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Berlin: Weinrich-Prozess - 18. Verhandlungstag

Kubanische Geheimdienstnotizen

Zentraler Gegenstand des 18. Verhandlungstages im Berliner Weinrich-Prozeß waren zwei Schreiben des kubanischen Botschaftssekretärs Roque in Ost-Berlin vom Frühjahr 1984, die er dem MfS gesandt hatte. Demnach soll Weinrich sich im Februar und März des Jahres im Beisein von "Kai" (Gruppendeckname für Gerd Albartus) mit Roque getroffen haben, die Kubaner um logistische Unterstützung ersucht und die Verantwortung für die Bombenanschläge in Marseille im Dezember 1983 übernommen haben. Laut Roques Notizen sollten diese Anschläge als Vergeltung der Carlos-Gruppe für die Bombardierung eines libanesischen Dorfes durch die französische Luftwaffe verstanden werden.

Bevor es jedoch zur Verlesung der Schreiben wegen der Unerreichbarkeit Roques kam, sollte geklärt werden, unter welchen Umständen diese Schreiben in die Akten gelangt waren. Hierzu war der Leiter der Abteilung X ("Internationale Beziehungen") des MfS, Willi Damm als Zeuge geladen. Damm war zuständig für die Koordination und Zusammenarbeit mit den Sicherheitsdiensten "befreundeter Staaten".

Bei seiner Vernehmung wurde schnell klar, daß der Ex-Generalmajor eigentlich nur Übersetzungs- und Botenaufträge in dieser Angelegenheit erfüllte. Er hatte nur nach dem Inhalt entsprechender Schreiben zu beurteilen, an welche Abteilung diese weitergeleitet werden mußten. Eigene Abhör- oder Observationsmaßnahmen wurden von seiner Abteilung nicht durchgeführt, mit Mitgliedern der Carlos-Gruppe hatte er keinen Kontakt.

Und wie schon bei verschiedenen Zeugen in diesem Verfahren zu beobachten war, traten auch bei Damm diverse Erinnerungslücken auf. Auch an seine polizeilichen Vernehmungen 1994 und 1995 hatte er nur noch bruchstückhafte Erinnerungen.

Aufschlußreich war Damm lediglich, als er klarstellte, daß Roque Angehöriger des kubanischen Geheimdienstes war ("das war die Regel in den Botschaften") und Roque mit Sicherheit nicht sein Klarname war.

Interessant war Damms Antwort auf die Frage der Verteidigung nach dem Unterschied zwischen "legalen" und "operativen" Erkenntnissen seines Dienstes: "Legal ist, was in der Presse steht. Operativ ist, was durch operative Maßnahmen erlangt wird. Operativ ist nicht gerichtsverwertbar." Wäre diese Erkenntnis Leitmotiv in diesem Prozeß, müßte er sofort eingestellt werden.

Die Verteidigung widersprach nach der Entlassung des Zeugen der Verlesung der kubanischen Gesprächsnotizen. Dem wollte die Kammer jedoch nicht folgen und verlas diese nach kurzer Unterbrechung und Beschluß.

Blieb der Verteidigung nur noch, der Verwertung dieser Schreiben zu widersprechen.

Nächster Termin: 23. 06., 10 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

18.06.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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