linksrhein Quelle: AZW Nummer 13, erschienen am 09.05.1995
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Lippenbekenntnisse und Teerpisten

Der Entwurf des Konstanzer Verkehrsentwicklungsplanes ist nicht nur gegen seiner Methoden verkehrt

Ein Verkehrsentwicklungsplan ist oberflächlich gesehen nichts weiter als eine Absichtserklärung. Jede dort vorgesehene Maßnahme muß durch den Gemeinderat, und sei es nur durch den Haushalt, noch einmal konkret beschlossen werden. Dennoch hat die derzeitige Diskussion um den Konstanzer Verkehrsentwicklungsplan, die über den bloßen deklaratorischen Charakter des Dokumentes hinausgeht. Hier wird für die nächsten Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte der Rahmen für die Planungen der Konstanzer Verwaltung abgesteckt, die dann wieder als Beschlußvorlagen zur Grundlage der Gemeinderatsarbeit werden.

Für die Verkehrsplanung der nächsten Jahre läßt sich aus dem Entwurf des Verkehrsentwicklungsplanes der Stadt Konstanz zweierlei ablesen: Erstens haben die Verantwortlichen inzwischen gelernt, daß der Autoverkehr von der Mehrheit der Menschen als enorme Belastung angesehen wird und daß deshalb der bisherigen Bevorzugung des Autoverkehrs vor anderen Verkehrsformen ein Ende finden muß. Konsequenter Weise schreiben sie diese Absicht auch im Entwurf fest.

Zweitens lernen wir, daß sich trotz dieser noblen Absichtserklärung die gesamten Vorschläge zur Lösung von Verkehrsproblemen konsequent vor allem damit beschäftigen, wie dem Autoverkehr eine Bresche geschlagen werden kann. Nicht im geringsten deutet sich an, wie der rhetorisch vollzogene Wandel auch in eine schlüssige Verkehrspolitik umgesetzt werden kann. Das mag daran liegen, daß die Verantwortlichen selbst auf eine bestimmte Art der Fortbewegung fixiert sind.

Neben diesem Widerspruch ist auch anzumerken, daß auch dieser Entwurf wieder an seinem Namen vorbeiplant. Nicht die Verkehrsentwicklung wird geplant, sondern Verkehrsentwicklungsbewältigungsplanung betrieben. Ein Zuwachs des Autoverkehrs wird in der Planung als Gott-gegeben hingenommen und deshalb müssen eben neue Straßen gebaut werden. Das aber die Verkehrsinfrastruktur auch und besonders bestimmt, welches Verkehrsmittel die Menschen wählen, ist eine Einsicht, die in den Bericht keinen Eingang gefunden hat.

Neben diesen wichtigen Kritikpunkten, die auch von der Freien Grünen Liste (FGL) und den meisten Umweltverbänden in ihren Stellungnahmen herausgearbeitet werden, kommen zwei grundsätzlichere Kritikpunkte in keiner der Stellungnahmen vor.

Verkehrsplanung hat neben ihren der Frage nach dem besten technischen und kostengünstigen Weg auf dem, sagen wir Bürgerin Imperia, vom Hafen nach Wollmatingen kommt, auch zwei höchst politische Aspekte. Verkehrsplanung stellt zu einen grundsätzlich die Frage nach dem Lebensstil und der damit verbundenen Gestaltung des Lebensraumes. Zum anderen ist der Besitz und Zugang zu Verkehrsmitteln ist eine Frage von Geld. Das Auto (im fachdeutsch: Motorisierter IndividualVerkehr, kurz: MIV) ist ein privilegiertes Verkehrsmittel - und für diese Privilegierten wird (auch) in Konstanz die Verkehrspolitik gemacht.

Die Gestaltung unseres Lebensraumes und damit die Frage danach, wie wir die zwischen den Häusern bestehenden Freiräume nutzen wollen, wird von den Verkehrsplanern eindeutig beantwortet: Der größte Teil wird zur schnellen Durchquerung dieser Freiräume mit Fahrzeugen reserviert. An nächster Stelle steht die Unterbringung dieser Fahrzeuge für die Zeit, daß sie nicht bewegt werden. Ein kleiner Teil ist dann noch für die Fortbewegung zu Fuß vorgesehen. Aufenthalt, Begegnung, Spiel und Kommunikation sind nicht eingeplant, stören den Fluß des Verkehrs und ist in Anbetracht der Lärm- und Luftbelastung und der Gefährdung durch den fließenden Verkehr auch nicht ratsam. Mehr noch: Im allgemeinen soll der Weg zum eigenen Fahrzeug kürzer sein, als der zum nächsten Ort, an dem Menschen zusammentreffen können. Um zu einem solchen gelangen zu können, muß sogar wieder Verkehr erzeugt werden: die Freizeitgestaltung erzeugt inzwischen annähernd soviel Verkehr wie der Weg zur Arbeit.

Natürlich wird gegen solche Betrachtungen eingewandt werden, daß solche Überlegungen utopisch sind, und in einem solchen konkreten Werk wie dem Verkehrsentwicklungsplan nichts zu suchen haben. Doch machen sie deutlich, welche Ideologie trotz Lippenbekenntnissen weiterhin hinter der Verkehrspolitik steht: das Primat der Mobilität.

Auch die Tatsache, daß der Autoverkehr eine privilegierte Verkehrsform ist, gerät schnell in Vergessenheit, wenn die Welt mit den Augen des aus dem Autofenster blickenden Wohlstandsbürgers betrachtet wird. Denn längst nicht alle Menschen in der Bundesrepublik können sich dieses Verkehrsmittel leisten. Vor einiger Zeit fand ich die ältere Dame, die, weil sie an einem kalten Sonntag nicht eine dreiviertel Stunde auf den Bus warten wollte, vom Industriegebiet nach Petershausen gelaufen war und irgendwann einfach umgefallen ist, weil ihre Beine nachgaben. Auch die gern beschworene Mutter mit Kindern kann sich den Zweitwagen nur leisten, wenn ihr Mann zu den Klientel der Partei der Besserverdienenden gehört. Und auch die gern benutzten armen Studenten, die außerhalb von Konstanz wohnen und deshalb ein Auto brauchen, um überhaupt studieren zu können, müssen sich das Auto erst einmal leisten können - vom BAFöG jedenfalls geht das nicht.

Diesen Aspekt übersieht besonders die SPD gerne. Trotz ihrer sozialen Rhetorik setzt sie zugunsten ihrer bürgerlichen Klientel, die Lärm und die Abgase vor allem vor der eigenen Haustür stören, immer wieder für Umgehungsstraßen ein und verpulvert dabei Geld, daß bei öffentlichen Nahverkehr allen, besonders aber den Ärmeren und Schwachen zugute käme.

Auch wenn es derzeit wieder zunehmend unbeliebt wird, ist hier auch der Blick auf den Rest der Welt erhellend. Derzeit kann sich nur ein Bruchteil der Erdbevölkerung ein Auto, oder gar zwei, leisten. Wenn sich auch nur ein Teil der bisher Ausgeschlossenen dieses Privileg ebenfalls leisten kann, werden wir uns im Großhandel schnellstens nach einer neuen Atmosphäre umsehen müssen. Und verweigern können wir es Ihnen nicht, schließlich wird unser Lebensstil tagtäglich per Satellit in alle Winkel der Erde übertragen.

Das Hauptargument gegen einschneidende Änderungen in der Verkehrspolitik ist meist, daß es ohne Auto nicht ginge. Andererseits bemerkt selbst der Entwurf zum Verkehrsentwicklungsbericht, daß 42 Prozent aller Wege die im Kfz zurückgelegt werden, eine Länge von weniger als 4 Kilometer haben. Auch daß Problem, daß ein rund ein Viertel des Verkehrs durch Wollmatingen verursacht wird, wird durch keine Umgehungsstraße gelöst. Oder nehmen wir die Umfrage an der Universität, die zutage förderte, daß rund ein Drittel aller Autofahrten zur Uni nicht etwa aus entlegenen Landgebieten, sondern aus dem Stadtgebiet gemacht werden.

Anstatt sich solchen dringenden Problemen zu widmen, beschäftigt sich der Verkehrsentwicklungsbericht lieber mit Großprojekten, die das notwendige Umdenken in der Verkehrspolitik weiter aufschieben: B33neu, Zollhof und die Bahnunterführung Petershausen. Für Einzelheiten zur Unsinnigkeit der Projekten seien hier die Materialien der FGL empfohlen. Diese hat mit ihrer Abkehr vom "B33-Konsens" einen ersten wichtigen Schritt vollzogen. Der Entwurf zum Verkehrsentwicklungsplan dagegen ist die enthaltene Rhetorik nicht wert und die Endversion sollte der Ehrlichkeit wegen wenigstens auf einfach zu durchschauende Lippenbekenntnisse verzichten.

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