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Berlin: Weinrich-Prozess: 79. Verhandlungstag


Argumente der Verteidigung

79. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß

Die Nebenklagevertreter Ehrig und Maigne eröffneten den Verhandlungstag mit einem Hilfsbeweisantrag (für den Fall eines Freispruchs), der zum Inhalt hatte, den "zentral wichtigen" Zeugen Sanchez ("Carlos") anzufragen, ob er mit einer Vernehmung via Videokonferenz einverstanden wäre. Nebenbei teilte Ehrig noch mit, daß ihr Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Ladung des Zeugen (gegen die Entscheidung der Senatsverwaltung für Justiz) vom Verwaltungsgericht abgelehnt worden ist.

Der Rest des knapp fünfstündigen Prozeßtages gehörte dann dem Plädoyer von Verteidiger Elfferding, das mit einer Reihe von Hilfsbeweisanträgen (für den Fall der Verurteilung) gekoppelt war. Dabei ging er hart mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und Nebenklage ins Gericht und wies deren Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit nach. Die Behauptung von Staatsanwalt Mehlis, die Verteidigung habe während des Prozesses "keine Argumente" vorgetragen, mit denen man sich beschäftigen müsse, nannte er "arrogant". Den (knapp zwanzigminütigen) Vortrag von Mehlis bezeichnete er als "einen dünnen Verschnitt der Anklageschrift", der "für die Presse vielleicht ausreichend" sei, dem Verlauf der fünfzehnmonatigen Hauptverhandlung jedoch in Form und Inhalt nicht annähernd genüge. Elfferding nannte es "Heuchelei", auf der einen Seite "salbungsvoll von der Genugtuung für die Opfer" zu reden und auf der anderen Seite den Anschlag auf den TGV ,Le Capitol' mit immerhin fünf Toten zwar der Carlos-Gruppe in der Anklage zuzurechnen, ihn aber "aus prozeßökonomischen Gründen" nicht anzuklagen. Mehlis wolle keine Genugtuung, sondern vielmehr "Gnadenlosigkeit". Dies habe er deutlich zum Ausdruck gebracht. Dabei stehe er in der Tradition der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft, die glaube, "die Richter von vornherein auf ihrer Seite zu haben und deshalb nichts mehr tun" müsse. Offenbar aber haben weder die Staatsanwaltschaft noch die Nebenklagevertreter Beschlüsse und Hinweise der Kammer wahrgenommen, die schon frühzeitig in eine andere Richtung deuten würden. So habe die Kammer beispielsweise in einem Beschluß von 1999 (es ging dabei um den Erlaß eines erneuten Haftbefehls gegen Weinrich) bereits klargestellt, daß die dort vorgebrachten (und in den Plädoyers wiederholten) Anklagepunkte "keinen dringenden Tatverdacht" begründeten. Sie seien lediglich "indizieller Natur" und bedingen "keine zwingenden Schlüsse". Stattdessen seien neben den angeführten auch "andere Schlußfolgerungen möglich". Die Kammer hatte sich dann seinerzeit dezidiert mit den "Argumenten" der Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt und geurteilt, daß "aus Wahrscheinlichkeiten keine Gewißheiten" abzuleiten seien. Vielmehr habe die Kammer erklärt, daß für eine Entscheidung gegen Weinrich "konkrete Tatsachen erforderlich" seien und infolgedessen den Erlaß eines erneuten Haftbefehls abgelehnt. Eine Mitgliedschaft in der Gruppe allein sei "nicht ausreichend". Auch habe der Vorsitzende während der Hauptverhandlung in einer Reihe von Beschlüssen Hinweise darauf gegeben, daß die "Beweislage" nicht ausreichend sei. All dies habe die Staatsanwaltschaft und Nebenklage "offenbar übersehen". Außer zusätzlichen Zweifeln an den vorgebrachten "Beweisen" habe die Beweisaufnahme "nichts Neues ergeben". Als ein Beispiel von mehreren erinnerte Elfferding an die hier oft zitierte und von der Staatsanwaltschaft als Tatindiz gewertete angebliche Äußerung Weinrichs vom "schmutzigen Privatkrieg gegen Frankreich", die er gegenüber MfS-Mitarbeitern gemacht haben soll. Sowohl laut Aktenlage als auch durch die Vernehmung der damals beteiligten MfS-Offiziere lasse sich nicht feststellen, von wem (Weinrich oder den MfS-Leuten) diese Äußerung ursprünglich gekommen sei. Dies werde von Staatsanwaltschaft und Nebenklage schlicht ignoriert.

Die Mitglieder der Carlos-Gruppe hätten erwiesenermaßen gewußt, daß sie von den östlichen Staatssicherheitsdiensten überwacht und abgehört wurden, deshalb seien "Informationen" der Gruppe, die illegal von den Diensten gesichert worden seien, gut als sogenanntes "Spielmaterial" denkbar, um die eigene Bedeutung aufzublähen und eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Diensten zu haben. Ähnlich verhalte es sich mit dem Wert von Bekennerschreiben (zu den Anschlägen in Marseille und bei Tain l'Hermitage), die Elfferding als "Trittbrettfahrerei" bezeichnete. Schließlich habe es in diesem Fall mindestens zwölf weitere Bekennungen gegeben und die heißeste Spur in Richtung der rechtsextremen Anti-ETA-Organisation GAL sei erst nach Intervention der französischen Dienste von den Ermittlungsbeamten beiseite gelegt worden. Dies könne durchaus damit zusammenhängen, daß jenes GAL-Mitglied Talbi, der die Anschläge bereits einen Monat vorher angekündigt hatte, laut Akten auch davon gesprochen habe, daß der Anführer der GAL-Gruppe vom französischen Geheimdienst gedeckt werde.

Unwahr sei weiterhin die Behauptung von Nebenklagevertreter Maigne, es habe seinerzeit keine anderen Anschläge als die mutmaßlichen der Carlos-Gruppe in Frankreich gegeben. Hierzu beantragte Elfferding hilfsweise, israelische Sachverständige zu laden, die mit ihrer Studie über die armenische Befreiungsorganisation ASALA belegen könnten, daß die Organisation im besagten Zeitraum mindestens zwei Dutzend Anschläge in Frankreich verübt haben. Mit einem weiteren Hilfsbeweisantrag beantragte er die Ladung eines ehemaligen MfS-Mitarbeiters, der laut Aktenlage belegen werde, daß der militärische Flügel der ASALA seinerzeit von einem Spaltungsversuch der Franzosen ausging und deshalb Anschläge verübte.

Das "Argument" von RA Maigne, bei einem der drei Anschläge (Rue Marbeuf, Marseille und Tain l'Hermitage) sei Sprengstoff (Pentrit) verwendet worden, wie er auch bei der Festnahme von Kopp und Breguet gefunden worden sei, entkräftete Elfferding mit dem Hinweis, daß Pentrit erstens ein sehr weit verbreitetes Sprengmittel ist und zweitens bei den drei Anschlägen drei verschiedene Sprengstoffe benutzt wurden. Dies spreche gerade gegen die Täterschaft e i n e r Gruppe. Ein ehemaliges Mitglied des militärischen Flügels der baskischen ETA werde zudem bezeugen, daß es nach der Festnahme von Kopp und Breguet eine "Anfrage" der Carlos-Gruppe nach Lieferung weiteren Sprengstoffes gegeben habe. Die ETA habe dies jedoch abgelehnt.

Die BKA-Schriftgutachten charakterisierte Elfferding als Offenbarung "des Elends einer Wissenschaft" (Verteidiger Häusler hatte sich in seinem Plädoyer detailliert dazu geäußert).

Angebliche Notizen Weinrichs, die hier nur in Kopie vorlagen und eine Odyssee durch östliche und westliche Geheimdienste hinter sich hätten, seien auch nach den Anschlägen verfaßt sein können. Hierzu beantragte der Verteidiger hilfsweise die Verlesung französischer Zeitungsartikel, die detailliert über Anschläge zu jener Zeit berichten. Das von Nebenklage und Staatsanwaltschaft angeführte "Täterwissen" werde so erheblich in Zweifel gezogen.

Verwundert zeigte sich Elfferding über die Behandlung des sogenannten Drohbriefes von "Carlos" an den französischen Innenminister nach der Festnahme von Kopp und Breguet. Denn einerseits sei dieser Brief auf merkwürdige Weise im Original "verschwunden" und andererseits widerspreche er inhaltlich gerade einem "Krieg mit Frankreich".

Diese "Indizien" reichten nach dem Beschluß der Kammer von 1999 nicht aus. "Und das steht bereits fest" so Elfferding.

Dann wandte sich der Verteidiger der Problematik des "Phantomzeugen" Issawi zu, der im Verlauf der Hauptverhandlung einen Schwerpunkt bildete. "Folter ist nicht diskutierbar, auch dann nicht, wenn nur ein begründeter Verdacht besteht". Die Einführung der "Aussage" Issawis in dieses Verfahren sei bereits der Versuch, daß "Indiskutable zu diskutieren" und trage somit dazu bei, "Folter salonfähig zu machen", sagte Elfferding mit Blick auf die Kammer. Er beantragte hilfsweise, den Übersetzer Dr. Salem zu laden. Dieser solle den GID-Bericht mündlich übersetzen, da dies bis dato nicht fachgerecht geschehen sei. Elfferding erneuerte die Bedenken der Verteidigung, diesen Bericht zu behandeln, sehe sich aber durch den Beschluß der Kammer, den Bericht einzuführen, dazu gezwungen. Mit einem weiteren Antrag wies er zudem auf eine Reihe von Übersetzungsfehlern in der (von der Kammer bevorzugten) Salem-Übersetzung hin und beantragte eine neue Übersetzung.

In ihrem bereits erwähnten Beschluß von 1999 habe die Kammer im Übrigen festgestellt, daß "Aussagen von Gruppenmitgliedern einer besonders kritischen Prüfung zu unterziehen" seien.

Wie wichtig es sei, einen Zeugen direkt befragen zu können, habe die Vernehmung des jemenitischen Geheimdienstlers Mazaqui (vergl. 20 Verhandlungstag) gezeigt. Hätte hier nur dessen schriftliche Aussage zur Verfügung gestanden, wäre das wahre Geschehen kaum ans Licht gekommen.

Elfferding erwähnte auch, daß es bis heute unklar geblieben sei, wie viele französische Unterlagen vorab an den GID geliefert worden wurden. Auffällig sei jedoch die suggestive Befragungsweise.

Dann ging Elfferding näher auf das von Nebenklage und Staatsanwaltschaft behauptete "Täterwissen" in der "Aussage" Issawis ein. "Selbst wenn wir einmal fiktiv davon ausgehen, daß Issawi in Jordanien war, finden sich innerhalb der sogenannten Aussage eine Reihe von Widersprüchen". Als ein Beispiel nannte Elfferding die "Aussage" Issawis, der französische Rechtsanwalt Verges habe als Kurier der Carlos-Gruppe für Kontakte mit dem französischen Innenministerium gedient. "Das ist schlicht falsch", so Elfferding. Auch gebe es keinerlei Schreiben, die Verges angeblich überbracht haben soll. Ein weiteres Beispiel sei der einzige für Weinrichs direkte Beteiligung an einer Tat sprechende Abschnitt in der "Aussage" Issawis ("Issawi" behauptet dort, Weinrich habe das Tatfahrzeug in der Rue Marbeuf abgestellt). Dies sei durch Aussagen von Augenzeugen, die mit dem mutmaßlichen Attentäter gesprochen hatten ("orientalischer Typ mit arabischem Akzent"), sowie einem Beschluß der Kammer vom 07. 06. 04,, in dem davon ausgegangen wird, daß "es nicht Weinrich war, der das Fahrzeug abstellte", bereits widerlegt. Wenn "Issawi" an einem derart zentralen Punkt die Unwahrheit sage, lasse dies Rückschlüsse auf eine Gesamtbewertung dieser "Aussage" zu. Die Kammer könne sich also auch aus diesen Gründen, neben den bereits ausführlich vorgetragenen, nicht auf diesen "Zeugen" stützen.

Der Zeuge Riou sei in diesem Zusammenhang widersprüchlich gewesen. So habe er zu Beginn seiner Vernehmungen immer wieder herausgestellt, wie wichtig sein Bericht gewesen sei und das es sich bei der ganzen Angelegenheit um eine "ganz normales Verfahren" gehandelt habe, während er davon bei späteren Vernehmungen zusehends abgerückt sei.

Die Behauptung, Weinrich habe sich als "Verantwortlicher der Gruppe für Westeuropa" ständig dort aufgehalten, quittierte Elfferding mit einem weiteren hilfsweisen Antrag, in dem er den ehemaligen MfS-Oberst Voigt (zuständig für die "Betreuung" der Carlos-Gruppe in Ost-Berlin) laden ließ. Dieser solle bezeugen, daß sich Weinrich zwischen 1979 und 1983 nicht in Westeuropa, sondern vielmehr in Ungarn und in der DDR aufgehalten habe. Dies sei schon wegen der Fahndung in westlichen Ländern notwendig gewesen.

"Bis heute gibt es also keinen einzigen Beweis für eine Tatbeteiligung, noch nicht einmal für eine Planung", die seinen Mandanten belaste. Äußerungen des Nebenklagevertreters Schulz in einem Artikel von Oliver Schröm (Buch- und Filmautor "Im Schatten des Schakals") in der schweizer Zeitschrift "Facts", Bruno Breguet würde noch leben und er, Schulz, würde in Kürze mit Neuigkeiten aufwarten, hätten sich genau wie andere "Beweise" als Seifenblase erwiesen.

Elfferding forderte deshalb einen eindeutigen Freispruch für den Angeklagten.

Bewertung: Dieses Plädoyer ist ein Lehrbeispiel für ein gutes Verteidigerplädoyer. Es schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Es resümiert den Verlauf der Beweisaufnahme und würdigt die Erkenntnisse der Verhandlung. Dies ist die vornehmste Aufgabe eines Plädoyers, worauf der Verteidiger auch explizit hinwies. Zum zweiten entblößte das Plädoyer die plakativ vorgetragenen "Konstruktionen" (Elfferding) in den Schlußvorträgen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage und wies deren Unzulänglichkeiten detailliert nach. Zuguterletzt setzt es die Strafkammer doppelt unter Druck: Einerseits erinnert es das Gericht an bereits ergangene Beschlüsse (eine Entscheidung gegen eigene Beschlüsse wäre eine Steilvorlage für eine Revision der Verteidigung) und andererseits enthalten die mit dem Plädoyer gekoppelten Hilfsbeweisanträgen eine Fülle zwingenden Materials, die von der Kammer bei einer Verurteilung nicht revisionssicher übergangen werden können.

Nächster Termin: 02. 07., 11 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500


 

01.07.2004
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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