Informationen

 

  1. Kurzbeschreibung des Projekts

  2. Online-Interview zu Entstehung und Zielen des Projekts

  3. Das Schweigen brechen - Die Einleitung zu dem Buch «Unsere Opfer zählen nicht» in gekürzter Fassung,  abgedruckt in der Frankfurter Rundschau

  4. Das Langzeitprojekt "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg"  von der Internetseite des Rheinischen JournalistInnenbüros, Köln

  5. Das war nicht unser Krieg - Folgen des Zweiten Weltkriegs auf den pazifischen Insel
    Vorabdruck aus dem Buch in der Zeitschrift iz3w Rheinisches JournalistInnenbüro (Köln)

 

«Den afrikanischen Völkern wurden außergewöhnliche Kriegsleistungen abverlangt. Sie mussten strategisch wichtige Rohstoffe (Erze, Kautschuk, Holz, Lebensmittel) liefern, die der Westen nötig hatte.(…) Rekrutierungen, Zwangsarbeit und Steuern aller Art zogen bisweilen auch blutige Kämpfe nach sich. In den großen Küstenstädten herrschte Not. Die Ärmsten hüllten sich in alte Getreidesäcke. Doch im allgemeinen ertrug man die Kriegslast ohne großen Widerstand: man litt stumm. Zweifellos fühlte man, dass man an einem großen, weltweiten Drama teilnahm. Dennoch war die Kriegslast manchmal sogar für die Soldaten leichter zu tragen. Sie befanden sich Auge in Auge mit den Nazitruppen und wussten, gegen wen sie kämpften. Die anonymen Massen der Afrikaner aber ließ man Tausende von Kilometern vom Kriegsschauplatz entfernt arbeiten und zahlen. Das Ende des Krieges weckte den legitimen Wunsch nach einem normalen menschlicheren Leben.»

Ki-Zerbo, Joseph: Die Geschichte Schwarzafrikas. Frankfurt 1981, S. 522 f.

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Kurzbeschreibung des Projekts

Millionen Soldaten aus Afrika, Asien und Ozeanien haben im Zweiten Weltkrieg gekämpft, um die Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtwahn zu befreien. Allein Indien stellte 2,5 Millionen Kolonialsoldaten und China hatte mehr Opfer zu beklagen als Deutschland, Italien und Japan zusammen. Sowohl die faschistischen Achsenmächte als auch die Alliierten rekrutierten in ihren Kolonien Hilfstruppen und Hilfsarbeiter oftmals mit Gewalt. Japanische Militärs verschleppten zudem Hunderttausende Frauen aus Asien in ihre Frontbordelle. Rekruten aus den Kolonien, ob Freiwillige oder Zwangsverpflichtete, mussten sich mit weniger Sold, schlechteren Unterkünften und geringeren Kriegsrenten als ihre «weißen Kameraden» zufrieden geben.

Weite Teile der Dritten Welt – von Nordafrika über den Nahen Osten und Indien bis nach Südostasien und Ozeanien – dienten auch als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet und vermint zurück. Bei der Befreiung der philippinischen Hauptstadt Manila von den japanischen Besatzern starben mehr Zivilisten als in Berlin, Dresden oder Köln.

Die Kolonien der kriegführenden Mächte mussten zudem Nahrungsmittel für die kämpfenden Truppen und Rohstoffe für die Rüstungsproduktion liefern. Oft hungerte deshalb die einheimische Bevölkerung.

Auch das NS-Regime bezog kriegswichtiges Material aus den französischen Kolonien in Afrika und Indochina, die unter der Kontrolle der Kollaborationsregierung in Vichy standen. Die Nazis wollten nach der Unterwerfung Osteuropas zudem ein Kolonialreich in Zentralafrika erobern und über Nordafrika in den Nahen Osten vorstoßen. Auch Hunderttausende Juden in dieser Region mussten deshalb um ihr Leben fürchten. 1942 landete ein SS-Kommando in Tunesien, das die Juden in Palästina vernichten sollte und noch im chinesischen Shanghai sahen sich Zehntausende jüdische Flüchtlinge von Gestapo-Verfolgern bedroht. In der Dritten Welt gab es allerdings nicht nur Opfer, sondern auch Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte, die im Krieg an deren Seite kämpften – von Nordafrika und Palästina über den Irak und Indien bis nach Thailand und Indonesien.

Im hiesigen Geschichtsdiskurs wurden Fakten wie diese über sechs Jahrzehnte hinweg weitgehend ignoriert oder auch bewusst verschwiegen. Dies zu ändern zu ändern ist Ziel des Projekts «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg» von Recherche International e.V. und dem Rheinischen JournalistInnenbüro in Köln: mit Publikationen wie dem Buch (2005) und den Unterrichtsmaterialien (2008), mit der Wanderausstellung von 2009 bis 2011, mit Film- und Diskussionsveranstaltungen sowie der Vermittlung von Auftritten des Hiphop-Tanztheaters «Die vergessenen Befreier» («A Nos Morts») aus Frankreich, und mit der Einrichtung und dem Ausbau dieser Internetseite.

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Online-Interview zu Entstehung und Zielen des Projekts

Hintergrundgespräch von Simon Inou geführt mit Karl Rössel vom Rheinischen JournalistInnenbüro in Köln für das Internet-Portal AFRIKANET.info ( 21.6.2007).

AFRIKANET.info: Ihr Buch «Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im zweiten Weltkrieg», erschienen im April 2005, thematisiert die Vergessenen des Zweiten Weltkrieges. Was hat Sie veranlasst, zu diesem Thema Forschungen zu betreiben? 

Karl Rössel: Das Rheinische JournalistInnenbüro ist ein Kollektiv von freien Publizisten und arbeitet seit seiner Gründung vor 25 Jahren zu internationalistischen Themen für Rundfunk, Presse und Buchverlage. 1986 haben wir ein Buch «Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung» publiziert (Werner Balsen, Karl Rössel: «Hoch die Internationale Solidarität», Kölner Volksblatt Verlag), in dem wir die Aktivitäten der bundesdeutschen Solidaritätbewegung in der Nachkriegszeit beschrieben haben, von der Zeit des Algerienkrieges in den fünfziger Jahren über die Bewegung gegen den Vietnamkrieg in den Sechzigern und die Chile-Solidarität nach dem Putsch von 1973 bis zur Mittelamerika-Solidarität Anfang der achtziger Jahre. Dabei fiel uns auf, dass alle Formen der Solidaritätsarbeit, die es in der Nachkriegszeit hierzulande mit Bewegungen in der sogenannten «Dritten» Welt gab, zuvor bereits in umgekehrter Richtung und von Menschen in Ländern der «Dritten» Welt im Kampf gegen den Faschismus und für die Befreiung Europas vom Terrorregime der deutschen Nationalsozialisten praktiziert worden waren: von Boykottkampagnen gegen deutsche Waren, wie es sie in den dreißiger Jahren in Lateinamerika gab, über antifaschistische Kultur-Veranstaltungen und Kongresse bis hin zu Brigaden, die - anders als die Nicaragua-Solidarität der achtziger Jahre - nicht nur Kaffee pflückten, sondern - im Spanischen Bürgerkrieg - auch mit der Waffen in der Hand gegen den europäischen Faschismus gekämpft hatten. In dem Zusammenhang verwiesen wir auch darauf, dass es zahllose Kolonialsoldaten aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien gab, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gekämpft und ihr Leben für unsere Freiheit eingesetzt haben. Allerdings fiel uns damals auf, dass es kaum Literatur über das Ausmaß gab, in dem die «Dritte» Welt in den Zweiten Weltkrieg einbezogen war, obwohl dieser Krieg auch in Nordafrika, an den Küsten Lateinamerikas, im Nahen und Mittleren Osten sowie in weiten Teilen Asiens und der Pazifikregion ausgetragen wurde. Schon damals entstand die Idee, dieses Thema, so umfassend und weit es auch erschien, genauer zu erforschen. 

AFRIKANET.info: Ihr Buch ist ein monumentales Werk von 444 Seiten. In diesem berichten Sie sehr detailliert und minutiös über diejenige die auch für das Wohl Europas und der Europäer gekämpft haben und dabei in Vergessenheit geraten sind. Sie haben in vier Kontinenten recherchiert. Wie gestaltete sich diese Recherchen? 

Karl Rössel: Die konkreten Recherchen für das Buch begannen Mitte der neunziger Jahre, zunächst ohne gesonderte Finanzierung für das Projekt. Da die MitarbeiterInnen unseres Kollektivs alle zu internationalistischen Themen arbeiten (meist für Rundfunk-Dokumentationen), beschlossen wir, bei Recherchenreisen, die wir - zu anderen Themen - nach Afrika, Asien und Ozeanien unternahmen, auch Material, Literatur, Filme, Fotos, Augenzeugenberichte und Interviews mit ZeitzeugInnen über die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die jeweiligen Länder bzw. ihre BewohnerInnen zu sammeln. Im Laufe der Zeit konnten wir viel interessantes Material zusammen tragen und bei unseren Recherchen stellten wir fest, dass das Thema anderswo wesentlich präsenter ist als hierzulande. Fast überall fanden wir Augenzeugenberichte, biographische Zeugnisse von KriegsteilnehmerInnen oder auch Studien über die Auswirkungen des Krieges für die Zivilbevölkerung der jeweiligen Region. In Westafrika, um ein Beispiel zu nennen, gibt es fast in jeder größeren Stadt ein «Maison des ancients combattants», in dem sich Veteranen treffen, die für ihre europäischen Kolonialmächte Kriege geführt haben, und bis heute für die Anerkennung ihrer Einsätze sowie für eine Gleichbehandlung bei den Pensionen und Renten eintreten. In diesen Clubhäusern der Veteranen fanden wir viele Interviewpartner, die hofften, dass ihr Beitrag zur Befreiung Europas vom Faschismus über Publikationen wie unsere endlich die Anerkennung findet, die er verdient. In Ozeanien, um ein weiteres Beispiel zu nennen, hatten Wissenschaftler der Universität des Südpazifiks bereits in den achtziger Jahren damit begonnen, Berichte von Insulanern zu sammeln und aufzuzeichnen, die von den kriegführenden Mächten als Soldaten, Hilfskräfte, Zwangsarbeiter oder auch Zwangsprostituierte ge- und missbraucht worden waren. Auf dieses reichhaltige Material, zu dem auch eine beeindruckende Fotoausstellung gehörte, konnten wir für unser Buch ebenfalls zurück greifen. Insgesamt konnten wir schließlich in 30 Ländern der «Dritten» Welt selbst recherchieren und fast überall fanden wir reichhaltiges und überaus spannendes, wenn auch von der hiesigen Geschichtswissenschaft bislang nahezu komplett ignoriertes Material zu unserem Thema. 

AFRIKANET.info: Ein interessantes Kapitel beschäftigt sich mit Schwarzen im Nationalsozialismus. Was können Sie diesbezüglich sagen? 

Karl Rössel: Auch wenn es uns im Wesentlichen darum ging, zu beschreiben, wie sich der Krieg auf Menschen außerhalb Europas auswirkte (etwa durch massenhafte Zwangsrekrutierungen und -rekurierungen von Rohstoffen, die militärische und ökonomische Einbindung der Kolonien in die Kriegswirtschaft etc.), wollten wir auch darauf verweisen, dass Schwarze, die in Deutschland lebten, als die Faschisten die Macht übernahmen, unter die rassistischen Sondergesetze fielen und verfolgt wurden. Wenn Schwarze als Kriegsgefangene in die Hände der Nazis fielen, waren sie aufgrund der rassistischen Ideologie der deutschen Nationalsozialisten besonders bedroht. So verübte die Deutsche Wehrmacht zahlreiche Massaker an schwarzen Gefangenen, etwa im Juni und Juli 1940 an der französischen Grenze zu Deutschland. In den deutschen Lagern wurden schwarze Gefangene besonders grausam behandelt und ein weitaus höherer Prozentsatz von ihnen als von weißen Kriegsgefangenen kam in der Haft um. Einige schwarze Gefangene mussten schließlich auch für Propagandafilme der Nazis (z.B. zur Verbreitung deutscher Kolonial-«Ansprüche» in Afrika herhalten) oder wurden zu Menschenversuchen missbraucht. Erst sechs Jahrzehnte nach Kriegsende begann in Deutschland - mit Ausstellungen und historischen Forschungsarbeiten - eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem verdrängten und verschwiegenen Aspekt der Geschichte. 

AFRIKANET.info: Dieses Kapitel der Europäischen Geschichte wird nicht in den EU Schulbüchern erwähnt. Wie erklären Sie dieses Manko? 

Karl Rössel: Die ehemaligen Kolonialmächte haben kein Interesse daran, einzugestehen, in welchem Ausmaß sie Kolonisierte aus allen Kontinenten für ihre Kriege eingespannt haben. Schließlich war dies mit dem Zweiten Weltkrieg keineswegs vorbei, sondern Frankreich, um nur ein Beispiel zu nennen, schickte Soldaten aus seinen westafrikanischen Kolonien Anfang der fünfziger Jahre auch in den Krieg in Indochina und von 1954 bis 1962 nach Algerien. Auch die in diesen Kriegen eingesetzten Kolonialsoldaten erhalten bis heute geringere Pensionen und Invalidenrenten als ihre französischen Kameraden. Erst ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens erstmals Kriegsteilnehmer aus Afrika zu Feierlichkeiten anlässlich von Jubiläen des Kriegsendes eingeladen, und erst in den letzten Jahren sind hier und da kleinere Denkmäler entstanden, die an die Millionen Opfer aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien erinnern, die in diesem Krieg ihr Leben ließen. Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte wurde und wird gescheut, weil sie Konsequenzen haben könnte bzw. müsste, z.B. in Form von Entschädigungszahlungen oder - dort wo der Krieg ausgetragen wurde - Reparationsleistungen. Die Anerkennung dessen, was die Kolonisierten im Krieg geleistet haben, müsste auch einen anderen Umgang mit ihnen und ihren Nachfahren in der Gegenwart zur Folge haben. Tatsächlich jedoch verfolgt die EU eine rassistische Abschottungspolitik, die z.B. Kindern und Enkeln von Afrikanern, die dafür gekämpft haben, Europa vom Faschismus zu befreien, die Einreise grundsätzlich verweigert. 

AFRIKANET.info: Wie erklären Sie, dass im deutschsprachigen Raum keine seriöse Recherchen diesbezüglich unternommen wurden? 

Karl Rössel: Auch die für den Zweiten Weltkrieg verantwortlichen Mächte Deutschland, Italien und Japan haben keinerlei Interesse, sich mit den Folgen ihres Krieges für weite Teile der «Dritten» Welt auseinander zu setzen, weil sie ansonsten dafür aufkommen müssten. Tatsächlich verweigern sie Entschuldigungen und Entschädigungen für die Kriegsschäden und -Opfer, die sie zu verantworten haben. Noch heute sterben z.B. Beduinen in Libyen und Ägypten durch Minen, die von der deutschen Wehrmacht bei ihrem Feldzug in Nordafrika verlegt hat. Die Deutschen haben weder ihre Minenfelder geräumt, noch Wiederaufbauhilfe für die von deutschen Panzern und Bomben zerstörten Orte in Afrika und im Nahen Osten geliefert. Auch die meisten afrikanischen Kriegsgefangenen, die für die deutsche Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisten mussten, wurden nie entschädigt. Statt an diese vergessenen Opfern zu erinnern, bemühen sich prominente Historiker hierzulande (etwa aus der Redaktion des «Geschichtspornographen» Guido Knopp vom ZDF) immer unverfrorener darum, die Deutschen, die den Krieg angezettelt, millionenfach bejubelt, begeistert geführt und somit zu verantworten haben, als eigentliche Opfer (von ein paar wenigen, kriminellen Ober-Nazis abgesehen) zu präsentieren. Dafür stehen zahllose Dokumentationen, Bücher und Spielfilme etwa über die «Vertreibung der Deutschen», ihre Fluchtwege und den «alliierten Bombenterror». Auch in den anderen Ländern der faschistischen Achse ist dies nicht anders: In Rom räumte das Verteidigungsministerium erst 1996 erstmals den systematischen Einsatz von Giftgas bei den italienischen Vernichtungsfeldzügen in Äthiopien von 1935 bis 1941 ein, Prozesse gegen die Verantwortlichen und Entschädigungszahlungen für die Opfer gab es nicht. Und Japans Premierminister Shinzo Abe bestritt noch 2007 die Verbrechen der japanischen Streitkräfte, die während des Zweiten Weltkriegs in Asien und Ozeanien etwa 200.000 Frauen aus verschiedenen besetzten Ländern in ihre Militärbordelle verschleppt und dort massenhaft vergewaltigt haben. Auch hier ist ein wesentlicher Grund der regierungsoffiziellen Geschichtsleugnung, den berechtigten Entschädigungsforderungen der Opfer zu begegnen. 

AFRIKANET.info: Wie reagierten die Bildungsinstitutionen auf Ihr Buch? Gibt es Bemühungen, Teile ihrer Arbeit innerhalb der Schulbüchern einzubinden? 

Karl Rössel: Nachdem wir die Recherchen einige Jahre weitgehend durch andere journalistische Projekte selbst finanzieren mussten, fanden wir schließlich für die umfangreichen Arbeiten an dem Manuskript finanzielle Unterstützung u.a. von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen. Überzeugt vom Ergebnis unseres Projektes war diese Stiftung nach der Publikation des Buches auch bereit, die Erstellung von Unterrichtsmaterialien für die Schulen zu diesem Thema zu fördern. Darin werden die wesentlichen Fakten des Buchs in knapperen Kapiteln zusammen gefasst und um ausführliche Quellentexte ergänzt, mit deren Hilfe Lehrer und Schüler das Thema erarbeiten und diskutieren können. Darüber hinaus liegt diesen Materialien jeweils eine CD bei. Darauf sind nicht nur alle Texte, Karten und Zeittafeln enthalten, die damit für den jeweiligen Schwerpunkt des Unterricht gesondert zusammen gestellt und ausgedruckt werden können, sondern auch Fotos sowie Augenzeugenberichte im Originalton (mit und ohne deutsche Übersetzungen) für den Einsatz im Unterricht. Wir hoffen, dass das Thema auf diese Weise auch den Weg in den Geschichtsunterricht an den Schulen findet. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn das Thema darüber hinaus auch Eingang in Schulbücher etwa für das Fach Geschichte fände. 

AFRIKANET.info: In Frankreich ist bekannt, dass Kriegsveteranen aus vielen Ländern Afrikas, die für Frankreich gekämpft haben, weniger Rente erhalten als ihre französischen Kriegskollegen. Haben Sie im Zuge ihrer Recherchen verstanden, warum die Situation so ist? 

Karl Rössel: Die französische Regierung machte die Zahlung von Kriegsrenten von Anfang an von Bedingungen abhängig, die viele Kriegsteilnehmer aus Afrika nach ihrer Heimkehr nicht erfüllen konnten. Sie mussten Dienstzeiten, Einsatzorte und Einheiten sowie Art und Dauer von Kriegsgefangenschaften mit Dokumenten belegen. Aber die Deutschen hatten ihren Gefangenen in der Regel sämtliche Papiere abgenommen, so dass viele schon deshalb leer ausgingen. Auch mussten mindestens 90 Tage Fronteinsatz nachgewiesen werden, um Rentenansprüche zu begründen. Damit blieben all diejenigen unberücksichtigt, die als Hilfsarbeiter, Träger, Köche oder Putzkräfte in der Etappe oder in Kasernen eingesetzt worden waren. Die afrikanischen Frontkämpfer, die Kriegsrenten bezogen, versuchte die französische Regierung schließlich gegen die Unabhängigkeitsbewegungen in ihren jeweiligen Ländern auszuspielen. 1959 verabschiedete De Gaulles Regierung ein Gesetz, wonach afrikanische Kriegsteilnehmer - nach der Unabhängigkeit - nicht mehr dieselben Pensionsansprüche haben sollten wie französische Soldaten. Während die Pensionen von Franzosen regelmäßig dem steigenden Preisniveau angepasst und erhöht wurden, blieben die Renten afrikanischer Veteranen «eingefroren» und damit auf dem Niveau des Jahres der jeweiligen Unabhängigkeit. Dies ist nicht nur der wesentliche Grund für die krassen Unterschiede zwischen den Kriegsrenten für Franzosen und Afrikaner, sondern erklärt auch die unterschiedlich hohen Pensionszahlungen in verschiedenen afrikanischen Ländern. Erst in den letzten Jahren sind, vor allem aufgrund der anhaltenden Proteste afrikanischer Veteranenverbände, die Kriegsrenten für Afrikaner mehrfach erhöht worden. Das Niveau der Rentenzahlungen an Franzosen haben sie allerdings immer noch nicht erreicht. 

AFRIKANET.info: Auf Seite 156 ihres Werkes erwähnen Sie ein Beispiel für rassistisches Verhalten des damaligen US Roten Kreuzes. Sie schreiben, dass die Organisation sogar Blut von Weißen und Schwarzen trennte, damit die Weißen nicht «schwarzes Blut» bekommen. Wissen Sie ob das US Rote Kreuz sich heute diesbezüglich entschuldigt hat? 

Karl Rössel: Ob sich das Rote Kreuz in den USA für seine rassistischen Praktien entschuldigt hat, ist uns nicht bekannt. (Das Rote Kreuz hat sich allerdings auch anderswo nur sehr zögerlich und bruchstückhaft mit seiner zweifelhaften Rolle im Zweiten Weltkrieg auseinander gesetzt, etwa mit der Beihilfe, die es für zahllose Nazi-Kriegsverbrecher geleistet hat, um ihnen nach Kriegsende die Flucht nach Lateinamerika zu ermöglichen.) Fakt ist, dass der Rassismus auch in den Staaten der alliierten Kriegskoalition weit verbreitet war. Als die USA - nach dem japanischen Vorstoß in den Südpazifik 1941 - Truppen nach Australien entsandten, versuchte die australische Regierung, die damals eine strikt rassistische Einwanderungspolitik (die »White-Australia-Policy«) betrieb, schwarzen US-Soldaten die Einreise zu verweigern. Als sie dies gegenüber der US-Regierung nicht durchsetzen konnte, bestand sie darauf, schwarze US-Soldaten z.B. in der Stadt Brisbane strikt von weißen getrennt unterzubringen und Kontakte zur einheimischen Bevölkerung möglichst zu unterbinden. Auch der nationalkonservative Militärführer und Politiker Chiang Kai-shek in China hätte lieber auf «Negertruppen» verzichtet, als schwarze US-Soldaten zur Verteidigung seines Landes gegen die Japaner willkommen zu heißen. Und die rassistische Regierung Südafrikas ließ nach einer Schlacht gegen die deutschen Panzerverbände in Nordafrika sogar gefallene Soldaten vom Kap, die zunächst in einem gemeinsamen Massengrab beerdigt worden waren, wieder ausgraben und - streng nach Hautfarbe getrennt - in verschiedenen Gräbern beisetzen. 

AFRIKANET.info: Zur Aktualität des Buches: Ist das Buch nur auf Deutsch zugänglich oder gibt es Übersetzungen in anderen Sprachen wie Englisch oder Französisch? 

Karl Rössel: Leider ist unser Buch bislang nur auf Deutsch erhältlich. Aber es wäre sehr wünschenswert, wenn es zumindest auch in Englisch und Französisch heraus käme. Nach seinem Erscheinen ist das Buch im Juli 2005 von Kritikern zum «Sachbuch des Monats» gekürt worden. Bei der Frankfurter Buchmesse zeigten sich daraufhin auch Verlage aus anderen Ländern interessiert, es in übersetzten Fassungen zu publizieren. Leider ließen sich alle letztlich vom Umfang und von den vielen Fotos abschrecken, weil sie die Kosten für die Übersetzung und die Fotorechte scheuten. Wir bemühen uns weiter darum, Verlage zumindest für eine englische und eine französische Fassung zu finden. Dafür würden wir auf Autorenhonorare verzichten und der Text könnte auch ohne die vielen Fotos (von denen einige übrigens kostenfrei zur Verfügung stehen) veröffentlicht werden. Für Kontakte zu englisch- oder französischsprachigen Verlagen wären wir dankbar.

 

Hinweise auf die in dem Interview erwähnten Publikationen des RJB: 

Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e.V (Hg.).: "Unsere Opfer zählen nicht" - Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg Verlag Assoziation A. Hamburg/Berlin 2005. ISBN 3-935936-26-5 444 Seiten. 415 Fotos. 29,50 Euro. Das Buch ist die erste deutschsprachige Publikation über die weit reichenden Folgen des Zweiten Weltkriegs in der Dritten Welt. Es entstand auf der Grundlage langjähriger Recherchen und zahlreicher Interviews mit Veteranen, Zeitzeugen und Historikern in 30 Ländern. Die drei Hauptkapitel beschreiben die Rolle Afrikas, Asiens und Ozeaniens im Zweiten Weltkrieg und enthalten z.B. Länderanalysen über Südafrikas Rolle im Krieg, über den landesweiten Widerstand gegen die japanischen Invasoren auf den Philippinen, Osttimors Besatzung und Befreiung sowie über die Folgen des Baus gigantischer Militärstützpunkte auf pazifischen Inseln wie Samoa, Fidschi, Neukaledonien, den Neuen Hebriden, im Zentralpazifik und in Mikronesien. Weitere Abschnitte erinnern an Kolonialsoldaten im Spanischen Bürgerkrieg, Schwarze und Native Americans in der US-Armee, die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf Lateinamerika und den Nahen Osten sowie an die Kriegseinsätze australischer Aborigines und neuseeländischer Maoris. Dabei wird nicht verschwiegen, dass es in der Dritten Welt nicht nur Opfer gab, sondern auch Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte, die im Krieg an deren Seite kämpften – von Nordafrika über Palästina, den Irak und Indien bis nach Indonesien. 

Rezensionen des Buches finden sich auf der Internetseite des Verlags unter:

http://www.assoziation-a.de/rezension/Unsere_Opfer_zaehlen_nicht.htm 

Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e.V. (Hg.): Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg - Unterrichtsmaterialien zu einem vergessenen Kapitel der Geschichte Köln 2008. 224 Seiten. 200 Fotos. Mit beiliegender CD. ISBN 978-3-9812168-0-6. 12 Euro bzw. 15 Euro (mit Versand) Die Unterrichtsmaterialien, entstanden auf der Grundlage des Buchs "Unsere Opfer zählen nicht", enthalten Hintergrundtexte, historische Quellen sowie Berichte von Zeitzeugen über Folgen des Zweiten Weltkriegs in Afrika, Asien und Ozeanien. Fotogalerien, Zeittafeln, Karten und persönliche Erinnerungen von Kriegsteilnehmern erleichtern den Einstieg ins Thema. Auf der beiliegenden CD finden sich 32 Hörbeispiele von Zeitzeugen aus 13 Ländern im Originalton mit und ohne deutsche Übersetzungen. Im Anhang werden Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung gemacht, weiterführende Themen erläutert (wie z.B. Kolonialgeschichte, Rassismus, Frauen im Krieg und Judenverfolgung außerhalb Europas) sowie empfehlenswerte Bücher, Filme und Radiosendungen vorgestellt. Die Materialien sind nicht nur im Geschichtsunterricht verwendbar, sondern auch in Fächern wie Politik, Sozialkunde, Philosophie, Ethik, Geographie und Religion.

Damit können sowohl einzelne Stunden als auch Unterrichtsreihen und fächerübergreifende Projektwochen gestaltet werden. 


Bestelladresse: Recherche International e.V./Rheinisches JournalistInnenbüro 
Merowingerstr. 5-7, 50677 Köln, Tel.: 0221-317091. E-Mail:

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Das Schweigen brechen

Die Einleitung zu dem Buch «Unsere Opfer zählen nicht» in gekürzter Fassung, 
abgedruckt in der Frankfurter Rundschau

Als der Zweite Weltkrieg begann, war Großbritannien die größte Kolonialmacht und verfügte über ein Imperium, das ein Viertel der Erde sowie ein Viertel der Weltbevölkerung umfasste und sich von Jamaika und Lateinamerika über Ostafrika und Indien bis nach Südostasien und in den Zentralpazifik erstreckte. Die französischen Kolonien in der Karibik, Nord- und Westafrika, Indochina, Melanesien und Polynesien waren zusammengenommen zwanzigmal größer als Frankreich und hatten mehr als einhundert Millionen Einwohner. Mit Libyen, Eritrea und Somaliland herrschte auch die faschistische Regierung Italiens bei Kriegsbeginn in Afrika über ein Kolonialgebiet, das um ein Vielfaches größer war als das eigene Land. Die Kolonie Niederländisch-Indien (Indonesien) hatte die Größe Westeuropas. Die USA hielten die Philippinen und militärstrategisch bedeutsame Inseln im Pazifik wie Guam und Hawaii Formosa (Taiwan) und die Mandschurei. Deutschland hatte seine Kolonien in Afrika und der »Südsee« zwar nach dem Ersten Weltkrieg an die Siegermächte abtreten müssen, doch ihre Rückgewinnung und die Eroberung weiterer Kolonialgebiete gehörten zu den erklärten Kriegszielen des NS-Regimes. Schon nach der verheerenden Niederlage Frankreichs im Juni 1940 gewann Nazideutschland Einfluss auf die französischen Kolonien, die unter der Kontrolle der Kollaborationsregierung in Vichy standen, und bezog aus ihnen Rohstoffe für seine Rüstungsindustrie. Auch die Bündnispartner des NS-Regimes suchten im Zweiten Weltkrieg ihre Kolonialreiche auszubauen. Nach dem italienischen Überfall auf Äthiopien träumte Mussolini von der Wiedergeburt eines «Imperium Romanum» in Ostafrika, und Japan hoffte, mit seinen Feldzügen in China, Südostasien und der Pazifikregion ein »großost­-siatisches Reich» begründen zu können. Im Kampf gegen die faschistischen Kriegstreiber bezogen auch die Alliierten ihre Kolonien von Anfang an in den Zweiten Weltkrieg mit ein. Die kolonialisierten Länder mussten nicht nur kriegswichtige Rohstoffe zu Spottpreisen abgeben, sondern stellten auch Millionen Soldaten sowie (Zwangs-)Arbeiter und Arbeiterinnen für die alliierten Streitkräfte. Ohne den Beitrag der Kolonialisierten hätte der Zweite Weltkrieg einen anderen Verlauf genommen und die Befreiung der Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtwahn wäre noch schwerer und langwieriger gewesen. Weite Teile der so genannten Dritten Welt – von der lateinamerikanischen Küste über West- und Nordafrika, den Nahen Osten, China, Indien und Südostasien bis zu zahlreichen Inselgruppen im Stillen Ozean – waren auch Kriegsschauplätze. Dabei geriet die einheimische Bevölkerung nicht selten zwischen die Fronten und sah sich zu Kriegsdiensten aller Art gezwungen. Millionen Opfer und schwere Zerstörungen in den betroffenen Ländern waren die Folge. Allein bei der Befreiung der philippinischen Hauptstadt Manila von den japanischen Besatzern kamen 100.000 Zivilisten ums Leben, und in China starben im Zweiten Weltkrieg mehr Menschen als in den Ländern der faschistischen Achsenmächte zusammen. Soldatenfriedhöfe, Kriegsgräber und Denkmäler für Gefallene in allen Kontinenten zeugen von den Opfern des Zweiten Weltkriegs in aller Welt. Sie finden sich rund um den Globus: in Rio de Janeiro wie in Montevideo, in Algier wie in Tunis, in Burkina Faso und in Äthiopien, im Dschungel von Burma und in den philippinischen Bergen, auf den Marianen-Inseln und auf Tahiti. Trotzdem tauchen die Kriegsopfer aus der Dritten Welt in den gängigen Statistiken über die «Menschenverluste» des Zweiten Weltkriegs nicht auf. Denn die Kolonialherren haben sie entweder gar nicht erst gezählt oder den eigenen Verlusten zugeschlagen und damit unkenntlich gemacht. Erst nach ihrer Unabhängigkeit konnten die Kolonialisierten ihre Versionen der (Kriegs-)Geschichte aufarbeiten und niederschreiben. Es ist deshalb kein Zufall, dass in vielen Ländern der Dritten Welt erst in den siebziger Jahren historische Werke über den Zweiten Weltkrieg und Memoiren von Kolonialsoldaten erschienen. Nicht wenige davon waren motiviert von der Ignoranz der Kolonialmächte gegenüber den Veteranen und den Hinterbliebenen der Kriegsopfer. (...) Anlässlich des 50. Jahrestags des Kriegsendes fanden 1995 in vielen Ländern der Dritten Welt Ausstellungen, Veranstaltungen, Paraden, Konferenzen und Symposien statt. Regisseure aus dem Senegal, Ghana und Gabun drehten Spielfilme und Dokumentationen über das Thema, und Schriftsteller aus Afrika und Asien verarbeiteten ihre Kriegserfahrungen in Romanen. Veteranenverbände aus Ländern der Dritten Welt sorgten mit dafür, dass das Thema in den neunziger Jahren endlich eine bescheidene Öffentlichkeit fand. Danach konnten die Regierungen der ehemaligen Kolonialmächte die Einsätze ihrer Kolonialsoldaten im Krieg nicht länger totschweigen. So sah sich die britische Regierung im November 2002 (57 Jahre nach Kriegsende!) veranlasst, in London ein erstes Denkmal für die Soldaten aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Afrika, der Karibik und dem Königreich Nepal einzuweihen, die für das Empire in den Krieg gezogen waren. Und zum 60. Jahrestag der alliierten Landung in der Provence im August 2004 lud der französische Präsident Jacques Chirac zwanzig Staatschefs und Regierungsvertreter sowie Hunderte Kriegsveteranen aus Afrika ein, eine »symbolische Geste«, zu der Frankreich bis dahin nicht bereit gewesen war. Den Historikern, Publizisten und Medien in Deutschland dagegen, dem Land, das die Hauptverantwortung für den Zweiten Weltkrieg und damit auch für die Opfer der Dritten Welt trägt, waren die Kolonialisierten weiterhin nicht der Rede wert. Dabei hat auch die deutsche Wehrmacht Hunderttausende Soldaten aus Nordafrika, dem Nahen Osten, Indien und den besetzten Provinzen im Süden der Sowjetunion an der Front eingesetzt. Und die Befreiung Deutschlands vom Faschismus war nicht zuletzt den Millionen Menschen aus der Dritten Welt zu verdanken, die dafür ihr Leben riskierten oder gefallen sind. Unter denen, die 1945 das letzte Aufgebot der faschistischen Wehrmacht niederrangen und dem Naziregime endlich ein Ende bereiteten, waren Soldaten aus Nord-, West-, Ost- und Südafrika, Araber und Juden aus Palästina, Inder und Pazifikinsulaner, Aborigines und Maoris, Mexikaner und Brasilianer, Afroamerikaner und Native Americans. Aber in der deutschen Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg kommen sie kaum vor. Auch der Medienboom zum 60. Jahrestag des Kriegsendes (in Europa) am 8. Mai 2005 hat daran nichts geändert. (...) Die Geschichte wird gegebenenfalls so verdreht, dass die Millionen Soldaten, Zwangsarbeiter und Zwangsprostituierten aus den kolonialisierten Ländern gar nicht erst erwähnt werden müssen. Die Fernsehdokumentation Von Hawaii nach Iwo Jima – Der Krieg im Pazifik in der von Guido Knopp betreuten Reihe ZDF-History, ausgestrahlt am 4. September 2004, ist ein Beispiel dafür. Darin wurde behauptet, die meisten der im Zweiten Weltkrieg umkämpften pazifischen Inseln seien »unbewohnt« gewesen. Folglich kam in der 45-minütigen Sendung auch kein einziger Insulaner zu Wort. Tatsächlich jedoch fanden die zentralen Schlachten des Pazifikkriegs in Papua-Neuguinea und auf den Salomonen statt. Auf diesen südpazifischen Inseln lebten damals Millionen Menschen, Zehntausende Insulaner mussten als Soldaten und Zwangsarbeiter für die Kriegsparteien herhalten und Tausende kamen dabei um. Auch auf vielen Inseln des Zentralpazifiks und im nordpazifischen Mikronesien hinterließ der Zweite Weltkrieg eine Spur der Zerstörung und viele Opfer. Den ZDF-Historikern waren sie kein Wort und kein Bild wert. Sie beschränkten sich stattdessen auf die sattsam bekannten und immer gleichen Archivaufnahmen von US-amerikanischen Kriegsschiffen und japanischen Flugzeugträgern, US-amerikanischen Marine-Soldaten und japanischen Kamikaze-Piloten, unterlegt mit dramatischer Musik. Kritiker haben diese Machart zurecht als «Geschichtspornographie» bezeichnet. Die ZDF-Autoren übersprangen einfach die entscheidenden Jahre des Pazifikkrieges (1942 und 1943) und gingen vom japanischen Angriff auf die US-Flotte Ende 1941 gleich zum Vormarsch der US-amerikanischen Streitkräfte auf das japanische Festland in der Schlussphase des Krieges 1944/45 über. (...) Schon die zeitliche Begrenzung des Zweiten Weltkrieges auf die Jahre 1939 bis 1945 ist eurozentristisch. In Afrika begann der Krieg 1935 mit dem Einmarsch der Italiener in Äthiopien. 1937 hatte Japan neben Korea bereits die Mandschurei besetzt und dehnte seinen Krieg gegen China nach Süden aus. Als die Achsenmächte 1945 endlich kapitulierten, war der Krieg in vielen Länder der Dritten Welt auch noch nicht zu Ende. In Algerien massakrierten französische Truppen am 8. Mai 1945, der als «Jahrestag der Befreiung» bis heute in Frankreich gefeiert wird, Zehntausende Demonstranten, die für die Unabhängigkeit des Landes demonstrierten. In Hanoi rief Ho Chi Minh zwar schon nach der Kapitulation der japanischen Besatzungsmacht im September 1945 die Unabhängigkeit Vietnams aus, aber Frankreich und die USA versuchten, sie in einem dreißigjährigen Krieg wieder rückgängig zu machen. Auf den Philippinen setzten Partisanen, die nach dem Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte 1942 drei Jahre lang alleine den japanischen Besatzern Widerstand geleistet hatten, ihren Befreiungskampf 1945 nahtlos gegen die alten und neuen Kolonialherren aus den USA fort. Und auch in China endete der Krieg erst 1949 mit dem Sieg der revolutionären Volksarmee Mao Tse-tungs über die Truppen Chiang Kai-sheks. Allerdings waren die Kolonialisierten im Zweiten Weltkrieg nicht bloß Opfer. Einige nationalistische und antikoloniale Bewegungen in der Dritten Welt sympathisierten offen mit der faschistischen Kriegsallianz, und Hunderttausende Kolonialsoldaten zogen freiwillig für sie an die Front. So dünn die deutschsprachige Literatur zum Thema ansonsten auch ist, so vergleichsweise groß ist die Zahl der Beiträge, in denen das Verhalten von Kollaborateuren aus der Dritten Welt untersucht und nicht selten verteidigt wird. So suchen einige Autoren zum Beispiel zu entschuldigen, warum sich hohe arabische Politiker den Nazis angedient haben. Selbst die Auseinandersetzung mit der aktiven Beteiligung des höchsten palästinensischen Funktionärs jener Zeit, des Großmuftis von Jerusalem Amin al-Husseini, am Holocaust scheint manchen deutschen Islamwissenschaftlern und Teilen der Palästina-Solidarität eher lästig denn notwendig. «Asienexperten» ignorieren den faschistischen Führerkult, den Thailands langjähriger Militärdiktator Phibun in den vierziger Jahren aus Europa importierte, ebenso wie die Unterstützung der japanischen Kriegführung durch hochrangige Funktionäre der indonesischen Befreiungsbewegung. Und selbst der «Indischen Legion» der deutschen Wehrmacht können deutsche Autoren positive antikoloniale Züge abgewinnen, obwohl sich die dafür rekrutierten Inder 1944 in die Waffen-SS eingliedern ließen und für Massaker an der Zivilbevölkerung in Frankreich verantwortlich sind. Die Verharmlosung der Kollaboration ist so frappierend, weil es in all den genannten Ländern auch antikoloniale Kräfte gab, die jede Kollaboration mit Faschisten strikt ablehnten und deren rassistische Politik anprangerten. (...) Der Umgang mit den vergessenen Kriegsopfern aus der Dritten Welt ist ein Beispiel für das, was der nigerianische Nobelpreisträger für Literatur Wole Soyinka «Kultur der Straflosigkeit» nennt: Hinterbliebenen gefallener Kolonialsoldaten wurden Pensionen verwehrt. Zahllose Zwangsarbeiter und Zwangsprostituierte erhielten nie eine Entschädigung. Kriegsverbrechen wie die Massaker der deutschen Wehrmacht an afrikanischen Kolonialsoldaten in Chasseley, der französischen Streitkräfte an westafrikanischen Kriegsheimkehrern im senegalesischen Thiaroye und der Japaner an der Zivilbevölkerung im chinesischen Nanking blieben ungesühnt. Millionen Opfer von Hungerkatastrophen, die in Folge des Zweiten Weltkriegs in Nordvietnam, Bengalen und Ostafrika ausbrachen, sind vergessen. Für die Schäden, die sie mit ihrem Krieg in vielen Ländern Nordafrikas, Asiens, Ozeaniens und an der Küste Lateinamerikas anrichteten, haben die Verursacher aus den Achsenmächten nie angemessene Reparationszahlungen leisten müssen. Aber auch die Alliierten verwehrten den kolonialisierten Ländern nach Kriegsende die Unabhängigkeit und rekrutierten weiterhin Kolonialsoldaten für ihre Kriege. (...) Das Autorenkollektiv Die Recherchen über die Rolle der Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg begannen schon vor zehn Jahren, im Rheinischen JournalistInnenbüro in Köln. Seitdem haben die Mitglieder dieses Autorenkollektivs (derzeit sind das: Birgit Morgenrath, Albrecht Kieser, Gerhard Klas und Karl Rössel) in dreißig Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens Augenzeuginnen, Kriegsveteranen, Sozialwissenschaftlerinnen und Historiker interviewt sowie Literatur, Fotos und Dokumente zum Thema gesammelt. 1999 gründete sich mit Recherche International e.V. ein Verein, der die Förderung investigativer Recherchen in der Dritten Welt im Allgemeinen und dieses Buches im Besonderen zu seinem Anliegen machte und Anfang 2003 die Nordrhein-Westfälische Stiftung für Umwelt und Entwicklung dafür gewann, das Projekt zu unterstützen. Dies ermöglichte es dem Autorkollektiv, sein umfangreiches Recherchematerial auszuwerten, Experten zu bestimmten Regionen (von China bis Lateinamerika) zur Mitarbeit zu gewinnen und bestehende Lücken zu schließen. Dabei betonen die MitarbeiterInnen des Rheinischen JournalistInnenbüros in ihrer Einleitung, dass sie ihr Buch lediglich als «einen ersten, sicherlich unvollkommenen Versuch» ansähen, sich diesem vergessenen Thema zu nähern. Aber sie hoffen, dass es dazu beiträgt, «endlich eine wissenschaftliche, publizistische und politische Auseinandersetzung mit den dramatischen Folgen des Zweiten Weltkriegs für die Dritte Welt» zu initiieren.

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Das Langzeitprojekt "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg"

Von der Internetseite des Rheinischen JournalistInnenbüros, Köln

Von den ersten Recherchen bis zur Realisation des umfassendsten Gemeinschaftsprojekts in der Geschichte des Kollektivs "Rheinisches JournalistInnenbüro" (RJB) dauerte es zehn Jahre. 1996 entstand die Idee, ein vergessenes Kapitel der (Kolonial-)Geschichte aufzuarbeiten: den Einsatz von Soldaten und Ressourcen aus Ländern der Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg. Bei Recherchereisen in Afrika, Asien und Ozeanien waren die Mitglieder des RJB immer wieder auf die Bedeutung dieses Themas gestoßen, das von der hiesigen Geschichtsschreibung weitgehend vergessen und verschwiegen wurde. Auch in Literatur und Filmen aus der Dritten Welt fanden sich zahlreiche Hinweise darauf. Deshalb beschloss das Kollektiv, bei Reisen in Länder der Dritten Welt stets auch Interviews mit ehemaligen Kolonialsoldaten und Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg zu sammeln sowie historische Dokumente und Bücher, Fotos und Filme. Ansgar Skriver - damals Redakteur des politischen Features im WDR, zwischenzeitlich bedauerlicherweise verstorben – wollte die Ergebnisse dieser Recherchen in einer Feature-Serie präsentieren. Ab 1997 recherchierten Mitglieder des RJB zum Thema in Afrika (Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali, Senegal, Gambia, Ägypten, Äthiopien, Kenia, Südafrika, Namibia, Botswana), in Asien (Südkorea, Hongkong/Macau, Indonesien, Philippinen), in Ozeanien (Hawaii, Französisch-Polynesien, Fidschi-Inseln, West-Samoa, Salomon-Inseln, Vanuatu, Neu-Kaledonien) und in Australien (zum Kriegsdienst von Aborigines).
Im Laufe der Jahre sammelten sich mehr als 100 Stunden Interviews an und ein großer Büroschrank füllte sich mit historischen Materialien aus mehr als 30 Ländern. Sie belegten, dass es sich nicht um einen Nebenaspekt, sondern um ein zentrales Kapitel der neueren Geschichte handelte. Denn tatsächlich haben mehr Soldaten aus der Dritten Welt am Zweiten Weltkrieg teilgenommen als aus Europa und allein in China kamen darin mehr Menschen um als in Deutschland, Italien und Japan zusammen. Ohne die millionenfachen Einsätze von Kolonialsoldaten wäre die Befreiung der Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtwahn ungleich schwerer gewesen. Allerdings gab es in der Dritten Welt nicht nur Opfer, sondern auch Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte, die im Krieg an deren Seite kämpften – von Nordafrika und Palästina über den Irak und Indien bis nach Thailand und Indonesien. Auch darauf wollte das RJB im Rahmen dieses Projektes hinweisen. Drei erste Stundenfeatures über Afrika, Asien und Ozeanien liefen schließlich 2004 in Deutschlandfunk, SWR und WDR. Ein Jahr später folgte eine Serie über "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" in SWR 2 Wissen, ergänzt 2008 um eine weitere über Nazi-Kollaborateure aus der Dritten Welt.
Die Fülle des gesammelten Materials ließ sich letztlich nur in einem Buch darstellen, dessen Publikation nur mit Hilfe von Zuschüssen möglich war. Über mehrere Jahre hinweg fanden sich jedoch zunächst keine Geldgeber, obwohl das RJB mehrere Dutzend Stiftungen im In- und Ausland um Unterstützung bat. Erst die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen war schließlich 2003 bereit, die Erstellung des Buchs "Unsere Opfer zählen nicht" – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (Hamburg/Berlin 2005) zu ermöglichen. Die Resonanz war erfreulich positiv. 24 Kritiker von TV, Rundfunk und Presse kürten es zum "Buch des Monats Juli" und die AutorInnen des RJB konnten das Thema auf zahlreichen Veranstaltungen vorstellen, so z.B. bei der Jahrestagung der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) in Hamburg.

Rezensionen des Buchs finden sich hier.

Mit Hilfe der NRW-Stiftung konnten 2008 auch Unterrichtsmaterialien über "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" herausgegeben werden und das RJB setzte das Projekt mit der Erstellung einer Wanderausstellung weiter fort, die von September 2009 bis Ende 2011 (bei Interesse auch darüber hinaus), begleitet von Filmen, Referaten und einer Hiphop-Hommage an die vergessenen Kolonialsoldaten, durch verschiedene Städte in Deutschland, der Schweiz und Österreich touren wird.

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 Das war nicht unser Krieg - Folgen des Zweiten Weltkriegs auf den pazifischen Insel

Vorabdruck aus dem Buch in der Zeitschrift iz3w Rheinisches JournalistInnenbüro (Köln)

Knapp sechzig Jahre nach dem Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland sind viele Aspekte des Zweiten Weltkrieges gründlich untersucht und diskutiert worden, wenn auch oft mit zweifelhaften Ergebnissen. Was jedoch in der larmoyant-selbstbezüglichen deutschen Debatte fast vollständig fehlt, ist der Blick auf die ungeheueren Opfer, die der Zweite Weltkrieg von und in den Ländern der Dritten Welt gefordert hat. 

Ein Team von internationalistischen AutorInnen rund um das Rheinische JournalistInnenbüro nimmt sich der Thematik nun nach langjährigen Recherchen in einem ambitionierten Buchprojekt an. Auf knapp 500 Seiten stellt es materialreich, mit 400 Fotos illustriert und von Augenzeugenberichten aus 30 Ländern untermauert dar, dass die kriegführenden Mächten weite Teile der Dritten Welt als Schlachtfelder und Rohstofflager missbrauchten und Millionen Kolonisierte als Soldaten, Zwangsarbeiter und Zwangsprostituierte.

Das Buch berichtet zum Beispiel davon, dass sich in Abessinien Zehntausende Afrikaner auf beiden Seiten der Front gegenüberstanden, in Burma hunderttausend Soldaten aus West- und Südafrika gegen die Japaner kämpften und in Frankreich Inder gegen und mit (!) den Deutschen. Denn die Dritte Welt war nicht bloß Opfer in diesem Krieg. 
Antikoloniale Bewegungen im Nahen Osten (von Ägypten über Palästina bis in den Irak und den Iran) und in Asien (von Indien und Burma bis Thailand und Indonesien) sympathisierten mit den faschistischen Mächten und stellten Hunderttausende Freiwillige für deren Krieg. Die 3000 Rekruten der von den Nazis ausgehobenen "Indischen Legion" zum Beispiel scheuten sich nicht einmal, sich 1944 in die Waffen-SS eingliedern zu lassen und an Massakern gegen die französische Zivilbevölkerung zu beteiligen. Auch davon berichtet dieses Buch. 

Ozeanien, einem zentralen, wenn auch hierzulande wenig bekannten Schauplatz des Zweiten Weltkrieges, ist darin ein gesondertes Kapitel gewidmet. Wie in anderen Weltregionen waren es dort nicht allein die Deutschen, die Großmachtpläne zu verwirklichen suchten. Japan wollte die Region in sein "großostasiatisches Reich" eingliedern und hinterließ bei seinen Vorstößen bis an die Nordküste Australiens eine Spur der Zerstörung und zahllose Tote auf den pazifischen Inseln. (Die folgenden Leseproben stammen aus dem Ozeanien-Kapitel.) 

Das Buch "Unsere Opfer zählen nicht" – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (Hrsg.: recherche international e.V. und Rheinisches JournalistInnenbüro) erschien Anfang März 2005 im Verlag Assoziation A und kostet 29,50 €. 

Es war der 27. Dezember 1940, als vor der Küste der kleinen zentralpazifischen Insel Nauru ein fremdes Schiff auftauchte. Am Bug des Frachters leuchtete weithin sichtbar der japanische Name Manyo Maru. Am Mast wehte die Flagge der japanischen Handelsflotte. "Die Leute freuten sich, weil es schon seit einiger Zeit keinen Zucker und keinen Reis mehr gegeben hatte«, erzählt Alfie Dick, damals sechs Jahre alt, später stellvertretender Regierungschef Naurus. "Alle strömten voller Vorfreude zum Strand, um das Einlaufen des unerwarteten Frachters zu beobachten. Doch plötzlich nahm das Schiff die Verladestation und die Öltanks im Hafen unter Beschuss. Statt die Ankunft des Frachters zu feiern, flohen wir alle in den Wald, um uns zu verstecken. Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein deutsches Kriegsschiff."  
Das Schiff hieß in Wirklichkeit Komet und gehörte zur deutschen Kriegsmarine, die – von japanischen Stützpunkten versorgt – Ende 1940, Anfang 1941 im Stillen Ozean operierte. Sie torpedierte britische und australische Schiffe, verminte Häfen in Neuseeland und versenkte vier Frachtschiffe der Minengesellschaft, die Australien, Großbritannien und Neuseeland unter dem Namen British Phosphate Commissioners (BPC) gemeinsam auf Nauru betrieben. Diese Phosphatmine hatte ihren Betrieb 1907 aufgenommen, als die Insel noch eine deutsche Kolonie gewesen war. Mit dem Angriff auf Nauru demonstrierte das faschistische Deutschland, dass es sich mit dem Verlust seiner Kolonien in Ozeanien keineswegs abgefunden hatte. 

Hakenkreuzfahnen in der Südsee 
Nach den ersten Warnschüssen an jenem Dezembertag des Jahres 1940 befahlen die deutschen Kommandanten dem Hafenmeister von Nauru, das Gelände um die Phosphatmine innerhalb von einer Stunde zu evakuieren. Als jede Gegenwehr ausblieb, hissten die Marinesoldaten auf der Komet Hakenkreuzfahnen, dann nahmen sie den Hafen unter Beschuss, bis die Treibstofftanks der Minengesellschaft explodierten und selbst das auf Stelzen ins Meer ragende Fließband in Flammen aufging. "Die Leute von Nauru fanden es unglaublich, dass die Stahlkonstruktionen der Phosphatmine Feuer fingen", erzählt Alfie Dick. "Wir hatten gedacht, nur Streichhölzer oder ähnliche Dinge könnten brennen. Was wir da sahen, war für uns völlig neu." 
Als die Verladestation der Mine in Schutt und Asche lag, liefen die Deutschen so überraschend wieder aus, wie sie gekommen waren. Danach herrschte auf Nauru gespannte Ruhe, aber die Insulaner verfolgten mit Sorge die Vorzeichen weiteren Unheils. Erst schickte die Minengesellschaft BPC Frachtschiffe, um das Phosphat, das in Nauru noch auf Halde lag, hastig abzutransportieren. Dann schaffte sie 773 chinesische Bergleute, die in der Mine gearbeitet hatten, von der Insel, und die Kolonialverwaltung evakuierte auch den Großteil der europäischen und australischen Siedler. Die knapp 2.000 Insulaner waren schon fast unter sich, als im Dezember 1941 ein erstes Aufklärungsflugzeug über Nauru auftauchte. Auf seinen Tragflächen leuchtete die rote Sonne der japanischen Flagge. Bald darauf folgten Tiefflieger, die die kleine Funkstation der Insel bombardierten und Nauru von jeder Kommunikation mit der Außenwelt abschnitten. Die japanischen Sturzbomber flogen so tief, dass ein Mädchen den Eindruck hatte, "sie liefen über Bäume". Fast täglich kreuzten jetzt japanische Flugzeuge auf. Die Inselbewohner mieden tagsüber die Gegend um die Phosphatmine sowie die Gebäude der Kolonialverwaltung und versteckten sich in den Wäldern auf dem Hochplateau. 
Als am 21. Februar 1942 der französische Frachter Triomphant im Auftrag der australischen Regierung in Nauru einlief, hofften die Insulaner auf Hilfe. Doch das Schiff holte nur noch die letzten Europäer und Australier – bis auf sieben Personen – von der Insel sowie weitere Minenarbeiter. Da der Platz an Bord begrenzt war, mussten außer den Einheimischen auch 185 Chinesen, darunter viele Alte und Kranke, sowie 50 Bergarbeiter von anderen pazifischen Inseln zurückbleiben. Ihre Evakuierung galt nicht als dringlich, weil sie "in den Händen der Japaner kein Leid zu erwarten" hätten. Auf keinen Fall jedoch wollten die Minenbetreiber den Japanern die Reste ihrer Förderanlagen überlassen. Zur Verblüffung der Insulaner zerstörte die Besatzung, was von der Mine nach den deutschen und japanischen Bombardements übrig geblieben war, bevor die Triomphant im Schutze der Nacht wieder in See stieß. Es war das letzte Schiff, das bis zum Kriegsende zwischen Australien und Nauru verkehrte. Drei lange Jahre blieben die Inselbewohner danach schutzlos den Japanern ausgeliefert und erlebten das Schicksal von Sklaven, als der Krieg im Südpazifik eskalierte.

Der japanische Vorstoß in den Südpazifik 
"Ich erinnere mich noch genau an den Abend des 3. September 1939", schreibt John Guise, der spätere britische Generalgouverneur in Papua-Neuguinea. "Ich saß in Samarai mit einer großen Gruppe von Papuanern um ein Radio herum, das einem von ihnen gehörte. Verwundert, stumm und eingeschüchtert hörten wir, wie in London Mr. Chamberlain Deutschland den Krieg erklärte. Wir versuchten uns gegenseitig zu beschwichtigen, dass diese Nachricht uns in Papua in keiner Weise betreffen würde, aber schon damals beschlich uns ein Gefühl der Unruhe. Und der Zeitpunkt sollte kommen, an dem wir uns den Konsequenzen stellen mussten, die sich aus der Londoner Radiomeldung ergaben."  
Der Zeitpunkt kam am 4. Januar 1942, als die Japaner das Städtchen Rabaul an der Ostküste der Insel New Britain (nordöstlich von Neuguinea) bombardierten, vier Wochen nach dem Angriff auf Pearl Harbor. In Rabaul residierte die australische Verwaltung, die seit dem Ersten Weltkrieg im Auftrag des Völkerbundes Neuguinea (zuvor eine deutsche Kolonie) kontrollierte. Anfang 1942 nahmen japanische Truppen das gesamte Mandatsgebiet ein und bauten in Rabaul ihren größten Stützpunkt im Südpazifik. Bis zu 90.000 Soldaten waren dort stationiert. Ihr Befehl lautete, die australische Kolonie Papua und die Hafenstadt Port Morsesby an der Südküste Neuguineas einzunehmen. Von dort wären sie nur noch wenige hundert Kilometer vom australischen Festland entfernt gewesen. Die Alliierten taten alles, um die Japaner aufzuhalten, bevor sie in Australien landen konnten. So stießen die Streitkräfte beider Seiten im Südpazifik aufeinander, und in Neuguinea trugen sie einige der schwersten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges aus. 
Bis 1942 lebten in Papua und Neuguinea etwa 8.000 Weiße unter rund zwei Millionen Insulanern. In den folgenden drei Jahren überrollten jedoch eine Million Amerikaner, knapp 500.000 Australier und 300.000 Japaner die Insel. Damit kam fast ein ausländischer Soldat auf jeden Einheimischen. Die Japaner verschleppten auch mehr als 5.000 Inder, die sie bei ihrem Vormarsch in Singapur gefangen genommen hatten, als Zwangsarbeiter in den Südpazifik, sowie Chinesen, Indonesier und Koreaner. All diese fremden Soldaten benötigten einheimische Helfer für den Krieg auf der Insel. Allein die Japaner rekrutierten in Neuguinea Zehntausende Insulaner als Hilfs- und Bauarbeiter, Träger und Führer, Kundschafter und Soldaten. Oftmals mussten sie als "menschlicher Schutzwall" vor den japanischen Truppen her marschieren. Manche Insulaner dienten den Japanern "freiwillig" (angeworben mit politischen Versprechen, Geld, Kleidern, Nahrungsmitteln, Geschenken und Waffen). Die meisten jedoch wurden zum Arbeitsdienst gezwungen. Nachdem ihre Dörfer zerstört waren, blieb vielen Insulanern nur die Wahl, sich den Japanern zu beugen oder zu fliehen. 
Ein Bauer aus der Nähe des Küstenortes Finschhafen erzählt: "Wie sollten wir weiter Felder roden oder Gärten anlegen? Wir waren schließlich ständig auf der Flucht vor den Japanern. Hatten wir ein Versteck gefunden, kamen die Japaner hinter uns her. Wir mussten deshalb immer weiter ziehen und von wildem Jams leben und den Früchten, die wir im Dschungel fanden." Stellten die Japaner einen Flüchtigen, so drohten Prügel, Folter oder gar die Todesstrafe. Der Bauer Arthur Duna berichtet: "Alle Männer mussten sich in drei langen Reihen aufstellen. Ein Soldat feuerte dicht über ihre Köpfe, und sie erschraken sehr, wären fast in alle Richtungen auseinander gestoben. Doch der Soldat ließ ihnen durch seinen Übersetzer mitteilen, sie sollten es nicht wagen wegzulaufen, sondern hinunter zum Strand marschieren. Denn sie müssten mitkommen nach Sanada, und jeden, der zu fliehen versuche, werde er mit seinem Gewehr über den Haufen schießen." 
In Sanada angekommen, wurden die Männer als Lastenträger und Bauarbeiter eingesetzt. Arthur Duna musste für die Zwangsarbeiter kochen, "aber das Essen reichte nicht aus, um unsere leeren Mägen zu füllen. Alle mussten den ganzen Tag über hart arbeiten, aber es gab nur ein bisschen Reis und Fisch aus der Dose, das Ganze mit Wasser verlängert." Arthur Duna dachte damals: "Das ist nicht mein Krieg!" und nutzte einen unbeobachteten Moment beim Holzsammeln, um in den dichten Dschungel zu flüchten. 

Furcht vor beiden Kriegsparteien 
Auch die Alliierten zwangen in Papua und Neuguinea Einheimische mit Waffengewalt zu Arbeitseinsätzen. Der Historiker Walingai Patrick B. Silata schildert, wie die Australier in Dörfer eindrangen, die Männer zusammentrieben und antreten ließen. Dann wählten sie die körperlich leistungsfähigsten Männer aus und ließen den Rest zurück. "Die ausgesuchten Männer hatten keine Wahl. Auf Befehl des masta mussten sie zum nächsten australischen Stützpunkt marschieren, wo ihnen die Australier ihre jeweiligen Dienste zuteilten." 
Im August 1942 beschlossen die australischen Militärs offiziell, "die Interessen der Eingeborenen zeitweise zu opfern" und sie zu Kriegsdiensten zu zwingen. Zwar galt die Order, nicht mehr als ein Viertel der gesunden, einheimischen Männer als Hilfsarbeiter und Träger einzusetzen. Tatsächlich aber wurden in vielen Dörfern sämtliche Männer rekrutiert, selbst alte und schwache. "Die Dörfer litten schwer darunter, dass keine Männer da waren, um die Gärten zu bebauen, zu jagen und Häuser und Kanus in Stand zu halten", schreibt der Historiker John Waiko von der Universität Papua-Neuguineas. "Es gab zu wenige Nahrungsmittel, der Krankenstand stieg, die Kindersterblichkeit war extrem hoch, und die Frauen waren völlig überarbeitet. Oft standen sie kurz vor dem Hungertod. Ihr Leben war geprägt von dem Schmerz über den Verlust ihrer Männer und von der erschreckenden Apathie, die sich einstellt, wenn jeder Lebenswille erlischt." Viele Insulaner fürchteten sich vor beiden Kriegsparteien gleichermaßen und versteckten sich in den schwer zugänglichen Bergen im Innern der Inseln. 
Nach der Einnahme von Rabaul planten die Japaner zunächst, Port Moresby vom Meer aus zu erobern. Anfang Februar 1942 flog die japanische Luftwaffe erste Bombenangriffe auf die Stadt, um Verteidigungsanlagen der Australier zu zerstören. Die australischen Truppen reagierten in heller Panik und missbrauchten die allgemeine Verwirrung, um die Geschäfte von Port Moresby zu plündern. John Waiko schreibt, in der Stadt habe "das blanke Chaos" geherrscht, und die einheimische Bevölkerung sei entsetzt gewesen, wie schnell die angeblich so zivilisierten Weißen jegliche Achtung vor Recht und Gesetz ablegten. Hätte die japanische Kriegsmarine Port Moresby erreicht, wäre sie kaum auf nennenswerten Widerstand gestoßen. Doch als die Flotte im Mai 1942 von Rabaul Richtung Papua auslief, kreuzte die – nach dem Desaster von Pearl Harbor – eiligst nachgerüstete US-amerikanische Pazifikflotte schon in der Korallensee zwischen Neuguinea und den Salomon-Inseln und konnte die japanischen Kriegsschiffe aufhalten. 
Der Zusammenstoß der beiden mächtigsten Flotten der Welt ist als "Schlacht in der Korallensee" in vielen Geschichtsbüchern über den Zweiten Weltkrieg ausführlich beschrieben worden. Darin sind die Typen und Namen der beteiligten Schiffe, ihre Längen, Breiten und Höhen, die Reichweite ihrer Kanonen und die Opfer auf beiden Seiten aufgelistet. Nur von den Menschen, die auf den Inseln der Korallensee lebten, ist in keinem Bericht die Rede. Dabei hat sie diese nach ihrem Meer benannte Seeschlacht anhaltend traumatisiert. Die Anthropologin Maria Lepowsky berichtet, dass die Bewohner der Insel Vanatinai sich noch Ende der siebziger Jahre genau erinnerten, wie plötzlich die Kriegsschiffe und Flugzeuge der Japaner und US-Amerikaner rund um ihr Archipel aufgetaucht waren. Damals hätten sie sich vor den "mysteriösen Flugobjekten und unbekannten Schiffen" sehr gefürchtet. 
Nachdem die japanischen Streitkräfte die Südküste Papuas und Port Moresby nicht von der See her hatten einnehmen können, starteten sie weitere Versuche über Land. Am 19. Juli 1942 landeten 3.000 japanische Soldaten und 1.000 einheimische Träger zwischen den Dörfern Gona und Buna an der Nordküste Neuguineas. Von dort wollten sie sich durch das unwegsame Gebirge im Inselinneren bis in das fast 200 Kilometer entfernte Port Moresby an der Südküste der Insel marschieren. Im Dschungel der Berge gelang es der Hälfte der Zwangsarbeiter zu fliehen. Dorfbewohner versteckten sie und pflegten die Kranken gesund. Einige von ihnen kämpften später auf Seiten der Alliierten. 

Ortskundige Kriegshelfer 
Die japanischen Soldaten waren brutale Besatzer: "Sie beschlagnahmten die Ernten in unseren Gärten, schlachteten unser gesamtes Vieh und verspeisten all unsere Schweine. Selbst unsere Kirche entweihten sie mit Fäkalien." Die Japaner zwangen die einheimischen Männer, ihnen als Pfadfinder und Träger auf dem Weg ins Gebirge zu helfen. Auch die anderen Kriegsparteien waren in dem schwer zugänglichen tropischen Gebirge auf ortskundige Helfer angewiesen. Die Insulaner mussten das Gelände auskundschaften, Dschungelpfade roden und Behelfsbrücken bauen, Lager aufschlagen, Schuppen zusammenzimmern und Schützengräben ausheben, Schießstände anlegen und Bunker bauen. Und sie schleppten alles, was die Fremden für ihren Krieg brauchten, über steile Pfade ins Gebirge. Bei ihrem Abstieg balancierten sie Verwundete auf Bambusbahren in die Basislager und Feldhospitale im Tal. 
Japaner und Alliierte machten sich in Papua und Neuguinea zahlreicher Verbrechen schuldig: Sie plünderten Häuser und Hütten, brannten Dörfer nieder und nahmen ihren Bewohnern Vorräte und Vieh, sie setzten Prügelstrafen und Folter ein, vergewaltigten einheimische Frauen und misshandelten deren Männer. Von beiden Kriegsparteien wurden Insulaner, die der Kollaboration verdächtigt wurden, standrechtlich erschossen. Die Grausamkeit der japanischen Streitkräfte war sprichwörtlich. Aber die Allliierten standen ihnen kaum nach…  

Das Buch "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" ist das Ergebnis eines kollektiven Arbeitsprozesses im Rheinischen JournalistInnenbüro in Köln.

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