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Berlin: Kurzer Prozess | Am Ende gibt's mehrjährige Haftstrafen


Heute machte der 1. Strafsenat kurzen Prozess. Überraschend verkündete er die Urteile in Sachen Berliner RZ. Wenig überraschend war dagegen der Tenor der Urteile: Der Kronzeuge Tarek Mousli ist in allen Punkten glaubwürdig, die Anklage der Bundesanwaltschaft (BAW) stimmig und die fünf Angeklagten deshalb ohne Zweifel zu verurteilen.

Weder sei Tarek Mousli von den Ermittlungsbehörden massiv unter Druck gesetzt worden (Stichwort: Knüller), noch habe er irgendeinen Grund gehabt, falsche Beschuldigungen auszusprechen. Die Einlassungen der Angeklagten hätten dessen Glaubwürdigkeit nicht erschüttert, sondern im Gegenteil bestärkt. Seine Angaben seien glaubhaft und nachvollziehbar.

Kein Wunder also, dass die mündliche Urteilsbegründung im Kern wie die Wiederholung der Anklage klang: Es gab zwei Zellen in Berlin. Alle Angeklagten waren an den Knieschussattentaten auf Hollenberg und Korbmacher beteiligt, Schindler hat jeweils geschossen. Alle Angeklagten haben den Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber 1987 durchgeführt; auch Harald Glöde war an der Vorbereitung beteiligt. Im Mehringhof gab es eine Sprengstoffdepot der RZ; wo ist nicht ganz klar, mögliche Verstecke sind aber reichlich vorhanden. Betreut wurde es von Lothar E., später von Axel Haug. Sabine Eckle und Rudolf Schindler waren langjährige und führende Mitglieder der RZ, die Mitte der 1980er Jahre nach Berlin gekommen sind. Führendes Mitglied war auch Matthias Borgmann. Ende der 1980er Jahre hat es ein gemeinsames Treffen der beiden Berliner Zellen gegeben, bei dem Mousli alle Berliner RZ-Militante außer „Toni“ gesehen hat. Anfang der 1990er Jahre haben Eckle und Schindler der RZ den Rücken gekehrt. Noch während der Existenz zweier Zellen wurde der Anschlag auf die Siegessäule diskutiert, der dann später von den Rest-Mitgliedern Matthias Borgmann, Axel Haug, Harald Glöde und Lothar E. ausgeführt wurde, was gleichzeitig Ergebnis der Neubestimmung der RZ-Politik gewesen ist, wie sie Sabine Ekle in ihrem Papier „Was ist das Patriarchat“ eingeleitet hat. 1995 versuchte Harald Glöde, der dem Koordinierungsausschuss anhörte, der u.a. Gelder an die RZ-Illegalen verteilte, Mousli wieder für die RZ zu gewinnen. Nach Auflösung des Sprengstoffdepots war auch er es, der Mousli bat, den Sprengstoff kurzfristig zwischenzulagern. Nachdem Teile des Sprengstoffs aus Mouslis Keller geklaut worden war, entsorgte er den Rest unmittelbar danach in einem Seegraben in Norden Berlins. Erst 1998 ist dem BKA aufgefallen, dass der 1995 bei den Berliner Kleinkriminellen gefundene Sprengstoff aus Mouslis Keller etwas mit der RZ zu tun habe.

Dass der Sprengstoff weit weg von der von Mousli angegebenen Einwurfstelle, entgegen der Fließrichtung des Seegrabens gefunden wurde; dass trotz zweimaliger intensiver Suche im Mehringhof nach dem Sprengstoffdepot dort nichts gefunden wurde; dass die Zeugin Barbara W. aussagte, sie und nicht Schindler habe auf Hollenberg geschossen; dass die „Fülle von Täterwissen“, die das Gericht dem Kronzeugen zu schrieb, etwa im Fall der Siegessäule nicht über das Hinausreichte, was in der Zeitung zu lesen war; dass der von ihm beschriebene Aufbau eines Sprengsatzes nicht mit den Tatortermittlungsergebnissen des BKA in Übereinstimmung zu bringen ist; all das und die vielen Widersprüche und nachgewiesenen Lügen des Kronzeugen zählte für den Senat nicht. Kein Wunder, dass er auch kein Wort darüber verlor, inwieweit der Kronzeuge von den Ermittlungsbehörden mit Informationen gefüttert und gezielt gelenkt wurde. Kein Wort zu den dubiosen Ermittlungsmethoden und dem Vorgehen der Bundesanwaltschaft, die Beweismittel zurückhielt und entlastende Ermittlungsergebnisse unter den Tisch fallen ließ.

Und wie sich der Senat bei der Urteilsbegründung den Vorgaben der Bundesanwaltschaft fügte, so folgte sie auch beim Strafmaß den Anträgen der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts – mit einer Ausnahme: Für Axel Haug gab es zwei Monate mehr. Als „untergeordnete Gefolgsleute“ bekamen er und Harald Glöde zwei Jahre und zehn Monate bzw. zwei Jahre und neun Monate. Die teilgeständigen Sabine Eckle und Rudolf Schindler wurden zu drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die mit vier Jahren und drei Monaten höchste Strafe erhielt Matthias Borgmann. Die Haftbefehle gegen alle Angeklagten wurden aufgehoben.

„Das ist ein Urteil, als hätte es keine dreijährige Beweisaufnahme gegeben, und es macht deutlich, dass eine Verurteilung von Anfang an vorgesehen war“, so Verteidigerin Silke Studzinsky. Ein Teil der Angeklagten will gegen das Urteil in Revision gehen.

Ein ausführlicher Bericht folgt.

 

18.03.2004
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