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Berlin: Weinrich-Prozess: 63. Verhandlungstag

Täuschen die Geheimdienste die Gerichte?

63. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß

Mit einem Antrag, der sowohl Nebenklagevertreter als auch Kammermitglieder in einige Aufregung versetzte, landete die Verteidigung heute einen Coup.

Ursprünglich hatte der Verhandlungstag so harmlos angefangen, wie alle anderen der letzten Wochen auch. Der Vorsitzende Ehestädt teilte mit, daß es vom Zeugen Riou bis dato "keine Reaktion" auf Anfragen bezüglich weiterer Vernehmungstermine gibt. Zwei "Mini-Beschlüsse", die zum Inhalt hatten, daß die Kammer keine Notwendigkeit sieht, zu Gegenvorstellungen der Verteidigung vom 15. 03. 2004 Stellung zu nehmen und die beantragte Hinzuziehung bestimmter BKA-Asservate als "erledigt" (weil hinzugezogen) betrachtet wird, komplettierten das "Programm" der Strafkammer für den heutigen Tag. Da die Kammer seit einigen Wochen ohne wirkliches Verhandlungsprogramm agiert und jeden zweiten Verhandlungstermin aufhebt, spricht die Verteidigung von einen derzeit stattfindenden "Leerlauf" im Prozeß.

Den allerdings wußte die Verteidigung heute mit einem kleinen Paukenschlag zu füllen. Rechtsanwalt Elfferding ging mit einer Mischung von Gegenvorstellungen und Anträgen noch einmal auf die Problematik der angeblichen Issawi-Aussage ein und betonte eingangs bereits Bekanntes: So die Widersprüche in den Übersetzungen des GID-Textes durch den mittlerweile für die Kammer gültigen deutschen Übersetzungstext von Dr. Salem im Verhältnis zur offiziellen französischen Version und der ersten deutschen Übersetzung von Herrn Abdelwahab. Die bisherige Begründung der Kammer, daß dies "ohne Bedeutung" ist, sei ungenügend und bedürfe einer Überprüfung. Desweiteren wiederholte Elfferding die offenkundigen Widersprüche zwischen dem Zeugen Riou und dem seinerzeit ebenfalls in Amman anwesenden Kollegen Rious, Descoms. Auch die bisherige Weigerung der Kammer, Descoms als Zeugen zu laden, sei nicht hinnehmbar. Auch konnte die Verteidigung (ein weiteres mal) nachweisen, daß die von der Kammer in ihren Beschlüssen zitierten BGH-Entscheidungen auf den hier verhandelten Fall definitiv nicht anwendbar sind. Elfferding verlangte außerdem Aufklärung darüber, wie Richter Bruguiere den arabischen Text bereits Mitte April 2001 zur Übersetzung habe geben könne, wenn er diesen erst Ende April 2001 erhalten hat und warum es 37 Tage gedauert haben soll, bis der Text von der französischen Botschaft in Amman auf den Tisch des Ermittlungsrichters gelangt sein soll.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren das Gericht und die Nebenklagevertreter - wie schon so oft - einem Nickerchen gegenüber nicht abgeneigt. Dies änderte sich zusehends, als Elfferding davon berichtete, daß die Kammer entgegen ihren eigenen Beschlüssen bei Ermittlungsrichter Bruguiere um die Vervollständigung der Akten zum französischen Rechtshilfeersuchen an Jordanien gebeten hatte und diese mittlerweile auch vollständig vorlägen. Aus diesen Akten ergebe sich nunmehr, daß die jordanische Diplomatie zu keinem Zeitpunkt in die Angelegenheit involviert war. Bruguiere und Riou hätten wiederholt darauf verwiesen, daß es sich bei ihrem Rechtshilfeersuchen an Jordanien um einen "ganz normalen und legalen Vorgang" gehandelt habe, der über diplomatische Wege erfolgt sei. Man sei seinerzeit erst "nach der Zustimmung der jordanischen Behörden" nach Amman gereist. In den Akten, die von der Paginierung her nun lückenlos vorliegen, finde sich aber "keine Spur" diplomatischer Tätigkeit von jordanischer Seite. Es existiere schlicht kein Antwortschreiben der dafür zuständigen jordanischen Behörden (Außen- und/oder Justizministerium) auf das französische Rechtshilfeersuchen, sodaß sich für die Verteidigung die Frage ergibt, woraufhin man seinerzeit nach Amman geflogen sei. Berücksichtige man zusätzlich, daß das Antwortschreiben des GID-Generals Kheir kein Datum trage und mit einer Unterschrift versehen sei, die von links nach rechts geführt wurde (im Arabischen wird von rechts nach links geschrieben), so nähre dies den Verdacht einer Fälschung. Sinn mache die aktenkundige Konstellation nur, wenn hier der französische Geheimdienst DST den gesamten "Vorgang" so "bearbeitet" hat, daß er "gerichtsverwertbar formalisiert" wurde. Dies würde auch erklären, warum Herr Lehmann vom BKA, der für seine Kontakte zum BND bekannt sei und schon im Maison de France-Verfahren eine dubiose Rolle spielte, hier als Betreuer des Zeugen Riou auftrat und an allem, was die Reise der Franzosen nach Amman betraf, ein erkennbares Interesse zeigte. Es gehe hierbei um die Zusammenarbeit der Geheimdienste zur Täuschung der Gerichte. Demnach sei es auch völlig logisch, daß die jordanischen Diplomaten nicht auf das deutsche Rechtshilfeersuchen reagieren, da sie nicht verstehen können, worum es eigentlich geht. Elfferding erinnerte in diesem Zusammenhang an das Schmücker-Verfahren (in dem er ebenfalls verteidigt hat), bei dem insgesamt drei Strafkammern durch fingierte Unterlagen des Verfassungsschutzes mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft "an der Nase herumgeführt wurden". Er stellte deshalb eine Reihe von (teils bereits abgelehnten) Anträgen zur Aufhellung der Umstände, unter denen die angebliche Issawi-Aussage zustande gekommen sein soll.

In der anschließenden Verhandlungspause gab es ein erkennbares Gesprächsinteresse der Verfahrensbeteiligten. Nebenklagevertreter nannten die Erkenntnisse der Verteidigung "starken Tobak" und Schöffen zeigten sich überzeugt, daß die angebliche Issawi-Aussage "im Sumpf der Geheimdienste" entstanden ist.

Nächster Termin: 29.03., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

23.03.2004
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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