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Berlin: 20. Verhandlungstag im Weinrich-Prozess

Jemenitischer Geheimdienstler als Lachnummer

Ein langer 20. Verhandlungstag im Berliner Weinrich-Prozeß

Erfahrungen zeigen, daß es in der arabischen Kommunikationskultur nicht unüblich ist, auf eine Frage indirekt zu antworten. Der Fragende ist dann darauf angewiesen, die Antwort zu interpretieren.

Geheimdienstler wiederum haben oft die Eigenart, in der Öffentlichkeit sehr nebulös in ihren Aussagen zu bleiben.

Nun stelle man sich einen arabischen Geheimdienstler vor, der auf akribische deutsche Juristen trifft. So geschehen am 20. Verhandlungstag im Berliner Weinrich-Prozeß.

Weinrich wurde 1995 von den jemenitischen Behörden an Deutschland ausgeliefert. Der Geheimdienstler Al Mazaqui war nach der Vereinigung von Nord- und Südjemen 1994 Leiter der Bewachungsmannschaft des unter Hausarrest stehenden Weinrich in Jemens Hauptstadt Sanaa. Al Mazaqui hatte in einer Vernehmung im Jahre 2000 in Berlin ausgesagt, seinerzeit bei Weinrich bestimmte Gegenstände (speziell Briefmarken) beobachtet zu haben, welche die Staatsanwaltschaft Bekennerbriefen zu Anschlägen zuordnet.

Schon bei den ersten Fragen nach den Personalien deuteten sich die kommenden Schwierigkeiten an. Der Zeuge gab sein Alter mit 50 Jahren an. Als der Vorsitzende ihm entgegenhielt, daß er bei seiner ersten Vernehmung sein Geburtsjahr mit 1955 angegeben habe, bekam er gleichmütig zur Antwort: "Bei uns spielt Zeit nicht so eine Rolle". Seinen Beruf gab er mit "Angestellter" an. Auf späteres Nachfragen präzisierte er dies etwas und definierte sich als "Angestellter im Staatsdienst". Als die Verteidigung nicht locker ließ, gab er zu, Offizier des jemenitischen Geheimdienstes gewesen zu sein. Damit war es mit den Eindeutigkeiten während der viereinhalbstündigen Befragung aber auch schon vorbei. Ab da wurden Sätze wie "Ich erinnere mich nicht mehr" oder "Ich weiß das nicht mehr" fast zur Standardformel. Besonders beliebt immer dann, wenn er in Widersprüche zu seiner Vernehmung im Jahre 2000 verwickelt wurde.

So hatte er seinerzeit beispielsweise angegeben, er hätte Weinrich aus taktischen Gründen um einen Stift und ein Blatt Papier gebeten, um einmal einen Blick in dessen Aktentasche werfen zu können. In der heutigen Verhandlung dagegen gab er an, die Tasche habe geöffnet auf dem Tisch gestanden. Als ihm die Verteidigung anhand des Originalasservats vorführte, daß diese Aktentasche in keiner Lage von selbst offenbleibt, fiel dem Zeugen ein, daß er an Diabetes leidet und dies auch sein Gedächtnis in Mitleidenschaft zieht.

Monoton gleichlautenden Antworten, die konsequent den Inhalt der Fragen ignorierten, riefen bei allen Prozeßbeteiligten ein Kopfschütteln hervor. Im weiteren Verlauf hatten dann Richter, Nebenklagevertreter und Verteidiger teils Schwierigkeiten, ihr Lachen hinter vorgehaltener Hand zu verbergen, so hanebüchen schienen die "Antworten". Als Al Mazaqui z. B. danach befragt wurde, wer von der deutschen Botschaft in Sanaa in eigentlich angesprochen und zu seiner Aussage animiert habe, antwortete er, ein jemenitischer Bürger, der in der deutschen Botschaft als Dolmetscher arbeitete, habe dies getan und ihm die Flugtickets besorgt. Nach sechsmaligem Nachfragen kam dann heraus, daß er mit einem deutschen Botschaftsangehörigem gesprochen hatte und dieses Gespräch vom Dolmetscher übersetzt wurde. Daraufhin befragt, ob er denn jemand anderem, über den heutigen Verhandlungstag befragt antworten würde, daß er mit dem Dolmetscher (statt mit dem Richter, bzw. dem Verteidiger) gesprochen habe, quittierte er dann auch konsequent mit einem "Ja". Damit war ein weiterer Lacher fällig.

Wer dieser deutsche Botschaftsangehörige war, konnte er nicht sagen. Auch auf die Frage, wie oft und was er denn mit Weinrich gesprochen habe, ahnten die Zuhörer nach langem Ringen um eine Antwort, daß er erstens selten und zweitens Nichtigkeiten mit dem Angeklagten geredet hatte. Bei Fragen nach besagten Briefmarken wollte er sich entgegen seiner früheren Aussage nur noch an die Farbe der Marken, jedoch nicht mehr an deren Wert oder Menge erinnern. Die Geduld, mit der Richter und Verteidiger versuchten, Al Mazaqui die Würmer aus der Nase zu ziehen, die sich bei detaillierterem Nachfragen oft dem Begreifen entwanden, war bewundernswert.

Als Versuch, die Fragen etwas anschaulicher zu gestalten und so dem Erinnerungsvermögen des Zeugen vielleicht auf die Sprünge zu helfen, bat der Vorsitzende dann zur Ansicht von Originalstücken alle Beteiligten zum Richtertisch. Die Antworten Al Mazaquis, ob er das eine oder andere Asservat erkenne, schienen beliebig, teils sogar widersprüchlich. Nach einer halben Stunde hatte sich der Richtertisch in eine Art Stammtisch-Plauderrunde verwandelt in der nichts Substantielles mehr geschah. Und da der Zeuge äußerte, er sei jetzt müde, unterbrach der Vorsitzende die weitere Zeugenvernehmung, die am kommenden Verhandlungstag fortgesetzt werden soll.

Nächster Termin: 30. 06., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

25.06.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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