Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Kapitel 2.3.

Geschichte 1939-1945

Der Zweite Weltkrieg

Der mörderische und zugleich selbstmörderische Wahnsinn, der dem Bau dieses Kriegsmonstrums zugrundelag, liess sich nicht viel Zeit, um sich zu offenbaren. Die 200 Millionen Mark, die in vierjähriger Bauzeit (1936-40) in das Prunkstück der deutschen Kriegsmarine investiert worden waren, waren schon neun Monate nach der Indienststellung unwiederbringlich verloren. Der erste Kriegseinsatz der "Bismarck" im Mai 1941 war auch der letzte und kostete ca. 3.400 Menschen das Leben. Unter den Toten waren 1.418 Besatzungsmitglieder des britischen Schlachtkreuzers "Hood", der von der "Bismarck" versenkt wurde, bevor diese selbst zusammengeschossen als "schwimmender Sarg" mit etwa 2.000 Mann unterging.

Eigentlich sollte B + V nach der "Bismarck" noch weitere Schlachtschiffe bauen, die doppelt oder sogar dreimal so gross wie diese werden sollten. Zu diesem Zweck hatte man 1938 mit dem Bau des damals grössten Trockendocks Europas begonnen. Dieses Baudock "Elbe 17" wurde zwar unter riesigem Kostenaufwand bis 1942 fertiggestellt, aber nicht mehr zum Schlachtschiffbau genutzt.1 Denn B + V war nach Beginn des Zweiten Weltkriegs - wie schon im Ersten Weltkrieg - sofort zur Massenfertigung von U-Booten übergegangen. Die Werft erhielt den Auftrag, unter Ausnutzung aller Hellinganlagen jährlich 52 U-Boote abzuliefern, also ein U-Boot pro Woche.2 Hierfür presste die Unternehmensleitung das Äusserste aus der physischen Leistungsfähigkeit der Arbeiter heraus, die nicht mehr 45 Stunden (wie noch 1933), sondern 60 Stunden pro Woche schuften mussten. Die Luftangriffe der Alliierten brachten im Juli 1943 den U-Boot-Bau ins Stocken, weil die getöteten oder vor den Feürsturm geflüchteten Werftarbeiter nicht ersetzt werden konnten. Schon einige Monate zuvor hatte man den Plan gefasst, einen riesigen Bunker zu baün, in dem B + V - unter meterdicken Betondecken vor Bomben geschützt - die U-Boot-Produktion nochmals steigern sollte. Im Frühjahr 1943 begannen in Wedel westlich vor Hamburg die Bauarbeiten für das "Marinesonderprojekt Wenzel". Nach den Plänen wäre hier für B + V Deutschlands grösster U-Boot-Bunker entstanden, doch der Bau, zu dem auch KZ-Häftlinge herangezogen wurden, wurde im Sommer 1944 abgebrochen.3

Insgesamt lieferte B + V bis zum Kriegsende 230 U-Boote ab, weitere 26 wurden nicht fertiggestellt. Nach der Indienststellung wirkten die U-Boote bei dem Vernichtungswerk gegen die allierte Schiffahrt mit, bei dem die deutsche U-Boot-Flotte mit ihren Torpedos insgesamt über 2.800 Handelsschiffe versenkte. Die Todesopfer dieser Attacken hat bisher niemand gezählt. Umgekehrt wurden 143 der bei B + V gebauten U-Boote nach relativ kurzer Einsatzdauer von gegnerischen Kräften versenkt - die Zahl der dabei ums Leben gekommenen Besatzungsmitglieder lässt sich auf ungefähr 6.000 schätzen.

Die Flugzeugabteilung von B + V produzierte währenddessen für die Luftwaffe. Den technischen Höhepunkt bildete der Bau des damals grössten Seeflugzeugs der Welt, des Flugboots BV 238. Als sechsmotoriger Seefernaufklärer mit 60 Metern Spannweite sollte er die Beutezüge der deutschen U-Boote im Atlantik unterstützen. Nach Aussage von Chefkonstrukteur Vogt dachte man sogar daran, die BV 238 zu Bombenangriffen auf New York einzusetzen.4 Das einzige fertiggestellte Exemplar des Flugriesen wurde jedoch kurz vor Kriegsende auf dem Schaalsee bei Mölln von britischen Jagdflugzeugen zerstört.

Im Werk Wenzendorf liess B + V darüber hinaus - was in der Firmenchronik von 1977 völlig unterschlagen wird - in einer seit 1939 bestehenden Flugkörperabteilung "Wunderwaffen" entwickeln und bauen.5 Darunter war z.B. ein von Flugzeugen abzuwerfender Gleit-Torpedo BV 950, dem man zynischerweise den Namen "Friedensengel" gab. B+V-Chefkonstrukteur Vogt entwickelte auch, ohne dazu von der NS-Rüstungsbürokratie aufgefordert worden zu sein, eine Gleitbombe, die nach dem Abwurf aus grossen Höhen mit Hilfe ihrer Flügel weit entfernte Ziele, etwa englische Städte, erreichen sollte. Er schlug sie als Ersatz für die seiner Ansicht nach "armselige" V-1 vor. Hitler und Speer, denen er das Waffenkonzept im Sommer 1943 auf dem Obersalzberg persönlich erläutern durfte, waren - wie Vogt in seinen Memoiren stolz schreibt - "begeistert".6 Über 400 Gleitbomben des Typs BV 246 "Hagelkorn" wurden bei B + V selbst, über 600 weitere in B+V-Lizenz bei anderen Unternehmen produziert. Glücklicherweise kamen die Todesmaschinen der B+V- Flugkörperabteilung - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht mehr zum Fronteinsatz.7

Biographische Randnotiz: Konstrukteur Vogt musste sich nach dem Krieg keine Sorgen um die Zukunft machen. Er wurde 1947 vom Boeing-Konzern in die USA geholt und konnte seine kriegstechnische Kreativität bei Atombomber- und anderen Armeeprojekten zur Geltung bringen. 1975 verlieh ihm die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt "für seine hervorragenden Verdienste auf dem Gebiet der Luftfahrwissenschaften" die Ehrenmitgliedschaft.

Allein in der Abteilung Flugzeugbau arbeiteten während des Zweiten Weltkriegs zeitweise (Anfang 1943) über 5.000 Personen. Die Gesamtzahl der Beschäftigten bei B + V stieg von 15.000 im August 1939 auf 17.500 im Juni 1943 an, sackte infolge der Luftangriffe vorübergehend auf 15.000 (November 1943) ab, um im Februar 1945 - drei Monate vor Kriegsende - den historischen Höchststand von 19.500 zu erreichen. Seit 1941 setzte das Unternehmen zunehmend ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene ein. Wer von den Ostarbeitern, die einen äusserst geringen Lohn erhielten, nicht die erwartete Leistung brachte, wurde von der Werftleitung der Gestapo übergeben. Sowohl Rudolf als auch Walther Blohm verlangten harte Strafen gegen "Bummelanten".8

In der Belegschaft gab es einige wenige, die den Mut hatten, gegen Krieg und NS-Herrschaft zu opponieren.9 Ab 1942 bildete sich bei B + V eine illegale, etwa 60 bis 80 Personen umfassende Betriebszelle der kommunistischen Bästlein- Organisation. Eine leitende Funktion innerhalb dieser Zelle übernahm der Schlosser Hans Hornberger. Durch einen Spitzel an die Gestapo verraten, wurde er ohne Gerichtsverfahren am 14. Februar 1944 im KZ Neuengamme gehängt. Ausser ihm bezahlten zehn weitere B+V-Beschäftigte ihre Aktivitäten im Widerstand mit dem Leben. Ihre Namen sind: Walter Reber, Erich Heins, Kurt Vorpahl, Jonny Stüve, Heinz Priess, Otto Möller, Robert Anasch, Willi Schneider, Oskar Kaack und Georg Hoffmann. Eine Gedenktafel, die der B+V-Betriebsrat nach dem Krieg zur Erinnerung an die elf ermordeten Belegschaftsangehörigen im alten Hauptgebäude der Werft anbringen liess, verschwand später spurlos und wurde nicht ersetzt.

Seit Oktober 1944 existierte auf der Werft ein Aussenlager des KZ Neuengamme.10 Die KZ-Häftlinge, es waren etwa 500, wurden im Malereigebäude untergebracht und mussten in der Maschinenfabrik I U-Boot-Teile herstellen. Für sie galt eine Arbeitszeit von 78 Stunden in der Woche. Aufgrund der überlangen Arbeitszeit, der schlechten Ernähr




Anmerkungen:

(1) Ebd., S. 187
(2) Vgl. Eberhard Rössler: Die deutschen U-Boote und ihre Werften, Bd. 2, München 1979, S. 41ff.
(3) Vgl. Oliver Wleklinski: "Marinesonderanlage Wenzel". Ein Bauprojekt des III. Reiches bei Wedel (Holstein) 1943-1945, in: Jahrbuch für den Kreis Pinneberg 1991, Pinneberg 1990, S. 137-144; Sönke Neitzel: Die deutschen Ubootbunker und Bunkerwerften, Kobl
(4) Brief Dr. Richard Vogt an Hermann Pohlmann v. 3.7.1978, abgedruckt in: Pohlmann (wie Anm. 25), S. 246
(5) Vgl. Kyrill von Gersdorff: Die Blohm & Voss-Flugkörper BV 143, BV 950 und BV 246, in: Theodor Benecke u.a.(Hrsg.): Flugkörper und Lenkraketen, Koblenz 1987, S. 115-121; vgl. auch Pohlmann (wie Anm. 25), S. 193ff.
(6) Vogt (wie Anm. 27), S. 151
(7) Vgl. Heinz J. Nowarra: Torpedoflugzeuge. Entwicklung und Einsatz, Stuttgart 1984, S. 66 u. 67
(8) Vgl. Friederike Littmann: Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1940 bis 1945, in: Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hrsg.): Hamburg in der NS-Zeit, Hamburg 1995, S. 175-202, hier S. 189ff.
(9) Vgl. Ursula Puls: Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, Berlin (DDR) 1959, S. 23ff., 50f., 140 u. 158ff.; Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933-1945, Frankfurt a.M. 1980, S. 351ff., 384f. u. 618; Hans-Robert Buck:
(10) Vgl. bes. Ludwig Eiber: Aussenlager des KZ neuengamme auf den Hamburger Werften, in: 1999, Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Nr. 2/1995, S. 57-73