Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Kapitel 4.6

Spezialgebiete: Zusatzpanzerungen Nuklearschutz

Seit vielen Jahren macht man sich bei B + V Gedanken darüber, wie man die Kriegsfähigkeit von Panzern erhöhen, wie man sie gegen die zunehmende Vernichtungswirkung moderner Waffen schützen kann. So hat B + V für die älteren Leopard-1-Panzer eine über 700 kg schwere Zusatzpanzerung entwickelt, mit denen zahlreiche deutsche, niederländische, belgische italienische Fahrzeuge auch ausgerüstet worden sind.1 In gewissem Umfang wirkte B + V auch bei der 1994 in Auftrag gegebenen Kampfwertsteigerung von 225 deutschen ( evtl. 180 niederländischen) Leopard-2-Panzern mit.2 Hierbei wurden Teile aus den Panzertürmen herausgefräst durch neue, noch munitionsresistentere Module ersetzt.

Darüber hinaus hat das Hamburger Unternehmen in den vergangenenen Jahren für ausländische Kettenfahrzeuge, so den französischen Kampfpanzer AMX-30, den amerikanischen Kampfpanzer M 48 den gepanzerten Mannschaftstransporter M 113 Zusatzpanzerungen auf den Markt gebracht - allerdings wohl ohne grosse Verkaufserfolge. 1992 gab B + V der Fachwelt bekannt, dass man nun auch Zusatzpanzerungen für den einst in der Sowjetunion produzierten Kampfpanzer T-54/T-55 im Programm habe.3 Diese erstaunliche im übrigen selbstfinanzierte Entwicklung würde keinen Sinn machen, wenn sich B + V nicht gute Verkaufschancen bei den ehemaligen Panzern der Sowjetunion ausrechnen würde. Mit anderen Worten: B + V versucht hier einen Kundenkreis in Osteuropa anderen Teilen der Welt zu erschliessen, der bis 1989/90 tabu war.

Panzer im Atomkrieg - dies war eine spezielle Thematik, mit der sich B + V besonders in den 80er Jahren intensiv befasst hat. Wie sollen Panzer - so lautete die Fragestellung - gestaltet werden, damit sie selbst nach dem Einsatz von taktischen Atomwaffen noch kampffähig sind? Druckwelle, Hitzestrahlung, Lichtblitz, der nukleare elektromagnetische Impuls (NEMP) vor allem die Kernstrahlung - all diese Folgen einer Atomwaffendetonation sollten den deutschen Panzer der Zukunft nicht ausser Gefecht setzen können. "Ein Nuklearschutz auch gegen Neutronenstrahlung ist machbar" - dies war der Ausgangspunkt, wie ihn der Leiter des B+V-Bereichs Wehrtechnik Land, Jürgen Schalke, 1982 formulierte.4 Die Lösung, die B + V vorschlug, bestand in speziellen Kunststoffen, die in die Panzergehäuse integriert werden sollten.

Die Ingenieure des Bereichs Wehrtechnik Land arbeiteten auf diesem Feld eng mit einem zehnköpfigen Spezialistenteam der Ingenieurgesellschaft für Nuklearschutz mbH (IGN) in München (Sandstr. 3) zusammen. Diese Firma war 1981 aus einer Abteilung des Ingenieurbüros Hopp (das massgeblich an der Entwicklung des Leopard-Panzers beteiligt war) hervorgegangen 1982 zu 100 Prozent von B + V erworben worden. Geschäftsführer der IGN wurde der Diplomphysiker Horst Reker, der dank früherer Tätigkeiten im Kernforschungszentrum Karlsruhe, in der Bölkow GmbH im Ingenieurbüro Hopp ein überaus reichhaltiges Spezialwissen mitbrachte. "Wir nehmen den Schutz von Mensch Gerät ernst" - mit diesem Slogan warb die IGN in Militärpublikationen. Dass es weniger um Menschen als vielmehr um "überlebende System" ging, machte Reker 1987 in kühler Wissenschaftssprache im "Jahrbuch der Wehrtechnik" deutlich. Zitat:5 "Sämtliche Wirkungskomponenten einer taktischen A-Waffendetonation stellen eine reale Bedrohung gepanzerter Fahrzeuge dar. Dies hat - wegen der flächenhaften Wirkungen - zur Folge, dass innerhalb vom kt-Wert abhängiger Flächen in der Umgebung des A-Waffendetonationsortes definierte Schäden bis hin zum Totalausfall damit der Verlust der Waffensysteme wahrscheinlich sind. Jede Schutzmassnahme trägt zur Reduzierung dieser Schadensflächen damit zur Erhöhung der Anzahl der überlebenden Systeme bei."

Die IGN ist offenbar Anfang der 90er Jahre aufgelöst worden.




Anmerkungen:

(1) Auch zum Folgenden: Jane's Armour and Artillery 1996-97, S. 33ff.; Wehrtechnik Nr. 9/1982, S. 70 und Nr. 8/1984, S. 91.
(2) Vgl. Wehrtechnik Nr. 3/1994, S. 42ff.
(3) Jane's Armour and Artillery Upgrades 1996-97, S. 219f.
(4) Wehrtechnik Nr. 9/1982, S. 70.
(5) Horst Reker: Nuklearschutz von Mensch und Gerät als Teilsysteme gepanzerter Fahrzeuge, in: Jahrbuch der Wehrtechnik, Folge 17, Koblenz 1987, S. 174-184.