die Modelle lassen sich in drei Gruppen unterteilen:

Bankenmodell

Dieses Konzept wurde von Bundeszukunftsminister Dr. Jürgen Rüttgers entwickelt. Es sieht vor, Ausbildungsförderung auch künftig zur Hälfte als Darlehen und als Zuschuß zu leisten. Die Kriterien, nach denen gefördert wird, sollen dabei beibehalten werden. Die tiefgreifende Änderung dieses Modell besteht darin, den Darlehensanteil künftig über private Banken abzuwickeln und marktüblich mit 8,5% zu verzinsen.

Der Staat würde die ersten vier Jahre nach der Förderhöchstdauer die Zinsen des Darlehens übernehmen, in sozialen Härtefällen (z.B. beim Tod des Geförderten oder bei Zahlungsunfähigkeit) auch darüber hinaus. Danach müßte das Darlehen in monatlichen Raten von mindestens 300 DM zurückgezahlt werden.

Ausbildungskasse

Dieses Modell wurde von Prof. Dr. Michael Daxner, Präsident der Uni Oldenburg, mitentwickelt. Es sieht eine Ausbildungsförderung in Verbindung mit einer Akademikersteuer vor. Studierende könnten demnach bis zu 12 Semester monatlich 1000 DM als Volldarlehen erhalten. Nach Abschluß des Studiums müßten die Geförderten abhängig von ihrem Einkommen und ihrer Lebensarbeitszeit einen bestimmten Prozentsatz ihres Verdienstes in die Ausbildungskasse zurückzahlen. Personen mit geringem Einkommen sollen dabei von der Beitragspflicht befreit werden. Für alle anderen soll der Beitragssatz so kalkuliert werden, daß die Rückzahlungssumme einer Verzinsung der zuvor geleisteten Förderung entsprechen würde.

Sockelmodelle

Die bekanntesten Modelle dieser Kategorie sind von der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) und dem DSW (Deutsches Studentenwerk) entwickelt worden. Beide beinhalten eine elternunabhängige Grundförderung im Rahmen eines einheitlichen Familienlastenausgleichs. Dies bedeutet, daß das derzeit bestehende Kindergeld sowie die Elternfreibeträge umgeschichtet werden sollen zugunsten eines Betrages in Höhe von 400 DM, der direkt an die in Ausbildung befindlichen erwachsenen Kinder ausbezahlt würde. Das DSW- Modell sieht darüber hinaus eine familienabhängige Aufbauförderung vor in Höhe von bis zu 650 DM, die je zur Hälfte als Zuschuß und als unverzinsliches Darlehen gewährt werden würde. Zur Gewährung der Aufbauförderung sollen im wesentlichen die Kriterien des derzeitigen BAföG angesetzt werden. Um den vom DSW errechneten durchschnittlichen Bedarf in Höhe von 1250 DM für die Studierenden zu decken, können sie eine Ergänzungsförderung in Höhe von 200 DM als verzinsliches Volldarlehen erhalten. Wahlweise kann dieser Restbedarf auch durch Werksarbeit gedeckt werden. Dies würde einer Erwerbstätigkeit von etwa 4 - 6 Stunden pro Woche entsprechen.

Die GEW hat im Gegensatz zum DSW ein zweistufiges Modell entwickelt. Die erste Stufe bildet ebenfalls eine Grundförderung von 400 DM. Darüber hinaus können die Studierenden jedoch eine Aufbauförderung von bis zu 850 DM erhalten, wobei auch hier zur Gewährung diese Betrages Bedürftigkeitskriterien angesetzt werden.

Vergleicht man diese Modelle miteinander, so schneidet das GEW-Modell gemessen an der sozialen Verträglichkeit am besten ab. Hier ist als einziges der Modelle der Bedarf der Studierenden gedeckt ohne daß sie dafür neben dem Studium jobben müssen. Damit ist auch ein zügigeres Studieren gewährleistet.

Eine Verwirklichung des Bankenmodells von Herrn Rüttgers hätte zur Folge, daß Studierende künftig bei Vollförderung eines zehnsemestrigen Studiums Schulden von über 70 000 DM abzuzahlen hätten, was einer Verdoppelung der Schulden nach dem derzeitigen BAföG-System entspricht. Die Furcht, nach dem Studium eine so hohe Schuldenbelastung abzahlen zu müssen, wird sicherlich etliche Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen davor abschrecken, überhaupt ein Studium zu beginnen.

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