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Berlin: Prozessbericht vom 15.Juli / Lothar Ebke /Urteil


4. Prozesstag: Das Urteil wird verkündet

„Im Namen des Volkes„ - wie es so schön heißt – wurde Lothar E. heute vom 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin
zu zwei Jahren Haft auf drei Jahre Bewährung wegen „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion„ verurteilt, der gegen
ihn bestehende Haftbefehl aufgehoben und sein Reisepass ihm von der Bundesanwaltschaft (BAW) persönlich
überreicht.

Wenn sich das Verfahren in vielerlei Hinsicht von dem im März zu Ende gegangenen ersten Berliner RZ-Prozess
unterschied, so waren sich beide zumindest in einem Punkt gleich: Am Ende beherrschte wieder der Vorsitzende
Richter am Asylsenat des Bundesverwaltungsgerichts a.D., Dr. Günther Korbmacher, die Szenerie. Dem Asylrichter
Korbmacher hatten die Revolutionären Zellen im September 1987 wegen seiner menschenverachtenden
Entscheidungen, mit denen er zu einem Vorreiter einer restriktiven Asylrechtssprechung in der BRD geworden war, in
die Beine geschossen. Dessen Schicksal hatte bereits im März den Kammergerichtssenat unter Leitung der
Vorsitzenden Richterin Gisela Hennig „bewegt„. Und auch heute widmete der Vorsitzende Richter Frank-Michael
Libera einen großen Teil seiner mündlichen Urteilsverkündung diesem „Schreibtischtäter par excellence„, wie ihn die
RZ in ihrer entsprechenden Anschlagserklärung bezeichnet hatten.

Zu Beginn war man sich noch einig: So stellte Libera fest, dass BAW und Verteidigung in ihren Plädoyers
übereingestimmten hätten, dass dieses Verfahren historische Vorgänge zum Thema gehabt habe – immerhin lägen die
Taten fast 20 Jahre zurück und die RZ seien inzwischen selbst Geschichte. Doch dann setzte der Senat eigene
Duftnoten: In diesem Verfahren, so Libera, sei es aber auch um „schwerwiegende Straftaten„ gegangen, „die sich in
menschenverachtender Form gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen richteten„ - und da tauchte er auch
schon das erste Mal auf, der Asylrichter im Ruhestand.

Verurteilt wurde Lothar E. nicht wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung„ nach § 129a StGB. Auch
der Anklagepunkt „Anschlag auf die Berliner Siegessäule„ wurde fallengelassen. Am Ende umfasste des Urteil alleine
den Anschlag auf die „Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber„, den die RZ im Rahmen der so genannten
Flüchtlingskampagne im Februar 1987 unternommen hatten. Lothar E. hatte seine Tatbeteiligung bereits am 1.
Prozesstag in seiner Einlassung eingeräumt. Bei der Explosion des Sprengsatzes war minimaler Schaden entstanden.
Wie Lothar E. aussagte, habe man den Sprengsatz an einem an der Gebäuderückseite gelegenen Raum, „in dem sich
offensichtlich die Hausanschlüsse für Heizenergie und Strom befanden„ abgelegt. „Diese Stelle schien als 'Zielobjekt'
geeignet, um den Betrieb für einige Tage lahm zu legen.„

Das Gericht zog aus dieser Darstellung seine eigenen Schlüsse: 1. Ziel des Anschlags sei die Zerstörung des gesamten
Gebäudes gewesen, da man den Betrieb lahm legen wollte. 2. geplant war, dies durch die Zerstörung der zentralen
Gasversorgung des Hauses zu bewerkstelligen, wodurch man das „unkalkulierbare Risiko eines Gasexplosion„ bewusst
in Kauf genommen habe. Aus diesen Gründen könne trotz des geringen Schadens nicht von einem minder schweren
Fall gesprochen werden.

Bei der Strafzumessung könne zudem „nicht unberücksichtigt„ bleiben, so das Gericht, dass dieser Anschlag im
Zusammenhang der Aktivitäten der RZ stand, in die Lothar E. seit Mitte der achtziger Jahre eingebunden gewesen sei.
Auf Missfallen stieß bei den RichterInnen, dass Lothar E. in seiner Erklärung ein „weichzeichnerisches Bild der
Vereinigung„ gezeichnet habe, obwohl sie sich nicht „den Mitteln des demokratischen Rechtsstaat„ bedient habe. Auch
vermissten die RichterInnen distanzierende Worte von Lothar E. Deshalb müsse bei der Strafzumessung auch seine
Einbindung in die RZ und seine Beteiligung an den Anschlägen auf Hollenberg und Korbmacher berücksichtigt werden,
zumal es sich dabei um „Taten mit erheblicher krimineller Energie„ gehandelt habe. Zum Beweis wurde ausführlich aus
der Anschlagserklärung zu Korbmacher zitiert.

Doch wie man aus solchen Verfahren weiß, sitzen die eigentlichen Herren des Verfahrens ja in Karlsruhe, also
bemühten sich die RichterInnen des Kammergerichts die Gründe zusammenzutragen, die „für den Angeklagten„
sprechen. 1. die lange zurückliegende Tatzeit, 2. die zudem in einer Lebensphase von Lothar E. gelegen habe, „die mit
der Persönlichkeit und dem Leben des Angeklagten heute nichts mehr zu tun hat„, 3. die Tatsache, dass Lothar E. sich
in Kanada eine neue Existenz aufgebaut habe und 4. seitdem nicht mehr straffällig geworden sei. Außerdem sei man mit
einer schwierigen Beweislage konfrontiert gewesen, die das Verfahren erschwert hätte, was aber durch die Bereitschaft
von Lothar E. zu einer Aussage verhindert werden konnte.

Hatte man im ersten Berliner RZ-Prozess noch 174 Verhandlungstage benötigt, reichten dieses Mal ganze vier Tage
aus. Und dabei wird es auch bleiben: Noch im Gerichtssaal erklärte Lothar E., er werde auf Rechtsmittel gegen dieses
Urteil verzichten.

 

16.07.2004
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