Zehn Jahre PKK-Verbot und kein Ende ?
Vorwort

Rainer Ahues
Was ist eine kriminelle, was eine terroristische Vereinigung?
Eine kurze Darstellung staatsanwaltlicher und gerichtlicher Feststellungen über "Substrukturen" innerhalb der PKK

Prof. Dr. Andreas Buro
PKK/KADEK-Verbot oder Versöhnungspolitik?

Dr. Rolf Gössner
Migrant(inn)en unter Generalverdacht?
Zu den Auswirkungen des staatlichen "Anti-Terror" - Kampfes

Michael Heim
Die Einbürgerung türkischer Staatsangehöriger und das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Mark Holzberger
War da was?
Das PKK-Verbot im Bundestag

Duran Kalkan
Kurden brauchen Anerkennung

Mehmet Demir
Kurdische Freiheit in und über Deutschland

Marei Pelzer
Asylrecht im Wandel
Von der Grundgesetzänderung zum Terrorismusbekämpfungs-gesetz

Dr. Heinz Jürgen Schneider
Der Anti-Terror-Paragraf 129a und seine Praxis

Monika Morres / Günther Böhm
Azadi - Freiheit - Özgürlük: Solidarität gegen Unterdrückung und Freiheitsberaubung

Dokumentation:
Urteil des Bundesgerichtshofs wegen Zuwiderhandelns gegen vereinsrechtliches Betätigungsverbot

Interview mit Engin Sönmez zum Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane

Abkürzungen

Autor(inn)enverzeichnis

Chronologie

erste Seite

 

 

Der Anti-Terror– §129a und seine Praxis

Dr. Heinz Jürgen Schneider

Im folgenden Text geht es um eine zentrale Vorschrift aus dem politischen Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland - den berühmt-berüchtigten § 129a des Strafgesetzbuchs. Erläutert werden seine Geschichte, die rechtlichen Grundlagen und die praktischen politischen Auswirkungen im Alltag des Staatsschutzes. Abschließend soll zudem auf seine zwei "hässlichen Brüder" eingegangen werden: Die Paragrafen 129 und 129b.

Forderungen nach Abschaffung dieses Verfolgungsparagrafen sind so alt wie seine Existenz. Auch im Bundestag gab es dazu Initiativen. In Zeiten von Krieg und weltweitem Anti-Terror-Kampf erscheint dies politisch sinnlos, aber dennoch notwendig.

Politische Justiz in Deutschland

Eine Strafvorschrift mit der Zielrichtung des jetzigen § 129a hat es im politischen Strafrecht in Deutschland lange nicht gegeben.

180 Jahre alt sind die auch mit dem Mittel des Strafrechts betriebenen Verbote, Kriminalisierungen und politischen Prozesse gegen Systemoppositionelle.

1822 wurden erstmals Vereinigungen wegen "revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen" verboten und ihre Mitglieder verfolgt. Ähnliches gab es rund um die bürgerliche Revolution von 1848, die eine demokratische Republik zum Ziel hatte.

1871 schaffte das Reichsstrafgesetzbuch erstmals mit dem § 128 das "Verbot von Geheimgesellschaften" und mit dem § 129 eine Vorschrift gegen staatsfeindliche Vereinigungen. Stütze der politischen Verfolgung im Kaiserdeutschland ist das "Sozialistengesetz" von 1878/1890, das der Bekämpfung und Illegalisierung der damals revolutionären Sozialdemokratie dient. Schon der Versuch, die Organisation der SPD aufrecht zu erhalten, war nach § 129 strafbar.

In der Weimarer Republik wurde die staatliche Verfassung als Schutzgut mit in den § 129 aufgenommen. Grundlage der Verfolgung gegen Kommunist(inn)en und andere Linke waren auch das Republikschutzgesetz und eine ausufernde Rechtsprechung, die sehr weitgehend Aktivitäten von politischen Aktionen bis zum Verkauf sozialistischer Literatur als "Vorbereitung zum Hochverrat" kriminalisierte.

In den 50er bis Mitte der 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielte der § 129 - jetzt erstmals unter der Gesetzesüberschrift "kriminelle Vereinigung" - als Auffangtatbestand eine wichtige Rolle im Rahmen der Kommunistenverfolgung, insbesondere nach dem KPD-Verbot 1956. 1951 wurde - neben der Mitgliedschaft - das Unterstützen einer "kriminellen politischen Vereinigung" unter Strafe gestellt, 1964 auch das Werben dafür.

Dass es in Deutschland auch ohne einen § 129a zum Beispiel eine Kriminalisierung internationaler Solidarität gegeben hat, mögen noch drei Beispiele verdeutlichen:

  • 1872 verurteilte das Reichsgericht die SPD-Führer August Bebel und Wilhelm Liebknecht zu Festungshaft, weil sie den Krieg gegen Frankreich verurteilt und öffentlich im Parlament zur Solidarität mit der Pariser Kommune aufgerufen hatten.
  • 1904 standen neun Sozialdemokraten in Königsberg vor Gericht. Ihre Tat: Sie hatten in Deutschland gedruckte russischsprachige Zeitungen, Flugblätter und Broschüren illegal ins benachbarte Russland gebracht, um den Kampf gegen das Zarenregime zu unterstützen.
  • 1925 verurteilte der Staatsgerichtshof einen Schauspieler zu einer Haftstrafe, weil er eine Gedenkfeier zum 7. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution künstlerisch gestaltet und dort Gedichte vorgetragen hatte.

In den 1970er Jahren spielte der § 129 bei der Bekämpfung der "Rote Armee Fraktion" (RAF) noch eine untergeordnete Rolle, bis 1976 mit dem § 129a eine neue und die heute wichtigste Norm des politischen Strafrechts geschaffen wurde. Im Jahre 1987 erfolgte noch einmal eine Erweiterung des § 129a. Seither hat er - mit einer kleinen Korrektur 2002 - seine gültige Fassung.

Was wird nach § 129a bestraft?

Die Gründung, Rädelsführerschaft, Mitgliedschaft, das Unterstützen oder das Werben um Mitgliedschaft für eine terroristische Vereinigung.
Juristisch bedeutet das: Gründung ist die Neubildung einer Vereinigung, Rädelsführerschaft ist eine Führungsrolle in einer solchen Gruppe. Mitgliedschaft muss auf eine bestimmte Dauer gerichtet sein, von der Organisation gewollt werden und sich in einer Form von Aktivität ausdrücken. Unterstützen soll vorliegen, wenn eine Handlung für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft ist und die Mitglieder im Zusammenwirken bestärkt. Als Werben wird eine offene oder verdeckte Propagandatätigkeit verstanden.

Was ist nach § 129a eine terroristische Vereinigung?

Eine Vereinigung ist nach der Rechtsprechung ein auf eine gewisse Dauer angelegter Zusammenschluss von mindestens drei Personen.
Zweck oder Tätigkeit dieser Vereinigung muss auf die Begehung einer der folgenden Straftaten gerichtet sein:

  • Mord, Totschlag oder Völkermord.
  • Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme.
  • Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel öffentlicher Versorgungsbetriebe sowie von Polizei- und Bundeswehrfahrzeugen.
  • Schwere Brandstiftung, Herbeiführung von Atomexplosionen oder Sprengstoffanschlägen, Missbrauch ionisierender Strahlen.
  • Herbeiführung einer Überschwemmung, gefährliche Eingriffe in den Bahn,- Schiffs- und Luftverkehr.
  • Störung öffentlicher Betriebe.
  • Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr/Flugzeugentführungen.

Welches Sonderrechtssystem wurde mit dem § 129a geschaffen?

Nach den gesetzlichen Bestimmungen liegt die staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit ausschließlich beim Generalbundesanwalt; Ermittlungsorgan ist das Bundeskriminalamt und gerichtlich sind die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte zuständig.
Nach der Strafprozessordnung besteht bei Ermittlungen nach § 129a die Möglichkeit zu großflächiger Telefonüberwachung, zu Großrazzien in Wohnblocks, zur Errichtung von Kontrollstellen im Strassenverkehr und auf öffentlichen Plätzen mit der Möglichkeit zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung auch bei Unverdächtigen sowie zur Anordnung der sog. Schleppnetzfahndung mit der Möglichkeit zur Massenspeicherung von Daten und zur Rasterfahndung.
Bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts wegen § 129a darf Untersuchungshaft verhängt werden, auch wenn ein Haftgrund wie Fluchtgefahr nicht vorliegt.
Für Untersuchungs- und Strafhaft gelten Sonderbedingungen wie die richterliche Kontrolle der Verteidigerpost, eine Trennscheibe bei Anwaltsbesuchen oder Isolationshaft.

Welchen Umfang hatten die Ermittlungen nach § 129a?

Seit 1976 wurde gegen mehrere tausend Personen ermittelt. Exakte Zahlen gibt es für 1990 bis 1999. In dieser Zeit liefen Verfahren gegen 1.362 Menschen (teilweise mehrfach).
In einer großen Anzahl der Verfahren erfolgten die Ermittlungen "nur" wegen Unterstützung oder Werben.
In den 1990er Jahren standen der Anzahl von 1.362 Personen, gegen die ermittelt wurde, 38 Verurteilte gegenüber.
Das Verhältnis von später eingestellten Ermittlungsverfahren zur Verurteilung wegen § 129a lag also bei 97 zu 3 Prozent. (Zum Vergleich: Üblich ist eine "Anklagequote" von rund 45 Prozent)
Eine etwas höhere Quote ergibt sich bei der Verhängung von Untersuchungshaft. Nach Zahlen der Bundesregierung aus einer Parlamentsanfrage ergeben sich bei 428 Personen, gegen die von 1996 bis 2000 ermittelt wurde, 35 Fälle von U-Haft. Ohne Haft blieben also rund 90 Prozent der Beschuldigten.
Dieselbe Parlamentsanfrage belegt, dass alle Verfahren mit Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungsmaßnahmen verbunden waren. In sehr geringem Umfang sind Kronzeugen aufgetreten.

Der § 129a als Ausforschungsparagraf

Diese kleinen statistischen Angaben stützen die These vom § 129a als Ausforschungsparagrafen, als "Sesam-öffne-dich" für den Staatsschutz.
Rolf Gössner hat dies in einer kritischen Analyse so zusammengefasst: "Für die Ermittler ist es weniger entscheidend, ob das jeweilige Verfahren überhaupt gerichtlich eröffnet wird und dann auch mit einer Verurteilung endet; von wesentlich größerer Bedeutung ist für sie das Ermitteln selbst. Mit dem über § 129a als Kristallisationskern aktivierten, komplexen Sonderrechtssystem verfügen sie über ein praktikableres Instrumentarium, um in die anvisierten, schwer erfassbaren Szenen einzubrechen, über den Einzelfall hinaus Kommunikationsstrukturen knacken, Daten erheben und Soziogramme des Widerstands erstellen zu können, die nicht nur repressiv, sondern vor allem präventiv und operativ genutzt werden können. Verunsicherung der Szene, Entsolidarisierung und Abschreckung sind zwangsläufige Folgeerscheinungen dieser Kriminalisierungsstrategie per 129a-Sonderrecht".

Praktische Erfahrungen mit den Folgen solcher Ermittlungsverfahren zeigen:

  • Durchsuchungen führen zur mitunter langfristigen Wegnahme von Unterlagen, Disketten, Verzeichnissen, kleinen Archiven etc., behindern die politische Arbeit und bieten weitere personenbezogene Ermittlungsansätze.
  • Observationen - verdeckt oder gewollt offen - ermöglichen Bewegungsbilder und Kontaktprofile.
  • Kommunikationsüberwachung (nicht nur des Festtelefons/Handys, auch bei Unbeteiligten oder in politischen Zentren) ermöglicht einen tiefen Einblick in Zusammenhänge.
  • Politische Arbeit wird behindert oder unmöglich gemacht durch Verunsicherung, ein erzwungenes stärkeres Gewicht auf Antirepressionsarbeit oder die mediengestützte Diffamierung als "Terroristen".

§§ 129 und 129b

Der § 129a ist die zentrale Norm des politischen Strafrechts, aber nicht die einzig bedeutsame. Seit Jahren gibt es auch Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft, Unterstützung etc. für eine "kriminelle Vereinigung". Von der Anzahl her am wichtigsten sind Prozesse gegen PKK/KADEK-Strukturen und teilweise gegen deutsche Antifa-Gruppen.
Der Umfang dieser Verfahren ist zahlenmäßig geringer, die Erfahrungen sind dem § 129a aber vergleichbar.
Seit 2002 besteht der § 129b. Er ist der §129a mit der Besonderheit, dass sich die terroristische Gruppe nicht in Deutschland befindet und tätig wird. Besteht sie in einem EU-Mitgliedsland ( Beispiel: baskische ETA in Spanien), kann gegen angebliche Unterstützer durch die Bundesanwaltschaft (BAW) in der BRD ein Verfahren eingeleitet werden. Gibt es die Organisation in anderen Teilen der Welt, muss das Bundesjustizministerium die Strafverfolgung erlauben. Bis Frühjahr 2003 sind allerdings noch keine praktischen Folgen bekannt geworden.

Neufassung §129a

Im April 2003 wurde eine Gesetzesinitiative zur erneuten Veränderung des § 129a gestartet. Hintergrund ist die Harmonisierung des Rechts in allen EU-Mitgliedsländern. Geplant ist eine Verschärfung der Höchststrafe. Sie soll bei Unterstützung von fünf auf zehn Jahre heraufgesetzt werden. Auch werden neue Tatbestände für "terroristische Handlungen" im Rahmen des § 129a geschaffen. Dazu gehören z.B. Computersabotage und die Zerstörung von Bauwerken.
Als "Liberalisierung" wird demgegenüber eine Prüfung der subjektiven Seite der Beschuldigten ausgegeben. Zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens soll es nur noch kommen dürfen, wenn Aktionen aus "terroristischer Absicht" unternommen werden und sie so gefährlich sind, dass sie geeignet sind, den Staat oder internationale Organisationen zu gefährden.
Sich von der Überprüfung der Gesinnung etwas Positives zu versprechen, sollte grünen Rechtspolitikern überlassen bleiben. In der Praxis wird sich bei richterlichen Durchsuchungsbeschlüssen und Abhörgenehmigungen nichts ändern. Die Definitionsmacht, was terroristisch ist, bleibt bei Staatsschutz und Justiz. Außerdem erfolgt bei Ablehnung eines §129a-Verdachts auf jeden Fall eine fortgesetzte Ermittlung nach § 129. Wegen "krimineller Vereinigung" verfolgt zu werden macht - das zeigt die Praxis bei PKK/KADEK- Verfahren - gegenüber einer "terroristischen Vereinigung" in der Qualität der Repression keinen großen Unterschied.