Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Kapitel 3.2.2

Fregattenprogramm F 123



Der Auftrag

Im Juni 1987 beschloss die Bundesregierung, unabhängig von dem laufenden Entwicklungsprogramm für die standardisierte NATO-Fregatte der 90er Jahre weitere vier Fregatten in nationaler Eigenregie zu bauen (Projekt "Fregatte 94",später "Fregatte F 123"). Im sog. "Fregattenkrieg" von 1988, über den noch zu berichten sein wird, gelang es dem von B + V geführten Konsortium, sich gegen den Bremer Vulkan durchzusetzen. Der am 28. Juni 1989 mit dem BWB abgeschlossene Bauvertrag legte fest: Bau des Typschiffs bei B + V, Bau der übrigen drei Fregatten bei HDW, TNSW und beim Bremer Vulkan nach den Plänen von B + V.1

Die finanzielle Seite

Das Angebot, aufgrund dessen das B+V-Konsortium im Oktober 1988 den Zuschlag erhielt, ging von einem Preis von 585 Mio. DM pro Schiff aus. Der Bundestag stimmte dem Vorhaben 1989 unter der Auflage zu, dass bei den Kosten eine Obergrenze von 625 Mio. DM pro Fregatte nicht überschritten werden dürfe. Im Bauvertrag vom Juni 1989 wurde der Gesamtumfang des Projekts mit 2,42 Mrd. DM angegeben.

B+V-Chef Rohkamm kündigte im November 1988 an, dass 54 Prozent des Gesamtauftrags in den vier norddeutschen Bundesländern abgewickelt werden würden. Allein die Elektronikzulieferungen aus den Küstenländern würden insgesamt 450 Mio. DM ausmachen. Davon würden auf Bremen 200 Mio. DM, auf Hamburg 150 Mio. DM, auf Schleswig-Holstein und Niedersachsen jeweils 50 Mio. DM entfallen.2

Interessen, Einflussfaktoren, Hintergründe

Das Verlangen von B + V nach Anschlussaufträgen der Bundesmarine hatte sich sehr früh artikuliert. Es war der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Carl Damm, der sich im Mai 1980 zum Sprachrohr dieses Verlangens machte. Möglichst bald, so erklärte er anlässlich eines Werftbesuchs bei B + V, solle ein prinzipieller Beschluss für den Bau einer weiteren Sechser-Serie von Fregatten gefasst werden.3 Ganz so dringlich war es für B + V dann doch nicht, denn die Exportaufträge aus Argentinien, der Türkei, Portugal, Griechenland und Saudi-Arabien beschäftigten den Kriegsschiffbereich über etliche Jahre. Die Hamburger Werft konnte es aus diesem Grund auch verkraften, dass sie an der 1985 erfolgten Nachbestellung von zwei Fregatten F 122 nicht beteiligt wurde; diese Aufträge gingen an den Bremer Vulkan und TNSW in Emden.

B + V konzentrierte sich dafür ab 1984 auf ein anderes, höchst lukrativ erscheinendes Projekt: die NATO-Fregatte für die 90er Jahre (NFR-90). Über die Beteiligungen an den Planungsgesellschaften -> MTG Marinetechnik GmbH, -> Internationale Schiffs-Studien-Gesellschaft mbH (ISS) und -> FDG Fregatten Definitions-Gesellschaft suchte B + V sich eine massgebliche Rolle bei dem zu erwartenden Serien-Kriegsschiffbau zu sichern. Als die Bundesregierung 1987 angesichts der Verzögerungen beim NATO-Projekt beschloss, noch ein Vier-Fregatten-Programm im nationalen Alleingang aufzulegen, hatte B + V eine gute Ausgangsposition.

Wie B + V den "Fregattenkrieg" gegen den Bremer Vulkan gewann

Die Rivalen um die Vorherrschaft im deutschen Überwasserkriegsschiffbau, der Bremer Vulkan und B + V, vereinbarten im Herbst 1987 für das Projekt F 123 einen Waffenstillstand. Sie initiierten sogar gemeinsam ein Kartell der Kriegsschiffswerften, um einen preisdrückenden Konkurrenzkampf untereinander zu vermeiden.4 Ende November wurde bereits gemeldet, B + V und der Bremer Vulkan seien vom Verteidigungsministerium als gleichberechtigte Generalunternehmer benannt worden. In der Arbeitsgemeinschaft "ARGE F 123" entwickelten sie einträchtig am Entwurf des neuen Kriegsschiffs, das noch kampfkräftiger werden sollte als die F-122-Fregatte. Die Kartellbildung schien sich bezahlt zu machen, denn die Festlegung der Kostenobergrenze auf 650 Mio. DM pro Schiff liess die beteiligten Unternehmen auf saftige Gewinne hoffen.

1988 kam das Verteidigungsministerium jedoch zu der Erkenntnis, dass der Finanzaufwand für die Fregatten womöglich um einige zehn Millionen DM zurückgeschraubt werden könnte. Am 15. September forderte es den Bremer Vulkan, B + V sowie AEG zu Stellungnahmen zu der Frage auf, ob denn nicht in Anlehnung an den bisherigen Fregattentyp 122 ein weniger teures Kriegsschiff gebaut werden könne. Darauf geschah das, was die Rüstungsbürokratie vielleicht insgeheim auch beabsichtigt hatte: Das Kartell platzte auseinander.5 Der Bremer Vulkan versuchte mit seinem Vorstandsvorsitzenden Friedrich Hennemann, sich durch zwei alternative Fregattenangebote, die beide unter 600 Mio. DM lagen, doch noch die alleinige Generalunternehmerschaft und damit den Löwenanteil am Geschäft zu sichern. Dies ging gründlich schief. B + V griff den Fehdehandschuh nur zu gerne auf. Die Hamburger taten sich umgehend mit der Schwesterwerft TNSW und mit HDW Kiel zu einem Konsortium zusammen und arbeiteten laut Werftchef Rohkamm "mit allen zur Verfügung stehenden Ingenieurs- und Know-how-Kapazitäten in acht 20-Stunden- Tagen"6 ein Konzept für eine Fregatte aus, die "nur" 585 Mio. DM kosten sollte.

Am 28. Oktober 1988 gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass man sich für die Offerte des von B + V geführten Dreier-Konsortiums entschieden habe - der Bremer Vulkan war aussen vor. Nun beschuldigte Hennemann die Hamburger Werft, gegen den beiderseitigen Kooperationsvertrag verstossen zu haben und drohte mit einer Schadensersatzklage. Eine gerichtliche Auseinandersetzung wurde dadurch vermieden, dass das Konsortium dem Bremer Vulkan gnädig den "Unterauftrag" zum Bau der vierten Fregatte erteilte. Doch an dem wesentlichen Ergebnis des "Fregattenkriegs" änderte dies nichts mehr: B + V hatte den Bremer Vulkan nunmehr eindeutig als Deutschlands führende Werft im Überwasserkriegsschiffbau abgelöst.

Wenige Monate nach Vergabe des Bauauftrags am 28. Juni 1989 begannen mit dem Fall der Mauer die politischen Umwälzungen, die zur Auflösung des Warschauer Paktes führten. Obwohl damit die bisherige militärische Begründung der Fregatten - sie sollten wie die F 122 vor allem bei der Jagd auf sowjetische U-Boote eingesetzt werden - entfiel, wurde unbeirrt an dem Projekt festgehalten. Die Öffentlichkeit liess es sich gefallen.

Der Bau

Bei den Schiffen der Klasse F 123 handelt es sich um den bisher grössten Fregattentyp, der nach 1945 in Deutschland gebaut worden ist. Für den Schiffsrumpf des Typschiffs "Brandenburg" verarbeitete B + V 2740 Tonnen Thyssen-Stahl.7 Zum ersten Mal konnte die Hamburger Werft ihr bisher nur bei den Exportfregatten angewandtes MEKO-Baukastensystem auch beim Bau eines Kriegsschiffs für die deutschen Seestreitkräfte nutzen.

Die Bild-Zeitung bejubelte die "Brandenburg" als die "modernste Fregatte der Welt", und das Hamburger Abendblatt bezeichnete sie als "Quantensprung zur See".8 Trotz des aberwitzig anmutenden Geld- und Technikaufwandes gab es auch Stimmen aus dem Lobby-Bereich, die meinten, bei den F-123-Fregatten sei zu sehr "gespart" worden.

Fregatte "Brandenburg" (F 215)



In Rüstungsanzeigen wies B + V stolz darauf hin, dass das Schiff "drei Monate vor dem vertraglich vereinbarten Termin" abgeliefert worden sei.9

Nachbauten

Nach dem Muster der "Brandenburg" wurden von 1993 bis 1996 folgende baugleiche Schiffe gebaut:

Technische Daten: "Brandenburg"-Klasse

Verdrängung: ca. 4.500 t, Länge: 138,9 m (über alles), Höchstgeschwindigkeit: 29 Knoten, Besatzung: 219 Mann

Die Waffensysteme und ihre Hersteller

Die F-123-Fregatten verfügen über ein gewaltiges Zerstörungspotential. Dazu gehören die Exocet-Raketen des französischen Herstellers Aerospatiale, das 76mm-Geschütz des italienischen Fabrikanten OTO Melara, die amerikanischen Honeywell-Torpedos zur U-Boot-Bekämpfung und die beiden Bordhubschrauber Sea Lynx der englischen Firma Westland, die später durch grössere Modelle des deutsch-französischen Herstellers Eurocopter ersetzt werden sollen. Darüber hinaus ist die "Brandenburg" der erste deutsche Kriegsschiffs-Neubau, der mit einer Senkrechtstartanlage (VLS = Vertical Launch System) des US-Konzerns Martin Marietta für den Abschuss von Sea-Sparrow-Raketen gegen Luftziele ausgerüstet worden ist. Aus den 16 Zellen dieser Anlage können 64 Raketen ohne Nachladen abgefeuert werden.10 Eine weitere Neuerung stellt der Einbau von zwei Startanlagen für RAM-Raketen dar, mit denen angreifende, insbesondere tieffliegende Flugkörper abgeschossen werden sollen. Das Waffensystem RAM (Rolling Airframe Missile) wird in amerikanisch-deutscher Koproduktion von den Firmen Hughes Missile Systems Company, Tucson/USA, und RAM-System GmbH, Ottobrunn, hergestellt.11 B + V besorgte die Installation der RAM-Elektronik in einen vollklimatisierten Spezialcontainer.

Weitere Zulieferfirmen
aus Deutschland:
-> DMT Marinetechnik GmbH/STN (Schiffstechnischer Leitstand u.a.), Atlas Elektronik/STN (Kampfdatenverarbeitung, Sonar), Telefunken Systemtechnik GmbH/DASA Ulm (FL 1800 für elektron. Kampfführung), MTU (Dieselmotoren), Renk Tacke (Getriebe), Sulzer- Escher Wyss (Verstellpropeller), Deutz-MWM (Diesel-Generator-Aggregate), Permalight AG/Gerecke + Lauer GmbH (nachleuchtendes Bodenleitsystem), Unisys Deutschland GmbH (Tochter des US-Unternehmens Unisys Defense Systems; Kampfdatencomputer)
aus den USA: General Electric (Gasturbinen),
aus Italien: Breda (Täuschsystem SCLAR),
aus den Niederlanden: Hollandse Signaalapparaten (Feuerleit- und Radaranlagen),
aus Grossbritannien: Matra Marconi (Satellitenkommunikation), GEC Alsthom (Torpedobediensystem)

Feierlichkeiten/Schiffsname

Beim Stapellauf der "Brandenburg" war die Öffentlichkeit ausgeschlossen; der Zutritt ins Festzelt und auf die Tribüne war auch B+V-Mitarbeitern nur mit Einladungskarte möglich. Vor rund 1.000 Festgästen hielten Minister Rühe und Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe die Taufreden. Stolpe erklärte in einer Ansprache voller seltsamer Formulierungen, Deutschland werde mit der Bundeswehr "einem Teil seiner Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert gerecht". Er sagte auch: "Die Fregatte mit dem Namen Brandenburgs soll eine Herausforderung für ein gleichberechtigtes Zusammenwachsen der Deutschen sein. Die Fregatte `Brandenburg' soll für das aufgeklärte und tolerante Selbstverständnis der Menschen in dieser Region stehen.12 Ob dies selbst ein Beitrag im Sinne der Aufklärung war, darf wohl bezweifelt werden. Stolpe schien sich nicht mehr daran zu erinnern, dass er selbst vor nicht allzu langer Zeit Fortschritte bei "der weiteren Abrüstung in Europa" gefordert hatte.13

Verwendung

Die Fregatten der "Brandenburg"-Klasse bilden das 6. Fregattengeschwader, Standort Wilhelmshaven.

Nach einem Flugkörperschiessen in der Karibik Ende 1995 und weiteren Seeübungen erreichte die "Brandenburg" die sog. "operative Verwendbarkeit". (geht weiter mit: "Im August 1996...zu verstärken.", dann weiterer Einschub:) Im Jahr 1997 folgte ein neuer Aufenthalt in der US-Marinebasis Roosevelt Roads (Puerto Rico); im Rahmen der deutsch-amerikanischen Übung "Destroyer Exercise" trainierte das Schiff insbesondere den scharfen Schuss mit RAM-Raketen. Die Teilnahme an einer Seeparade vor New York schloss sich an.13a

Im August 1996 wurde die "Brandenburg" zum Mittelmeer entsandt, um dort den ständigen NATO-Einsatzverband zu verstärken.

Die Schiffe der Brandenburg-Klasse werden systematisch als schwimmende Werbeträger der deutschen Kriegsschiffsindustrie eingesetzt. Die von HDW gebaute Fregatte "Schleswig-Holstein" lief im Oktober 1996 Kapstadt an, um die deutschen Grosswerften beim Kampf um die südafrikanischen Korvettenaufträge zu unterstützen.14 Der vom Bremer Vulkan ausgeführte Nachbau "Mecklenburg-Vorpommern", im November 1996 in Dienst gestellt, unternahm seine erste Fahrt im Februar 1997 nach Abu Dhabi, Kuwait und Ägypten. Ziel in Abu Dhabi war die Rüstungsmesse "International Defence Exhibition" - auch hier also unterstützte die Bundesmarine auf Kosten der Steuerzahler die PR-Aktivitäten für neue Rüstungsexporte.15




Anmerkungen:

(1) Zum Gesamtkomplex F 123 vgl. Dieter Prange/Karl-Friedrich Wentorp: Fregatte Klasse 123 - Sachstand des Programms, in: Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 88.Bd. (1994), S. 6-10; Wehrtechnik Nr. 3/1994, S. 19ff..
(2) Hamburger Abendblatt 10.11.1988.
(3) Die Welt (Hamburg) 3.5.1980.
(4) Hamburger Abendblatt 5.11.1987.
(5) Von den zahlreichen Presseberichten zum "Fregattenkrieg" seien hier besonders genannt: Hamburger Abendblatt 29.10., 1.11., 2.11. und 10.11.1988; Die Welt (Hamburg) 10.11.1988; Handelsblatt 3.11. und 10.11.1988.
(6) Zit. nach: Die Welt (Hamburg) 10.11.1988.
(7) Hamburger Abendblatt 19.8.1992.
(8) Bild (Hamburg) 10.1.1994; Hamburger Abendblatt 21.3.1994
(9) Z.B. in Wehrtechnik Nr. 4/1995, Titelinnenseite
(10) Wehrtechnik Nr. 3/1994, S. 26ff.
(11) Vgl. Wehrtechnik Nr. 3/1993, S. 44ff. - Hinter der RAM-System GmbH stehen alte Rüstungs-Bekannte: die Dasa (50 %), Diehl (25 %) und Bodenseewerk Gerätetechnik GmbH (25 %).
(12) Zit. nach Pressedienst Brandenburg: Aktülles der Woche, 3.9.1992, S. 5f.
(13) Manfred Stolpe: Schwieriger Aufbruch, Berlin 1992, S. 277ff.
(13a) SuT 7-8/1997, S. 403 und 12/1997, S. 711; HA 3.6.1997.
(14) Hamburger Abendblatt 5./6.10.1996.
(15) Hamburger Abendblatt 19.2.1997.