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Berlin: Weinrich-Prozess: 41. Verhandlungstag

Phantomzeuge offiziell eingef?hrt

41. Verhandlungstag im Weinrich-Proze?

Jean-Francois Riou, seines Zeichens Mitarbeiter des franz?sischen Inlands-Geheimdienstes DST und 2001 Mitglied der franz?sischen Delegation in Amman zur "Vernehmung" Ali al Issawis, war zur Fortsetzung seiner Vernehmung (siehe 14. Verhandlungstag "Ein ganz normaler Polizist in einem ganz normalen Verfahren") erschienen.

Und wie schon bei seiner ersten Vernehmung war auch dieses mal wieder Herr Lehmann vom BKA aus Wiesbaden angereist. Lehmann spielte im Maison de France-Verfahren eine ebenso entscheidende wie dubiose Rolle. Unter anderem wurde ihm seinerzeit in der m?ndlichen Urteilsbegr?ndung eine Falschaussage bescheinigt, die dann allerdings in der schriftlichen Ausfertigung nicht mehr auftauchte.

Bevor es jedoch zur Vernehmung Rious kam, stellte die Verteidigung einen umfangreichen Antrag Riou bzw. die "Aussage" Issawis betreffend.

Darin wurde f?rmlich ersucht, den Zeugen wie bisher nur ?ber die ?u?eren Umst?nde seiner Reise nach Amman und nicht zu Inhalten der "Aussage" Issawis zu befragen. Zuerst m??ten eine Reihe von Widerspr?chen zwischen einzelnen ?bersetzungen gekl?rt, bzw. fehlende Aktenteile, Rechtshilfeersuchen und ?bersetzungen beigezogen werden. Ein Vergleich dieser Unterlagen mit den bisherigen Aussagen Rious w?re dann ein Indiz f?r dessen Glaubw?rdigkeit. Daf?r w?re es u, a, auch notwendig, den arabischen Text der "Aussage" Issawis neu ?bersetzen zu lassen.

In einer angeh?ngten Gegenvorstellung ging RA Elfferding noch einmal auf die Auseinandersetzung um die Foltervermutung ein. Er stellte klar, da? er zu keinem Zeitpunkt Folter als Tatsache unterstellt habe, dies jedoch aufgrund der Berichte von amnesty international nicht wie vom Gericht behauptet "fernliegend", sondern im Gegenteil sehr naheliegend sei. Die bisher in diesem Verfahren gezeigte Praxis der Kammer zum Thema stelle die BGH-Rechtssprechung zu V-Mann-Verfahren "bei weitem in den Schatten". Elfferding w?rtlich: "Die Kammer riskiert sehenden Auges, solches Wissen, hineingepresst in einen undatierten und von niemandem unterzeichneten Bericht, sich als T?terwissen eines Unbekannten verkaufen zu lassen. Sie wird damit einen der letzten D?mme im Strafproze? einrei?en, hinter dem es dann ?berhaupt keiner tats?chlich existierenden Zeugen mehr bedarf, um Angeklagte verurteilen zu k?nnen; sondern nur der Zusammenstellung des angeblichen Wissens und der in ,?berzeugung' transformierten Vermutungen von Polizei, Geheimdiensten und Anklagebeh?rden in Berichtsform, verbunden mit der Behauptung, all dies habe mal ein Unbekannter gesagt und best?tigt."

An einem solchen Punkt werde ein Strafproze? zur Farce und die Verteidigung zum Alibi f?r dieselbige. Der Verteidiger verwies zus?tzlich auf einen Bericht der "Washington Post", wonach Jordanien auf einer US-Liste der L?nder steht, wohin Gefangene verschickt werden, um sie dort "speziellen Befragungsmethoden" zu unterziehen.

Nach einer Pause verk?ndete die Kammer, da? der Antrag rundum abgelehnt, bzw. die Gegenvorstellung zur?ckgewiesen wird und begann mit der Vernehmung Rious.

Dabei erinnerte sich der Vorsitzende an die Strafproze?ordnung und bat den Zeugen nicht aus den Akten abzulesen, da zuerst aus eigenem Erinnern heraus geantwortet werden m?sse. Dies gestaltete sich f?r den Geheimdienstler wohl schwierig, denn er begann fast jeden Satz entweder mit "soweit ich mich erinnern kann...", "wenn ich mich richtig erinnere...", "ich glaube..." oder "nach meiner Erinnerung glaube ich...".

Richter Ehest?dt ging zuerst noch einmal auf die ?u?eren Umst?nde der "Vernehmung" in Amman ein und wollte wissen, ob denn wirklich niemand aus der vierk?pfigen franz?sischen Delegation Issawi zu Gesicht bekommen habe, was Riou best?tigte. Auf die Frage, ob ihm dies denn nicht ungew?hnlich vorgekommen sei und sie nach Gr?nden gefragt h?tten, konnte sich der Zeuge nicht erinnern. Er sei vielmehr der Meinung, das man als franz?sischer Beamter in Jordanien die landes?blichen Sitten beachten und sich an diese anpassen m?sse.

Neben seiner eigenen Person seien Untersuchungsrichter Brugui=E8re als Leiter der Delegation, sein Kollege Descoms, ein franz?sischer Kriminalbeamter mit Arabischkenntnissen und ein General des jordanischen Geheimdienstes GID anwesend gewesen. Ob der jordanische ?bersetzer der "Aussage" Issawis ebenfalls Mitarbeiter des GID war, wu?te Riou nicht zu sagen. Auf Nachfragen nach einem von ihm gefertigten Bericht an Brugui=E8re stellte sich heraus, da? es neben der offiziellen franz?sischen ?bersetzung auch noch eine "erste ?bersetzung" gibt, "die wir" so Riou "in unserer eigenen Abteilung (beim DST) ?bersetzen lie?en". Der Antrag der Verteidigung auf Kl?rung der Frage, ob diese ?bersetzungen inhaltlich identisch sind, wurde abgelehnt.

Nach der Mittagspause ging der Vorsitzende in seiner Befragung dann zu Inhalten der "Aussage" Issawis ?ber und f?hrte sie damit offiziell in dieses Verfahren ein.

Riou antwortete z?gerlich, wobei seine Formulierungen vorsichtig gew?hlt waren und immer etwas relativ blieben. Als der Vorsitzende fortgesetzt in seinen Frageformulierungen davon ausging, da? Issawi tats?chlich der seinerzeit Vernommene war ("Hat der Zeuge...") weist ihn Verteidiger Elfferding darauf hin, da? es bis heute keinen Beweis ?ber die Identit?t dieses angeblichen Zeugen gebe und man infolgedessen Riou bestenfalls danach befragen k?nne, was der jordanische Dolmetscher berichtete. Damit hatte Ehest?dt kein Problem und stellt alle inhaltlichen Fragen so, da? er immer ein: "Haben Sie vom Dolmetscher Informationen erhalten, die besagen, da?..." voranschickte.

Zeitweise macht die Szenerie einen bedenklich absurden Eindruck, in dem eine Zeuge vom H?rensagen ?ber einen Zeugen vom H?rensagen berichtet, der angeblich einen Zeugen gesprochen haben will und der hier anwesende Zeuge vom H?rensagen sich oft nicht so genau erinnern kann. Das in einer Befragung rechtsstaatlich zu handhaben, ist nat?rlich sehr schwierig. Etwas erleichternd war f?r den Vorsitzenden, da? der Zeuge mitunter auf die gestellten Fragen erst garnicht antwortete und der Richter auch nicht weiter nachfragte.

Riou erz?hlt "apres mes souvenirs", da? die Carlos-Gruppe Mitte der 70er Jahre gegr?ndet wurde und Issawi, Sanchez ("Carlos") und Weinrich eine Art kollektive F?hrung ("direction collegial") bildeten. Sanchez habe bei Entscheidungen stets das letzte Wort gehabt. Issawi w?re f?r Kontakte und Aktionen in arabischen Raum, Weinrich in gleichen Angelegenheiten f?r den europ?ischen Raum "zust?ndig" gewesen. Die Gruppe h?tte (nach seiner Erinnerung) Unterk?nfte in der DDR, Ungarn und Rum?nien genutzt. Attentate in der Rue Marbeuf, auf den TGV "Le Capitol", den Bahnhof von Marseille und einen Schnellzug bei Tain l'Hernitage sollen ("soweit ich mich erinnere") auf das Konto der Gruppe gehen.

N?her zum Anschlag in der Rue Marbeuf befragt, gibt Riou an, nach seiner Erinnerung habe der Dolmetscher ?bermittelt, da? Magdalena Kopp und Bruno Breguet einen Attentatsversuch einen Monat zuvor unternommen h?tten, bei dem sie gefa?t wurden. Das eigentliche Attentat sei dann die Realisierung einer Drohung von Carlos gewesen, er wisse aber nicht mehr mit Bestimmtheit, ob der Dolmetscher dies ?bermittelt habe oder das bereits Bestandteil des franz?sischen Fragenkataloges gewesen sei. Diese Unterscheidungsschwierigkeit zwischen dem, was der Dolmetscher gesagt haben soll und dem, was Riou aus den eigenen Akten hat, blieb kein Einzelfall.

Der Zeuge glaubte auch, sich erinnern zu k?nnen, da? Weinrich "eine aktive Rolle" bei dem Anschlag in der Rue Marbeuf und dem Attentat auf "Le Capitol" gespielt haben soll, wu?te aber nichts Genaues zu berichten.

Als Riou dann ?ber die angebliche Aussage Issawis berichtet, dieser habe gesagt, es sei wegen des Prozesses gegen Kopp und Breguet ein erster Attentatsversuch unternommen worden, der wegen eines Streiks franz?sischer Justizbeamter abgebrochen wurde (siehe hierzu 39. Verhandlungstag "Antr?ge und Ablehnungen"), fragt der Vorsitzende nach, ob der Zeuge dies nicht eventuell auch mit dem Fragenkatalog verwechsele, was Riou nicht ausschlie?en mochte. Wer das Tatfahrzeug beim Anschlag in der Rue Marbeuf besorgt und gefahren habe, wisse er nicht genau. Nach seiner Erinnerung der Informationen des Dolmetschers seien Issawi selbst, Weinrich, Sanchez, Al Sibai (laut Akten ein weiteres Gruppenmitglied) und jemand, der das Auto besorgt habe, m?glicherweise Christa Fr?hlich, beteiligt gewesen. Danach waren Weinrich, Issawi und Al Sibai auch am Anschlag auf den Bahnhof von Marseille beteiligt, w?hrend beim Anschlag auf den TGV "Le Capitol" zus?tzlich noch Maitre Verges (ein bekannter franz?sischer Rechtsanwalt) der Gruppe Informationen geliefert haben soll. Wer an dem Anschlag nahe Tain l'Hernitage beteiligt gewesen sein soll, daran konnte sich Riou nicht mehr erinnern.

Der Anschlag in der Rue Marbeuf verfolgte demnach zwei Ziele: Zum einen aus Anla? des Proze?beginns gegen Kopp und Breguet eine Drohung wahr zu machen und zum anderen "Syrien zufrieden zu stellen", indem sich das Attentat gegen eine Syrien-kritische Zeitung in der Stra?e richtete. Eine halbe Stunde sp?ter nach den Motiven der Gruppe f?r die Anschl?ge in Frankreich befragt, wird der Zeuge allerdings "die Politik Frankreichs im Mittleren Osten, speziell im Libanon" nennen.

Rious Aussageverhalten ?ndert sich abrupt, als der Vorsitzende ihm Vorhalte aus den Akten macht. Daran, da? er vom Dolmetscher informiert wurde, da? Al Sibai den Z?nder f?r den Sprengsatz in der Rue Marbeuf geliefert habe und Weinrich das Fahrzeug dann pr?pariert habe, kann er sich jetzt eindeutig und klar erinnern. Ebenso an den Umstand, da? "Peter" (laut Akten ein Deckname von Weinrich) f?r diesen Anschlag "verantwortlich" sei.

Riou kann sich auch nach zwei weiteren Vorhalten klar erinnern und bejaht die Fragen des Vorsitzenden. Wahrscheinlich ist ihm entgangen, da? sich beide Vorhalte widersprechen ("Peter lie? Wagen in die Rue Marbeuf kommen" / "Peter fuhr Wagen in die Rue Marbeuf"). Von Ehest?dt darauf angesprochen, setzten prompt die Erinnerungsprobleme wieder ein.

Auf die Frage von Staaatsanwealt Mehlis, ob er denn je Zweifel an der Identit?t Issawis als Vernommenen gehabt habe, verneint Riou mit der Begr?ndung, da? in den Antworten eine Reihe von Details enthalten gewesen seien, die T?terwissen seien. Franz?sische Akten seien seines Wissens nach nicht nach Jordanien gesandt worden (um eine Aussage mittels GID zu produzieren).

Da es drau?en mittlerweile dunkel geworden war, wurde vereinbart, die Verhandlung zu unterbrechen und den Zeugen erneut zu laden. Elfferding w?rtlich: "Wir sind damit einverstanden, die Befragung heute nicht mehr zu beginnen, wenn sie garantieren k?nnen, da? der Zeuge auch wieder erscheint".

Garantieren k?nne dies nat?rlich niemand bekam er vom Vorsitzenden und Staatsanwaltschaft zur Antwort.

N?chster Termin: 12. 11., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

10.11.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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