Ein Auszug aus - kassiber 33 - November 97

"Innere Sicherheit"

Von New York lernen, heißt siegen lernen? (Teil I)

(ungekürzte Fassung)

Teil II
Teil III


Bundesweit wird seit Monaten von SicherheitspolitikerInnen der Parteien, Innenministern und -senatoren sowie hohen Polizeifunktionären ein Modell polizeilicher Arbeit diskutiert und favorisiert, das in New York "ein Wunder" (New York Times) bewirkt habe. Die in der US-amerikanischen Metropole verwirklichte "zero-tolerance"-Strategie habe die dortige Kriminalität und damit diesbezügliche Ängste der BürgerInnen minimiert, kurzum das Leben auch für den weißen Normalbürger wieder lebenswerter gemacht.

Zwei Spiegel-Artikel, im Juli erschienen, haben dieses hier in eine neuerliche Kampagne "Innere Sicherheit" gemündete Konzept auch für deutsche BürgerInnen werbewirksam aufbereitet. Mit Erfolg. Denn das New Yorker Modell, bei dem es einmal nicht um die viel beschworene "Organisierte Kriminalität" geht, und auch nur bedingt um "kriminelle Ausländer", scheint geeignet, Lösungen für Bedrohungen zu bieten, denen BürgerInnen ausgesetzt glauben (und mitunter auch sind). Es geht um den Schmutz in den Städten, eine zunehmende Verlotterung der Sitten, Junkies und Graffitis, Stehpisser und herumliegende Alkies, die drohende Verslumung selbst (links-)alternativer Stadtteile wie das Bremer "Viertel" oder das Hamburger Schanzenviertel. Diesen Anfängen und den damit einhergehenden Vergehen und der Kleinkriminalität zu wehren, lehrt New York, heiße weit größere Verbrechen - präventiv! - zu verhindern.

Der Held der Geschichte, zu dessen JüngerInnen die regelmäßig an den Hudson River pilgernden Borttscheller & Co. gehören, ist New Yorks - inzwischen ehemaliger - Polizeichef William Bratton. Der wurde durch den Republikaner und ehemaligen Staatsanwalt Rudolph Giuliani, als dieser Ende 1993 nach einer finsteren Law-and-order-Kampagne zum Bürgermeister gewählt wurde, zum Police Commissioner ernannt. Bratton war seit 1990 Transit-Police Commissioner und gilt als der Mann, der die New Yorker U-Bahn, die, das kennen wir aus unzähligen US-Spielfilmen, ein wahrer Hort des Verbrechens und für unbescholtene BürgerInnen kaum benutzbar waren, sicherer gemacht hatte. Das gleiche sei ihm, davon sind nicht nur der Spiegel und Brattons deutschen Fans überzeugt, mit der gesamten 7,5-Millionen-Stadt gelungen. Einer der wenigen, die das nicht glauben mögen, ist Giuliani - denn er reklamiert die Idee für sich. Auch Männerfreundschaften sind manchmal ein zerbrechliches Gut: Deshalb ist Bratton jetzt Chef der First Security Consulting Inc. und hält Vorträge über sein "High Performance Policing" (Trademark) genanntes Konzept, das er in alle Welt erfolgreich und teuer verkauft. Und Giuliani kandidiert Anfang November erneut als Bürgermeister und wird voraussichtlich gewählt werden.

Bratton ist derjenige, der die Lehren der new realists, einer konservativen kriminologischen bzw. kriminalpolitischen Schule, als erster in größerem Maßstab in die Tat umgesetzt hat. Deren Theorien lernte er schon in seinem Heimatort Boston kennen; Cambridge, an dessen Havard University James W. Wilson, einer der Gurus der new realists, damals lehrte, liegt nur wenige Kilometer entfernt.

Wilson und sein Kollege George L. Kelling behaupten, daß eine effektive Bekämpfung von Kriminalität auch durch kriminalpolitische Maßnahmen möglich sei, die nicht an den tieferen Ursachen der Kriminaltität ansetzen. Sie stehen damit im Gegensatz zur "kriminologischen Orthodoxie" der 60er bis 80er Jahre, nach der Kriminalität auf die root causes Armut und Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Diskriminierung, Desorganisation der Gemeinden und Familien und daraus resultierende Sozialisationsmängel zurückzuführen sei. Als kriminalpolitische Konsequenz stand fest, daß man mit sozialen Reformen an diesen root causes ansetzen müsse. Und das nicht etwa nur für die linksliberale KriminologInnen, sondern auch für viele PolitikerInnen (weshalb unter dem US-Präsidenten Johnson z.B. der war on crime nicht als solcher, sondern als war on poverty geführt wurde) und auch für die Polizei. Die Polizei, meinen Wilson/Kelling, zog sich - in der Überzeugung, nicht wirklich etwas gegen die Kriminalität tun zu können und durch zuviel Aktivität womöglich noch Eskalationsprozesse auszulösen - in die Streifenwagen und auf die strafverfolgende Reaktion zurück.


"The real root causes of crime are criminals"

Nach Ansicht der new realists, die sich an der sog. ökonomischen Theorie der Kriminalität (die vor allem von dem Ökonomie-Nobelpreisträger Gary S. Becker vertreten wird) orientieren, ist der Akteur aber nicht durch die grundlegenden sozialen Bedingungen determiniert - auch wenn diese seine Motivationen, Wertmaßstäbe und Ressourcen beeinflussen -, sondern kalkuliert in der jeweiligen Situation jeweils Kosten und Nutzen rational und entscheidet sich danach zu einer Handlung oder einer Unterlassung. Kriminalpolitisch folge daraus, kriminelle Handlungen durch konsequente Strafverfolgung und empfindliche Strafen mit höheren Kosten zu verbinden - in der Hoffnung, daß bei steigenden Preisen die Nachfrage sinkt.

Für Wilson heißt das, daß man die root causes auch zunächst mal ignorieren und davon unabhängige policy measures lancieren kann, die trotzdem erfolgreich auf die Überlegungen potentieller Täter und schließlich auf Kriminalitätsraten einwirken. Wilson negiert allerdings die Bedeutung der sozialen Bedingungen nicht völlig und empfiehlt getreu seiner Theorie nicht nur Strafen als Kosten eines devianten (normabweichenden), sondern auch die Bereitstellung von Jobs als Nutzen eines konformen Lebens.

Bratton und Giuliani machten es sich noch einfacher. Giuliani: "The has never been a proven connection between the state of the economy and crime, and there is no correlation between unemployment and crime." Kurz gefaßt: "The real root causes of crime are criminals."


Broken windows

Kommt einem dies auch von hiesigen Law-and-order-AnhängerInnen noch alles bekannt vor, stellt die sog. Broken-windows-Theorie etwas qualitativ neues dar. Wobei, so neu nun auch nicht, stammt der entsprechende Aufsatz von Wilson/Kelling doch bereits aus dem Jahre 1982 - wurde aber erst 1996 ins deutsche übersetzt -, die zugrunde liegenden "Experimente" des Stanford-Psychologen Philip Zimbardo sogar aus dem Jahr 1969. Aus diesem Aufsatz seien hier einige Passagen zitiert, die den theoretischen Background des "New Yorker Modells" bilden:

Zimbardo "stellte jeweils einen Wagen ohne Nummernschilder und mit offener Motorhaube in eine Straße der Bronx und eine Straße in Palo Alto/Kalifornien. Das Auto in der Bronx wurde bereits innerhalb der ersten 10 Minuten, nachdem es abgestellt wurde, von Vandalen heimgesucht. Die ersten waren eine Familie - Vater, Mutter und Sohn -, die den Kühler und die Batterie ausbauten. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden wurde faktisch jedes brauchbare Teil des Wagens entwendet. Danach begann eine wahllose Zerstörung: die Fensterscheiben wurden eingeschlagen, Einzelteile abgerissen, die Polster aufgeschlitzt. Von Kindern wurde der Wagen als Spielplatz genutzt. Die meisten erwachsenen 'Vandalen' waren gut gekleidet und scheinbar ordentliche Weiße. Das Auto in Palo Alto wurde über eine Woche lang nicht angerührt. Daraufhin zertrümmerte Zimbardo einen Teil des Wagens mit einem Vorschlaghammer. Schon bald machten einige vorübergehende Passanten mit. Innerhalb von einigen Stunden lag der Wagen auf dem Dach und war völlig zerstört. Wieder traten als 'Vandalen' in erster Linie respektable Weiße auf."

Laut Wilson/Kelling zeigt daß, das "unbehüteter Besitz schnell zum Freiwild für Leute [wird], die Spaß suchen oder etwas plündern wollen. Und das auch für Menschen, die normalerweise nicht einmal davon zu träumen wagen, daß sie jemals derartige Dinge tun und die sich selbst wahrscheinlich als gesetzestreu bezeichnen würden. Aufgrund der Struktur des Gemeinschaftslebens in der Bronx - die Anonymität, die Häufigkeit, in der Autos verlassen und Dinge gestohlen oder zerstört werden sowie der bisherigen Erfahrungen von Gleichgülzigkeit - kommt es viel schneller zu Vandalismus als im 'ordentlichen' Palo Alto, wo die Menschen davon überzeugt sind, daß Eigentum gehütet wird und daß ungebührliches Verhalten teuer ist. Vandalismus kann jedoch überall auftreten, sofern die Schwellen der Gemeinde - die gegenseitige Achtung und Verpflichtung zum Anstand - durch Ereignisse heruntergesetzt werden, die zu signalisieren scheinen, daß niemand 'sich darum schert'.

Unserer Meinung nach führt 'sorgloses' Verhalten auch zu dem Zusammenbruch von informeller Kontrolle. Eine stabile Nachbarschaft von Familien, die für ihre Häuser sorgen, gegenseitig auf die Kinder achtgeben und selbstbewußt ungewollte Eindringlinge mißbilligen, kann sich innerhalb einiger Jahre oder auch Monate in einen unwirtlichen und angsteinflößenden Dschungel verwandeln. Ein Grundstück ist verlassen, das Unkraut wächst und eine Scheibe wird eingeschlagen. Erwachsene schelten lärmende KInder nicht mehr; die Kinder, dadurch ermutigt, werden rebellischer. Familien ziehen aus, ungebundene Erwachsene ziehen ein. Jugendliche treffen sich vor dem Laden an der Ecke. Der Ladenbesitzer fordert sie auf wegzugehen, sie weigern sich. Es kommt zu Auseinandersetzungen. Abfall häuft sich. Die Leute beginnen vor dem Laden zu trinken; und dann stürzt ein Betrunkener auf dem Bürgersteig, darf liegenbleiben und seinen Rausch ausschlafen. Fußgänger werden von Bettlern angesprochen.

Noch ist es vermeidbar, daß ernstzunehmende Kriminalität entsteht oder gewalttätige Überfälle auf Fremde passieren. Aber viele Einwohner werden glauben, daß die Kriminalität, insbesondere Gewaltverbrechen, ansteigt. Sie werden ihr Verhalten daraufhin entsprechend ändern. So werden sie weniger oft auf die Straße gehen und sich auf der Straße mit Distanz zu ihren Mitbürgern bewegen; sie werden sich mit abgewandten Augen, verschlossenen Lippen und schnellen Schritten fortbewegen. 'Bloß in nichts verwickelt werden.' Für einige Einwohner wird die wachsende Anonymität keine große Rolle spielen, da die Nachbarschaft kein 'Zuhause' für sie darstellt, sondern nur 'der Ort, an dem sie leben'. Ihre Interessen liegen an anderer Stelle; sie sind Kosmopoliten. Für andere Bewohner, die ihrem Leben Sinn und Zufriedenheit durch die örtliche Verwurzelung geben - und nicht durch weltweite Geschäftigkeit -, wird dies jedoch von großer Bedeutung sein. Für sie hört die Nachbarschaft auf zu existieren - bis auf einige wenige verläßliche Freunde, die sie weiterhin treffen werden.

Ein derartiges Gebiet ist sehr anfällig für die Entstehung von Kriminalität. Obwohl es nicht unvermeidlich ist, ist es doch wahrscheinlich, daß in einem solchen Gebiet Drogen gehandelt werden, Prostituierte ihrem Gewerbe nachgehen und Autos gepündert werden, anders als in Gebieten, in denen die Menschen meinen, mit informellen Kontrollen das öffentliche Verhalten regulieren zu können."


Gegen die "Fremden"

Um den Grad der "öffentlichen Ordnung" zu erhöhen und die Nachbarschaften wieder sicherer zu machen, genüge es eben nicht, auf informelle, soziale Kontrolle, selbtsernannte Blockwarte oder Hausfrauen, die fast den ganzen Tag die Straße beobachten, u.a.m. zu setzen. Sinnvoll sei vor allem auch, die Straßen wieder grüner zu machen, soll in diesem Falle heißen: die Polizei wieder auf die Straße zu bringen. Belegt werde dies durch das Programm für "sichere und saubere Nachbarschaften" des US-Bundesstaates New Jersey. Der hatte Mitte der 70er Jahre eine entsprechende Kampagne in 28 Städten gestartet und u.a. Gelder zur Verfügung gestellt, die die Kommunen in die Lage versetzen sollten, PolizistInnen wieder vermehrt auf Fußstreifen zu schicken - um Verbrechen einzudämmen. Fünf Jahre später veröffentlichte die Police Foundation in Washington D.C. eine Auswertung des Fußstreifen-Projekts (daran beteiligt war Kelling) hauptsächlich auf Grundlage des Experimentes in Newark. Demnach hatten die Fußstreifen die Krimininalitätsraten nicht gesenkt. Aber: "Die Bewohner der durch Fußstreifen überwachten Gegenden schienen sich jedoch sicherer zu fühlen als Bewohner in anderen Gegenden. Sie tendierten dazu zu glauben, daß sich die Kriminalität verringert hatte und schienen weniger zu ihrem Schutz zu unternehmen [...]. Darüber hinaus hatten die Bewohner der Fußstreifen-Gebiete eine höhere Meinung von der Polizei als jene, die in unbeaufsichtigten Gebieten lebten. Die patroullierenden Polizisten zeigten eine gestiegene Arbeitsmoral, waren zufriedener mit ihrem Job und hatten ein besseres Verhältnis zu den in ihrem Revier lebenden Bewohnern als jene Polizisten, die Streife fuhren."

Es scheint zunächst, als würden diese Resultate den SkeptikerInnen recht geben: Fußstreifen täuschen den EinwohnerInnen lediglich vor, sicherer zu leben, haben aber tatsächlich keinen Einfluß auf die Kriminalitätsentwicklung. Doch, so Wilson/Kelling, weit gefehlt: "die Einwohner von Newark [wurden] nicht getäuscht". "Vielmehr wußten sie, welche Aufgaben die Fußstreifen hatte, daß sich diese Tätigkeit von der der motorisierten Streife unterschied, und sie wußten, daß die polizeilichen Fußstreifen ihre Nachbarschaften sicherer machten."

Eine Nachbarschaft könne sogar "sicherer" als vorher sein, auch wenn die Kriminalitätsrate nicht gesunken - vielleicht sogar gestiegen - ist. Und das geht so: Zuersteinmal müsse man verstehen, "was die Menschen am meisten außerhalb ihrer vier Wände ängstigt. Viele Einwohner fürchten sich natürlich in erster Linie vor Kriminalität, besonders vor plötzlichen, gewalttätigen Angriffen von Fremden. [...] Indessen übersehen oder vergessen wir leicht eine andere Quelle der Angst: die Angst, von unangenehmen Personen belästigt zu werden. Es müssen nicht unbedingt gewalttätige oder kriminelle Personen sein, sondern solche mit schlechtem Ruf, lärmender Aufdringlich- oder Unberechenbarkeit: Bettler, Betrunkene, Süchtige, randalierende Jugendliche, Prostituierte, Herumhängende und psychisch Kranke."

Wer an antisemitische Konstrukte bzw. rassistisch motivierte Ausgrenzungsmentalität denkt, ist aber total auf dem Holzweg. Denn die Gegend in Newark, auf die sich die Studie bezieht, wurde ganz überwiegend von Schwarzen bewohnt, die Polizisten aber waren weiß. Nach Kelling, der eine dortige Fußstreife viele Stunden begleitet hatte, habe ein "typischer Rundgang" folgendermaßen ausgesehen:

"Die Leute waren entweder 'Ortsansässige' oder 'Fremde'. Die 'Ortsansässigen' waren 'ordentliche' Leute, aber auch einige Betrunkene und Obdachlose, die sich hier ständig aufhielten, aber 'ihren Platz kannten'. Fremde waren, nun ja - eben Fremde, die mißtrauisch und manchmal auch furchtsam beäugt wurden. [Der] Polizist [...] wußte, wer zu den 'Ortsansässigen' gehörte und sie wußten, wer er war. Er sah es als seine Aufgabe an, die 'Fremden' im Auge zu behalten und bei den verrufenen 'Ortsansässigen' sicherzustellen, daß sie einige informelle, aber doch weitläufig bekannte Regeln einhielten. Betrunkene und Süchtige durften sich auf die Treppenstufen der Häuser setzen, nicht aber hinlegen. Es durfte in den Seitenstraßen getrunken werden, aber nicht an den Hauptkreuzungen. Alkoholische Getränke mußten in Papiertüten versteckt werden. Personen an Bushaltestellen anzusprechen, zu belästigen oder anzubetteln, war strengstens verboten. Wenn es eine Auseinandersetzung zwischen dem Geschäftspersonal und einem Kunden gab, wurde davon ausgegangen, daß der Geschäftsmann im Recht war, vor allem dann, wenn der Kunde ein Fremder war. Wenn ein Fremder in der Gegend herumhing, fragte ihn [der Polizist], ob er finanzielle Unterstützung erhielte und welcher Beschäftigung er nachginge. Gab dieser daraufhin unbefriedigende Antworten, wurde er seines Weges geschickt. Personen, die die informellen Regeln mißachteten, insbesondere jene, die Menschen an Bushaltestellen belästigten, wurden wegen Landstreicherei verhaftet. Jugendliche, die Lärm machten, wurden zur Ruhe angehalten."

Diese Zusammenarbeit von ordentlichen BürgerInnen, die ihre Nachbarschaft schützen wollten, und der Polizei erscheint Wilson und Kelling als vorbildlich. Gemeinsam hätten sie die o.g. Regeln definiert, gemeinsam seien sie durchgesetzt worden. Die sauberen "Ortsansässigen" denunzierten jeden, der die Regeln mißachtete, bei der Polizei, schritten aber auch selbst zur Tat. Sie gaben diese Personen, wie die beiden new realists schwammig formulieren, der "Lächerlichkeit preis".

Eine so erfolgreiche Polizei, die dem Bürger dienen will, muß sich der ihr durch den 'Liberalismus' auferlegten Schranken aber so weit es geht erwehren. Und so konnte auch Kelling bei den gemeinsamen Streifengängen feststellen, daß "manches,was [die Polizei] tat, sich als 'Gesetzesdurchsetzung' beschreiben [ließ], genausooft aber bediente [sie] sich informeller oder außerrechtlicher Mittel, um der Nachbarschaft zu der von ihr als angemessen definierten Vorstellung von öffentlicher Ordnung zu verhelfen. Einige der Dinge, die [sie] dazu unternahm, würden einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten können."

Die SkeptikerInnen, die die o.g. Zustände als 'Subkultur' akzeptiert hätten oder die monierten, daß diese Art der "Ordnung" wenig mit der "tatsächlichen Ursache der Nachbarschaftsangst - mit Gewaltverbrechen -" zu tun hätte, müßten zwei wesentliche Punkte berücksichtigen:

Erstens sollten sich außenstehende BeobachterInnen nicht anmassen zu wissen, wie groß der Anteil der "mittlerweile in vielen großstädtischen Gegenden grassierenden Angst vor 'realen' Verbrechen in der Nachbarschaft ist, und in welchem Ausmaß sie von einem Gefühl bestimmt ist, daß die Straße 'unordentlich' ist, eine Quelle unangenehmer und beunruhigender Erfahrungen". Beobachtungen und Befragungen der EinwohnerInnen von Newark hätten jedenfalls ergeben, daß diese "offensichtlich der öffentlichen Ordnung einen hohen Stellenwert bei[messen] und es als große Erleichterung und Bestätigung [empfinden], wenn ihnen die Polizei bei der Aufrechterhaltung dieser Ordnung behilflich ist".

Zweitens sei eben "Unordnung und Kriminalität einer Gemeinde normalerweise unentwirrbar miteinander verknüpft - in einer Art ursächlicher Abfolge". Und damit wären wir (wieder) bei den broken windows. Würden diese zerbrochenen Fenster in einem Gebäude nämlich nicht repariert, zögen sie unweigerlich die Zerstörung weiterer Fenster, "Unordnung" und Verbrechen nach sich. Und das gelte, belegt werde dies nicht nur durch Zimbardos Experiment, sondern auch durch Erfahrungen von SozialpsychologInnen und PolizeibeamtInnen, für "gehobene Nachbarschaftsgegenden ebenso wie für heruntergekommene" - root causes könnten also nicht verantwortlich gemacht werden.

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kombo(p) - 16.11.1997