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Statt der Touristen,
die Geld bringen, kommen
jetzt illegale
Arbeiter aus Marokko und
Lateinamerika
Spanien
tut sich schwer mit dem Wandel von einem
Auswanderungs-
zu einem Einwanderungsland
MADRID,
18. Februar. Spanien war seit dem 19. Jahrhundert ein
Land
der Auswanderer. Viele Millionen Spanier überquerten den
Atlantischen
Ozean und suchten Arbeitsplätze und ein menschen-
würdiges
Auskommen in den Ländern des amerikanischen
Kontinentes,
die Spanisch sprachen, weil sie einst zum
spanischen
Kolonialreich gehört hatten. In Ländern wie Argentinien
,
Uruguay und besonders Kuba stellen die Menschen spanischer
Herkunft
immer noch die Mehrheit der Bevölkerung; die familiären
und
kulturellen Beziehungen zum ehemaligen Mutterland sind
entsprechend
eng, und seinen heutigen Einfluß in Lateinamerika
verdankt
Spanien vor allem jenen seiner Bür-ger, die vor vielen
Jahren
von bitterer Ar-mut gezwungen auswandern mußten und es
in
ihrer neuen Heimat mit harter Ar-beit zu Ansehen und in den
meisten
Fällen auch zu Wohlstand brachten.
Als
dann 1939 die spanischen Republikaner den Bürgerkrieg
gegen
die von Hitler und Mussolini unterstützten Truppen des
Generals
Franco verloren, wurden viele von ihnen sehr großzügig
von
iberoamerikanischen Staaten wie Mexiko, Argentinien und
Chile
aufgenommen. Ende der fünfziger und in den sechziger
Jahren
verloren Millionen Spanier bei einer sicher notwendigen
Änderung
des Wirtschaftssystems in Francos Staat ihre Arbeits-
plätze.
Damals gingen viele Spanier auf Arbeitssuche nach
Frankreich,
Deutschland und andere europäische Länder.
Inzwischen
ist Spanien kein Auswanderungs-, sondern ein
Einwanderungsland
geworden, und große Teile der spanischen
Bevölkerung
tun sich schwer mit den Nordafrikanern, Osteuropäern
und
Süd-Amerikanern, die genau das tun, was die Vorfahren der h
eutigen
Spanier bis vor 25 Jahren tun mußten: aus Armut ihr
Heimatland
verlassen und jeden Arbeitsplatz, auch bei schlechter
Bezahlung,
akzeptieren. Spanien braucht heute zahlreiche
ausländische
Arbeitnehmer, vor allem in Dienstleistungsunter-
nehmen
und in der intensiven Landwirtschaft im Südosten des
Landes.
Zu der harten Erntearbeit in der Plastiklandwirtschaft in
der
andalusischen Provinz Almeria und in der Region Murcia sind
heute
kaum noch Spanier bereit. Vorwiegend Marokkaner und in
jüngster
Zeit auch Ecuadorianer, von denen viele
als
Touristen eingereist und deshalb ohne Arbeitserlaubnis sind,
arbeiten
dort. Sie werden häufig von Organisationen, die mit der
illegalen
Arbeitsvermittlung Geld verdienen, für einzelne Tage an
landwirtschaftliche
Unternehmer vermietet.
In
Almeria, bis vor 20 Jahren eine besonders arme Provinz
Spaniens,
fällt auf, daß die sehr schnell reich gewordenen, früher
besitzlosen
Landarbeiter und Kleinbauern heute die ausländischen
Arbeiter
besonders schlecht behandeln, so als wollten sie nicht
an
ihre eigene Vergangenheit in Armut und auf Arbeitssuche
erinnert
werden. Die wohlhabenden Schichten. also jene Spanier,
die
ihre Stimme der regierenden Volkspartei (PP) zu geben
pflegen,
interessieren die Schwierigkeiten der Fremdarbeiter k
aum.
Die konservative Regierung Aznar setzte, nachdem sie die
absolute
Mehrheit im Parlament erreicht hatte, das kurz vorher
von
allen anderen Parteien verabschiedete liberale Einwanderungsg-
esetz
außer Kraft und beschloß ein neues Gesetz, das die
Rechte
der ausländischen Arbeiter stark einschränkt. Einige der
Bestimmungen
- so das Verbot für Arbeiter ohne gültige Arbeits-
papiere,
sich zu versammeln oder einer Gewerkschaft
anzugehören
- könnten gegen die spanische Verfassung
verstoßen.
Aznar
und einige seiner Minister behaupten allerdings, ihr
Einwanderungsgesetz
sei das "fortschrittlichste auf der ganzen
Welt".
Die Oppositionsparteien und einige spanische Regionen
überlegen
sich jetzt, ob sie das Gesetz vor dem Verfassungs-
gericht
anfechten sollen. Der Generalsekretär der sozialistischen
Partei,
Rodriguez Zapatero, hat in dieser Woche Ministerpräsident
Aznar
angeboten, einen Pakt über die Einwanderungspolitik
abzuschließen,
um die Situation der ausländischen Arbeiter zu v
erbessern
und um ein Jahre dauerndes Verfahren vor dem
Verfassungsgericht
zu vermeiden. Das Angebot wurde von der
Regierung
sofort abglehnt.
In
der 30 000 Einwohner zählenden Gemeinde El Ejido hatten
Spanier
vor einem fahr die marokkanischen Arbeiter tätlich
angegriffen,
durch die Straßen gejagt und hre Wohnbaracken
angezündet.
Nach den Ausschreitungen wurden den Nordafrika-
nern
zahlreiche Verbesserungen versprochen. Die Versprechen
wurden
aber nicht
eingehalten
- weder von der konservativen Zentralregierung noch
von
der sozialistischen Regionalregierung und am wenigsten von
der
Gemeinde El Ejido.
Der
PP-Bürgermeister von El Ejido, ein besonders schnell reich
gewordener
Unternehmer der Plastiklandwirtschaft, ist durch sehr
aggressive
Sprüche gegen die "moros" genannten nordafrika-
nischen
Arbeiter aufgefallen. Mitglieder der Regierung Aznar haben
den
Bürgermeister in privaten Gesprächen als "Barbaren und
brutalen
Rassisten" bezeichnet, "der allerdings 70 Prozent der
Stimmen
seiner Gemeinde unserer Partei zuführt". Regierung und
Volkspartei
erklären sich öffentlich solidarisch mit dem B
ürgermeister.
Die
Ausländerpolitik Spaniens ist von Heuchelei bestimmt. Viele
Jahre
lang gab sich Spanien stolz als ein Land ohne Fremden-
feindschaft
und ohne rassistische Ausschreitungen aus. Die
Ausländer
in Spanien waren bis vor kurzem vorwiegend Touristen,
die
Geld ins Land brachten. Heute ist Spanien Grenzland von
Schengen-Europa.
Weil es nur dreizehn Kilometer von Afrika
entfernt
ist. versuchen immer mehr Menschen aus dem ärmsten
Kontinent
über Spanien nach Europa zu gelangen. Trotzdem liegt
der
Ausländeranteil in der spanischen Bevölkerung noch unter
zwei
Prozent. Doch es sind immer mehr ausländerfeindliche
Äußerungen
zu hören- auch von Politikern. Die vorläufig letzte
stammt
vom sozialistischen stellvertretenden Präsidenten des
Landtags
von Andalusien, der - nicht wissend, daß ein Mikrofon
eingeschaltet
war - sagte; "Di Moros sollen nach Marokko
zurückgehen,
wo sie ja auch hingehören."
Der
Politiker hat dem Vorstand seiner Partei, die sich mit den
Ausländern
solidarsch gibt, den Rücktritt von allen Ämtern
angeboten.
Um zu hören, wie Ausländer. vor allem Nordafrikaner,
öffentlich
beschimpft werden, brauchen die Spanier allerdings nur
jede
Nacht den meistgehörten Radiosender einzuschalten. Dort
kann
jeder Anrufer unuerüht und unbestraft jeden seiner
Mitmenschen
besdimipfen und verleumden. Immer mehr Anrufer
benützen
die "tolerante Nachtsendung" des am Tage keineswegs
ausländerfeindlichen
Senders, um die in Spanien lebenden
Marokkaner
pauschal zu Verbrechernn und Faulenzern zu
erklären.
Frankfurter
Allgemeine Zeitung Montag 19.2.1001
Von
Walter Haubrich
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