Zehn Jahre PKK-Verbot und kein Ende ?
Vorwort

Rainer Ahues
Was ist eine kriminelle, was eine terroristische Vereinigung?
Eine kurze Darstellung staatsanwaltlicher und gerichtlicher Feststellungen über "Substrukturen" innerhalb der PKK

Prof. Dr. Andreas Buro
PKK/KADEK-Verbot oder Versöhnungspolitik?

Dr. Rolf Gössner
Migrant(inn)en unter Generalverdacht?
Zu den Auswirkungen des staatlichen "Anti-Terror" - Kampfes

Michael Heim
Die Einbürgerung türkischer Staatsangehöriger und das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Mark Holzberger
War da was?
Das PKK-Verbot im Bundestag

Duran Kalkan
Kurden brauchen Anerkennung

Mehmet Demir
Kurdische Freiheit in und über Deutschland

Marei Pelzer
Asylrecht im Wandel
Von der Grundgesetzänderung zum Terrorismusbekämpfungs-gesetz

Dr. Heinz Jürgen Schneider
Der Anti-Terror-Paragraf 129a und seine Praxis

Monika Morres / Günther Böhm
Azadi - Freiheit - Özgürlük: Solidarität gegen Unterdrückung und Freiheitsberaubung

Dokumentation:
Urteil des Bundesgerichtshofs wegen Zuwiderhandelns gegen vereinsrechtliches Betätigungsverbot

Interview mit Engin Sönmez zum Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane

Abkürzungen

Autor(inn)enverzeichnis

Chronologie

erste Seite

 

 

Asylrecht im Wandel

Von der Grundgesetzänderung bis zum Terrorismusbekämpfungsgesetz

Von Marei Pelzer

Viele Kurd(inn)en kamen als Asylsuchende nach Deutschland. Im letzten Jahrzehnt gehörten sie - unter ihnen auch viele PKK-Anhänger/innen - zu den größten Gruppen von Flüchtlingen, die vor Verfolgung nach Europa flohen.

Zwei einschneidende Ereignisse prägen das Jahr 1993: Die faktische Abschaffung des Asylrechts durch die Grundgesetzänderung im Mai und das Betätigungsverbot der PKK im November.

Als Asylsuchende unterlagen Kurdinnen und Kurden, wie alle Flüchtlinge, der restriktiven Asylgesetzgebung. In den letzten zwei Jahren hat die Terrorismusbekämpfung einen verstärkten Einzug in das Asyl- und Ausländerrecht gehalten und neue Restriktionen gebracht: Insbesondere durch die Ausdehnung des sogenannten Terrorismusvorbehalts wurde der Ausschluss vom Flüchtlingsschutz erleichtert. Neben anderen Flüchtlingsgruppen sind hier vor allem ehemalige PKK-Kämpfer/innen oder mit der Organisation anderweitig verbundene und politisch aktive Kurdinnen und Kurden betroffen.

Ausverkauf eines Grundrechts

Die Grundgesetzänderung am 26. Mai 1993 stellte den vorläufigen End- und Höhepunkt eines langjährigen Prozesses regelmäßiger Verschärfungen dar. Die von CDU/CSU, FDP und SPD getragene Grundgesetzänderung ließ von dem einstigen Asylgrundrecht nicht viel übrig. Zugleich wurde das Ausländer- und das Asylverfahrensgesetz novelliert und das Asylbewerberleistungsgesetz neu eingeführt.

Der Grundgesetzänderung ging eine lange Kampagne gegen das Asylgrundrecht voraus. Nachdem im Dezember 1992 der sogenannte Asylkompromiss zwischen CDU, FDP und SPD geschlossen worden war, verabschiedete das Parlament am 26. Mai 1993 die Änderung mit einer 2/3-Mehrheit. Statt der schlichten Feststellung "Politisch Verfolgte genießen Asyl" (Art. 16 Abs. 2 S. 2 alte Fassung) war nun ein neuer Artikel 16a GG geschaffen mit gravierenden Einschränkungen: Drittstaatenregelung, Konzept der sicheren Herkunftsländer und die Verkürzung des Rechtsschutzes (insbesondere auch im Flughafenverfahren).
Das Konzept der sicheren Herkunftsländer sieht vor, dass bestimmte Staaten per Gesetz als sicher definiert werden und eine Verfolgungsgefahr in diesen Ländern grundsätzlich nicht angenommen wird. Der Asylantrag wird dann in der Regel als "offensichtlich unbegründet" abgewiesen.
Flüchtlinge, die über einen sicheren Drittstaat einreisen, können sich grundsätzlich nicht mehr auf das Asylgrundrecht berufen und an der Grenze sofort zurückgewiesen werden. Eine Einzelfallprüfung entfällt, da die Sicherheit des Flüchtlings im Drittstaat durch gesetzliche Definition oder im Falle der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch Nennung im Grundgesetz selbst festgestellt wurde. Damit ist ein zentrales Element des Asylgrundrechts aufgegeben worden: Das Recht auf Einreise, um in einem rechtsstaatlichen Verfahren den Anspruch auf Asylgewährung prüfen zu lassen. Diese Drittstaatenregelung bewirkte, dass im Asylverfahren nicht der Fluchtgrund, sondern der Fluchtweg in den Mittelpunkt gerückt ist. Da Deutschland von "sicheren Drittstaaten" umgeben ist, führt eine Flucht nach Deutschland über den Landweg zu einer Ablehnung der Asylberechtigung.

Wenige Wochen nach der Grundgesetzänderung - am 30. Juni 1993 - hat der Bundestag das Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen. Es beinhaltet
- die Ausgrenzung von Asylsuchenden aus dem Bundessozialhilfegesetz sowie
- eine neue Definition der Existenzsicherung weit unterhalb der bisher als Minimum angesehenen Sozialhilfe.

Drei Jahre nach der Grundgesetzänderung, im Mai 1996, verkündete das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu der Grundgesetzänderung, mit dem die groben Linien des neuen Asylrechts abgesegnet wurden. Die Hoffnungen, dass sie als "verfassungswidriges Verfassungsrecht" wieder aufgehoben würden, waren damit zerstört.

Europäisches Asylrecht

In der Folgezeit fand eine politische Umorientierung statt: Nachdem der Kampf um das Asylgrundrecht verloren gegangen war, setzten viele in der Flüchtlingsbewegung auf die Schaffung eines europäischen Asylrechts.

Dahinter stand folgende Überlegung: Solange es keine europäische Definition gibt, wer ein Flüchtling ist und welche sozialen Rechte ihm zustehen, verschärfen die Mitgliedstaaten das nationale Recht. Diese Politik soll dafür sorgen, dass die Flüchtlinge - aus Sicht des jeweiligen EU-Mitgliedstaates - von der Flucht ins eigene Land abgeschreckt werden. Flüchtlinge sollen möglichst in den anderen europäischen Ländern Zuflucht suchen. Ein - dieser Logik zu Grunde liegender - Wettlauf der Restriktionen kann durch ein harmonisiertes Recht aufgehalten werden. Normativer Bezugspunkt eines europäischen Asylsystems ist die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Dies hat sich u.a. darin nierdergeschlagen, dass die Europäische Union mit der Verabschiedung des Amsterdamer Vertrages 1997 in ihre Gründungsverträge das Bekenntnis zur Genfer Flüchtlingskonvention aufgenommen hat. In Artikel 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) heißt es nun:

"Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 67 innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam in Übereinstimmung mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie einschlägigen anderen Verträgen Asylmaßnahmen in folgenden Bereichen:
a) Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat;
b) Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten;
c) Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge;
d) Mindestnormen für die Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft."

Mit dieser Regelung hat die Europäische Union die umfassende Kompetenz zur Schaffung eines harmonisierten Asylrechts übertragen bekommen.

Im Schatten der Terrorismusbekämpfung

Der als Folge des 11.September 2001 eingesetzte repressive Kurswechsel in der Sicherheitspolitik hat die Koordinaten der europäischen und der deutschen Debatte um den Flüchtlingsschutz stark verschoben. Repressive Elemente und Abschottungstendenzen traten wieder in den Vordergrund. Auf europäischer Ebene haben grenzpolizeiliche Maßnahmen wieder Vorrang vor dem Ausbau menschenrechtlicher Instrumente des Flüchtlingsschutzes gefunden.

Im Zuge der "Terrorismusbekämpfung" wurden auch in der Bundesrepublik tiefgreifende Veränderungen im Ausländer- und Asylrecht vorgenommen. Das am 14. Dezember 2001 im Bundestag beschlossene Terrorismusbekämpfungsgesetz griff besonders massiv in die Rechte von Migrant(inn)en und Flüchtlingen ein. Insbesondere der Datenschutz wird zukünftig für sie kaum noch existent sein. Folgenreich werden auch die erheblichen Verschärfungen im Ausweisungsrecht sein. Die Schaffung neuer Verbotsgründe für sogenannte "Ausländervereine" diskriminiert die hier lebenden Migrant(inn)en und Flüchtlinge. Dies sind nur einige wenige Beispiele aus einer langen Liste von Gesetzesverschärfungen.

Im Bereich des Asylrechts ist die Ausdehnung des sogenannten "Terrorismusvorbehalts" von zentraler Bedeutung, so dass eine vertiefte Auseinandersetzung damit vonnöten ist. Dies ist um so mehr der Fall, da dieser in der Praxis - gerade gegenüber PKK-Anhängern - schon mehrfach zur Anwendung gekommen ist.

Bereits vor der Gesetzesänderung gab es Vorbehalte bzw. Ausschlussgründe, die dazu führten, dass der Abschiebungsschutz der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zur Anwendung kam. Dafür galten aber relativ hohe Hürden:

Entweder musste der/die Asylbewerber/in aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik anzusehen sein;
oder der/die Asylbewerber/in musste eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeuten, weil er/sie rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden war.

Diese Hürden wurden jetzt erhöht. Danach entfällt bereits ein Abschiebeschutz, "wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (...) begangen hat oder dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland begangen hat oder sich hat Handlungen zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen." (§ 51 Abs. 3 S. 2 Ausländergesetz)

Hier reicht also schon der bloße Verdacht aus.
Die Aufnahme dieser neuen Ausschlussgründe verstößt allerdings gegen Artikel 33 GFK, wonach bei diesen Merkmalen keine Ausnahme von einem Abschiebungsverbot besteht. Sie hält für diese Fälle lediglich die Möglichkeit bereit, die Betreffenden vom Flüchtlingsstatus auszuschließen.

Für die Betroffenen ist es allerdings ein großer Unterschied, ob sie in ihrem Status herabgestuft werden oder ob ihnen die Abschiebung in den Verfolgerstaat droht.

Das Prinzip des Abschiebungsverbotes ist eine tragende Säule des internationalen Flüchtlingsschutzes. Seine Aufweichung muss als völkerrechtlich unzulässig und auf politischer Ebene als ein völlig falsches Signal bewertet werden.

Fazit

Die letzten zehn Jahre waren ein Jahrzehnt der Entrechtung von Flüchtlingen. Der in der Verfassung verbriefte menschenrechtliche Anspruch auf Asylgewährung wurde bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht. Der Flüchtlingsschutz der GFK soll nun das Fundament des europäischen Asylrechts werden. Gleichzeitig schrauben die Bundesrepublik und andere EU-Mitgliedstaaten die Schutzstandards zurück - oftmals unter unverschleierter Verletzung der GFK. Eine Politik, die Ernst macht mit einem Flüchtlingsschutz, der sich an internationale und menschenrechtliche Kriterien hält, bedarf dringend der Kurskorrektur.