bordercamp
grenzcamp
campamento al borde
 Tarifa Spanien 02.-10.0Tarifa Spanien 02.-8.07.2001 
| zurück |
Situation in Südspanien
Spanische Flüchtlingspolitik
Europäische Flüchtlingspolitik
Deutsche Flüchtlingspolitik
| start | tarifa 2001 | hintergrund | camps | links | kontakt |
 
 

Migranten in ganz Spanien organisieren sich
gegen das neue Ausländergesetz.
 

Seit sieben Monaten leben sie nun
auf der Straße. Die meisten von den
etwa 80 Obdachlosen kommen aus
Sierra Leone und Senegal. Im letzten Som-
mer besetzten sie, aus Protest gegen die
katastrophale Situation der Migranten
ohne Papiere (sin papeles), den Plaza Ca-
talufla mitten im Zentrum Barcelonas.
Später folgten diesem Beispiel illegalisier-
te Migranten aus Rumänien und Bulgari-
en. Seitdem das neue Ausländergesetz
Ende Januar in Kraft getreten ist, weiten
sich die Proteste aus.

Die Aktionen begannen, nachdem Ende
Juli vergangenen Jahres die Meldefrist für
illegal in Spanien lebende Flüchtlinge ab-
gelaufen war. Wer sich bis zu diesem Ter-
min nicht hatte registrieren lassen, hatte
keine Chance mehr auf einen staatlich an-
erkannten Aufenthaltstatus. Und wer keine
Papiere hat, kann ohne Unterstützung
kaum ein normales Leben führen.

Genau das wollte die Regierungspartei
Partido Populär (PP) mit ihrer Ausländer-
politik erreichen. Immer mehr Migranten
verloren in den vergangenen Monaten ihre
Jobs und landeten auf der Straße. Beson-
ders die aus anderen EU-Ländern wegen
der Legalisierung nach Spanien eingereis-
ten Flüchtlinge fanden sich in prekären
Verhältnissen wieder. Dies betrifft vor al-
lem sin papeles aus Pakistan, die sich im
vergangenen September den Protesten an-
geschlossen haben.

Angebote für individuelle Lösungen lehn-
ten die sin papeles ab. »Für die 80 Leute
auf den Plätzen hätte man noch notdürftige
Unterkünfte gefunden«, erklärt Marco von
der Anwaltsschule Barcelonas. Aber darum
gehe es nicht. So begannen die sin papeles
auf dem Plaza Catalufla, regelmäßige Ver-
sammlungen abzuhalten.

Die Aktion fand zunehmende Resonanz.
Mitte Januar besetzten etwa 360 Menschen
die Kirche St. Maria del Pi und traten in ei-
nen unbefristeten Hungerstreik. Besonders
Flüchtlinge aus Pakistan, Bangladesch, In-
dien und Marokko zeigten sich entschlos-
sen. »Wir haben nichts mehr zu verlieren«,
erklärt ein Pakistan!. Deshalb fordern die
Hungerstreikenden Papiere für alle 30 ooo
sin papeles in Katalonien. Zudem wollen
die Migranten sichergehen, dass niemand
wegen der Proteste verfolgt wird.

Kurz darauf wurden in Barcelona fünf
weitere Kirchen besetzt. Doch besonders
die Situation der Hungerstreikenden wurde
immer schwieriger. Nachdem einige Teil-
nehmer ins Krankenhaus eingeliefert wer-
den mussten, wurde der Streik am vergan-
genen Freitag abgebrochen. Die
Flüchtlinge wollen nun mit der ka-
talanischen Regierung verhandeln.
Doch diese verlangt als »Zeichen des
guten Willens«, dass vorher auch die
Kirchenbesetzungen beendet werden
- eine Forderung, die die Besetzer
vehement ablehnen. Am Sonntag
gingen in Barcelona etwa 40 ooo
Menschen auf die Straße, um sich
mit den »Eingeschlossenen« zu soli-
darisieren.

Nach dem neuen Gesetz
müssen Migranten ohne
gültigen Arbeitsvertrag
innerhalb von 72 Stunden
das Land verlassen.

In sieben weiteren Orten, darunter
Murcia und Valencia, beteiligen sich
Migranten seit Jahresbeginn an den
Aktionen gegen das am 23. Januar in
Kraft getretene Ausländergesetz.
Auch in Madrid hielten etwa 50 Mi-
granten aus Ecuador über mehrere
Tage hinweg eine Kirche besetzt.

In diesem Fall sind es aber nicht
die sin papeles, sondern vor allem
Flüchtlinge mit legalem Aufenthalts-
status. »Es wird Zeit, dem Rassismus
dieser Regierung ernsthaft die Stirn
zu bieten«, sagt Jose Reduan von der
marokkanischen Migrantenorganisa-
tion (AEME). Dem Angebot der Re-
gierung, »gnädigerweise 60 000 Men-
schen zu legalisieren«, wie es der Aus-
länderbeauftragte Enrique Fernän-
dez-Miranda letzte Woche formulier-
te, traut Reduan nicht. »Das ist eine
Falle, um die Proteste aufzulösen.«
Mit der Drohung, alle an den Pro-
testaktionen beteiligten illegalen Mi-
granten abzuschieben, hat Innenmi-
nister Jaime Mayor Oreja (PP) bereits
deutlich gezeigt, wie er vorzugehen
gedenkt.

Oreja will auf jeden Fall einen dau-
erhaften Aufenthalt der Migranten
verhindern. Deshalb nahm seine Be-
hörde auch bilaterale Verhandlungen
mit Ecuador auf. Die 150000 »illegal«
in Spanien lebenden Ecuadorianer
sollen in ihr Herkunftsland zurück-
kehren. Sie. haben zwar befristete Ar-
beitsverträge erhalten, aber natürlich
nur mit der Einwilligung, nach Ab-
lauf der Frist Spanien zu verlassen.
Nach diesem Modell arbeiten jedes Jahr
Tausende Marokkaner auf den Planta-
gen der Kanarischen Inseln.

Außer mit Ecuador verhandelt die
spanische Regierung derzeit mit Marok-
ko und Polen über so genannte Einwan-
derungskontingente. Dabei geht es um
billige Arbeitskräfte, die von der spani-
schen Wirtschaft dringend benötigt
werden. In den Gemüse- und Obstplan-
tagen Murcias und Andalusiens sind
derzeit 10 000 Stellen frei, da viele Groß-
bauern aus Furcht vor Strafen keine sin
papeles mehr einstellen. Denn nach
dem neuen Ausländergesetz macht sich
nicht nur strafbar, wer illegale Flücht-
linge beschäftigt, auch bloße Hilfeleis-
tungen wie Unterkunft oder Transport
werden zukünftig strafrechtlich ver-
folgt. Zudem müssen Migranten, die
ohne gültigen Arbeitsvertrag erwischt
werden, innerhalb von 72 Stunden das
Land verlassen.

Doch nicht nur die arbeitsrechtliche
Situation hat sich mit dem neuen Gesetz
dramatisch verschlechtert. Wie die spa-
nische Flüchtlingsorganisation CEAR
mitteilte, haben die Behörden kürzlich
einem Flüchtling im Hafen von Bilbao
jegliche medizinische und juristische
Hilfe versagt. CEAR liegen Zeugenbe-
richte vor, nach denen das Innenminis-
terium die lokalen Behörden angewie-
sen habe, diese Rechte - außer für Kin-
der und in Notfällen - zu verweigern.

Die Organisation belegt in ihrem Be-
richt außerdem, dass im Vergleich mit
anderen EU-Staaten in Spanien die we-
nigsten Migranten leben. Doch die PP
weiß mit ihrer Anti-Ausländerpolitik
nicht nur Wahlerfolge zu erringen und
so die Schengengrenze auszubauen, son-
dern auch den Anforderungen einer glo-
balisierten Wirtschaft gerecht zu wer-
den.

Nach einer Studie der Weltbank be-
nötigt das Land pro Jahr etwa 300000
Migranten, um die Renten und das So-
zialprodukt stabil zu halten. Die Ein-
wanderung müsse jedoch so kontrolliert
wie möglich geschehen. Schließlich »be-
stimme der Rechtsstaat, wer wann und
wie ins Land einreist«, erklärte kürzlich
Innenminister Oreja.

Wie gut sich diese Politik mit der öf-
fentlichen Meinung verträgt, zeigte die
letzte Umfrage des Zentrums für sozio-
logische Studien: 48,6 Prozent der Be-
völkerung - dreimal soviel wie 1994 -
bezeichnen ihre Haltung gegenüber
»Ausländern« als intolerant.
 

VON TOM KUCHARZ, MADRID Jungle World, 7.2.01
 

| top |

 
 supportet by: infoladen-daneben.de + nadir.org
anticopyright 2001