Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

vorheriges Kapitel

Kapitelübersicht

nächstes Kapitel

Suche im Buch

Startseite

Firmenverzeichnis



Kapitel 3.2

Kriegsschiffe für Deutschland



Kapitel 3.2.0.

Militärische Begründungen

Für den Bau von Kriegsschiffen für die nationalen Streitkräfte werden militärische Begründungen gebraucht. Es müssen möglichst eindrucksvoll Bedrohungen und Risiken beschrieben werden, um daraus möglichst weitreichende Aufgabenfelder für die eigene Seestreitmacht ableiten zu können. Mit einer "anpassungsfähigen" Begründungsrhetorik ist es der Bundesmarine in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gelungen, das eigene Aktionsfeld im Rahmen der NATO immer weiter über den Küstenschutz hinaus auszudehnen und die Kampfkraft der deutschen Flotte stetig zu erhöhen. Die Fregatten F 122, mit deren Planung 1972 begonnen wurde, waren Ausdruck des Aufgabenzuwachses der Bundesmarine in Nordsee, Skagerrak und Kattegat. Insgesamt umfasste das Operationsgebiet der Marine damals die Ostsee, die Ostseezugänge und die Nordsee. 1980 wurde ihr Aktionsradius über den 61. Breitengrad, der bisher die nördliche Grenzlinie dargestellt hatte, hinaus erweitert, d.h. auf das Nordmeer nordwestlich von Norwegen.

Die politischen Veränderungen in Europa ab 1989 entzog der Marine zwar die bisherige Legitimationsgrundlage; auf den vielbeschworenen maritimen Expansionismus der Sowjetunion konnte man sich nicht mehr berufen. Doch eine Rückkehr zu den Aufgaben der unmittelbaren Küstenverteidigung erfolgte nicht. Im Gegenteil: Der neue militärische Bewegungsspielraum wurde von Bundesregierung und Bundeswehr sogleich genutzt. So ist das Mittelmeer ab 1991 zu einem weiteren ständigen Einsatzgebiet der Bundesmarine geworden; auch hat man am Persischen Golf und im Schwarzen Meer Flagge gezeigt. Unter dem Stichwort "Krisenreaktion" ist Deutschland dabei, sich als Seemacht mit weltweiter Interventionsfähigkeit zu profilieren.

Auffällig ist, dass die Marine sich verstärkt wieder als Schutzmacht der seeabhängigen deutschen Wirtschaft darzustellen versucht. Typisch hierfür ist die Aussage eines für die Einsatzführung zuständigen Marineoffiziers: 1

"Deutschland zählt zu den grössten Handelsnationen der Welt. Mehr als 50 Prozent unseres Imports und Exports werden über See abgewickelt. Unsere Rohstoffe werden überwiegend zu 100 Prozent über See importiert. Die Zugehörigkeit zum Seebündnis der NATO und unsere Beteiligung an der Sicherung der Seeverbindungen besitzen für unsere Handelsnation den Rang einer Überlebensfrage."

Worauf solche Gedanken im Endeffekt hinauslaufen, wie der deutsche Aussenhandel im konkreten Einzelfall militärisch abgesichert werden soll, wird in der Öffentlichkeit niemals ausformuliert. Sollen deutsche Kriegsschiffe die Piraterie im Südchinesischen Meer bekämpfen, sollen sie Öltankern den Weg nach Europa freischiessen? Mit ihrer sich auf den deutschen Handel berufenden Argumentation knüpft die Marineführung unmittelbar an die Formel von den "deutschen Seeinteressen" an, mit der schon unter Kaiser Wilhelm II. und Grossadmiral Tirpitz vor 1914 eine verhängnisvolle Flottenpropaganda betrieben wurde.2

Das teils gefährliche, teils wichtigtürische Seemachtdenken der Marine kann sicher nicht allein erklären, warum in einer Zeit, in der sonst nur noch von Sparen gesprochen und der Sozialstaat radikal zurückgeschraubt wird, Milliardenbeträge für neue, unnötige Kriegsschiffe bewilligt werden. Erst die Verbindung militärischer Interessen mit den Interessen einer Industrie, die im zivilem Geschäft keine Gewinne mehr macht, erzeugt einen auf der politischen Ebene wirksam werdenden Druck.

Der aus Hamburg kommende Verteidigungsminister Volker Rühe, der 1992 Gerhard Stoltenberg in diesem Amt ablöste, ist für diesen Druck anscheinend ausgesprochen empfänglich. Schon vor einigen Jahren kündigte er an: "Die Marine wird an Bedeutung gewinnen, sie ist bei mir bestens aufgehoben."3 Tatsächlich sind die Seestreitkräfte bei Rüstungsvorhaben in den letzten Jahren deutlich gegenüber dem Heer und der Luftwaffe bevorzugt worden.

Auf den folgenden Seiten soll näher dargestellt werden, in welchem Umfang und unter welchen Begleitumständen B + V seit Ende der 70er Jahre Kriegsschiffsaufträge der Bundesmarine erhalten hat.




Anmerkungen:

(1) Dieter Stockfisch: Krisenreaktionskräfte der Marine, in: Wehrtechnik Nr. 2/1994, S. 33ff.
(2) Die Parallelität damaliger und heutiger Aussagen ist tatsächlich verblüffend. Vgl. z.B. Nauticus: Altes und neues zur Flottenfrage, Berlin 1898, S. 183ff. ("Seehandelsschutz") und 190ff. ("Seeinteressen, deutsche"). Vgl. auch Wilhelm Deist: Flottenpolitik und Flottenpropaganda. Das Nachrichtenbureau des Reichsmarineamtes 1897-1914, Stuttgart 1976
(3) Zit. nach: Der Spiegel Nr. 39/26.9.1994, S. 20