Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Kapitel 2.4.

Die Nachkriegszeit

Nach 1945: Demontage und Wiederaufbau

Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde das Werftgelände sofort am 3. Mai 1945 von britischem Militär besetzt; am 22. Dezember 1945 musste B + V die Produktion ganz einstellen. Am Himmelfahrtstag 1946 wurden die Grosshelgengerüste der Werft gesprengt. Viele Hamburger reagierten empört - sie wollten nicht wahrhaben, dass die Demontage im Grunde die logische Konsequenz dessen war, was das Deutsche Reich und seine Rüstungsindustrie in den Jahren zuvor angerichtet hatten.1

Die Gebrüder Blohm und andere Verantwortliche der Werft wurden 1949 vor ein britisches Militärgericht gestellt, aber nicht wegen ihrer für viele Menschen todbringenden Aktivitäten in der NS-Zeit, sondern weil sie versucht hatten, aus der Demontagemasse Maschinen für eine später neuzugründende Firma beiseitezuschaffen. Wegen "unbefugten, störenden Eingriffs in die Demontage" wurde Walther Blohm zu 10.000,-, Rudolf Blohm zu 5.000,- Mark und zwei führende Angestellte zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Die Demontage bei B + V wurde, nachdem am 18. März 1950 auch das Schlachtschiff-Dock "Elbe 17" gesprengt worden war, im Herbst 1950 abgeschlossen - angesichts der verbliebenen Trümmerwüste schien damit das Ende der Hamburger Werft gekommen. Doch B + V bekam eine dritte Chance, es mit friedlicher Produktion zu versuchen. Dem unter dem Namen "Steinwerder Industrie AG" am 12. Februar 1951 neugegründeten Unternehmen wurde 1954 der Bau von Küsten- und Seeschiffen wieder gestattet. Hierzu hatten auch die "unablässigen Bemühungen des Senats um die Wiedererrichtung der Werftbetriebe von Blohm & Voss" (Bürgermeister Max Brauer im Januar 1953) beigetragen.2 Die Hamburger Bürgerschaft beschloss, den Werftindustriellen mit Krediten von über 11 Mio. DM wieder auf die Beine zu helfen. Dagegen stimmten allein die Kommunisten, die "für die Unterstützung der Nutzniesser des Tausendjährigen Reiches" kein Verständnis zeigten.3 Auch den ersten Nachkriegsauftrag für ein Seeschiff hatte die Werft der Stadt zu verdanken: es war das Helgoland-Bäderschiff "Wappen von Hamburg" der HADAG.

Mitte 1955 kehrte das Unternehmen zu ihrem Traditionsnamen zurück: Aus der Steinwerder Industrie AG wurde die Blohm & Voss AG. Für die weitere Entwicklung bedeutsamer war eine andere Weichenstellung: Die Gebrüder Blohm taten sich mit einem finanzstarken Stahlkonzern aus dem Ruhrgebiet zusammen. Am Kapital der neuen AG beteiligte sich zu 50 Prozent die in Düsseldorf ansässige Phönix-Rheinrohr AG, die von dem exzentrischen Ruhrpott-Manager Fritz Aurel Görgen geleitet wurde und die sich ihrerseits mehrheitlich im Besitz von Amélie Thyssen, der Witwe von Fritz Thyssen, befand. Der Beginn der neuen Ära kam in kurioser Symbolik beim Stapellauf des ersten grösseren Massengutfrachters am 12. März 1956 zum Ausdruck, als Amélie Thyssen das Schiff auf den Namen "Amélie Thyssen" taufte. Die Blohms und Phönix-Rheinrohr hatten zwar eine gleichberechtigte Partnerschaft vereinbart, doch faktisch drückte der Konzern die an uneingeschränkte innerbetriebliche Macht gewohnte Blohm-Familie immer mehr an den Rand. 1957 schied Rudolf Blohm aus dem Vorstand aus, 1958 auch Walther Blohm, und dessen Sohn Georg Blohm wurde 1962 auf unfeine Art aus der Unternehmensleitung geworfen.

Was B + V in den 50er Jahren ins Geschäft zurückbrachte und bald wieder über 3.600, zeitweise auch über 4.000 Menschen Beschäftigung gab, war der Bau von Frachtschiffen - bis 1960 wurden allein elf Massengutfrachter fertig. Allerdings verlor die Produktion noch in den 50er Jahren bereits wieder ihren rein zivilen Charakter. Das ökonomische Interesse an Aufträgen, die sich aus der Wiederbewaffnung ergaben, erwies sich als stärker als das Bewusstsein der negativen Erfahrungen, die man mit dieser Art von Geschäften gemacht hatte. Im Kriegsschiffbau hielt sich B + V zunächst noch zurück und übernahm für die Bundesmarine 1957/58 nur den Bau des Segelschulschiffs "Gorch Fock". Grössere Investitionen brachte das Unternehmen ab 1958 auf, um in die Landrüstung, genaür gesagt, in den Bau von Panzerteilen einzusteigen. Zwischen 1959 und 1970 entstanden in der Maschinenbauabteilung von B + V: 2.000 Türme für die Schützenpanzer Hotchkiss und Hispano Suiza, 220 Wannen für das Panzerradfahrzeug SW 1 und 110 Gehäuse für Raketenwerfer.4 Vor allem aber begann 1965 die Wannenfertigung für den Kampfpanzer Leopard 1 (s. hierzu den Abschnitt 4.1).

Früher noch hatte die ebenfalls wiederbelebte Hamburger Flugzeugbau GmbH (HFB) auf Finkenwerder die Rückkehr zum Rüstungsgeschäft vollzogen. Diese Gesellschaft, inzwischen von der B + V AG abgekoppelt und im alleinigen Besitz der Familie Blohm verblieben, sicherte sich bereits im Juli 1956 gemeinsam mit zwei anderen Firmen die Serienfertigung des militärischen Transportflugzeugs "Noratlas". Der Bau einer neuen Start- und Landebahn auf Finkenwerder wurde von der Stadt im Oktober 1956 genehmigt (zur späteren Entwicklung dieses Unternehmens -> Messerschmidt-Bölkow-Blohm).

Ab 1962 verstärkte B + V die Aktivitäten im Marinebereich. Die Aufträge der Bundeswehr umfassten den kanonenbestückten Tender "Isar", zwei Landungsboote und drei Versorgungsschiffe. Dazu kamen zwei Tender, die B + V für die 1962 zusammengebrochenee Schlieker-Werft zu Ende baute. An Bedeutung gewann der Kriegsschiffbau bei B + V weiter durch die Übernahme der benachbarten Stülcken-Werft im Februar 1966. Die Stülcken-Werft hatte sich in den vorangegangenen Jahren durch den Bau von Zerstörern und Fregatten zur führenden deutschen Werft für Überwasserkampfschiffe entwickelt. Die Übernahme der Stülcken-Kapazitäten bescherte B + V neben Restarbeiten an einem neuen Zerstörer den Bau von zwei Minenlegern und erleichterte dem Unternehmen dann auch die Akquisition eines ersten grösseren Exportauftrags: Bis 1970 lieferte man drei Korvetten an Portugal ab (weitere Schiffe dieses Typs wurden in den Folgejahren mit Hilfe von B + V in Spanien gebaut).

Der Kreis der B+V-Aktionäre wurde 1966 um die Familie von Dietlein als früheren Eigentümern der Stülcken-Werft und 1967 um die Siemens AG erweitert. Die Familiengruppe Blohm, die ja über ihre Verwaltungsgesellschaft Elbe noch bis 1966 einen 50-Prozent-Anteil gehalten hatte, verlor zusehends an Einfluss. Die August Thyssen-Hütte, die 1964 die Phönix-Rheinrohr AG übernommen hatte, verschaffte sich 1969/70 mit Hilfe einer Kapitalerhöhung endgültig die eindeutige Dominanz innerhalb des Unternehmens. Seit 1970 verteilten sich die Kapitalanteile wie folgt: August Thyssen-Hütte AG 64,7 Prozent, Verwaltungsgesellschaft Elbe 17,9 Prozent, Siemens AG 12,5 Prozent und Gruppe v. Dietlein 4,9 Prozent.

Glänzende Erinnerung

B + V hat eine ebenso bemerkenswerte wie kritikwürdige Technik entwickelt, die eigene Geschichte in strahlendem Licht erscheinen zu lassen. Die Devise lautet sinngemäss: Wir haben schon immer technisch hervorragende und richtungweisende Produkte abgeliefert, über Politik und Kriegsgeschäfte sprechen wir nicht. Auf die Kriegsschiffe, die man für Kaiser und Führer baute, ist man noch immer stolz. Die über 270seitige Firmenchronik, die sich das Unternehmen zum hundertjährigen Bestehen 1977 von Hans Georg Prager schreiben liess, ist zwar reich an historischen Informationen, die aber sind sehr einseitig ausgewählt. Jeder selbstkritische Blick auf die dunklen Seiten der Unternehmensgeschichte wird vermieden. Um B + V als unschuldiges Opfer der britischen Demontagepolitik nach 1945 darzustellen, geht Prager soweit, zu leugnen, dass B + V in der NS-Zeit ein Rüstungsbetrieb war, obwohl er selbst zuvor über Seiten die technischen Details der bei B + V ab 1933 hergestellten Kriegsschiffe und Militärflugzeuge ausgebreitet hat.

Im Rahmen des Hamburger Gedenktafelprogramms war vorgesehen, auf dem Werftgelände eine Tafel zur Erinnerung an das KZ-Aussenlager anzubringen. Obwohl die Verhandlungen auf höchster Ebene geführt wurden, weigerte sich die Firma, eine Tafel zuzulassen, die auf den Einsatz von KZ-Gefangenen im Bereich des Unternehmens verweist.5 B + V begründete diese Haltung damit, dass die Tafelinformationen ausländische Kunden schockieren könnten, wodurch Aufträge gefährdet würden. Als die von Jan Philipp Reemtsma geleitete Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur B + V 1988 um eine Beteiligung am Ausbau der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bat, antwortete Vorstandschef Rohkamm, man wolle zwar den Museumshafen Övelgönne weiter fördern, aber "neue Verpflichtungen" könne man angesichts der angespannten Finanzlage nicht auf sich nehmen.6




Anmerkungen:

(1) Festschrift-Autor Prager beklagt die Sprengung: "Binnen Minuten wurden Millionenwerte zerstört. ...Die Explosionen trafen Hamburg mitten ins Herz." (wie Anm. 11, S. 178f.) Über die Milliardenwerte, die zuvor durch die Rüstungsproduktion bei B + V zerstört worden waren, verliert er kein Wort. - Vgl. Alan Kramer: Die britische Demontagepolitik am Beispiel Hamburgs 1945-1950, Hamburg 1991, S. 270ff., 294ff. u. 399ff.
(2) Brauers Erklärung in der Bürgerschaft am 28.1.1953 (Sitzungsniederschrift S. 54f.); vgl. auch Mitteilung 198 des Senats an die Bürgerschaft v. 1.10.1954
(3) So der KPD-Abgeordnete Kurt Erlebach in der Bürgerschaftsdebatte vom 10.6.1953 (Sitzungsniederschrift S. 494)
(4) Wehrtechnik Nr. 1/1977, S. 44, und Nr. 9/1982, S. 69

(5) Vgl. Ulrike Puvogel/Martin Stankowski: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus (hrsg. v.d. Bundeszentrale für politische Bildung), Bd. I, 2. erweit. Aufl. Bonn 1995, S. 248

(6) Reproduktion von Rohkamms Schreiben in: Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur: Industrie, Behörden und Konzentrationslager. Reaktionen 1988/1989, Hamburg 4. Aufl. 1989