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Wer schweigt, darf vorerst bleiben
In winzigen Ruderbooten
setzen
schwarzafrikanische Flüchtlinge
über die Meerenge
von Gibraltar
- Für illegale Einwanderer
aus
Afrika galt Italien lange
als die
wichtigste Pforte zur EG.
Doch seit
einigen Monaten haben die
Schlep-
per eine neue Route erschlossen:
Die Straße von Gibraltar.
Die drei Männer mit
ihren Video-
recordern haben sich auf
Tarifas
„Plazuela del Viento" aufgebaut.
Der
Blick vom höchstgelegenen
Platz
des Städtchens ist
wirklich reizvoll:
Die blau-weißen Fischerboote
unten
im Hafen, die spanische
Küste. Ein
kleiner Schwenk bringt den
Atlantik
ins Objektiv, schließlich
die nur 14
Kilometer entfernten marokkani-
schen Berghänge, die
schon zu
Afrika gehören. Zufrieden
packen
die Touristen ihre Kämeras
wieder
ein. Von dem „Aufnahmezentrum
für illegale Immigranten",
das sie
mit im Bild haben werden,
wenn sie
daheim ihre Urlaubsvideos
abspie-
len, ahnt keiner von ihnen
etwas.
Der Westwind treibt die
Kähne nach Andalusien
Am Kai nimmt die Fähre
Passa-
giere für Tanger an
Bord. In der al-
ten Zollstation gleich nebenan,
die
Platz für 45 Menschen
bietet, warten
fast doppelt so viele auf
die behörd-
liche Erfassung ihrer Anwesenheit.
Zwei Femseher plätschern
den gan-
zen Tag vor sich hin, einer
für die
Einwanderer, einer für
das Wach-
personal. Desinteressiert
fragen die
Beamten die Angekommenen
nach
ihrem Herkunftsland, teilnahmslos
nehmen sie das erwartete
Schwei-
gen zur Kenntnis. Wer seine
Natio-
nalität nicht angibt,
kann nicht ab-
geschoben werden - das haben
die
Insassen der Zollstation
gelernt, ehe
sie sich auf den Weg nach
Spanien
machten.
Monat für Monat überqueren
Hunderte illegal die Meerenge.
Jede
Nacht bei Westwind, wenn
die Sicht
klar ist und das Meer ruhig,
setzen
sie in hölzernen Ruderboote
mit Au-
ßenbordmotor über
das Wasser. Für
die vorwiegend aus Äthiopien,
Libe-
ria, Sudan oder Südafrika
stammen-
den Menschen ist es die
letzte
Etappe einer langen Flucht.
Sie flie-
hen vor Armut und Bürgerkrieg,
um
sich als Tagelöhner
in Andalusien,
als Bauarbeiter in Barcelona
oder
als Straßenhändler
in Mitteleuropa
das Leben zu verdienen.
Auf den Radarschirmen der
Kü-
stenwache ist jedes Boot-zu
sehen,
das sich in der Meerenge
bewegt.
Die Menschenjagd mit Helikopter
und Geländewagen im
Morgen-
grauen am Strand wird so
zur Routi-
neangelegenheit, Wer hier
noch
durchs Netz rutscht, den
liest späte-
stens die Verkehrspolizei
an der Na-
tionalstraße auf,
wenn er per Auto-
stopp nach Algeciras weiterzukom-
men versucht.
Durch die Einrichtung der
Außen-
grenze des EG-Binnenmarktes
ist
das Geschäft für
die Menschen-
schmuggler lukrativ geworden.
Seit
Spanien im Mai 1991 die
Visapflicht
für Nicht-EG-Bürger
einführte, stieg
der Preis für die Passage
von umge-
rechnet 400 auf l 200 Mark.
Durch-
schnittlich 15 Erwachsene
drängen
sich in einem Kahn mit sechs
Qua-
dratmetern Grundfläche.
Verliert ei-
ner, von ihnen während
der minde-
stens anderthalb Stunden
auf See
das Gleichgewicht, kann
das Boot
kentern. Jeden dritten Tag
treiben
die Leichen ertrunkener
Schwarz-
äfrikaner an die andalusische
Küste.
Doch nicht jeder, der seinen
Fuß
an Bord setzt und dessen
Boot nicht
umschlägt, ist schon
sicher in Spa-
nien. Oft lassen die Fährleute
ihre
Passagiere in der Mitte
der Meer-
enge aussteigen und den
Rest der
Strecke schwimmen, um das
Ge-
schäftsrisiko zu vermindern,
von
der spanischen Küstenwache
er-
wischt zu werden. Andere
kassieren
die Gebühren für
die Überfahrt, dre-
hen eine Runde auf See und
setzen
die Flüchtlinge an
der marokkani-
schen Küste wieder
ab. Die Betroffe-
nen brauchen bei den Behörden
in
Tanger, die Schmiergelder
zu schät-
zen wissen, auf Nachsicht
nicht zu
hoffen: Die Ersparnisse
ihres ga
zen Lebens haben sie in
der verga
genen Nacht verloren.
Nach Olympia bekommt die
Guardia Verstärkung
Wer erst einmal spanischen
Bo-
den erreicht hat, den erwartet
kei-
nesfalls das Paradies, von
dem er
vorher gehört hat,
doch er ist vor-
erst in Sicherheit. Zwar
werden bis
zu 80 Personen unter unhygieni-
schen Bedingungen in der
Zollsta-
tion von Tarifa zusammengepfercht,
aber hinter den Gittern
des Aufnah-
mezentrums gibt es ausreichend
zu
essen, trockene Kleidung
und Woll-
decken. Zahnbürsten
und Zigaret-
ten aus Spenden dürfen
Rotes
Kreuz und Caritas regelmäßig
vor-
beibringen. Die Behörden
haben we-
der das Geld noch den Willen,
die
Einwanderer auch nur medizinisch
untersuchen zu lassen. Da
ist huma-
nitäre Hilfe nicht
unwillkommen
40 Tage bleiben die Afrikaner
so
verwahrt, da sie keine Straftat,
son-
dem nur die Ordnungswidrigkeit
der illegalen Einreise begangen
ha-
ben. Gelingt es den Beamten
in der
Zollstation in dieser Zeit
nicht, ihre
Nationalität festzustellen,
werden
sie mit dem Ausweisungsbefehl
in
der Hand auf die Straße
gesetzt und
haben drei Wochen Zeit,
sich einen
Anwalt zu nehmen und Klage
zu er-
heben. Tun sie das nicht,
gelten sie
wieder als illegal und werden,
wenn
sie der Polizei in die Hände
fallen,
erneut festgesetzt.
Um diesen Kreislauf zu durchbre-
chen, haben Spanien und
Marokko
vereinbart, alle Bürger
dritter Staa-
ten, denen die illegale
Überquerung
der Meerenge nachgewiesen
wer-
den kann, nach Marokko zurückzu-
führen. Außerdem
sollen dieselben
Schnellboote der Guardia
Civil, die
während der Olympischen
Spiele
vor Barcelona kreuzten und
bis Ok-
tober noch die Weltausstellung
in
Sevilla gegen Terroranschläge
absi-
chern, im Herbst an die
Meerenge
von Gibraltar verlegt werden.
Die
Umsetzung dieses Vertrages
schei-
tert bisher allerdings noch
an den
hohen finanziellen Forderungen
Hassans II.
„Algeciras Acoge", eine Vereini-
gung, die sich für
einen würdigen
Umgang mit den Immigranten
ein-
setzt, fordert statt der
unterschieds-
losen Abschiebung eine gesetzliche
Regelung für ihre Einreise.
„Es han-
delt sich um ein europäisches
Pro-
blem, das europäisch
gelöst werden
muß", sagt Mario Arias,
der in Tarifa
mit der Vereinigung zusammenar-
beitet. Er wirft den Behörden
in Ma-
drid und Brüssel Doppelmoral
vor:
„Die EG führt mit Marokko
lange
Verhandlungen über
Fischbänke.
Wenn aber Menschen zwischen
den
Küsten sterben, sehen
die staatli-
chen Organe nicht hin, und
die
Überlebenden dieser
'natürlichen
Auslese' sollen dann auch
noch ei-
ner brutalen und nicht demokra-
tisch kontrollierten Polizei
in die
Hände gespielt werden.
Wer garan-
tiert eigentlich, daß
in Marokko nie-
mand verschwindet?"
Von unserem Mitarbeiter
Johannes Rexin, Sevilla -BZ, 18.8.92
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