Redebeitrag des AK-Distomo vom 17.2.2011

Kein Verständnis für Guido Westerwelle
Sofortige Entschädigung für alle NS-Opfer

Heute spricht der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hier im Curiohaus auf einer Wahlkampfveranstaltung der FDP in Hamburg. Wir wollen diesen Auftritt nicht unkommentiert hinnehmen. Westerwelle hat einmal mehr in schlechter bundesdeutscher Kontinuität griechische Opfer von NS-Verbrechen brüskiert und ihre berechtigten Forderungen nach Entschädigung missachtet. Was war der Anlass?

Am 13.1.2011 erklärte die griechische Regierung, sie werde sich an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag wenden und dem Prozess beitreten, den Deutschland derzeit formal gegen Italien führt. In diesem Prozess geht es Deutschland um die Abwehr von Entschädigungsansprüchen griechischer und italienischer NS-Opfer.

Guido Westerwelle kommentierte die Entscheidung aus Athen noch am selben Tag mit den Worten:
"Ich habe kein Verständnis für die Entscheidung der griechischen Regierung. In Deutschland wissen wir um unsere Verantwortung für unsere Geschichte. Und wir wissen auch um das besondere Leid der griechischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg."

In dieser Erklärung steckt die gesamte Arroganz und Verlogenheit der europäischen Großmacht Deutschland. Zwar bekennen sich in jüngster Zeit deutsche Politiker verbal dazu, dass Nazideutschland während der Besatzung Griechenlands Verbrechen begangen hat. Doch dieses Bekenntnis ist eine hohle Phrase.

Tatsächlich hat das heutige Deutschland bis heute Null Verantwortung für die vielen Verbrechen Nazideutschlands gegenüber der griechischen Bevölkerung übernommen. Bis heute wurde keiner der Täter von bundesdeutschen Gerichten verurteilt. Die Bundesrepublik Deutschland gewährte Ihnen faktisch eine Generalamnestie. Zehntausende Zivilistinnen und Zivilisten wurden in Griechenland von deutschen Truppen ermordet. Kein Opfer eines solchen Massakers wurde jemals entschädigt.

Im Gegenteil: Das wiedervereinigte Deutschland bekämpft die Ansprüche der Überlebenden der NS-Verbrechen und der Angehörigen der Ermordeten mit allen politischen und rechtlichen Mitteln. Federführend hierbei ist das Auswärtige Amt, das einen ganzen Stab von Jurist_innen ausschließlich damit beschäftigt, Entschädigungsklagen gegen Deutschland, die im Ausland geführt werden, abzuwehren.

Westerwelle erklärte am 13. Januar weiter:
"Was Klagen gegen die Bundesrepublik betrifft, erwarten wir, dass international anerkannte Rechtsgrundsätze und insbesondere Deutschlands Immunität als Staat respektiert werden. Wird dieser Grundsatz ausgehöhlt, droht der Staatengemeinschaft insgesamt Rechtsunsicherheit"

Alles Lüge! Deutschland verstößt permanent gegen das Internationale Recht. Kontinuierlich wird die Rechtsprechung anderer EU-Staaten und damit deren Souveränität missachtet.

Bereits im Jahr 2000 erkannte der Areopag (Oberster griechischer Gerichtshof) im Fall Distomo, dass Deutschland ca. € 28 Mio. Schadensersatz an die Opfer des Massakers vom 10. Juni 1944 (bei dem 218 Menschen ermordet wurden) zahlen muss. Durch massive politische Intervention verhinderte die damalige Regierung Schröder/Fischer die Pfändung und Zwangsversteigerung deutscher Liegenschaften in Griechenland, aus deren Erlös die Klägerinnen und Kläger hätten entschädigt werden sollen. Bis heute hat Deutschland das rechtskräftige Distomo-Urteil nicht erfüllt!

Nachdem auch der oberste italienische Gerichtshof (Kassationshof) 2008 das Distomo-Urteil anerkannte und die Vollstreckung gegen deutsches Eigentum in Italien ermöglichte, erhob Deutschland Klage in Den Haag gegen Italien, in Absprache mit der italienischen Regierung. Hierfür ging Deutschland ein Bündnis mit dem antidemokratischen Berlusconi-Regime ein, das im Kampf gegen unabhängige Gerichte über viel Erfahrung verfügt.

Das Ziel Deutschlands in diesem Prozess vor dem Internationalen Gerichts ist es, rechtskräftige Urteile wie im Fall Distomo außer Kraft setzen zu lassen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu verhindern. Gleichzeit sollen Entschädigungsklagen italienischer NS-Opfer, etwa ehemaliger Zwangsarbeiter, gestoppt und für die Zukunft verhindert werden. Der Internationale Gerichtshof soll dazu missbraucht werden, die Unabhängigkeit der italienischen Gerichte außer Kraft zu setzen.

Nach wochenlangen Protesten griechischer Bürgerinnen und Bürger raffte sich die griechische Regierung nun in diesem Januar endlich auf, dem Verfahren in Den Haag beizutreten. Schließlich geht es auch um die Rechte der eigenen Staatsangehörigen. Dieser Schritt ist zu begrüßen. Denn die Betroffenen aus Griechenland brauchen diese Unterstützung. In dem Verfahren in Den Haag fänden sie ansonsten kein Gehör.

Die Kritik des Auswärtigen Amts an diesem Schritt zeigt, dass die deutsche Regierung nervös ist. Sie will sich unter Ausschluss der Betroffenen für unverklagbar erklären lassen. Dabei geht es aber nicht nur um die Abwehr der Klagen von NS-Opfern. Es geht auch darum, den Opfer gegenwärtiger Kriege keine Ansprüche zu gewähren. Deutschland will für Kriegsverbrechen wie den Angriff auf den Tanklastzug im afghanischen Kundus nicht verklagt werden können. Deutschland will in seiner zukünftigen Kriegsführungsfähigkeit keine Beschränkungen hinnehmen.

Der Kampf um die Entschädigung ist daher nicht nur ein antifaschistischer, es ist auch ein Kampf gegen den Militarismus.

Wir wollen zeigen, dass wir kein Verständnis für Guido Westerwelle und die Verweigerungshaltung der Bundesregierung haben. Wir wollen zeigen, dass wir solidarisch mit den Entschädigungsforderungen griechischer Bürgerinnnen und Bürger sind. Wir fordern stattdessen:

  • die sofortige Erfüllung des Distomo-Urteils durch die deutsche Regierung
  • die unverzügliche Entschädigung aller NS-Opfer
  • die Rücknahme der Klage Deutschlands vor dem Internationalen Gerichtshof

Hamburg, den 17. Februar 2011
Arbeitskreis Distomo

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