20. September 2011

Brief an den italienischen Innenminister Frattini

Rechtsanwalt Joachim Lau

Sehr geehrter Herr Minister Dott. Franco Frattini,

während der Anhörung am 12. September hat die Vertreterin Deutschlands, Frau Wasum-Rainer zu Gunsten Deutschlands die Gültigkeit einer Passage im Pariser Friedensvertrag zwischen Italien und den Alliierten beansprucht (Artikel 77, 4), mit dem die italienische Regierung auf alle Forderungen und Ansprüche für sich und ihre Staatsbürger, die auf den Tatsachen des 2. Weltkrieges zurückzuführen sind, verzichtet hatte.

Der Wortlaut der entsprechenden Passage lautet:
4. Without prejudice to these and to any other dispositions in favour of Italy and Italian nationals by the Powers occupying Germany, Italy waives on its own behalf and on behalf of Italian nationals all claims against Germany and German nationals outstanding on 8 May 1945, except those arising out of contracts and other obligations entered into, and rights acquired, before 1 September 1939. This waiver shall be deemed to include debts, all intergovernmental claims in respect of arrangements entered into in the course of the war, and all claims for loss or damage arising during the war.

Der Text dieser Verzichtsklausel ist auf Englisch ziemlich klar: "outstanding claims" bedeutet offene Forderungen oder Ansprüche. Abgesehen verschiedener ehrbarer akademischer Versuche, den Inhalt der Klausel auf ökonomische Fragen zurechtzustutzen und dabei rechtswidrige Handlungen und Kriegsverbrechen von dem Verzicht auszusparen, scheint - auf den ersten Blick und nach einfacher Lektüre - die Position der deutschen Verteidigung nicht völlig unvernünftig zu sein. Jedoch haben das deutsche Verteidigerkollegium ebenso wie die italienischen Vertreter, vor allem Prof. Zappalà, es versäumt, den IGH auf Artikel 89 desselben Friedenvertrags hinzuweisen, wo zu lesen ist:
The provisions of the present Treaty shall not confer any rights or benefits on any State named in the Preamble as one of the Allied and Associated Powers or on its nationals until such State becomes a party to the Treaty by deposit of its instrument of ratification.

Aus einer von mir veranlassten Überprüfung der deutschen Gesetzgebung ist ein Ratifizierungsvertrag weder seitens der BRD, noch des wiedervereinten Deutschlands ersichtlich. Es existiert auch auf technisch-diplomatischer Ebene in den letzten 65 Jahren kein Akte der Hinterlegung durch die deutsche Regierung bei der französischen Regierung, um sich dem Friedensvertrag von Paris anzuschließen.

Die von der deutschen und jetzt vielleicht irrtümlicherweise auch von der italienischen Regierung (Zappalà) vertretene Meinung bei der Anhörung vom 16.9.2011, wonach der Pariser Friedensvertrag von 1947 ein bindendes Reglement mittels der Ratifizierung des Londoner Abkommens von 1953 (und seines Artikels 5 Abs. 4) geworden sei, läßt sich ebenfalls nicht mit den entsprechenden Abkommen begründen, die sich auf die Regelungen beziehen, die Deutschland mit den Gläubigerstaaten abgeschlossen hat, und gerade nicht auf diejenigen Abkommen, die die Alliierten mit Italien und anderen Staaten abgeschlossen haben und gerade wegen einer fehlenden Ratifizierung nicht anwendbar sind.

Darüberhinaus findet sich keine Spur des Pariser Friedensvertrags von 1947 in den Anlagen zu dem sogenannten Überleitungsvertrages von 1954, mit dem Westdeutschland die Gültigkeit einer Reihe von internationalen bi- und multilateralen Abkommen anerkannt hat, die die alliierten Sieger für die besetzen deutschen Gebiete in der ersten Phase der Besatzung abgeschlossen hatten.

Die Position Deutschlands ist daher als absolut unbegründet anzusehen und ebenso ist die Behauptung der italienischen Verteidigung rechtsirrtümlich. Es ist gerade der deutsche Bundesgerichtshof der behauptete und seit fast 60 Jahren behaupet hat, dass die in Artikel 77,4 enthaltene Verzichtsklausel nur eine vorübergehende Regelung der Besatzungsmächte Deutschlands war, die sich mit der deutschen Wiedervereinigung erledigt habe, das heißt, mit dem Ende der Besatzung Deutschlands. (Als Beispiel: BGH, Urteilsspruch vom 14.12.1955, NRG: - IV ZR 6/55). Der Grund für eine solche Rechtssprechung liegt in Artikel 1, Abschnitt 6 des Überleitungsvertrags: "Chapter Six : Reparation, Article 1: "The problem of reparation shall be settled by the peace treaty between Germany and its former enemies [unter ihnen Italien] or by earlier agreement concerning this matter."

Im Fall, dass das Recht auf Entschädigung meiner Mandanten nicht als Reparation angesehen wird, bleibt jedenfalls der Artikel 5 Abs. 2 des Londoner Abkommens von 1953 anwendbar, von Italien 1966 ratifiziert, welches gleichfalls die Regelung der Schäden bei italienischen Bürgern aus der kriegerischen Besetzung auf eine zukünftige deutsche Wiedervereinigung verweist.

Während der Wiedervereinigungsfeierlichkeiten – unbeobachtet von der deutschen und italienischen Öffentlichkeit, – kamen am 28.09.1990 die ehemals feindlichen Alliierten in Paris mit Deutschland überein, dass die Pflicht, die ehemaligen Länder, gegen die Deutschland Krieg geführt hatte, zu entschädigen (Überleitungsvertrag Art.1, Abschnitt 6), auch nach der deutschen Wiedervereinigung bis zum Abschluss der entsprechenden Friedensverträge weiterhin bestehen bleibt. (siehe Bundesgesetzblatt II 1990, S. 1386).

Bis heute kann ich nicht ersehen, dass Italien mit Deutschland einen Friedensvertrag abgeschlossen hat, der die Ansprüche meiner Mandanten, sei es Herren Ferrini oder andere 12.000 Deportierten, sei es die Verwandten der Opfer von Mazzabotto oder der Fosse Adreatine, geregelt hätte.

Daher könnten die Erklärungen der italienischen Delegation vor dem IGH in Bezug auf die Gültigkeit des Artikels 77 Abs.4 Pariser Friedensvertrag 1947 für meine Mandanten ein Hindernis oder eine Beeinträchtigung bei der Realisierung ihrer legitimen Ansprüche darstellen.

Dies vorausgestellt, bitte ich Sie, im Namen aller meiner Mandanten, höflichst innerhalb der Frist, d.h. bis zum 23.9.2011, in der Antwort auf die Fragen der Richter Simma, Bennouna, Cançado Trindade und des Richters ad hoc Gaja eine Position einzunehmen, die die Interessen meiner Mandanten und vor allem den korrekten Inhalt der internationalen Verträge, insbesondere Artikel 89 des Friedensvertrags von 1947 widerspiegelt.

20.9.2011

Joachim Lau

Der Brief in italienisch (pdf)

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