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Berlin: Weinrich-Prozess: 45. Verhandlungstag

Unverbindliche Berichte

45. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß

Jean-Francois Riou, vierter Akt. In Fortsetzung seiner Vernehmung vom 24.11. hatte die Dolmetscherin wieder Schwerstarbeit zu leisten. Herr Lehmann erschien heute erst nach der Mittagspause und chauffierte den Zeugen nach Prozeßende in seinem Wagen.

Zu Beginn der Verhandlung verlas der Zeuge eine Erklärung, in der er darauf hinwies, daß seine Berichte an Herrn Bruguiere "unverbindlich" seien und explizit kein formeller Bestandteil des französischen Verfahrens. Maßgeblich sei einzig und allein die offizielle französische Version. Zur Erinnerung: Riou hat wiederholt ausgesagt, daß sein Bericht eine "Erinnerungshilfe" und eine "erste Zusammenfassung" für Richter Bruguiere darstelle und im französischen Recht so vorgeschrieben sei. Nachdem ihm bereits am vergangenen Verhandlungstag nachgewiesen wurde, daß seine "erste Zusammenfassung" einen Monat nach der offiziellen Version auf dem Schreibtisch des Herrn Bruguiere lag, mißt er all dem eine andere Bedeutung bei. Von der Verteidigung befragt, wann ihm dies denn in den Sinn gekommen sei und warum ihm das erst nach drei langen Verhandlungstagen einfalle, erklärte der Zeuge: "Vielleicht war die Nacht ratsam!". Zur Frage des formell Vorgeschriebenen sei "die Formulierung (seines Satzes) scheinbar irreführend gewesen".

An den letzten Verhandlungstag anknüpfend will die Verteidigung wissen, wann Riou ,seine' Übersetzung der angeblichen Aussage Issawis gefertigt hat. Das der Zeuge bei bestimmten Themen Erinnerungsprobleme hat, ist mittlerweile bekannt. Beim Thema "Übersetzungen" treten nun jedoch auch Verständnisprobleme auf, denn er läßt sich mehrfach Fragen von der Dolmetscherin wiederholen, bevor er antwortet. Im Fall dieser Frage treten beide Probleme gemeinsam auf, Riou glaubt sich dann aber zu erinnern, daß es "weniger als ein Monat" war. In Amman habe es eine "freie Übersetzung vor Ort" gegeben, an Einzelheiten könne er sich aber nicht erinnern. RA Elfferding möchte dann erfahren, wer die Übersetzung des arabischen Textes nach seiner Rückkehr nach Paris gefertigt hat, die als Grundlage für seinen Bericht diente. Nachdem der Zeuge - wie ebenfalls bereits bekannt - etwas anderes antwortet, als er gefragt wurde, tut er nach dreimaligem Nachhaken kund, daß es sich um eine Übersetzerin aus dem französischen Innenministerium gehandelt habe, deren Namen er jedoch nicht preisgeben wolle.

Bei der Befragung zum Themenbereich "Übersetzungen" interveniert der Vorsitzende immer wieder und rät der Verteidigung während einer Sitzungspause, doch besser andere Themen zu behandeln.

Die Verteidigung möchte jedoch noch etwas beim Thema bleiben und weist mit Hilfe von Vorhalte diverse Differenzen zwischen Rious Bericht und der offiziellen französischen Version nach. Der Zeuge weist fortan immer wieder darauf hin, daß es sich bei seinem Bericht um einen unverbindlichen Bericht handele und man sich auf die offizielle Version beziehen müsse (deren Übersetzung ins Deutsche von der Kammer bereits abgelehnt wurde). Deshalb baten Verteidigung und Richter (!) die Dolmetscherin, bestimmte Sätze der offiziellen französischen Version zu übersetzen und verglichen diese mit der deutschen Übersetzung des arabischen Textes. Dabei traten auch hier inhaltliche Differenzen auf. Deutlich wurden so auch Differenzen zwischen Rious Bericht und der offiziellen französischen Version. So heißt es in Rious Bericht zur Rolle Weinrichs beim Attentat in der Rue Marbeuf: "Peter (Deckname Weinrich) ließ den Wagen in die Rue Marbeuf kommen". In der offiziellen Version steht an der entsprechenden Stelle: "Peter hat den Wagen selbst in die Rue Marbeuf gebracht". Wieder weist Riou auf die Unverbindlichkeit seines Berichtes hin und mutmaßt, daß Weinrich den Wagen bis zum Anfang der Rue Marbeuf gebracht haben könnte, wo ihn dann eine zweite Person übernommen und abgestellt haben könnte. Hintergrund dieser Spekulation ist, daß Augenzeugen den Attentäter als "Mann mit arabischem Akzent" beschrieben haben und das seinerzeit gefertigte Phantombild nicht zu Weinrich paßt. In der weiteren Befragung wird deutlich, daß die französischen Ermittler nur die "Aussage" Issawis als Beleg für eine Täterschaft Weinrichs in diesem Fall haben.

Weiterhin auf die Übersetzungen angesprochen, mag Riou nicht ausschlie0en, daß "die Jordanier bei den Fragen etwas umformuliert haben" und bestimmte "Antworten zusammengefaßt haben".

Während der Vernehmung Rious haben - wie schon am vergangenen Verhandlungstag - Mitglieder der Kammer Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten und nicken teilweise ein.

Nach der Mittagspause möchte die Verteidigung noch einmal genau wissen, ob es außer dem offiziellen Rechtshilfeersuchen nicht noch einen weiteren vorformulierten Fragenkatalog gab. Riou hat dies bis dato hier bestritten und behauptet, Zusatzfragen seien in Amman formuliert worden. Nach hartnäckigem Nachfragen und verschiedenen Vorhalte räumt der Zeuge nun ein, daß es sich dabei um ein Mißverständnis gehandelt haben muß. In einer ersten Phase der Befragung des angeblichen Zeugen Issawi habe man die Antworten auf Fragen aus dem Rechtshilfeersuchen erhalten. In einer zweiten Phase seien dann Zusatzfragen gestellt worden. In einer dritten Phase seien Fragen aus dem Hintergrund der französischen Ermittlungen, wie sie teilweise auch schon im Rechtshilfeersuchen formuliert gewesen seien in Kombination mit Antworten des angeblichen Issawi gestellt worden. Da Verteidiger Elfferding aufgefallen war, daß Rious Bericht die Fragen und Antworten der dritten Phase enthielt, die offizielle französische und die deutsche Version jedoch nur die Antworten enthalten, wollte er wissen, woher Riou die Fragen hatte. Der Zeuge erklärte, daß er "die Fragen aus den Antworten geschlossen" habe. Ob Herr Bruguiere, der in seinem offiziellen Bericht nur die Antworten hatte, das auch so gemacht hat, wußte Riou nicht zu sagen. "Da müssen sie Herrn Bruguiere fragen", war seine Antwort.

An Widersprüche seines Berichtes (Issawi: Bin kein Mitglied der Carlos-Gruppe gewesen) zum französischen Rechtshilfeersuchen (Issawi: Bin Mitglied der Carlos-Gruppe gewesen) konnte sich der Zeuge nicht erinnern.

Elfferding möchte dann wissen, ob ihn die Formulierung in der "Aussage" Issawis: "Meine Antwort hängt von der Seite ab, die mich befragt" denn nicht stutzig gemacht habe. Dies verneint der Zeuge. An dieser Stelle schaltet sich der Vorsitzende ein, gibt dem Verteidiger recht und meint, daß jeder Polizist oder Jurist bei einer solchen Äußerung eines Zeugen "den Kopf schütteln würde" und nachfragen müßte, was das bedeutet. Auch dies verneint Riou. Verteidiger Elfferding daraufhin: "Das glaube ich ihnen nicht. Das ist ein zentraler Punkt. Jeder Polizist würde nachfragen, wenn ein angeblicher Zeuge sagt, sein Geständnis hänge von demjenigen ab, der ihn befragt". Riou (sehr ruhig): "Wo war die Frage in dem was sie da sagen?"

Charakteristisch für Rious Aussageverhalten ist die Antwort auf die Frage, wie die Antworten des angeblichen Issawi von den Jordaniern vor Ort überbracht wurden: "Ich glaube nach meiner Erinnerung, daß es möglicherweise handschriftliche Notizen mit mündlichen Kommentaren waren." Eigene Notizen habe er nicht mehr und ob es Tonbandaufzeichnungen gab, könne er nicht mehr erinnern.

In der weiteren Befragung wird deutlich, daß es insgesamt drei französische Rechtshilfeersuchen mit jeweils einem Fragenkatalog an Jordanien gab. Die Frage, ob es dann auch drei Berichte gegeben hat (in den deutschen Akten ist nur einer vorhanden) befand Riou für "sehr wahrscheinlich". Genaueres müsse man Herrn Bruguiere fragen, denn er selbst habe keine Erinnerung daran.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der seinerzeitige (Vorab-Informations-) Bericht des Zeugen Riou 1. Ein Monat nach dem offiziellen Bericht erschien, 2. Inhaltlich zum Teil erheblich von anderen Akten abweicht, 3. Die Fragen aus den Antworten geschlossen hat und 4. Seit dem heutigen Verhandlungstag eine zu vernachlässigende Unverbindlichkeit sein soll.

Nächster Termin: 1.12., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

26.11.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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