Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Kapitel 3.1.4.

Der ausgebliebene Kurswechsel

Unter dem Eindruck der weltpolitischen Veränderungen von 1989/90 schien die Chefetage von B + V ansatzweise zu erkennen, dass das Klammern an den Kriegsschiffbau ein Irrweg war und in der bisherigen Form nicht würde fortgesetzt werden können. Denn schliesslich war nun davon auszugehen, dass der Wegfall der Blockkonfrontation die Nachfrage nach neuen Kriegsschiffen weltweit sehr stark einschränken würde. Verschiedene Staaten, namentlich die USA und Russland, würden einen Teil ihrer gewaltigen Überschussbestände zum Verkauf auf dem Weltmarkt anbieten. Und zahlreiche ausländische Werften, die bisher von Aufträgen ihrer jeweiligen nationalen Marine gelebt hatten, würden jetzt verstärkt um Exportaufträge mitkonkurrieren.

"Frachter statt Fregatten" - mit dieser Schlagzeile berichtete das Hamburger Abendblatt im Januar 1990 über den von B + V auf der Bilanzpressekonferenz angekündigten Kurswechsel. "Es war nie unser Ziel, einseitig und ausschliesslich Marineschiffe zu bauen", erklärte Werftchef Rohkamm nun auf einmal.1

Doch die Bemühungen um eine "Rezivilisierung" des Schiffbaus bei B + V blieben halbherzig, die Bilanz fällt heute äusserst dürftig aus. Die Emdener Schwesterwerft TNSW beteiligte B + V ab 1993 in begrenztem Umfang an der Ausführung von Handelsschiffsaufträgen. 1994 lief nach 17jähriger Unterbrechung erstmals wieder ein normales Handelsschiff, das Containerschiff "Elisabeth", bei B + V vom Stapel - zu Ende gebaut wurde das ca. 75 Mio. DM teure Schiff allerdings in Emden. Das einzige komplette Handelsschiff, das die Hamburger Werft seit den Ankündigungen von 1990 tatsächlich realisiert hat, war das 1995/96 - nach Plänen von TNSW - gebaute Containerschiff "Columbus Olinda" (Auftragswert: ca. 71 Mio. DM). In einem Papier zur Vertrauensleute-Versammlung bei B + V am 10. Juni 1994 wurde u.a. festgestellt:

"Es stellt sich jetzt heraus, dass viele Qualifikationen für einen effizienten zivilen Schiffbau verloren gegangen sind. Besonders schmerzlich ist die lange überfällige Erkenntnis, dass durch die stark subventionierten und aufgeblähten Rüstungsgeschäfte die Kostenstruktur im Schiffbau verdorben wurde. Auch die Innovationstätigkeiten und Diversifikationsansätze des Unternehmens sind durch die einseitige Ausrichtung auf die maritime Rüstung gelähmt." Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Juli 1997) ist noch nicht klar, ob B + V mit schnellen Einrumpfschiffen (Fast Mono Hulls) den Wiedereinstieg in den Bau selbstkonstruierter Handelschiffe schafft. Doch selbst wenn der angeblich kurz vor dem Abschluss stehende Auftrag zum Bau von drei Schnellfähren für eine griechische Reederei zustand kommt, wird die Wertleitung den Kriegsschiffen weiter als die eigentlich "verlässliche Stütze" 1a betrachten. Die Forderung der Thyssen-Industrie-Spitze, künftig müsse sich das eingesetzte Kapital in allen Geschäftsbereichen mit über 20 Prozent verzinsen, ist ein zusätzliches Hindernis beim Abschluss von Handelsschiffs-Verträgen.

Kurzum: der 1990 angekündigte Kurswechsel ist ausgeblieben. Die Werftleitung betrachtet den Kriegsschiffbau nach wie vor als die einzige "verlässliche Stütze".2 Sie setzt weiter auf diesen Verschwendungssektor mit politisch produzierten Profiten, obwohl sie genau weiss, dass im militärischen Schiffbau weltweit gewaltige Überkapazitäten existieren. Man gibt sich der Vorstellung hin, dass im Kriegsschiffbau auch künftig eine permanente Auslastung der vorhandenen Kapazitäten möglich sein wird, und zwar wie in den 80er Jahren durch eine Kombination von Bundeswehr- und Exportaufträgen.

Hierfür fordert B + V in anmassender Weise die Unterstützung der Politik: Solange es aus den oben genannten Gründen schwierig ist, im Ausland neue Kriegsschiffsaufträge zu akquirieren, soll die Bundesmarine mit neuen Fregatten- und Korvettenaufträgen für die Auslastung der Kapazitäten sorgen.

Als aggressivster Promotor dieser Rüstungslinie ist seit einiger Zeit Herbert von Nitzsch hervorgetreten, der dem B+V-Vorstand seit den 80er Jahren angehört und Anfang 1996 den Vorstandsvorsitz übernommen hat. Seine Vorträge vor Insidern des militärisch-industriellen Komplexes, etwa auf einem "Wehr & Wirtschaft"-Seminar im Februar 1994 oder beim 44. Flamersheimer Gespräch des Deutschen Marine Instituts im Dezember 1995, lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.3 Es geht v. Nitzsch darum, die "äusserst leistungsfähige Symbiose zwischen Marinerüstung und Industrie" zu erhalten. Mit Blick auf die Bundeswehr spricht er gern von der "Notwendigkeit der globalen Power projection" und fordert "die Verfügbarkeit leistungsfähiger Schiffe in ausreichender Anzahl für die unterschiedlichsten Missionen in nahezu allen Gebieten der Welt". Eine deutsche Werftindustrie ohne Kriegsschiffbau und ohne Kriegsschiffexport kann er sich nicht vorstellen:4

"Die deutsche Marinerüstung bildet die Basis für die Marineexportfähigkeit der deutschen Schiffbauindustrie. Umgekehrt bildet der Marineexport die Voraussetzung für eine von der deutschen Schiffbauindustrie zu erfüllende Marinerüstung. Die deutsche Schiffbauindustrie ist nur durch den Marineexport überlebensfähig."

B + V bindet sein Schicksal an den Kriegsschiffbau - und dies kann, so oder so, nur schiefgehen. Denn entweder die Unternehmensstrategie geht betriebswirtschaftlich auf, dann wird dies erstens mit Milliardensummen aus dem deutschen Steueraufkommen und mit neuen Einsparungen im Sozialbereich erkauft werden müssen, zweitens die Gefahr kriegerischer Verwicklungen erhöhen, oder sie geht nicht auf, dann wird die Werft geschlossen.




Anmerkungen:

(1) Hamburger Abendblatt 27./28.1.1990
(1a)
(2) Die Welt 30.1.1997
(3) Abdruck des ersten Vortrags in Blohm + Voss: Prisma-Zeitung Nr. 2/1994, S. 9ff. und in leicht modifizierter Version in Wehrtechnik Nr. 4/1994, S. 9ff.; Auszüge des zweiten Vortrags in Marineforum Nr. 3/1996, S. 6. Vgl. ausserdem den Kommentar von v. N
(4)1. Wehrtechnik Nr. 4/1994, S. 12