Griechenland-Reise des AK-Distomo (Hamburg)
vom 6.-12.6.04

Am 10. Juni 2004 wurde in Distomo der 60. Jahrestag des Massakers begangen, bei dem deutsche SS-Soldaten 1944 218 Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes ermordet hatten. Wie jedes Jahr fanden in Distomo eine Reihe von Gedenkveranstaltungen, überwiegend kultureller Art, statt.

Aus diesem Anlass sind wir mit einer Gruppe von 10 Personen nach Griechenland gefahren, vorwiegend um an den Gedenkfeierlichkeiten in Distomo teilzunehmen. Unsere erste Station war allerdings Athen. Gemeinsam mit Angehörigen des Nationalrats (für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland) fanden wir uns am Sonntag, den 6.6.04, mit mehrsprachigen Transparenten und Flugblättern am Eingang zur Akropolis ein, um dort die Entschädigung griechischer NS-Opfer einzufordern (siehe auch unseren Flyer).

Oben auf der Akropolis hatten die Deutschen 1941 nach dem Einmarsch in Athen die Hakenkreuzfahne gehisst. In einer spektakulären Aktion holten damals zwei junge Aktivisten des griechischen Widerstands die Fahne wieder herunter. Einer von ihnen war Manolis Glezos, der heute dem Nationalrat angehört und mit uns an der Demonstration teilnahm.

Es gab zahlreiche Diskussionen mit Besucherinnen und Besuchern der Akropolis. Die Reaktionen reichten von schroffer Ablehnung, vor allem durch einige deutsche Touristen ("Geht lieber arbeiten, dann könnt ihr ja Euer Geld spenden"), über Indifferenz und Neugier bis hin zu offener Unterstützung der Entschädigungs-Forderungen.

Am Montag, den 7.6.04 waren wir dann in Distomo und hielten am Abend einen Vortrag mit dem Titel "Entschädigung jetzt" vor den Bewohnerinnen und Bewohnern des Ortes über die Solidaritätsarbeit in der Bundesrepublik für die griechischen Entschädigungsforderungen sowie über den aktuellen Stand der juristischen Auseinandersetzung. Wir haben u.a. anhand von Bildern und kurzen Filmausschnitten einen Überblick über Veranstaltungen und Aktionen der letzten drei Jahre gegeben. Das ganze fand in einem großen Innenhof unter freiem Himmel statt, gekommen waren ca. 300 Zuhörerinnen und Zuhörer. (Vortrag)

Im Anschluss an unseren Vortrag betrat unangekündigt der Pressereferent der deutschen Botschaft in Athen, Thomas Mützelburg, die Bühne und hielt eine kurze Ansprache. Er widersprach der Forderung nach Entschädigung und verwies auf die Vielzahl von ähnlichen Verbrechen wie dem von Distomo, welche die Deutschen während des 2. Weltkrieges begangen hatten. Sein Beitrag gipfelte in den Sätzen: "In ganz Europa gab es 56 Feindstaaten von Deutschland. Wenn sie die alle entschädigen wollen, dann können sie durch die finanziellen Auswirkungen die Zukunft Europas abschreiben."

Diese besonders dreiste Begründung der deutschen Verweigerungshaltung Mützelburgs haben wir zum Anlass genommen, mit einer Presseerklärung zu reagieren. Diese wurde der griechischen und deutschen Presse zugeleitet sowie vor Ort verteilt.

Am Mittwoch Abend, dem 9.6. trat dann die deutsche Gruppe Quijote auf, die Lieder von Theodorakis in deutscher Sprache singen. Die Veranstaltung fand im Amphitheater der Gedenkstätte für das Massaker statt. Diese Veranstaltung war von der deutschen Botschaft finanziert worden. Zuvor sprach der Botschafter Dr. Albert Spiegel. Insbesondere nach dem skandalösen Verhalten seines Pressereferenten konnte dessen Auftritt nicht unkommentiert bleiben. Wir haben ihn durch entsprechende Transparente mit der Forderung nach Entschädigung konfrontiert.

Viele Menschen aus Distomo beteiligten sich an dem stillen Protest, indem sie während seiner Rede Pappschilder mit griechischen und deutschen Aufschriften hochhielten, auf denen ebenfalls die Entschädigung der Opfer gefordert wurde.

In seinem Vortrag sprach der Botschafter von Versöhnung und bat die Bürger von Distomo um Verzeihung. Das Thema der Entschädigung erwähnte er nicht. Danach trat Ioannis Stamoulis, Rechtsanwalt der Opfer und Überlebenden im Entschädigungsverfahren und ehemaliger Präfekt der Prozinz Böotien (zu der auch Distomo gehört) ans Mikrofon. Er machte deutlich, dass die Entschädigungsfrage nach wie vor offen ist. Deutschland sei vom Areopag, dem obersten Gerichtshof Griechenlands, im Fall Distomo rechtskräftig verurteilt worden. Die Zahlung dürfe nicht länger verweigert werden. Er erwarte, dass Deutschland bis zum nächsten Jahrestag die entsprechende Entschädigung für die Bewohner Distomos geleistet habe. Anderenfalls würde die Vollstreckung des Urteils erzwungen werden.

Am Donnerstag, den 10.6.04 fand dann die eigentliche Gedenkfeier statt, die traditionell mit einem Gottesdienst beginnt. Im Anschluss gingen dann alle in einer Art Prozessionszug durch den Ort zur Gedenkstätte, die sich auf einem Hügel am Rand des Dorfes befindet. Dort hielt der Bürgermeister Papachristou eine Ansprache, danach wurden die Namen der Ermordeten verlesen und im Anschluss erfolgte die Kranzniederlegung. Die Trauer der Menschen bei dieser Zeremonie war spürbar, kaum jemand lebt in Distomo, der keine Angehörigen verloren hat.

Am nächsten Tag gaben wir dem griechischen staatlichen Fernsehen und der überregionalen Tageszeitung "Eleftherotepia" noch jeweils ein Interview. Hauptsächlich bestand das Interesse daran, warum sich Menschen aus Deutschland für die Entschädigung der griechischen NS-Opfer engagieren. Wir haben unsere antifaschistische Haltung erläutert, die das Hauptmotiv für die Unterstützungsarbeit ist.

Das Interesse der deutschen Medien war leider recht verhalten, es gab Berichte im "ND" und in der "Jungen Welt". Für die übrige Presse schien insbesondere der Auftritt des Botschaftsreferenten keinen besonderen Skandal darzustellen.

Wir sind aber insgesamt sehr zufrieden mit dem Ergebnis unserer Reise. Viele spontane, herzliche Reaktionen von Menschen aus Distomo haben uns gezeigt, dass es richtig und wichtig ist, sich solidarisch zu zeigen. Den Menschen vor Ort zu vermitteln, dass ihr Anliegen auch in Deutschland wahrgenommen und unterstützt wird, ist uns gelungen, denken wir. Viele haben uns gebeten, im nächsten Jahr wieder zu kommen. Wir möchten uns nochmals bei denen bedanken, die uns bei unseren Aktivitäten besonders unterstützt haben und mit den gemeinsam vieles erst möglich wurde – bei Damianos Vassiliadis vom Nationalrat aus Athen und bei Argyris Sfountouris aus Distomo.

Wir denken, dass es möglich und sinnvoll ist, der Strategie der Bundesregierung, die auf eine weitgehend kostenneutrale "Versöhnung" setzt, entgegen zu treten.

Die Berliner Regierung geht angesichts der Entschädigungsforderungen in Griechenland, aber auch in Italien, in die diplomatische Offensive. Einerseits wird Druck auf die jeweiligen Regierungen ausgeübt, um die Entschädigungsforderungen abzuwehren. Andererseits versucht man, vor Ort durch entsprechende Präsenz, ein positives Bild von Deutschland zu zeichnen. Bereits im vergangenen Jahr war dies der Fall bei der Gedenkfeier in Kalavryta. Im August diesen Jahres wird Innenminister Schily bei den Feiern in St. Anna di Stazzema in Italien sprechen. Wegen des Massakers dort läuft zur Zeit das Strafverfahren gegen Gerhard Sommer vor dem Landgericht von La Spezia. Offenbar soll dort der zutreffende Eindruck verwässert werden, dass die Nazi-Täter vor dem Zugriff deutscher Justiz sicher sind.

Die heuchlerische Haltung der Bundesregierung, ihre "Versöhnungsrhetorik" bei gleichzeitiger Verweigerungshaltung gegenüber den Opfern und der Unwilligkeit zur Verfolgung der Täter sollte auch vor Ort immer wieder angegriffen werden. Hierzu möchten wir ausdrücklich ermutigen.